"Das Gute am Hype um die Blockchain ist, dass wir bestehende Paradigmen infrage stellen", überlegt Olaf Stöwer. Damit spricht der Head of Operations des Dresdner Software-Entwicklers Faizod der ganzen Runde aus dem Herzen. Sieben Experten haben sich in der Computerwoche-Redaktion versammelt, um den Mythos Blockchain zu zergliedern. Beim genauen Blick auf die Einzelteile bleibt eine klare Botschaft: Ja, die Blockchain wird kommen. Aber womöglich ganz anders, als viele denken.
Wie Raimund Gross, Innovation Manager Blockchain bei SAP, beobachtet, wird das Thema derzeit falsch verstanden. Gross unterscheidet drei Bereiche: Zum einen die Marketing-Perspektive - "Blockchain bringt Überschriften, Blockchain bringt Klicks". Zum zweiten die Technologie, und da ist vieles "inzwischen fast ein alter Hut". Zum dritten das Konzeptuelle, und erst hier wird es für den Innovation Manager spannend. "Wir bewegen uns weg von zentralisierten Systemen hin zum Dezentralen", sagt er, "das erfordert neues Denken und Handeln in Netzwerken. Das fällt vielen schwer."
Das Aufbrechen verkrusteter Strukturen ist auch für Andrea Martin der große Pluspunkt. Die Chief Technology Officer der IBM sagt, dass ihr Unternehmen 2015 mit der Technologie an die Öffentlichkeit gegangen ist und 2016 eine Business Unit dafür geschaffen hat. Dadurch hat Martin einerseits mit der pragmatischen Ebene zu tun und weiß: "Interesse bekommen wir nur über Use Cases." Andererseits ist ihr bewusst, dass die Blockchain eine tieferliegende Ebene hat, die auch gesellschaftliche Fragen berührt.
Die Blockchain verspricht eine "Wahrheit auf Knopfdruck"
Diese tiefere Ebene umreißt Professor Rainhard Z. Bengez, Senior Manager bei Capgemini Consulting, mit einem Satz: "Wir versuchen, Misstrauen zu kommerzialisieren." Die Blockchain verspreche eine "Wahrheit auf Knopfdruck". Genau das hat Faizod-Manager Stöwer schon in der Praxis durchgespielt. Einer seiner Kunden, ein Kunststoffhersteller, steht vor dem branchentypischen Problem, zertifizierte Mitarbeiter finden zu müssen. Das Zertifikat ist dabei das eine, das andere die reale Erfahrung des Mitarbeiters. Die Blockchain dokumentiert so etwas.
Eine weitere Seite der Vertrauensfrage bringt Burkhard Blechschmidt, Head of CIO Advisory bei Cognizant, ins Gespräch. Für ihn ermöglicht die Blockchain eine Sharing Economy. Neue Geschäftsmodelle entstehen nicht nur B2B und B2C, sondern auch innerhalb heterogener Konsumenten-Netze. Blechschmidt erwartet global Wertzuwächse, sofern die Menschen erkennen, wie sie Mikrotransaktionen gewinnbringend nutzen können. Beispiel Energie: Durch Nutzung von Solarzellen werden aus bisherigen Konsumenten sogenannte "Prosumer", die gleichzeitig als dezentrale Anbieter agieren.
Für Blechschmidt handelt es sich "um eine geniale Kombination von teils lange bekannten Technologien und mathematischen Modellen". Er will die Blockchain aber gar nicht auf Menschen reduziert sehen. Schließlich bezieht sie smarte Maschinen ein und agiert somit als Katalysator für das Internet of Things (IoT).
"Bitcoin wird sich erledigen, die Blockchain bleibt!"
Darüber wird noch wenig gesprochen. Aktuell pendelt die Datenbank-Debatte aus Sicht von Professor Franz Nees, Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft, zwischen zwei Polen: geht es um neue Wertschöpfungsmodelle - oder "nur" um mehr Effizienz? Nees beschäftigt sich seit rund 30 Jahren mit Banken-IT. Ende 2013, erinnert er sich, sind die ersten Studierenden auf ihn zugekommen und wollten wissen, was es mit der Blockchain auf sich hat, damals im Zusammenhang mit Bitcoin. These des Wirtschaftsinformatikers: "Bitcoin wird sich erledigen, die Blockchain bleibt!"
Und natürlich bleibt sie gerade auch wegen "wenig Spannendem" wie eben Effizienzsteigerungen, bestätigt IBM-CTO Martin. Im jetzigen Arbeitsalltag komme Blockchain leider über einen Proof-of-Concept-Status meist noch nicht hinaus, beobachtet sie. Unternehmen sind durchaus bereit, viele Überlegungen drehten sich aber derzeit noch um Fragen der Skalierbarkeit.
Und das sind ganz typische Fragen, bestätigt Robert Bosch, Partner bei Bearingpoint. Aus seiner Sicht zäumen viele Marktteilnehmer das Pferd von hinten auf, nach dem Motto: "Wir haben eine neue Technologie. Was können wir jetzt damit machen?" Die Antwort will Martinnicht alleine den Anforderungen der Geschäftswelt überlassen. Denn dann "werden wir nie innovativ!"
Die IT hinkt ein wenig hinterher
Wer das innovative Potenzial der Blockchain erschließen will, der darf sie weder als reines Business- noch als reines Fachbereich-Thema sehen. Ebenso wenig als IT-Aufgabe. Darin sind sich die Teilnehmer der Gesprächsrunde einig. Tenor ihrer Erfahrungen: die IT hinkt ein wenig hinterher. Bosch rät dringend, eine Vermittlerfunktion zwischen Business und IT zu etablieren, sei die nun durch einen Einzelnen besetzt oder durch ein ganzes Team. Anders könnten Unternehmen die nötige Kompetenz für den gewinnbringenden Umgang mit der Datenbank nicht aufbauen. Eine Haltung, der Raimund Gross, der einzige explizite Innovations-Manager in der Runde, nur beipflichten kann. Blockchain, dieses Thema "geht nur gemeinsam."
Prognose des Roundtables: die Blockchain wird sich durchsetzen, und das vermutlich auch mit Hilfe der jetzt noch jungen Generation. Wie beispielsweise beim Online-Banking werden die Jungen die Älteren überzeugen. Der Durchbruch für das Online-Banking kam, als es mit einfacher Bedienbarkeit punkten konnte. "Die Blockchain hat ihren 'Tipping Point', der die Leute motiviert, eben noch nicht erreicht", schmunzelt Blechschmidt.
Klar ist aber auch: Deutschland stellt "eine Sondersituation" dar. Während etwa China auf der einen Seite der Welt und die USA auf der anderen deutlich offensiver an die Blockchain herangehen, dürfte es hierzulande etwas länger dauern. Ein Lied von der deutschen Genauigkeit kann Stöwer singen. Er saß mit einem Kunden zusammen und analysierte den Begriff des Vertrags. Was ist ein Vertrag? Welche Bestandteile hat er? Kann man einen Vertrag mit einer Maschine abschließen? Da sind die US-Amerikaner doch weit pragmatischer - sie schließen bereits die ersten Ehen vor der Blockchain, ganz ohne Standesamt und Traualtar.
Es muss ein Anbieter aus Deutschland sein
Dabei stellt die deutsche Besonderheit aber nicht zwingend einen Nachteil dar, so der Faizod-Manager weiter. Er kennt Unternehmen, die bestehen in Sachen Blockchain auf einem deutschen Anbieter. Als einzige Alternative komme gerade noch ein französischer Player in Frage. Keinesfalls ein Amerikaner.
Auch eine solch strikte Haltung kann aufbrechen, erwartet Bosch: "Vertrauen ist ja nichts Statisches: Wer welcher Technologie oder welcher Art der Kommunikation vertraut, ändert sich kontinuierlich." Änderung ist das Stichwort für IBM-CTO Martin: "Der aktuelle Hype bietet uns Möglichkeiten, ins Gespräch zu kommen, ganze Geschäftsprozesse zu überdenken und neu zu gestalten." Die Blockchain als Desing-Thinking-Tool - eine These, der die ganze Runde zustimmt. Jetzt ist es an den Entscheidern, die Chancen zu kommunizieren und die Blockchain von der Kette zu lassen.
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