Den Fachkräftemangel mindern

Babyboomer am Arbeitsplatz engagiert halten

07.11.2019 von Martin Klaffke  IDG ExpertenNetzwerk
Der Fachkräftemangel wird sich weiter deutlich verschärfen. Arbeitgeber sollten sich deshalb auch intensiv um ihre älteren Beschäftigten bemühen.
  • Arbeitspotenzial, Qualifikation und Fachwissen der Babyboomer sind für Unternehmen unverzichtbar.
  • Betriebe müssen eine vorurteilsfreie Haltung gegenüber dem Alter sowie eine altersgerechte Organisation der Arbeitsabläufe schaffen.
  • Firmen sind gut beraten, das Miteinander von jungen und älteren Arbeitskräften zu fördern.

In den vergangenen Jahren wurde zunächst über die Generation Y (Geburtsjahrgänge 1981 bis 1995) und dann über die Generation Z (Geburtsjahrgänge 1996 bis 2010) so viel geschrieben, dass Arbeitgeber und Führungskräfte mit den Erwartungen der jüngeren Arbeitnehmergenerationen hinlänglich vertraut sein dürften. Im Gegensatz dazu wurde im Wettbewerb um Fachkräfte der etablierten Generation der Babyboomer (Geburtsjahrgänge 1956 bis 1965) weniger Aufmerksamkeit in den Unternehmen und Personalabteilungen geschenkt. Das dürfte sich nun ändern, denn die geburtenstarken Jahrgänge treten in der kommenden Dekade in die letzte Phase ihrer Erwerbstätigkeit ein und gehen nach und nach in Ruhestand.

Aufgrund des Fachkräftemangels führt an der Generation der Babyboomer und deren Fachwissen kein Weg vorbei.
Foto: Chatchawan - shutterstock.com

Dem Golden Age Index von PwC zufolge ist die Anzahl der älteren Beschäftigten in Deutschland seit 2003 bereits um rund 30 Prozent gestiegen. Gut 80 Prozent der Babyboomer stehen im Berufsleben. Unternehmen sind daher gut beraten, tragfähige Strategien für den Umgang mit dem überproportional gewachsenen Anteil älterer Beschäftigter zu entwickeln.

Starker Arbeitskräfteschwund bis 2035

Klar ausgedient haben Programme der Frühverrentung, die früher genutzt wurden, um im Zuge von Rationalisierungen die ältere Belegschaft möglichst "sozialverträglich" zu reduzieren. Da diese Arbeitnehmergruppe rund ein Drittel der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland ausmacht, dürften sich mit ihrem Betriebsaustritt die in einigen Branchen bereits spürbaren Fachkräfteengpässe verschärfen.

Szenarien der in diesem Sommer veröffentlichten 14. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung gehen bis zum Jahr 2035 von einem Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung um rund vier bis sechs Millionen Menschen aus. Demnach wird mit dem Ruhestand der Babyboomer die Zahl der Erwerbstätigen von 51,8 auf 45,8 bis 47,4 Millionen schrumpfen.

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Wirtschaft und öffentliche Institutionen können jedoch weder auf das Arbeitspotenzial noch auf Qualifikation und Wissen der Babyboomer verzichten. Sie sind darauf angewiesen und gut beraten, die älteren Kolleginnen und Kollegen so lange wie möglich zu halten. Unternehmen wie etwa Bosch oder Deutsche Bahn haben bereits Senior-Experten-Modelle etabliert, die es ihnen erlauben, das Fachwissen ihrer Beschäftigten auch jenseits des Renteneintrittsalters zeitlich befristet für Beratungs- und Projektaufgaben zu nutzen.

Defizitmodell des Alters überwinden

Da sich im Zuge der Digitalisierung die Anforderungen an Arbeitnehmer mit hoher Dynamik ändern, sind Unternehmen gezwungen, deutlich mehr in ältere Beschäftigte zu investieren. Das heißt zum Beispiel Weiterbildung - auch in altersadäquaten Formaten - bis zum Ruhestand anzubieten, wenn Betriebe nachhaltig von den älteren Mitarbeitern profitieren wollen. Zudem gilt es, das vielerorts noch dominierende Defizitmodell des Alters durch eine kompetenzorientierte Perspektive und somit durch ein positiveres Bewusstsein des Alters zu ersetzen.

Studien zeigen einen nicht bedeutsamen oder allenthalben schwachen Zusammenhang zwischen Alter und aufgabenbezogenen Arbeitsleistungen in Bezug auf die Lebensarbeitszeit. Einschränkungen in körperlichen Dimensionen lassen sich vielfach durch Erfahrung, Routinen, Wissen und die effektive Nutzung der vorhandenen Ressourcen kompensieren. Nicht zuletzt wachsen mit dem Alter Selbstsicherheit, Ausgeglichenheit und Einsatzbereitschaft sowie Verantwortungsgefühl. Während Machterwerb und Aufstiegswille tendenziell mit dem Alter abnehmen, werden Autonomie, Wertschätzung und Handlungsspielraum für ältere Beschäftigte bedeutsamer.

Altersgerechte Organisation schaffen

Studien des Finnish Institute of Occupational Health (FIOH) haben ergeben, dass Führung und Zusammenarbeit maßgeblichen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit von älteren Beschäftigten haben. Damit hängt es von den Rahmenbedingungen im Unternehmen ab, ob die Beschäftigten bis zum Ruhestand oder gar als Senior Experten darüber hinaus engagiert am Arbeitsplatz bleiben oder vorzeitig das Arbeitsfeld verlassen. Erforderlich sind eine vorurteilsfreie Haltung gegenüber dem Alter ebenso wie eine altersgerechte Organisation der Arbeitsabläufe.

Bonus und Motivation: Was sich Mitarbeiter vom Chef wünschen
Prämien und Anerkennung vom Chef
Ein gutes Betriebsklima ist das A und O für den Erfolg eines Unternehmens sowie die Mitarbeiterbindung. Grund genug, sich als Chef und HR-Abteilung Gedanken über die Motivation der Angestellten zu machen. Benefit-Berater Markus Sobau nennt die sieben größten Mitarbeiterwünsche.
Flexible Arbeitszeiten
Besonders ausgeprägt ist der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten. Jeder zweite Beschäftigte möchte selbst entscheiden können, wann er wie viel arbeitet.
Home-Office
Ein Drittel der Beschäftigten möchte zu Hause arbeiten. Übernimmt der Arbeitgeber für das Arbeiten im Home-Office die Kosten für die nötige Infrastruktur, ist das Interesse an Heimarbeit sogar noch größer.
Mehr brutto vom Netto
Ein höheres Gehalt motiviert allen Unkenrufen zum Trotz doch - vorzugsweise, wenn es sich netto auswirkt. Das geht elegant über eine Firmen-Card. Auf diese können Arbeitgeber monatlich 50 Euro überweisen. Der Betrag steht dem Mitarbeiter netto als Sachbezug zur Verfügung. Er kann damit essen gehen, sein Auto tanken oder das Geld sparen. So ein Benefit ist mehr wert als eine Gehaltserhöhung von 100 Euro, die versteuert werden muss.
Altersvorsorge
Viele Mitarbeiter wünschen sich, dass der Chef bei der Altersvorsorge hilft. Firmen sollten daher eine betriebliche Altersvorsorge anbieten. Für Beiträge, die sie in die private Rente der Mitarbeiter überweisen, entfallen anteilige Sozialversicherungsbeiträge. Legt der Chef diese 20 Prozent als Zuschuss oben drauf, ist das auch eine gute Investition in das Betriebsklima.
Gesundheitsvorsorge
Liegt einem Unternehmen die Gesundheit seiner Mitarbeiter besonders am Herzen, ist eine betriebliche Krankenversicherung ein guter Tipp. Sie spart dem Arbeitnehmer etwa die Ausgaben für Brille, Zahnersatz oder Heilpraktiker-Behandlung. Vorteil für den Arbeitgeber: Er kann die Versicherung zunächst für ein Jahr abschließen, etwa als Bonus für erfolgreiche Mitarbeiter, und später bei Bedarf verlängern.
Kredit vom Chef
Unternehmen erhalten aufgrund ihrer oft großen Kreditvolumina und der nötigen Bonität günstige Zinskonditionen. Diese können sie an ihre Leute weitergeben. So bezahlt der Mitarbeiter statt elf Prozent Überziehungszins bei seiner Hausbank vier Prozent an seinen Chef.
Selbständiges Arbeiten
Mitarbeiter legen Wert darauf, dass Chefs ihnen vertrauen und zutrauen, die gestellten Aufgaben eigenverantwortlich zu erledigen. Im Sinne einer agilen Unternehmenskultur wollen sie Aufgaben auf Basis vereinbarter Leitplanken wie Umsatzerlöse, Renditeziele oder Produktinnovationen eigenständig entwickeln.

Erhebungen des AOK-Instituts zu Fehlzeiten zeigen allerdings, dass sich etablierte und jüngere Generationen im betrieblichen Miteinander oft falsch einschätzen. Unterschiedliche Vorstellungen, Erwartungen und Sichtweisen der Altersgruppen können im beruflichen Alltag zu Reibungen führen, die nicht nur Stimmung und Leistung im Team, sondern auch die Gesundheit beeinträchtigen. Nicht zuletzt leiden Innovationskraft und die Fähigkeit, Probleme zu lösen, wenn Beschäftigte Wissen und Erfahrungen nicht umfänglich teilen.

Gesundheitsmanagement allein reicht nicht

Gesundheitsmanagement, die Einrichtung altersgerechter Arbeitsplätze oder Flexibilisierungsmöglichkeiten von Arbeitszeit und Ort sind wichtig, reichen allein jedoch nicht aus, um das Arbeitspotenzial der Babyboomer zu sichern. Im Kontext der Zusammenarbeit im Generationen-Mix gilt es, auf Wertschätzung von Alters- und Generationenunterschieden zu setzen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich alle Generationen, nicht nur die aktuell nachrückenden und heiß umworbenen Beschäftigten, wohlfühlen und bereit sind, vollen Einsatz zu zeigen.

Um Respekt zwischen älteren und jüngeren Beschäftigten zu fördern, hat Daimler beispielsweise die Initiative YES (Young and Experienced together Successful) ins Leben gerufen. Einen Beitrag leisten kann jedoch jede Führungskraft, egal ob in klassischen Teams oder agilen Strukturen, indem sie Aufgaben so verteilt, dass die jeweiligen Kompetenzen der einzelnen Altersgruppen voll zum Tragen kommen, alle Teammitglieder Qualifizierung "on the job" erfahren und Freude an der gemeinsamen Arbeit empfinden. Dies steigert das Mitarbeiterengagement nachhaltig und fördert die Bindung der Belegschaft.

Unternehmen, die im aktuellen "war for talent" nicht allein um die jungen Nachwuchskräfte werben, sondern ihrer angestammten Belegschaft ebensolche Aufmerksamkeit und Wertschätzung angedeihen lassen, sollten zu den Gewinnern im demografischen Wandel zählen.