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Die Macht der Lobbyisten

12.02.2003 von Volker Jung
Für manche sind sie professionelle Interessenvertreter, für andere Ver-bandsfunktionäre reinsten Wassers und damit die viel zitierten Betonköpfe. Es kommt halt auf den Standpunkt an - und auf die Persönlichkeit derer, die Deutschlands IT-Industrie repräsentieren.

Glaubt man den Eindrücken vieler Beobachter in Berlin, haben die Verbände der Wirtschaft derzeit bei der rot-grünen Bundesregierung nichts zu melden. Zu frisch sind offenbar noch die Wunden, die der Wahlkampf insbesondere bei Bundeskanzler Gerhard Schröder gerissen hat. Schließlich hatte der SPD-Vorsitzende schon weit vor dem 22. September die einschlägigen Herstellervereinigungen, vor allem den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), als „fünfte Kolonne von Union und FDP“ bezeichnet. Zu einseitig und polemisch war nach Ansicht des Regierungschefs die Kritik der Unternehmer an seiner Politik - ein Umstand, an dem sich bekanntlich nach der Wahl erst recht nichts geändert hat.

Kritik an Rot-Grün  Auch die Vertreter der deutschen IT-Branche spar(t)en nicht mit Kritik. Allen voran der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V (Bitkom), wenngleich die Zwischentöne dort zum Teil leiser und subtiler wirken. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder zum Beispiel kommentierte Anfang November die Regierungserklärung des Kanzlers und den rot-grünen Koalitionsvertrag mit den Worten: „Bei den konkreten Maßnahmen kommt gerade der Punkt der Erneuerung deutlich zu kurz.“

Rohleder gilt ohnehin als ein Freund leiser Worte, was nicht heißen soll, dass er keine deutliche Sprache spricht. Digitales Urheberrecht, Bürgerkarte oder Novellierung des Telekommunikationsgesetzes - stets verschafft der 37-jährige Politikwissenschaftler den Anliegen des Bitkom kompetent, sachlich und meistens auch ungeschminkt Gehör. Seit Dezember 1999 und damit seit dessen Gründung ist er Vorsitzender der Geschäftsführung des in Berlin ansässigen IuK-Dachverbandes, nachdem er sich zuvor seine Sporen beim Fachverband Informationstechnik im VDMA verdient hatte. Dorthin war Rohleder 1994 als Pressesprecher und Assistent der Geschäftsführung gekommen, bevor er 1997 die Position des stellvertretenden Geschäftsführers und kurze Zeit später die des Geschäftsführers übernahm.

Zu den Stärken des gebürtigen Saarländers zählt neben seinen „politischen“ Fähigkeiten zwei-felsohne sein organisatorisches Talent; er selbst bezeichnet seinen Arbeitsstil als „pragmatisch und wenig prätentiös“. Jedenfalls dürfte Rohleder für seinen Brötchengeber auch das sein, was man im positiven Sinne einen „Hansdampf in allen Gassen“ nennt. Denn schon seit 1997 ist er auch CEO des Marktforschungsinstituts European Information Technology Observatory (Eito), seit Oktober 2001 sitzt er zudem im Vorstand des europäischen IuK-Dachverbandes European Information, Communications and Consumer Electronics Technology Industry Association (Eicta).

Zuwachs aus der TK-Ecke Rohleder zur Seite gestellt wird ab dem 1. Januar 2003 Peter Broß sein. Der 52-jährige Nachrichtentechniker ist derzeit noch Geschäftsbereichsleiter „Technologie und Netze“ bei der Münchner Kirch-Gruppe. Von 1995 bis 2001 war Broß in der Geschäftsführung der Mannesmann-Tochter Eurokom tätig; 1998 wurde er zudem Generalbevollmächtigter der Mannesmann AG und leitete dort die Hauptabteilung „Strategie- und Geschäftsfeldentwicklung Telecommunications“. Vor seinen Aufgaben in der freien Wirtschaft war Broß von 1977 an bei der Deutschen Bundespost und später bei Bundesministerium für Post und Telekommunikation beschäftigt.

Der renommierte TK-Experte (Broß trieb Ende der achtziger beziehungsweise Anfang der neunziger Jahre als „rechte Hand“ des damaligen Postministers Christian Schwarz-Schilling die Öffnung des deutschen TK-Marktes entscheidend voran) übernimmt den neugestalteten Geschäftsbereich Technik und löst gleichzeitig den bisherigen Geschäftsführer Ulrich Schneider ab, der in Ruhestand geht. In seinen Verantwortungsbereich fallen Themen wie IuK-Technik, IT-Sicherheit, Umwelt und Entsorgung sowie Forschungsförderung, während Rohleder auch in Zukunft als Bitkom-Hauptgeschäftsführer für alle politischen Aspekte, Personal, Public Relations, Marketing, Messen sowie Mittelstand & Startups zuständig ist.

Foto: dpa

Jung strafte seine Kritiker Die ganz große Politik wird beim Bitkom jedoch von anderen ge-macht. Insbesondere natürlich von Präsident Volker Jung, der als Siemens-Vorstand das gesamte IT-und Netzwerk-Geschäft des Münchner Elektronik-konzerns verantwortet und mit dem Eintritt seiner Company in den Bitkom im November 1999 die Gründung des IuK-Dachverbandes überhaupt erst ermöglicht hat. Dies bedeutete einen entscheidenden Durchbruch, denn mit der Etablierung des Bitkom fand die jahrzehntelange Zersplitterung des Verbandswesens im deutschen IuK-Sektor ihr Ende.

Jung ließ sich diese „Leistung“, wie Insider damals vermuteten, mit der Bitkom-Präsidentschaft „honorieren“. Was skeptisch beurteilt wurde, denn bei vielen Zeitgenossen galt der stets etwas steif wirkende 63-jährige Elektrotechniker, der sich seit 1964 bei Siemens in verschiedenen Management-Positionen hochgearbeitet hat und mittlerweile schon zehn Jahre dem Zentralvorstand angehört, als klassische Fehlbesetzung.

Doch Jung hat sich bis dato mehr als achtbar aus der Affäre gezogen hat. Dies gilt zum einen für seine öffentlichen Auftritte, wo er rhetorisch alles andere als ungeschickt die mangelnde Reformfähigkeit der Politik ironisch, und wenn es sein muss, auch polemisch kritisiert. Außerdem hat Jung auch die eine oder andere wichtige Sachfrage der Berliner Politik ans Herz legen können - etwa bei der erleichterten Arbeitserlaubnis für ausländische IT-Experten (Stichwort: Greencard) oder dem millionenschweren Programm „Bund Online“, mit dem hierzulande dem E-Government der Weg bereitet werden soll.

Foto: ZF Friedrichshafen

Unterstützung in seiner Arbeit an der Verbandsspitze erfährt Jung durch seine Vizepräsidenten Jörg Menno Harms (siehe eigenes Portrait, Seite 21) und Willi Berchtold. Letzterer zumindest steht Jung in puncto Außenwirkung in keinster Weise nach. Denn der umtriebige Manager ist in der deutschen IT-Szene bekannt wie ein „bunter Hund“. Seit Oktober 1998 ist Berchtold Vorsitzender der Geschäftsführung des Münchner Chipkarten- und Banknoten-Herstellers Giesecke & Devrient. Zuvor war er zwanzig Jahre für die IBM tätig, zuletzt als Geschäftsführer der IBM Deutschland Informationssysteme GmbH und als General Manager für das gesamte Servicegeschäft der IBM in Deutschland, Österreich, Schweiz sowie der osteuropäischen Länder einschließlich Rußland.

Der 1950 in Singen geborene Diplom-Betriebswirt dreht(e) aber gleichzeitig schon seit längerem ein großes Rad im IuK-Verbandswesen. So gehörte er ab 1996 dem Vorstand (ab 1998 als dessen Vorsitzender) des BVB Bundesverband Informations- und Kommunikationssysteme an, dessen Verschmelzung mit dem Bitkom er nachhaltig forcierte. Neben Volker Jung und Jörg Menno Harms (der den früheren Fachverband IT im VDMA/ZVEI leitete) gilt Berchtold somit als einer der Gründerväter des Bitkom.

Ihm nahestehende Mitarbeiter nennen den passionierten Segler in Anspielung auf sein Tem-perament und seine Dynamik oft auch „Turbo-Willi“. Er selbst bezeichnet seinen Führungsstil als „offen, kommunikativ und leistungsorientiert“, sein Leben stellt er unter das Motto „Per aspera ad astra - auf rauhen Wegen zu den Sternen“. Rauh und ungemütlich kann der bekennende Lobbyist, der sich vor allem für eine (nicht nur technische) Modernisierung des Standorts Deutschlands stark macht, jedenfalls dann werden, wenn die IT den seiner Ansicht nach nicht gebührenden Stellenwert erhält. Noch würden, so Berchtold, in den Unternehmen viele IT- und TK-Anwendungen häufig als reiner Kostenfaktor gesehen und nicht als Instrumente, um signifikante Wettbewerbsvorteile zu erringen.

Als Lobbyisten unterwegs Geht es um besagte Außenwirkung, hat der Bitkom aber mindestens noch eine weitere „Stimme“, nämlich die von Heinz Paul Bonn. Der geschäftsführende Gesellschafter des Kölner Softwarehauses GUS-Group AG ist Mitglied des Bitkom-Präsidiums und in dieser Funktion eine Art Chef-Lobbyist des deutschen IT-Mittelstandes. Nicht nur aufgrund seines beruflichen Lebensweges mit inzwischen mehr als 20 Jahren auf dem Chefsessel eines mittelständischen Unternehmens, sondern qua Überzeugung. Mit seinem stets wortreich und überzeugend vorgetragenen Credo, dass die deutsche IT-Branche ohne Firmen wie die GUS eine sterbende Industrie wäre, hat sich der 1945 in Ülitz/Schwerin geborene Diplom-Volkswirt längst über die Grenzen seines eigenen Unternehmens und der Region Nordrhein-Westfalen hinaus einen Namen gemacht.

Die Botschaft, die Bonn ins Land trägt, scheint indes noch nicht allerorten angekommen zu sein. Dass gerade mittelständischen Software- und Systemhäusern angesichts der momentanen Krise (und aufgrund zu knapper Eigenkapitalausstattung) vielfach das Wasser bis zum Hals steht, lässt den „Macher“ deshalb nicht los. Auf die Frage nach seiner bis dato schlimmsten Erfahrung gibt er zu Protokoll: „Als Mittelständler mit Banken über Finanzierung zu reden, wenn man diese einmal benötigt.“

Foto: mobile objects AG

Feldzug gegen Raubkopierer Natürlich ist es nicht nur der Bitkom alleine, der für die deutsche IuK-Industrie „spricht“. Andere Interessenvereinigungen konnten trotz der notwendigen Konsolidierung innerhalb der einschlägigen Verbandslandschaft ihre Daseinsberechtigung untermauern. So zum Beispiel der Verband der Softwareindustrie Deutschlands e.V. (VSI), wenngleich der in München ansässigen Organisation stets und vermutlich nicht ganz zu Unrecht eine gewisse Einseitigkeit in ihrer Zielsetzung nachgesagt wurde. Demzufolge ist es auch die Hauptaufgabe von Rudolf Gallist, immer wieder gegen die illegale Softwarenutzung anzugehen. Der Diplom-Betriebswirt ist seit 1992 Vorstandsvorsitzender des VSI und war - was in diesem Zusammenhang nicht unerheblich ist - vom gleichen Zeitpunkt an bis 2000 auch Ge-schäftsführer von Microsoft Deutschland.

Stets verstand es Gallist während dieser Zeit, als Lobbyist die Interessen seines Unternehmens in Einklang mit denen der gesamten hiesigen Softwarezunft zu bringen. Was für Microsoft gut ist, ist auch für den VSI gut, und umgekehrt, kommentierten Kritiker bisweilen ironisch die Feldzüge des Verbandes gegen Raubkopierer sowohl im privaten als auch im professionellen Umfeld. Auch nach sei-nem Ausstieg bei Microsoft erweckte Gallist, des-sen ganz frühe berufliche Stationen unter anderem bei Texas Instruments und Access Computer waren, gelegentlich den Eindruck, noch mit seiner alten Company behaftet zu sein. So zum Beispiel beim Thema Open Source, wo er als VSI-Sprecher der deutschen Softwareszene markige Worte mit auf den Weg gab. Freie Software stelle, so Gallist im Januar 2001, „das seit Jahren erfolgreiche Geschäftsmodell des Großteils der Softwareunternehmen in Deutschland in Frage.“

Geht es um das Thema Mittelstand, meldet sich neben Heinz Paul Bonn stets noch ein anderer Repräsentant der IT-Branche zu Wort: Harald Summa. Der 1953 im fränkischen Marktredwitz geborene Diplom-Kaufmann ist Geschäftsführer des Eco-Forum Verband der deutschen Internet-wirtschaft e.V. Eines seiner Hauptanliegen ist die Überwindung der Lücke zwischen großen und mittelständischen Unternehmen in Sachen Internet-Nutzung. Die Initiative „Eco Mittelstand On-line“ soll hier Abhilfe schaffen, zunächst vor allem Vorurteile abbauen. Als eines seiner Hobbys nennt der Familienvater mit zwei Kindern Trecking - was ihm womöglich bei der Einsicht helfen wird, dass er bei dem Unterfangen, den deutschen Mittel-stand E-Business-tauglich zu machen, noch einen langen Marsch vor sich hat.

Ein Verband der besonderen Art ist zweifelsoh-ne die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI). Lange Zeit galt die wohl wichtigste Interessensvereinigung deutscher Informatiker nicht unbedingt als zweckorientiert und an der Tagespolitik ausgerichtet. Das hat sich geändert, seit Heinrich Mayr Anfang 2000 vom Vizepräsidenten zum Präsidenten der Organisation aufgestiegen ist. Der Einfluss der GI in Politik und Wirtschaft ist zu gering. Sie muss als integrative Plattform der Informatik im deutschsprachigen Raum „mehr Flagge zeigen“, formulierte er kurz vor seinem Amtsantritt.

Der streitbare Professor am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Klagenfurt hat Wort gehalten: Geldnot an den Informatik-Fakultäten, Kampf gegen Zulassungsbeschränkungen beim Informatik-Studium, mehr Frauen in der Informatik, Warnung vor Biometriedaten im Ausweis - als GI-Präsident hat Mayr seitdem kaum eine Gelegenheit ausgelassen, sich mit zum Teil un-bequemen Ansichten zu Wort zu melden. Privat gibt sich der gebürtige Miesbacher eher zurückhaltend: Leben und leben lassen ist neben dem „Prinzip Hoffnung“ von Ernst Bloch sein Motto.

„Nie den Mut verlieren“  Ulrich Fricke ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) und in dieser Funktion zu Unrecht ein vermeintlicher Underdog. Denn die Einkaufs- und damit „Marktmacht“ der rund 6000 BME-Mitglieder, die für mehr als 80 Prozent des Beschaffungsvolumens des produzierenden Gewerbes in Deutschland stehen, verleihen der Stimme des auf den ersten Blick ruhig und unscheinbar auftretenden Betriebswirts Gewicht.

Sein derzeitiges Hauptthema ist das E-Procurement - eine Aufgabe, der sich Unternehmen wie Mitarbeiter seiner Ansicht nach zwangsläufig stellen müssen. Allerdings in einem geordneten Prozess: Die Organisation des Beschaffungswesens muss mit den technischen Möglichkeiten Schritt halten, sonst sind entsprechende Projekte von Beginn an zum Scheitern verurteilt, äußerte sich der 63-Jährige vor kurzem im Gespräch mit der CW. Wäre man ironisch, könnte man sein Lebensmotto als mehr als passend für die derzeitige Stimmung im E-Business und in der IT-Branche generell erachten: „Nie den Mut verlieren!“