IT-Gipfel 2014

"Deutschland braucht eine digitale Bildungsoffensive"

21.10.2014 von Hans Königes
Welche Rolle digitale Bildung und Kompetenz für die Arbeitswelt von morgen spielen, erklärt Wolfram Jost anlässlich des IT-Gipfels 2014. Jost ist CTO der Software AG und Mitglied der IT-Gipfel-Arbeitsgruppe "Bildung und Forschung für die digitale Zukunft".

CW: Der IT-Gipfel findet dieses Jahr zum achten Mal statt. Was hat sich seitdem bei der Bildung getan?

Wolfram Jost: Der IT-Gipfel hat für die Bildung wichtige Impulse gesetzt. Vor allem der 2011 als Nachwuchsprogramm für IT-Führungskräfte gestartete "Software Campus" verbuche ich als Erfolg: Ende diesen Jahres werden mehr als fünfzig junge IT-Experten das Programm absolvieren und ihren Weg in führende Positionen in Wirtschaft und Wissenschaft gefunden haben. Der Software Campus wirkt damit dem vielfach beklagten Brain Drain wirksam entgegen und sichert Deutschland die Top-Talente.

Wolfram Jost ist CTO der Software AG und engagiert sich für den "Software Campus", der 50 junge IT-Talente unterstützt.
Foto: Software AG

CW: Was ist das Besondere am Software Campus?

Wolfram Jost: Zum einen richtet sich der Software Campus an die Top-Entscheider von morgen - dies erklärt auch den engen Teilnehmerkreis. Zum anderen verknüpft das Ausbildungskonzept des Software Campus auf innovative Weise Spitzenforschung und Managementpraxis miteinander. Es beinhaltet neben der Umsetzung eines eigenen IT-Forschungsprojektes - das Bildungsministerium stellt hierfür bis zu 100.000 Euro bereit - unter anderem individuelles Mentoring und vermittelt tiefe Einblicke in die unternehmerische Praxis.

CW: Und abseits der Topausbildung, welche Herausforderung stellt die Digitalisierung an unsere Bildungssysteme?

Wolfram Jost:: Die Digitalisierung ist der Megatrend der kommenden Jahre. Sie verändert radikal unseren Alltag, beruflich wie privat. Wir müssen die Menschen - gleich welchen Alters und welchen Berufs - daher befähigen, mit der rasanten Entwicklung Schritt zu halten. Quer durch alle Branche und Bereiche werden digitale Kompetenzen zu der Schlüsselqualifikation. Hier haben wir alle noch Einiges zu lernen!

CW: Aber benötigen die "Digital Natives" überhaupt zusätzliche Qualifizierung?

Wolfram Jost: Natürlich sind die digitalen Fähigkeiten bei den Digital Natives sehr ausgeprägt. Allerdings ist der routinierte Umgang mit Smartphone oder Social Media kein Garant dafür, den Anforderungen des digitalen Arbeitsmarktes gewachsen zu sein. Nicht jeder Digital Native weiß um die Bedeutung von Smart Data, Smart Services oder Industrie 4.0. Und auch in der Forschung gibt es noch vielen offene Fragen. Auf Initiative des Nationalen IT-Gipfels wurde deshalb das "Smart Data Innovation Lab" gegründet, das der Wissenschaft Daten und Infrastruktur bereitstellt, Grundlagenforschung um Big Data zu betreiben. Beide Initiativen - Software Campus und Smart Data Innovation Lab - können aber nur erste Bausteine einer digitalen Forschungs- und Bildungsoffensive sein.

McKinsey: Auf welche 10 IT-Trends sich Unternehmen einstellen müssen
1. Die Soziale Matrix verstehen.
Soziale Medien betreffen bei weitem nicht nur Konsumenten, sie vernetzen auch Unternehmen intern und untereinander. Mehr noch: Social Media ist heute ein riesiges Biotop mit eigenen Regeln, und wer sie begreift, dem eröffnen sich enorme Businesschancen.<br/><br/> McKinsey beschreibt das Beispiel <b>Boehringer Ingelheim</b>: Das Pharmaunternehmen hat einen Wettbewerb auf Kaggle gesponsort, einer Plattform, auf der Datenanalyse-Wettbewerbe ausgetragen werden. Boehringer wollte wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein bestimmter neuer Bestandteil eines Arzneimittels genetische Mutationen auslöst. Die beste Analyse (unter fast 9000 Teilnehmern) lieferte ein Team, das Kenntnisse im Versicherungswesen, in Physik und in Neurowissenschaften miteinander verband. Boehringer lernte dabei eine Methode der Risikoabschätzung kennen, die um 25 Prozent zuverlässiger war als die bisher genutzte.
2. BigData nutzen.
Wer das Thema Datenanalyse unterschätzt oder gar ignoriert, riskiert seine Wettbewerbsfähigkeit. Einerseits wachsen die Herausforderungen, die damit verbunden sind, weil immer mehr Daten entstehen: <br/><br/> Die US-Firma <b>Acxiom </b>bietet ihren Kunden – etwas Banken oder Autoherstellern – Profile von 500 Millionen Kunden an, jedes von ihnen angereichert mit etwa 1500 Merkmalen. Solche Datenberge wollen ausgewertet werden, was aber – andererseits – durch technischen Fortschritt zu immer geringeren Kosten möglich ist. Durch die Analyse von Daten aus ganz unterschiedlichen Quellen sind Unternehmen in der Lage, ihre Produkte individueller auf immer schmalere Kundensegmente zuzuschneidern.
3. Das Internet der Dinge verstehen.
McKinsey spricht bewusst vom Internet ALLER Dinge, um zu verdeutlichen, dass es in absehbarer Zukunft eigentlich kein Gerät mehr geben wird, das nicht mit dem Internet verbunden werden kann. Gerade auf diesem Gebiet habe sich seit der vorigen Analyse 2010 viel verändert. Ein Beispiel: <br/><br/>Der Versender <b>FedEx</b> hat ein Programm mit dem Namen SenseAware aufgelegt. Dabei stecken die FedEx-Kunden ein Handheld von der Größe eines Handys in jedes Paket. Dieses Gadget enthält ein GPS-Modul, außerdem Sensoren, um Temperatur, lichtverhältnisse, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit zu messen. Im Falle von sensiblen Gütern kann der Kunde so ständig nachvollziehen, ob die vereinbarten Transportbedingungen eingehalten werden. Darüber hinaus lassen sich mit solchen intelligenten RFID-Tags Logistikketten leichter als je zuvor intelligent und automatisiert steuern.
4. Alles wird geteilt.
Nicht nur Rechnerkapazitäten, sondern fast alles lässt sich mittlerweile übers Web teilen. Prominentes Beispiel sind internetgestützte Car-Sharing-Modelle wie <b>Car2Go</b>, also Mobility-as-a-Service sozusagen. Autos werden nur dann genutzt und bezahlt, wenn man sie bewegen will. <br/><br/> Ladekapazitäten auf LKWs lassen sich dank Internet preiswert auch für geringe Transportmengen buchen. Und teilen lässt sich mittlerweile so ziemlich alles: Die <b>Los Angeles Times </b>etwa vermietet regelmäßig Räume an Filmcrews.
5. Auch Wissensarbeit wird automatisiert.
Physische Arbeit und standardisierte IT-Services sind in den zurückliegenden drei Jahrezehnten weitgehend automatisiert worden. Jetzt führen fortschrittliche Datenanalyse, preiswerte Rechenleistung und die Lernfähigkeit der Systeme dazu, dass die Automatisierungswelle auch die Arbeitsplätze der Kopfarbeiter erreicht. Maschinen können immer häufiger Sprache und Zusammenhänge verstehen, daraus schneller Rückschlüsse ziehen als Menschen. <br/><br/> Bei <b>Clearwell Systems </b>im Silicon Valley, einem Unternehmen, das juristische Akten analysiert, haben vor einiger Zeit Supercomputer eine halbe Million Dokumente durchsucht und jene 0,5 Prozent von ihnen herausgefiltert, die für einen anstehenden Prozess relevant sind. Der Vorgang dauerte nur drei Tage, ohne die Technik hätte ein größeres Anwaltsteam dazu mehrere Wochen gebraucht.
6. Mehr Chancen durch mehr Digital Citizens.
Obwohl viele sogenannte Entwicklungsländer in puncto Internet-Durchdringung weit höhere Wachstumsraten aufweisen als zum Beispiel Europa, liegen hier noch immer riesige Potentiale Brach. In Indien zum Beispiel nutzt nur jeder zehnte Einwohner das Internet. Diese Zahl wird rasant ansteigen, auch weil die Preise für Smartphones schnell fallen. Daraus ergeben sich unzählige neue Business-Chancen, etwa im Bereich des Mobile Payment: <br/><br/> Die <b>Dutch–Bangla Bank Limited (DBBL)</b> in Bangladesh hat mehr als eine Million Nutzer seines mobilen Zahlungssystems. Und die Standard Bank in Südafrika konnte die Kosten für die Gewinnung eines Neukunden durch die Nutzung von mobilem Marketing via Smartphone um 80 Prozent senken.
7. Die Offline-Welt wird digital
Smartphones erlauben uns zunehmend, Dinge aus unserem alltäglichen Leben zu scannen oder zu fotografieren, um anschließend via Internet mehr über sie zu erfahren. <br/><br/> In <b>Südkorea</b>können Menschen in Bahnhöfen über ihr Mobilphone Codes unter Produkte auf Plakaten einscannen, das auf diese Weise Eingekaufte wird anschließend direkt nach Hause geliefert. Spielekonsolen lassen sich über Gesten und Bewegungen, also über Instrumente der Offline-Welt steuern.
8. Personalisierung und Vereinfachung.
Nach fast zwei Dekaden des Einkaufens, Lesens, Suchens und Kommunizierens im Internet haben sich die Konsumenten daran gewöhnt, dass Angebote umsonst, personalisiert und leicht zu nutzen sind. Das ist für die Anbieter insofern eine große Herausforderung, als die Kunden nicht nur schnelle Ergebnisse, sondern auch Transparenz und Datensicherheit wollen. Wer gegen diese Regeln verstößt, kann ganz schnell seine Kunden verlieren. <br/><br/> Spieleanbeiter <b>Electronic Arts </b>verlor 2012 400.000 Gamer, nachdem die Firma ihr Sar Wars-Game kostenpflichtig gemacht hatte. Zurückgewonnen wurden die Verlorenen durch ein “Freemium”-Angebot, bei dem die ersten 50 Level des Spiels kostenlos blieben.
10. Das Internet verändert auch das Gesundheits- und Bildungswesen.
Viele Länder nutzen das Internet bereits intensiv, um auch die Dienstleistungen des Staates effizienter und gezielter an den Bürger zu bringen. Indien hat ein Programm zur biometrischen Erkennung für 380 Millionen Menschen aufgelegt. Internettechnologie verbessert auch die Gesundheitsversorgung: <br/><br/> Im ländlichen<b> Bangladesh</b> werden 90 Prozent aller Kinder außerhalb von Krankenhäusern geboren. Seit einiger Zeit führt ein mobiles Frühwarn-System dazu, dass die der Gebährenden nächstliegende Klinik der werdenden Mutter in den meisten Fällen rechtszeitig eine Hebamme schicken kann.

CW: Wie sollte eine digitale Bildungsoffensive aussehen?

Wolfram Jost: Zuerst brauchen wir einen grundsätzlichen Sinneswandel. Ähnlich wie bei den erneuerbaren Energien gehört die Differenzierung nach Konsument und Produzent der Vergangenheit an. In Zukunft haben wir die Mischform des "Prosumers", der beides zugleich ist. Stark vereinfacht heißt das: Wir müssen unser Smartphone nicht nur bedienen können, sondern auch verstehen, wie es funktioniert und welchen Geschäftsmodellen es folgt. Darüber hinaus wird die Software-Durchdringung unserer Welt weiter steigen.

Lassen sie mich dies an zwei Beispielen illustrieren: In Zukunft braucht auch der Handwerker IT-Kenntnisse, um im Smart Home etwas reparieren zu können. Ein weiteres Bespiel liefert die Automobilbranche: Der verstärkte Einsatz von Software im Auto hat dazu geführt, dass in der Werkstatt der Mechaniker zunehmend vom Mechatroniker abgelöst wird. Digital veredelte Dienstleistungen (Smart Services) dringen so unweigerlich in unseren Alltag ein.