"Die Nachfrage ist größer denn je"

11.08.2004
Die Lizenzeinnahmen des Enterprise-Content-Management (ECM-)Anbieters Filenet sind im zweiten Quartal gesunken. Warum dies nicht als Zeichen für eine generell rückläufige Geschäftsentwicklung seines Unternehmens zu werten ist, erläutert CEO Lee Roberts im Gespräch mit CW-Redakteurin Sabine Prehl .

CW: Filenet hat im zweiten Quartal zwar mehr Umsatz und Gewinn eingefahren. Dies ist aber in erster Linie auf das wachsende Servicegeschäft zurückzuführen. Die Lizenzeinnahmen sind dagegen zurückgegangen. Für einen Softwareanbieter eine recht bedrohliche Entwicklung.

Lee Roberts, CEO von Filenet, gibt sich trotz zuletzt rückläufiger Lizenzerlöse optimistisch. Foto: Filenet

ROBERTS: Die rückläufigen Lizenzeinnahmen im zweiten Quartal sind kein Zeichen für die Schwäche unseres Unternehmens. Sie haben vielmehr mit einem Problem zu tun, das momentan alle Softwareanbieter in Nordamerika betrifft: Sarbanes-Oxley. Viele unserer Kunden müssen ihre Geschäftsprozesse bis November an die neuen Compliance-Richtlinien anpassen. Das lenkt sie von anderen Aufgaben ab, sie haben einfach keine Zeit für neue Softwareabschlüsse. Zudem gilt es, jegliche mit der Einführung neuer Software zwangsläufig verbundenen Änderungen zu vermeiden. Aus diesem Grund haben viele Firmen die ursprünglich für das zweite Quartal geplanten Deals erst einmal nach hinten geschoben. Aber für eine fundierte Beurteilung unserer Geschäftsentwicklung ist das nicht relevant. Da muss man schon einen längeren Zeitraum betrachten. Aussagekräftiger ist meiner Meinung nach, dass Filenet die Softwareeinnahmen in

den letzten sieben Quartalen kontinuierlich zwischen 13 und 20 Prozent pro Quartal steigern konnte.

CW: Wie wird sich das Geschäft Ihrer Auffassung nach weiterentwickeln?ROBERTS:Die Nachfrage nach unseren Produkten ist größer denn je. Die Zahl der Transaktionen, die Filenet weltweit abwickelt, wächst. Daher bin ich auf lange Sicht sehr optimistisch. Filenet ist nach wie vor profitabel und verfügt über Bargeldreserven. Im dritten Quartal werden die Auswirkungen der Compliance-Vorgaben in der Softwarebranche noch zu spüren sein. Wir rechnen daher mit einem ähnlich schwachen Ergebnis wie im zweiten Quartal. Aber im vierten Quartal wird es dann allmählich wieder bergauf gehen.

CW: Filenet bietet keine Produkte für den Mittelstand an. Wäre es nicht sinnvoll, diese Zielgruppe zu erschließen, um sich ein zweites Standbein zu schaffen?ROBERTS: Nein, unsere ECM-Suite ist viel zu komplex für den Einsatz in kleineren Firmen. Wir adressieren nur große bis sehr große Unternehmen. Unsere Zielgruppe sind die weltweit 5000 größten Companies, die mehr als 75 Prozent des gesamten IT-Budgets in Händen halten. Hinzu kommen Unternehmen, deren Geschäftsprozesse sehr kompliziert sind und die aus diesem Grund besonders flexible, skalierbare Lösungen benötigen. Mit Anbietern wie Microsoft, die sich mit ihren Content-Management-Produkten an kleinere und mittlere Firmen richten, wollen wir gar nicht konkurrieren. Für uns lohnt sich das nicht. Damit positionieren wir uns ähnlich wie SAP im ERP-Geschäft.

CW: Aber SAP bietet doch auch eine Lösung für den Mittelstand an.ROBERTS: Ja, aber erst, seit der Highend-ERP-Markt gesättigt ist. Unsere Strategie ist ähnlich: Wir bedienen das Highend-Segment, bis es gesättigt ist, und vielleicht bringen wir dann eine zusätzliche Lowend-Variante auf den Markt.

CW: Wen sehen Sie mittelfristig als wichtigste Wettbewerber an?ROBERTS: Ernst zu nehmende Wettbewerber sind für Filnet zurzeit IBM, Documentum/EMC und vielleicht noch Opentext. Künftig werden aber auch Oracle und auf längere Sicht eventuell Microsoft eine wichtige Rolle im Markt spielen.

CW: Wie beurteilen Sie die Übernahme Ihres Wettbewerbers Documentum durch EMC? Beunruhigt Sie das nicht?ROBERTS: Nein, im Gegenteil. Dieser Deal ist ein Zeichen dafür, dass der Markt offenbar so viel Potenzial bietet, dass sich ein großer Hersteller wie EMC dafür interessiert. Wir haben zu EMC nach wie vor ein gutes Verhältnis, aber eben auch zu vielen anderen Hardwareherstellern. Und genau darauf legen unsere Kunden, die zum Großteil über eine sehr heterogene Hardwarelandschaft verfügen, Wert.

CW: Documentum/EMC vermarkten ihre Lösungen ja jetzt unter dem Begriff "Information-Lifecyle-Management". Was halten Sie davon?ROBERTS: Das ist reines Marketing. Das Thema ILM gibt es doch schon seit Jahrzehnten. Jede Überlegung, welches Dokument in welcher Form gespeichert werden soll, fällt unter dieses Stichwort. ILM erfährt nur jetzt eine Art Neubelebung, weil die Content-Mengen ungeheure Ausmaße annehmen und die Firmen wegen der Compliance-Richtlinien neue Regeln zur Aufbewahrung von Dokumenten einhalten müssen.

CW: Documentum/EMC bezeichnen ihre ECM-Suite als Lösung, mit der sich für jede Information zu jedem Zeitpunkt im Lebenszyklus des Dokuments das passende Maß an Verfügbarkeit, Sicherheit und Zugriffsgeschwindigkeit auswählen lässt. Gibt es da keine Unterschiede zur ECM-Definition von Filenet? ROBERTS: Nein, diese Funktionalität bietet Filenet genauso, nur wir nennen es eben nicht plötzlich ILM. Documentum/EMC nutzen die momentane Wiederbelebung dieses Begriffs aus, um eine hardware- und softwareübergreifende Botschaft zu formulieren. Speziell für EMC ist das meiner Meinung nach auch ein Versuch, das Image des reinen Commodity-Storage-Anbieters loszuwerden und von den schwachen Hardwareverkäufen abzulenken. Aber ILM besteht aus Software und Organisation, also Prozessen und Regeln. Mit Hardware hat das nichts zu tun.

CW: Wie beurteilen Sie die künftige Entwicklung des ECM-Markts?ROBERTS: Da große, multifunktionale ECM-Systeme die einzige Möglichkeit für große Unternehmen sind, der wachsenden Flut an unstrukturierten Inhalten Herr zu werden - unser derzeit größter Kunde hat sechs Milliarden Dokumente zu verwalten - wird der Markt für Content- und Process-Management meiner Einschätzung nach noch enorm wachsen. Einerseits wächst die Bedeutung von Business-Process-Management (BPM), wenn mehr Fusionen und Übernahmen stattfinden. Auf der anderen Seite steigt die Nachfrage nach Content-Management-Funktionen durch die Zunahme an staatlichen Auflagen. Neben BPM- und CM-Funktionen müssen moderne ECM-Systeme im Zuge der Standardisierung folgende Funktionen besitzen: Skalierbarkeit, Offenheit der Systeme, Performance, Stabilität und Flexibilität. Nur Anbieter, die diesen Anforderungen gerecht werden und dabei die Gesamtkosten im Auge behalten, werden die heute schon absehbare

Marktkonsolidierung überleben.