Das Spektrum an Konferenzsystemen ist heute breit gefächert. Es reicht von einfachen Videotelefonaten zwischen zwei Handys über Billigsysteme auf Basis von Skype, Desktop- und bewegliche Großbildsysteme bis hin zu umfassend konzipierten Raumsystemen. Das realitätsechte Erlebnis der Letzgenannten prägte seinerzeit den Begriff Telepresence. Heute wird er oft auch für jegliche Konferenz in High Definition - kurz HD - verwendet.
In der professionellen Liga gab es in den letzten Jahren eine starke Konsolidierung - übrig blieben nur wenige Player. Dazu zählen etwa Cisco mit Tandberg, der von Logitech übernommene Anbieter Lifesize sowie Polycom. Für die führenden Anbieter aus der TK-Welt ist Videoconferencing quasi die natürliche Erweiterung ihres Telefonie-/UC-Angebots - so mischen auch Hersteller wie Alcatel-Lucent, Avaya, Siemens und seit kurzem auch Huawei mit. Ferner tummeln sich noch kleinere, spezialisiertere Anbieter im Markt - darunter etwa Mitel, Radvision und als einer der wenigen Newcomer Vidyo.
Lange Zeit - erste Lösungen kamen bereits Ende der 80er Jahre - war Videoconferencing ein Ladenhüter. Das dürfte an der Komplexität der Lösungen und vor allem an den im Vergleich zum Nutzen sehr hohen Preisen gelegen haben. Erst unter dem Druck reiner IP-Lösungen kam Bewegung in die Entwicklung. Inzwischen sind auch die anfangs rein für den privaten Markt konzipierten Einfach-Lösungen gereift und versuchen, ihr Einsatzgebiet auf Unternehmen auszuweiten. Populärstes Beispiel ist Skype, das für den privaten Bereich bis heute kostenlos angeboten wird und per Web-Interface einfach zu bedienen ist. Zudem ist es überall nutzbar, wo ein halbwegs schneller und stabiler Internet-Anschluss verfügbar ist (etwa ab 250 Kbit/s).
Skype - für Unternehmen nur bedingt geeignet
Der Preis, den Skype für seine Unternehmenslösungen verlangt, ist mit sechs Euro pro Monat ein Fall für die Portokasse. In dieser Version lässt sich Skype zentral installieren und erlaubt in gewissem Umfang die Kontrolle, wie es am Arbeitsplatz genutzt wird. Das bezieht sich aber in erster Linie auf die Account-Verwaltung und Budgetzuweisung für kostenpflichtige Services. Für IT-Administratoren relevante Funktions- und Parametersteuerungen fehlen auch im Business-Skype weitgehend.
So bleibt Skype bislang in Unternehmen vorwiegend nur über die Eigeninitiativen engagierter Mitarbeiter erfolgreich – ein geordneter Einzug über die IT-Administration ist nicht in Sicht. Das hat, abgesehen von den fehlenden IT-Management-Tools, auch funktionale Gründe. Dinge wie Bildschirm-Sharing und Dokumentenaustausch sind als Beispiel zwar mit Skype möglich, das Handling ist jedoch eher umständlich (ähnlich wie Web-E-Mail im Vergleich zu native SMTP-Mail).
Weitaus gravierender ist für Unternehmen jedoch die Tatsache, dass Skype eine völlig proprietäre Lösung ist, die sich mit nichts integrieren lässt – eben auch nicht mit in Unternehmen häufig eingesetzten UC-Lösungen. Einige Brücken in die Telefoniewelt in Unternehmen hat Skype immerhin gebaut.
Die Geschlossenheit und Eigenwilligkeit von Lösungen á la Skype ruft nicht zuletzt auch das Misstrauen von IT-Administratoren auf den Plan: was sie nicht bis in tiefste Ebenen erkennen und steuern können, dafür können sie auch keine Verantwortung übernehmen. Und wie sich inzwischen herausgestellt hat, agiert Skype mit Sicherheitspolicies und Netzwerkressourcen nach eigenem Gutdünken und keineswegs immer im Sinne des Unternehmens. Ohne die gebotene Transparenz und Steuerbarkeit fallen Skype & Co hier damit durch. Selbst eine Duldung, die viele Unternehmen einräumen, kann ohne Beaufsichtigung bereits gefährlich sein.
Wie sich Skype unter der Regie seines neuen Besitzers Microsoft entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Der Softwareriese selbst hatte bei der Übernahme vor wenigen Monaten angekündigt, dass Skype künftig Microsoft--Geräte wie Xbox and Kinect unterstützen wird – ebenso wie Windows Phone. Außerdem sollen Skype-Nutzer in Lync-, Outlook-, Xbox-Live- und weitere Microsoft-Communities eingebunden werden.
Protokolle für Effizienz und Kooperation
Für viele Unternehmen ist die einfache und kostengünstige Integrationsmöglichkeit mit UC-Lösungen ein entscheidendes Kriterium. Hier hat sich auch im professionellen Bereich das Session Initiation Protocol (SIP) weitgehend durchgesetzt. Als Standardprotokoll für die Verwaltung von Videoconferencing-Sitzungen (auch in der Telefonie gebräuchlich) hat es das früher deminierende H.323-Protokoll der ITU (International Telecommunication Union) inzwischen weitgehend verdrängt.
SIP beschreibt Kommunikationsprozesse auf einer sehr grundsätzlichen Ebene. Viele Hersteller hat das dazu verleitet, Ergänzungen aufzunehmen, die aber leider wieder proprietär waren. Wenn auf zwei Systemen unterschiedlicher Hersteller also "SIP" steht, heißt das noch lange nicht, dass beide reibungslos zusammenarbeiten. Im Zweifelsfall, etwa wenn schon bestimmte Komponenten vorhanden sind, die mit einer neuen Lösung integriert werden sollen, wäre die Fähigkeit zur Kooperation zu prüfen. Meist reicht dafür eine Anfrage bei einem der in Frage kommenden Hersteller. Sie dokumentieren in der Regel genau, zu welchem Equipment von welchem Anbieter ihre Lösung kompatibel ist, und vermarkten diese Tatsache sogar oft auch aktiv. Aktuelles Beispiel ist die Ankündigung von Lifesize, das seine HD-Videokonferenzlösungen "Passport" und "Express 220" nun erfolgreich für die Zusammenarbeit mit Avaya-Ausrüstung getestet hat.
Ad-hoc-Zuschaltungen in der Planung bedenken
Wer mit wem kann, ist auch für flexible Session-Erweiterungen wichtig. Gerade bei Konferenzen zwischen zwei Lokationen mit Raumsystem werden gerne beispielsweise noch Spezialisten von einer Forschungseinrichtung oder einem Partnerunternehmen dazugeholt. Oft haben diese nur einfache Lösungen in Form eines Desktop-Systems, oder sie sind sogar mit Laptop unterwegs und steuern die dort integrierte Hobby-Kamera mit einer Konferenzanwendung für den privaten Bereich. Mindestens bei den beweglichen oder fest in einem Raum installierten Großbildsystemen sollten entsprechende Ad-hoc-Zuschaltungen in einer für diese Zielsysteme angepassten Qualitätsstufe möglich sein.
Trotz SIP ist die H-Protokollwelt auch nicht völlig verschwunden. Vielmehr stammen fast alle auch unter SIP eingesetzten Videonormen aus ihr, darunter beispielsweise H.261, H.263, H.263+, H.264 und H.239, um die wichtigsten zu nennen. Nicht selten haben SIP-Systeme parallel auch Brücken zum H.323-Standard integriert – das wäre in Fällen wichtig, in denen eine installierte Basis entsprechender Videoconferencing- oder Telefonie-Systeme an die SIP-Anlage angebunden werden soll.
Gute Bilder - aber schnell
Videoconferencing ist immer ein Spiel zwischen Bildqualität und verfügbarer Bandbreite - daher ist die Effizienz der Video-Codecs von entscheidender Bedeutung. Seit 2003 gibt es nun H.264 (auch als MPEG-4/AVC - Advanced Video Coding bekannt), welches die Code-Effizienz gegenüber H.263 um das Dreifache verbesserte und damit den Weg für die Übertragung hochauflösender Video-Streams wie etwa HDTV oder auch Blu-ray ebnete. Seit Ende 2007 gibt es eine interessante Ergänzung zu diesem Codec: "Anhang G" - besser bekannt als H.264 SVC (Scalable Video Codec). SVC verfeinert das Bild mit der zur Verfügung stehenden Bandbreite. Die Adaption der entsprechenden Auflösung und Bildwiederholrate erfolgt dabei dynamisch in Echtzeit (daher "skalierbar").
Der große Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass Unterbrechungen beziehungsweise Abbrüche einer Sitzung praktisch nicht mehr vorkommen. Auch bei sehr schwankenden Bandbreiten, wie sie für Internet-Verbindungen ohne garantierte Servicequalität üblich sind, bleibt eine ruckelfreie Verbindung bestehen. Allerdings funktioniert die Sache nur, wenn alle Endpunkte die SVC-Technik unterstützen. Und hier liegt derzeit in der Praxis das Hauptproblem von SVC: Das Protokoll wird bislang nur in den Produkten weniger Hersteller verwendet. Wohl nicht zuletzt auch deswegen, weil es sich nicht mit wichtigen Internet-Protokollen wie etwa RTP (Real-Time Protocol - im Internet für den Transport von Video- und Voice-Streams genutzt) vertrug. Immerhin besteht seit Anfang Mai dieses Jahres mit RFC 6190 eine gültige Beschreibung, wie SVC als Nutzlast von RTP zu behandeln ist.
Unterschiedliche Bandbreitenanforderungen
Die Optimierung der Bildqualität in Abhängigkeit der Bandbreite ist eines der wichtigsten Kriterien, über die sich Anbieter oder/und Systeme zu profilieren versuchen. Ohne SVC bestimmen die Systeme in der Regel beim Verbindungsaufbau durch kurze Messungen, welche Auflösung und welche Bildfrequenz (sofern nicht vom Nutzer vorgegeben) maximal möglich ist und stellen sich automatisch entsprechend ein.
Einige Systeme wiederholen diesen Vorgang in (einstellbaren) Intervallen oder ereignisgesteuert (etwa bei Abbruch der Kommunikation) – jedoch nie in Echtzeit wie bei SVC. Dank moderner Codecs – zum Teil unterstützt von unterschiedlichen Packet-Loss-Recovery-Techniken zur weiteren Verbindungsstabilisierung – sind die Bandbreitenanforderungen heute wesentlich geringer als noch vor wenigen Jahren.
Bei einigen Herstellern gibt es HD-Übertragungen (in der Variante 1280x720 Bildpunkten) mit 30 Bildern pro Sekunde schon ab etwa 1,1 MBit/s pro Bildschirm, die Top-HD-Auflösung von 1920x1080 Bildpunkten bei gleicher Bilderzahl ab etwa 1,7 MBit/s pro Screen. Die höchste Auflösung ist bei Raumsystemen Pflicht, bei Systemen mit mittleren Bildschirmgrößen reicht die kleinere HD-Auflösung allemal. Wesentlich höher sollten die Bandbreitenanforderungen heute nicht mehr liegen – Werte um +25 bis +30 Prozent wären sicher noch verkraftbar.
Um in dieser Disziplin nicht allzu schlecht (oder besonders gut) auszusehen, drehen einige Hersteller allerdings an der Bildfrequenz. 30 Bilder pro Sekunde (bei einigen Systemen sind bis zu 60 Bildern pro Sekunde vorwählbar) sind bei Raumsystemen für eine lebhafte Darstellung auch sehr engagierter Sprecher-Mimik und -Gestik sicher angemessen – weniger als 15 sollten es nur in Ausnahmefällen sein. Laufen regelmäßig kritische Sitzungen über das Videoconferencing-System, empfehlen viele Experten in jedem Fall den Einsatz von Netzwerken mit garantierter Servicequalität (QoS).
Videoconferencing auf Tablet und Smartphone
Inzwischen gibt es auch eine Reihe spezialisierter vertikaler Lösungen - etwa für den medizinischen Bereich, für Labore, Unterrichtsräume, Industrieanlagen oder Werkshallen. Ein entsprechendes Customizing ist teilweise auch über die Vertriebspartner der Hersteller zu bekommen - für manche inzwischen ein strategisches Merkmal zur Kundengewinnung. Einige Hersteller binden auch mobile Geräte - allen voran Tablet-PCs - in ihre Videoconferencing-Architektur mit ein. Als einer der ersten präsentierte Polycom eine Videoconferencing-App auf dem Samsung-Galaxy-Tablet.
Wohl kaum ein Player wird es sich leisten können, diesem Trend nicht zu folgen. Einen weiteren Trend gibt es in Sachen Verbesserung des Präsenzerlebnisses: So hat etwa Alcatel-Lucent kürzlich seine "Immersive"-Videolösungen vorgestellt, die sehr lebendige Begegnungen von Personen an unterschiedlichen Orten in einem gemeinsamen virtuellen Raum erlauben sollen. Eine spezielle Software stellt dabei das Videobild der Teilnehmer von ihrem Hintergrund frei und projiziert sie in eine gemeinsame, nach Belieben wählbare, virtuelle Umgebung. (hi)