Barrierefreie Websites

Diese Richtlinien werden Pflicht

20.09.2019 von André Meixner
Ab dem 23. September 2019 gilt eine neue europäische Richtlinie für barrierefreie Websites. Lesen Sie, welche Anforderungen in diesem Rahmen zu erfüllen sind und welche Webseiten das betrifft.

Barrierefreie Software ist noch lange nicht so verbreitet, wie sie es sein sollte. Dabei gelten fast zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland als schwerbehindert – Menschen mit beispielsweise leichter Sehbeeinträchtigung oder Hörschädigung noch nicht eingerechnet. Die Zahl derjenigen, die aufgrund einer Behinderung keinen Zugang zu Webseiten oder mobilen Anwendungen haben, dürfte entsprechend höher liegen.

Für unterschiedliche Gruppen von Behinderungen gelten verschiedene Vorgaben bei der Erstellung von barrierefreien Websites.
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Barrierefreie Online-Angebote gelten für unterschiedliche Gruppen, innerhalb derer wiederum verschiedene Ausprägungen vorhanden und entsprechend unterschiedliche integrative Maßnahmen notwendig sind. So sind Sehbeeinträchtigte, die fern- oder weitsichtig sind oder auch eine Farbfehlsichtigkeit haben, in den Software-Anforderungen von Blinden zu trennen.
Auch bei Hörschädigungen muss zwischen leichten Einschränkungen und Taubheit in der Maßnahme unterschieden werden. Darüber hinaus gilt es, auch Barrieren für motorisch und kognitiv beeinträchtigte Personen abzubauen.

In Deutschland regelt die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung des Bundes (BITV 2.0) die grundlegenden Voraussetzungen für barrierefreie Internetanwendungen. Diese basiert auf den weltweit gültigen Web Content Accessibility Guidelines. Die neue Richtlinie EU-2016/2102, die ab September 2019 verpflichtend gilt und seit dem 23. September 2018 in Kraft ist, erfordert jedoch eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen, die bis zu diesem Zeitpunkt umgesetzt werden müssen. Im Folgenden wird aufgeschlüsselt, um welche Vorgaben es sich handelt, wer von der Richtlinie betroffen ist und wie diese Organisationen vorgehen sollten.

Wer muss barrierefrei gestalten?

Die Richtlinie der Europäischen Union betrifft derzeit nur öffentliche Internetanwendungen, interne Anwendungen (Intranet), Verwaltungsanwendungen und Dokumente öffentlicher Stellen. Dies sind alle Stellen, die dem europäischen Recht nach der öffentlichen Auftragsvergabe unterliegen. Dazu zählen:

sofern diese im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht-gewerblicher Art wahrnehmen.

Ein solches Allgemeininteresse liegt zum Beispiel bei Sozialversicherungsträgern, Krankenkassen und kommunalen Aufgabenträgern vor. Auch Kultureinrichtungen fallen unter den Betroffenenkreis. Auch wenn für Schulen, Kindergärten und Krippen Ausnahmen durch die Länder getroffen werden können, müssen ihre wesentlichen Verwaltungsfunktionen in jedem Fall den Barrierefreiheitsanforderungen der Richtlinie Rechnung tragen. Zudem sind nicht alle Internetangebote von der Richtlinie betroffen, sondern nur Webseiten und mobile Anwendungen.

Lesetipp: Barrierefreie IT - Ein ganz normaler Arbeitstag- oder?

Mobile Anwendungen, die nur innerhalb eines geschlossenen Kreises genutzt werden, müssen nicht nach den Richtlinien optimiert sein. Um unter die Richtlinie zu fallen, müssen die Anwendungen von einem unbestimmten Personenkreis genutzt werden können. Bei Webseiten fällt die Beurteilung anders aus, hier müssen auch Extranets und Intranets den Vorlagen entsprechen.

Einheitlicher Standard für barrierefreie Websites

Das Ziel der Richtlinie EU-2016/2102 ist die Harmonisierung der bestehenden Vorschriften im Bereich der Barrierefreiheit. Es werden also keinerlei bestehende Gesetze außer Kraft gesetzt, sondern Lücken geschlossen und ein einheitlicher Standard geschaffen.

Die Bundesregierung ist zudem dazu verpflichtet, die Umsetzung der Richtlinie zu kontrollieren und in regelmäßigen Abständen über die Fortschritte Bericht zu erstatten. Zusätzlich hat die Regierung ein angemessenes und wirksames Durchsetzungsverfahren zu schaffen, beispielsweise in Form einer Ombudsstelle. Die letzten beiden Punkte betreffen die öffentlichen Stellen, die zur Umsetzung der Richtlinie verpflichtet sind, nur indirekt, doch sie sollten sich darauf einstellen, dass bei ihnen sowohl Kontrollen durchgeführt werden, als auch die Möglichkeit von Zwangsmaßnahmen bei Nichterfüllung besteht.

Testverfahren schlägt Checkliste

Um wirksame Maßnahmen zur Barrierefreiheit bereitstellen zu können und die eigenen digitalen Angebote auf Herz und Nieren nach Fehlern zu überprüfen, ist der Einsatz eines sogenannten Überwachungsaudits möglich. Ein solches Audit ist ein Prüfverfahren, mithilfe dessen sämtliche aktiven Anwendungen auf unterschiedliche Formen der Barrierefreiheit getestet werden.
Es kann durchaus sein, dass eine Website beispielsweise für eine hörgeschädigte Person barrierefrei verfügbar ist, für eine blinde Person müssen jedoch andere Maßnahmen getroffen werden. Ein Überwachungsaudit testet jedes Detail eines Services auf unterschiedlichen Ebenen, so dass jede mögliche Einschränkung ausgeglichen werden kann.

Erst nach einer vollständigen Überprüfung der Services ist eine Gesamtbewertung der Lage möglich. Dazu gehört eine dezidierte Auflistung aller möglichen Nutzungsgruppen und ihrer User Experience. Anschließend erst kann es in die Behebung der Fehler gehen, da viele der Mängel miteinander in Verbindung stehen und sich eine Teilbetrachtung deshalb grundsätzlich ausschließt.

Barrierefrei by Design

Am sinnvollsten ist es immer, wenn das Thema Barrierefreiheit bereits von Anfang an in einem Projekt mitgedacht und in die Anforderungsanalyse und das Team aufgenommen wird. Der Mehraufwand für digitale Anwendungen liegt bei durchschnittlicher Projektgröße dann etwa bei einem Prozent des Projektvolumens.

Sollte innerhalb des eigenen Teams kein ausreichendes Wissen vorhanden sein, sollten Projektverantwortliche in regelmäßigen Abständen und zu wesentlichen Zeitpunkten Barrierefreiheitstests ansetzen, um ein frühzeitiges Erkennen und Lösen von Fehlern durch externe Architekten, Designer und Entwickler garantieren zu können. Der Mehraufwand liegt hier bei circa zwei bis fünf Prozent des Projektvolumens.

Microsoft Office 2016 - Dokumente barrierefrei gestalten
Microsoft Office 2016 - Excel
Zu Demonstrationszwecken dient ein Excel-Dokument auf Basis der von Microsoft bereitgestellten Rechnungsvorlage.
Microsoft Office 2016 - Excel
Zur Kontrolle der Datei auf Barrierefreiheit wechseln Sie bei geöffnetem Dokument zur Registerkarte „Überprüfen“.
Microsoft Office 2016 - Excel
Direkt neben der Rechtschreibgruppe im Menüband befindet sich der Button „Barrierefreiheit überprüfen“.
Microsoft Office 2016 - Excel
Nachdem Sie die Schaltfläche angeklickt haben, öffnet Excel rechts neben dem Dokument die Ergebnisübersicht des Checks.
Microsoft Office 2016 - Excel
Wenn Sie auf einen der aufgelisteten Punkte klicken, sehen Sie unter „Weitere Informationen“, weshalb die Anwendung einen Fehler oder eine Warnung ausgegeben hat. Außerdem erhalten Sie Tipps zur Behebung.
Microsoft Office 2016 - Excel
Die Überprüfungsfunktion erreichen Sie auch über den Datei-Tab im Menüband.
Microsoft Office 2016 - Excel
Im folgenden Dialog wählen Sie die Kategorie „Informationen“ und wechseln dann zum Pulldown-Menü „Auf Probleme überprüfen“.
Microsoft Office 2016 - Excel
Dort finden Sie neben dem Befehl zum Überprüfen der Barrierefreiheit zusätzliche Optionen, um etwaige sensible persönliche Informationen im Dokument zu entfernen oder die Kompatibilität mit älteren Excel-Versionen zu checken.

Kommt es erst bei der Abnahme zu einer Barrierefreiheitsbetrachtung, können erhebliche Mehraufwände entstehen. Wenn das eingesetzte Framework von Anfang an falsch aufgebaut ist, ist es keine Seltenheit, dass aufwändige Korrekturen bei 100 Prozent oder mehr des ursprünglichen Projektbudgets liegen.
Dies liegt unter anderem daran, dass Folgefehler sich durch den gesamten Prozess ziehen und in jeder Anwendung zum Hindernis werden. Projekte, deren Barrierefreiheit erst bei der Abnahme getestet wird, sind besonders gefährdet. Nach Erfahrungen von T-Systems Multimedia Solutions (MMS) werden hier durchschnittlich 20 bis 30 schwerwiegende Probleme beim barrierefreien Zugang festgestellt. Davon sind viele derart massiv, dass beeinträchtigte Personen den Arbeitsablauf innerhalb der Anwendung nicht fortsetzen können.

Lesetipp: Software ohne Hürden - In 4 Schritten zu einer barrierefreien IT

Statistiken von MMS, die auf mehr als 1000 Tests beruhen, haben gezeigt, dass 93 Prozent aller getesteten Anwendungen mehrere Barrierefreiheitsprobleme aufweisen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Webseiten vollständig oder teilweise nicht barrierefrei entwickelt werden, liegt mit über 90 Prozent ebenfalls enorm hoch. Dabei kann ein Zugänglichkeitsproblem in seiner Schwere von geringen Einschränkungen, bis hin zu einer kompletten Zugangsblockade reichen. Das Auslassen einer kontinuierlichen Kontrolle des Frameworks und der Anwendungen steht also in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden Verlusten.

Die Nutzerinnen und Nutzer profitieren von barrierefrei zugänglichen digitalen Anwendungen und geben dies an die jeweiligen Organisationen zurück: Zufriedene Kunden kommen wieder und lassen Umsatz- und Conversion-Rate steigen. Wenn Institutionen und Unternehmen Barrierefreiheit von Anfang an mitdenken, entfällt unnötiger Support und es wird Platz für den Ausbau anderer Kompetenzbereiche geschaffen. Von Barrierefreiheit profitieren also nicht nur diejenigen, die auf sie angewiesen sind.