Digitalisierung 2023

Deutschland verliert den Mut

08.02.2023 von Heinrich Vaske
"Enttäuschte Hoffnungen" – so fasst der Digitalreport 2023 von der ESCP Business School die Stimmung in Deutschland zusammen, wenn es um die Digitalisierung geht. Der Frust gilt auch der Ampelkoalition.
In deutschen Amtsstuben gibt es immer noch viel Papier - nicht nur zum Leidwesen der Bürger.
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"In Deutschland war das Jahr 2022 in Bezug auf digitale Zukunftstechnologien eher eines der enttäuschten Hoffnungen", schreibt Philip Meissner, Direktor des European Center for Digital Competitiveness und Inhaber des Lehrstuhls für Strategisches Management und Entscheidungsfindung an der ESCP Business School in Berlin. In seinem Vorwort zum Digitalreport 2023 vermerkt der Wissenschaftler: "Die großen Erwartungen an einen digitalen Neuanfang durch die Ampelregierung haben sich nicht erfüllt. Der Rückstand im Bereich der Digitalisierung scheint noch ausgeprägter als im Vorjahr, und zum ersten Mal blickt eine Mehrheit der Befragten mit Pessimismus in die digitale Zukunft des Landes."

Die Studie stützt sich auf eine repräsentative Umfrage in der Bevölkerung sowie zusätzlich auf Interviews unter rund 500 Top-Führungskräften aus Wirtschaft und Politik. Sie zeigt, dass den Menschen quer durch alle sozialen Schichten absolut klar ist, wie wichtig Fortschritte in der Digitalisierung für den Wirtschaftsstandort sind. Doch ebenso bewusst ist den meisten, dass Deutschland hier einen Rückstand hat - das sagen 96 Prozent der Befragten, wobei hier die sozial Bessergestellten noch skeptischer sind als die unteren Schichten.

Die Deutschen wissen um den digitalen Rückstand

Alarmierend ist vor allem die große Hoffnungslosigkeit: Vor einem Jahr glaubten noch 51 Prozent der Führungsspitzen aus Wirtschaft und Politik, Deutschland habe gute Chancen, digital rasch aufzuschließen. Aktuell sind davon nur noch 28 Prozent überzeugt, 52 Prozent sehen allenfalls begrenzte und 16 Prozent geringe oder gar keine Perspektiven. Mit anderen Worten: Unter den Top-Führungskräften des Landes hat sich der Kreis derer, die wenig zuversichtlich sind, mehr als verdreifacht.

Nach Meinung der Bevölkerung sind Politik und Wirtschaft dafür verantwortlich, dass es in der Digitalisierung hierzulande schneller vorangeht.
Foto: European Center for Digital Competitiveness

Und wer trägt die Verantwortung? Drei von vier Befragten sehen die Politik in der Schlüsselposition - und damit auch in der Verantwortung, die Digitalisierung schneller voranzutreiben. Die Ampelregierung aus SPD, FDP und den Grünen forciere das Thema nicht stärker als die Vorgängerregierung, kritisieren 83 Prozent der befragten Führungskräfte. Viele hatten sich diesbezüglich einen Aufbruch erhofft, den bislang aber nur 15 Prozent aus dieser Gruppe erkennen können. Dass auch die Unternehmen zu wenig tun, meinen 67 Prozent der insgesamt Befragten.

Die Studienautoren nehmen die politischen und ökonomischen Eliten allerdings in Schutz: Die Ballung der Krisen, mit denen die Regierung konfrontiert ist, sei nicht absehbar gewesen. Der Krieg in der Ukraine, die Sicherung der Energieversorgung, die Inflation - all das habe Kräfte gebunden und vieles, was auf der politischen Agenda stehe, "vorübergehend überlagert". Ob das ausreicht, um beispielsweise zu erklären, dass in der Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung nach Ansicht von fast allen Befragten keine Fortschritte erzielt wurden, ist allerdings fraglich. Immerhin wird der Politik zugebilligt, trotz der schwierigen Rahmenbedingungen auf anderen Gebieten, etwa der sozialen Absicherung der Bevölkerung oder - mit Abstrichen - auch beim Klimaschutz schneller voranzukommen.

CDU wieder mit Vertrauensvorsprung

Nach Meinung von 63 Prozent der Menschen fehlt es den Politikern schlicht an digitaler Kompetenz - eine Einschätzung, die allerdings auch schon in den vergangenen Jahren vorherrschte. Auf die Frage, welcher Partei die Bürger am ehesten zutrauen, den digitalen Wandel zu gestalten, antworten 17 Prozent: CDU/CSU. Offenbar profitieren die Christdemokraten von ihrer Rolle als Oppositionspartei: Im Jahr zuvor hatten ihr nur sieben Prozent die höchste Digitalkompetenz zugebilligt.

In der Opposition hat sich die FDP als Digitalisierungspartei leichter getan als in der Regierung.
Foto: European Center for Digital Competitiveness

Unter den Regierungsparteien hat die FDP den höchsten Vertrauensverlust erlitten - vermutlich, weil sie mit Volker Wissing den Bundesminister für Digitales und Verkehr stellt. 2021 sagten noch 18 Prozent, den Freien Demokraten sei in der Gestaltung des digitalen Wandels am meisten zuzutrauen. 2022 waren nur noch sieben Prozent dieser Meinung. Genauso wenig Kredit haben diesbezüglich die Grünen, die sich aber gegenüber 2021 (sechs Prozent) immerhin um einen Prozentpunkt steigern konnten.

Mindestens so alarmierend wie diese Zahlen ist die Tatsache, dass ein gutes Viertel der Bevölkerung keiner Partei ein ausgeprägtes digitales Profil zubilligt und sich 34 Prozent in dieser Frage nicht einmal ein Urteil zutrauen. Dabei sind sich alle einig, dass die Digitalisierung wesentlicher Erfolgsfaktor für Fortschritte in Verwaltung, Gesundheitswesen, Industrie, dem Dienstleistungssektor und dem Bildungswesen sein könnte und sollte. Vor allem im öffentlichen Dienst und dem Gesundheitsbereich reichen den Befragten die bisherigen Ergebnisse nicht aus.

In Verwaltung, Gesundheitswesen und der Industrie versprechen sich die Bürger die größten Fortschritte durch Digitalisierung.
Foto: European Center for Digital Competitiveness

Drei Tipps für den digitalen Umbau

Der Digitalreport 2023 kommt nach seiner ernüchternden Bestandsaufnahme zu folgenden drei Handlungsempfehlungen: