Wie die IT hilft, Geld zu verdienen

Digitale Transformation bei Smartrac

12.09.2015 von Karin Quack
Dass die IT dem Unternehmen neuen Umsatz schaffen soll, bekommt sie schon seit einigen Jahren zu hören. Die IT des RFID-Tag-Herstellers Smartrac hat diese Botschaft vernommen: Sie betreibt eine Cloud-Plattform, die den Endkunden die für Industrie-4.0- und Customer-Experience-Anwendungen nötigen Informationen bereitstellt.

Für Andreas Petrongari ist sein Job ein "Husarenritt". Als Senior Vice President IT hat er die rasante Entwicklung der im Stuttgarter Stadtteil Degerloch heimischen Smartrac Technology Group aus nächster Nähe beobachtet - und beeinflusst. Als er 2008 zu Smartrac stieß, stellte das Unternehmen zwar Komponenten für die Informationstechnik her, kam aber selbst mit einem Mindestmaß an IT aus: "Ein eigenes Rechenzentrum gab es nicht, und das war auch gar keine Option", erinnert sich Petrongari, "eine Unternehmens-IT im eigentlichen Sinn existierte auch nicht"; so kümmerten sich zum Beispiel viele Mitarbeiter selbst um ihre Computer, und eine Vertriebsmitarbeiterin in Singapur betreute quasi nebenbei ein "Excel-CRM-System".

Fast die Hälfte seiner bisherigen Existenz verbrachte der 2000 gegründete Hersteller von RFID-Transpondern also im Zustand der IT-losen Glückseligkeit. Doch es zeichnete sich ab, dass auch Smartrac vom Baum der IT-Erkenntnis würde naschen müssen. Dafür holte sich das Unternehmen einen Profi ins Haus. Petrongari krempelte die Ärmel auf und machte sich an die Aufbauarbeit.

"Plötzlich war ich ganz nah am Kunden, musste Service-Level-Agreements eingehen, Serviceversprechen nach außen abgeben etc. Das ist für mich und meine Leute schon ein Paradigmenwechsel", sagt Andreas Petrongari, Senior Vice President IT bei der Smartrac Technology GmbH.
Foto: Smartrac

Die geht mittlerweile bereits in die zweite Runde: Aus einer mit der Zeit auf sieben unterschiedliche Systeme angewachsenen ERP-Landschaft ist in den vergangenen drei Jahren - mit einem globalen Rollout - eine einheitliche SAP-Plattform für alle Niederlassungen entstanden. Im Vorfeld wurde eine verbindliche weltweite Netzinfrastruktur entworfen und dann synchron umgesetzt. Die relevanten Unternehmensdaten befinden sich nun alle in einem Topf. Und die Standarisierung aller 1500 IT-Arbeitsplätze ist ebenfalls abgeschlossen.

Das ist beachtlich, aber ein Husarenritt? - "Das Unternehmen entwickelt sich rasant weiter", erläutert Petrongari, "parallel zur Aufbauarbeit in der IT hatten wir beispielsweise Ende 2012 die IT-seitige Integration dreier akquirierter Unternehmen zu bewältigen, eines in Deutschland, eines in England und ein weiteres mit gleich drei Standorten in Skandinavien, USA und China."

Datenbasierte Geschäftsmodelle entwickeln

Hinzu kommt, dass die Smartrac-IT mit ihren insgesamt 34 Mitarbeitern personell nicht gerade aus dem Vollen schöpfen kann. Zumal sich die Gesamtkopfzahl auch noch auf fünf Teams aufteilt: jeweils eins an den zwei großen Standorten in Asien, drei in der Zentrale in Stuttgart. Die dezentralen IT-Spezialisten kümmern sich um "alles, was mit der Arbeitsplatz-IT zu tun hat - vom lokalen Netzwerk bis zu den Clients mit den Standard-Office Applikationen und dem Anwender-Support", geht Petrongari ins Detail. Zentral organisiert hat er ein Competence Center für SAP und die beiden Abteilungen für die globalen, von allen Geschäftseinheiten gemeinsam genutzten Geschäftsplatformen (Sharepoint, Salesforce etc.) sowie für die weltweite Server-, Daten- und Netzinfrastruktur.

Und mit dieser überschaubaren Mannschaft soll die IT nun auch noch Geld verdienen? Ja, genau, findet Petrongari: "Datenbasierte Geschäftsmodelle zu entwickeln und zu betreiben ist für uns als IT der nächste logische Schritt. Wir zeigen, wie die IT im Unternehmen das eigentliche Geschäft ergänzen kann - unter dem Stichwort Digitalisierung."

Das "eigentliche Geschäft" von Smartrac ist das Entwickeln, Herstellen und Vermarkten von RFID-Transpondern. Bestehend aus einem Chip und einer damit verbundenen Antenne dienen sie der sicheren, berührungslosen Übertragung von Informationen über Funkwellen. Damit ermöglichen sie zum einen die sichere Identifikation von Produkten und Menschen sowie die Steuerung der darauf aufbauenden Transaktionen. Zum anderen können sie auch Dinge "intelligent" machen. Eine Voraussetzung für Industrie 4.0 und das viel beschworene "Internet der Dinge".

Wie Petrongari berichtet, hat Smartrac die Methode erfunden, wie man Kupferdraht-Antennen in ein Kunststofflaminat einschweißt und dann mit dem Microchip verbindet, so dass sich das RFID-Inlay beispielsweise für Ausweise und Kreditkarten verwenden lässt: "Wire-embedding Technology - das ist nach wie vor unsere Kernkompetenz."

Transponder sammeln unentwegt Daten

Eine andere, bis dahin nur virtuelle Kernkompetenz lag hingegen viele Jahre brach: Werden über einen RFID-Tag Personen oder Objekte authentifiziert, ist damit erst einmal eine Aktion verbunden, und dabei fallen mal mehr, mal weniger Daten an: bei der Identifikation einer Person vielleicht weniger, beim Einsatz von Transpondern in Produktions- oder Logistikketten möglicherweise mehr.

Rund zwei Miliarden Transponder pro Jahr verlassen die Smartrac-Werke und machen sich auf zum Datensammeln. Mit diesen Daten müsste doch etwas anzufangen sein, dachten sich einige kluge Köpfe in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung sowie der IT. "Zum Vertrieb sind wir erst gegangen, als das Projekt einen gewissen Reifegrad erreicht hatte", schmunzelt Petrongari.

Unter den vielen Ideen, wie man die von den Chips generierten Daten nutzen könnte, kristallisierten sich vor allem zwei heraus: Der Einzelhandel kann damit den Kundenkontakt intensivieren. Und die produzierende Industrie ist damit in der Lage, ihre Maschinen und Werkzeuge sowie die Produkte selbst miteinander zu vernetzen.

"Wir liefern komplette Infrastrukturen, um zum Beispiel eine Kundenerlebniswelt zu bauen", erläutert Petrongari: "Das ist mehr als Infrastructure as a Service, aber auch noch keine fertige SaaS-Anwendung." Sondern was genau? - "Nun, wir haben die Transponder, und wir haben eine Cloud-Plattform", lautet die noch etwas unspezifische Antwort. Einen Namen dafür hat Smartrac allerdings schon: Die Plattform heißt "Smart Cosmos".

Wenn Petrongari über diesen Service spricht, verfällt der IT-Mann ins Marketing-Idiom: "Mit Smart Cosmos ermöglichen wir es unseren Kunden, schnell und einfach innovative RFID-basierte Anwendungen und Services für das Internet der Dinge zu entwickeln." Damit entfalle nahezu komplett der zeitraubende, kostenintensive und komplexe Aufbau einer sicheren und hochverfügbaren IT-Infrastruktur, eine Aufgabe, die andernfalls die hauseigene IT des Kunden lösen müsste. Damit könne sich der Kunde "durchaus den entscheidenden Vorsprung" verschaffen.

Die Plattform als Service

Von der Werbung zu den Fakten: Im Detail bietet Smart Cosmos drei Services, die der Kunde bei Bedarf nutzen kann:

Die solchen Szenarien zugrunde liegenden Prozessketten kann ein Marketing-Spezialist ohne tiefgehende Programmierkenntnisse selbst am Bildschirm modellieren. "Auch wir denken darüber nach, das für unsere eigene Logistik zu nutzen", sagt Petrongari, "zum Beispiel um unsere eigene Produktion automatisch mit Nachschub aus dem Lager zu versorgen." Über eine Anbindung mittels APIs lasse sich nahezu jedes beliebige IT-System in Flows integrieren.

RFID-Tags Auf Metalloberflächen waren RFID-Etiketten lange ein Problem. Wie das Beispiel des Feuerlöschers zeigt, ist es gelöst: Neue Materialien ermöglichen es, die Funketiketten auf verschiedensten Flächen unterzubringen – egal ob gebogen oder plan, warm oder kalt, rau oder glatt.
Foto: Smartrac

Analytics-Funktionen in Arbeit

Sicher gebe es andere Unternehmen, die an ähnlichen Plattformen für das Internet der Dinge arbeiten, räumt der Smartrac-CIO ein: "Aber unser Vorteil ist, dass die TransponderDaten uns gehören, wir quasi jeden mit Vornamen kennen." Das sei umso gravierender, als Smartrac sowohl bei den im Hochsicherheitsbereich als auch bei den industriell eingesetzten Tags einen Marktanteil von weit mehr als 50 Prozent habe.

Weiter aufwerten könnte Smartrac seine Plattform, wenn auch Analytics-Funktionen zur Verfügung gestellt würden. Das ist in Planung, aber noch nicht spruchreif. Immerhin verriet Petrongari kürzlich beim COMPUTERWOCHE-Roundtable "Cloud Readiness", dass er sich dafür Anwendungen wie zum Beispiel Predictive Maintenance vorstellen könne: "Damit würde es ein rundes Angebot."

Betrieben wird Smart Cosmos nicht bei Smartrac, sondern bei Amazon Web Services (AWS). Petrongari begründet diese Entscheidung damit, dass AWS eine enorme Skalierungsfähigkeit und damit eine viel höhere Geschwindigkeit und Verfügbarkeit garantieren könne. "Bei einem Umsatz von 300 Millionen Euro und rund 3500 Mitarbeitern wären wir normalerweise eher zu einem kleineren Partner gegangen, der sich quasi auf Augenhöhe befindet", räumt der IT-Chef ein.

Daran, mit einem Public-Cloud-Anbieter zu arbeiten, habe sich sein Team erst einmal gewöhnen müssen. Denn der operiere schließlich mit industrialisierten Lösungen, sprich: einem Warenkorbprinzip ohne Möglichkeit zu Anpassungen oder einen individuellen technischen Ansprechpartner: "Das ist eine neue Situation für Leute, die es gewöhnt waren, Server individuell zu konfigurieren." So ganz glücklich war die Smartrac-IT denn auch zunächst noch nicht mit dem Provider: "Zum Beispiel haben wir lernen müssen, dass es generell gar nicht so einfach ist, einen standardisierten Cloud-Service in die Unternehmens-IT einzubinden."

Außerdem sollte AWS mal überlegen, ob man nicht doch gerade für individuelle und komplexe Probleme in der Projektarbeit einen Ansprechpartner zur Verfügung stellen könne, schlägt der Smartrac-CIO vor - "gerade wenn es im technischen Klein-Klein hakt".

Auch Petrongari selbst musste sich schließlich ändern: "Für viele Kollegen ist die IT ja immer noch eine bequeme Nische", resümiert er. Er selbst sei allerdings nie einer gewesen, "der im Rechenzentrum sitzt, die Maschinen ölt und sich freut, wenn alle Lämpchen an den Servern schön grün leuchten".

Digitalisierung verlangt Zusammenarbeit

Andererseits nehme er für sich aber auch nicht in Anspruch, das Thema Digitalisierung allein voranzutreiben, merkt der Head of IT an. Das sei gar nicht möglich: "Digitalisierung erfordert ja im Gegenteil ganz neue Formen der Zusammenarbeit im Unternehmen." So sei auch Smart Cosmos "so lange nicht ans Fliegen gekommen, bis unser CEO erst einmal alle Leute an einen Tisch geholt hat": Das waren Research and Development (R&D) sowie IT, später auch Marketing, Vertrieb, Produktion und die Rechtsabteilung.

Und wie wirkte sich die neue Rolle im IT-Alltag aus? "Plötzlich war ich mit meinem Team ganz nah am Kunden, musste Service-Level-Agreements eingehen, Lieferzusagen nach außen abgeben etc. Das ist für mich und meine Leute schon ein Paradigmenwechsel." Aber auch eine Herausforderung, die Petrongari gern annimmt. Die IT müsse jetzt nicht nur als Berater im eigenen Haus, sondern auch gegenüber den Endkunden agieren. Zwar sollen in der Sales-Mannschaft Leute dafür "aufgebaut" werden, er und sein Team könnten es aber auch, so der IT-Verantwortliche: "Da ist ein internes Wettrennen zwischen IT und Vertrieb im Gang."

Auf längere Sicht sei es auf jeden Fall möglich und sinnvoll, dass ITler mit zum Kunden gehen, prognostiziert der CIO. Vor allem dann, wenn die IT des Kunden ebenfalls involviert sei. Um beispielsweise Terminals zu installieren, die der Kunde vor Ort zum Einspielen der Daten in den "Objects"-Service nutzt, muss ohnehin ein Netzexperte mit dem Vertriebler zusammenarbeiten: "Dann können wir direkt von Spezialist zu Spezialist sprechen."

Bei den IT-Mitarbeitern setzte das Projekt last, but not least einen Lernprozess in Sachen Geschwindigkeit in Gang, sagt Petrongari abschließend. "Der "externe" Kunde verlange noch mehr Flexibilität sowie die Bereitstellung von Lösungen auf unsicherer Faktenbasis: "In der klassischen IT denken wir in Drei- bis Fünfjahreszyklen und haben auf vergleichsweise sicherem Terrain operiert. Auch da muss ich bei meinem Team viel Überzeugungsarbeit leisten." Glücklicherweise habe er sechs Jahre in der Beratung gearbeitet: "Das hilft mir enorm, die Smartrac-IT auf das Geschäft mit dem Rohstoff Daten in der schönen neuen Cloud-Welt einzuschwören."