Migration

Deutsche Messe spart mit Linux bares Geld

05.01.2010 von Achim Born
Mehr Leistung, weniger Kosten - dieses Ziel erreichte die Messegesellschaft durch Umstellung des SAP-Betriebs.
Als CeBIT-Veranstalterin sollte die Deutsche Messe wohl IT-Expertin sein.
Foto: Storymaker/Deutsche Messe

Immer häufiger wird Linux als Alternative zu klassischen Unix-Derivaten im SAP-Betrieb diskutiert. Ein Migrationsprojekt bei der Deutschen Messe AG beweist, dass ein Wechsel unter dem Strich deutliche Kostenvorteile bewirken kann. Sie liegen bei 50 Prozent und mehr.

"Linux ist mittlerweile auch für Unternehmenslösungen eine reife Umgebung, deren Einsatz sich sehr gut kalkulieren lässt." Marcus Kleen, bei der Deutschen Messe AG für die Administration von SAP-Lösungen verantwortlich, weiß, wovon er spricht. Und der IT-Fachmann kann seine Aussage belegen. Seit dem vergangenen Juni laufen bei der Hannoveraner Messegesellschaft die betriebswirtschaftlichen SAP-Anwendungen auf dem Linux-Betriebssystem und auf Intel-Servern. Im Vergleich zur bisherigen Plattformumgebung profitiert die Deutsche Messe in Folge der Migration bereits heute von einer höheren Leistung -trotz einer um 65 Prozent niedrigeren Investitionssumme und um die Hälfte reduzierten Betriebskosten. Die gleichzeitige Harmonisierung der Systemlandschaft auf einheitliche Release-Stände brachte einen weiteren positiven Effekt.

Solaris und Sparc hatten ausgedient

Der Auslöser des Migrationsprojekts bei der Deutsche Messe AG war recht unspektakulär. Die zuvor eingesetzte Systemplattform im SAP-Betrieb - mit Solaris ausgestattete Sparc-Server - war einfach in die Jahre gekommen. Außerdem war die Umgebung im Laufe der Zeit immer heterogener gewonnen; einzelne Systemkomponenten, beispielsweise Betriebs- und Datenbank-Management-Systeme für die verschiedenen SAP-Komponenten, hatten mittlerweile unterschiedliche Release-Stände.

Zudem war der Abschreibungszeitraum zum Gutteil ausgeschöpft, und zu allem Überfluss drohte die Standardwartung auszulaufen. Deshalb unternahmen die Verantwortlichen Mitte 2008 erste Überlegungen zur Ausgestaltung der künftigen Systemlandschaft. Im Dialog mit SAP-Experten der Lynx-Consulting GmbH, Bielefeld, kam die Sprache des Öfteren auf Linux und Intel-Hardware als potenzielle Plattformkombination. Lynx hatte bereits Erfahrungen mit solchen Migrationen, und der kannte das Open-Source-Betriebssystem von seinen Web-Anwendungen her.

Unicode-Unterstützung war ein Fixpunkt

Um über eine belastbare Entscheidungsgrundlage zu verfügen, ließ die Deutsche Messe AG, eine Vorstudie erstellen. Lynx ermittelte den aktuellen und künftigen Bedarf und richtete gleichzeitig den Blick auf Anwendungswünsche und technische Anforderungen, zum Beispiel die globale Unicode-Unterstützung.

In der Frage der potenziellen Zielplattform konzentrierte sich die Analyse ausschließlich auf Sun Solaris - basierend auf Sparc - sowie Linux in der 64 Bit-Variante für x86-64-Prozessoren von Intel. "Wir verfügen in der eigenen Organisation über ausgewiesenes Unix-Know-how", so begründet Kleen die Einschränkung bei den Systemplattformen. Aus einem ähnlichen Grund galt Oracle bei der Wahl des Datenbank-Management-Systems als gesetzt.

Zu beachten waren Aufwand und Auswirkungen, die eine Homogenisierung der Datenbankversion auf Oracle 10g sowie eine einheitliche Unicode-Unterstützung mit sich brachten. bewirken würden. Am prinzipiellen Aufbau der SAP-Infrastruktur waren ansonsten keine Änderungen vorgesehen.

Vorstudie mit SAPS-Benchmark

Als Prüfstein für die Leistungsfähigkeit der Server zog das Projektteam den "SAP Application Performance Standard" (SAPS) heran. Dabei wurde angenommen, dass die zum Zeitpunkt der Untersuchung genutzten Systeme zu 100 Prozent ausgelastet wären. Für die Wahl der neuen Server galt es, die zusätzlichen Anforderungen durch die Umstellung auf Unicode und den technischen Upgrade der SAP-Komponenten zu berücksichtigen. In der Vorstudie konnte Lynx belegen, dass das geforderte Leistungsgerüst den aktuellen Intel- beziehungsweise AMD-basierenden Server keine Probleme bereiten würde.

Die Kennziffern zu Auslastung, Leistungsfähigkeit und erwartetem Wachstum aus der Vorstudie nutzte die Deutsche Messe als Grundlage, um für beide Zielplattformen Angebote unterschiedlicher Hersteller einzuholen und zu vergleichen. Dazu Kleen: "Es zeigte sich schnell, dass Linux auf Intel eindeutig die kostengünstigere Alternative ist." Im Vergleich zu den bisherigen Systemen bot die Linux-Intel-Plattform die vierfache SAPS-Leistung zu einem Drittel der Kosten.

Mit Blick auf die Gesamtkosten und nach einer ROI-Berechnung mussten selbstverständlich noch Aufwand und Investitionen für die Plattformmigration Richtung Linux in die Kalkulation einfließen. Wenn sich das Betriebssystem verändert, handelt es sich nach der Einordnung der SAP um eine heterogene Systemkopie. Damit sind sowohl die kostenpflichtigen Migration Services von SAP als auch ein zertifizierter Migrationsberater einzubeziehen. Doch wegen der anstehenden Unicode-Umstellung war ohnehin eine Plattformumstellung notwendig, und da die beiden Migrationen eine ähnliche Grundlage hatten, ließen sie sich in einem Projekt zusammenfassen.

Kein Risiko im Hinblick auf die CeBIT

Das Messegelände in Hannover
Foto: Storymaker/Deutsche Messe

Die Deutsche Messe bündelte ihre Anforderungen an eine zukunftsträchtige Plattform und erarbeitete mit Unterstützung von Lynx einen umfassenden Projektfahrplan. Für technische Spezialaufgaben wie das Aufsetzen der Linux-Server einschließlich der Anbindung des SAN-Speichersystems und der Anpassung von Abap-basierenden Eigenentwicklungen sicherte sich die Messegesellschaft die Unterstützung von Spezialisten. Die Lynx-Berater wurden mit der Umsetzung aller SAP-bezogenen Teilaufgaben betraut. Diese umfassten im Einzelnen:

Nachdem die Hardware in den Räumen der Messegesellschaft aufgestellt war, begann Mitte Februar ein Team aus Mitarbeitern der Deutschen Messe und Beratern von Lynx mit der Installation der SAP-Anwendungen. "Die Zeitspanne von Februar bis Mitte Juni mutet für eine technisch Migration vielleicht etwas üppig an, aber angesichts der Großereignisse CeBIT und Hannover Messe wollten und durften wir kein Risiko bei unseren Anwendungen eingehen", erläutert Kleen, der das Projekt auf Seiten der Messegesellschaft leitete. Konkret führte diese Überlegung dazu, dass die Migration des Records Management vorgezogen wurde, da es noch nicht in Gänze im produktiven Einsatz war. Die Einführung und Umstellung auf das neue BW-Release startete dagegen erst nach den Messen, um den Betrieb nicht zu stören.

Der Projektablauf selbst orientierte sich an dem bewährten Vorgehen bei SAP-Migrationen mit den Phasen Entwicklung, Funktions- und Integrationstest sowie Transformation in die Produktivumgebung. "Der erfreuliche Verlauf ist auch Ausdruck einer sorgfältigen Planung einschließlich Vorstudie", so Jessika Kringel. Jessika Kringel von Lynx, die Projektleiterin auf Seiten des Beratungsunternehmens. Dank dieser Planung habe man sich schon früh den Koordinierungsarbeiten im Rahmen der Unicode-Umstellung widmen können.

Intel-Hardware stellt bescheidene Ansprüche

Zudem bewirkte die Planung aller Arbeiten in einem Wurf einige erfreuliche Synergien, beispielsweise in Sachen Testaufwand. Da während der Migration die "Altsysteme" weiterhin ihren Dienst versahen, wurde der Betrieb zu keiner Zeit der Betrieb belastet. Das schrittweise Überführen der neuen Server in die Produktion ließ sich am Wochenende durch Umsetzen der IP-Adressen bewerkstelligen. Hätte es Probleme gegeben, wären einfach die Sparc-Systeme wieder produktiv gesetzt worden.

Seit die ERP- und CRM-Anwendung Mitte Juni "live" fingen, profitieren die Nutzer von der neuen SAP-Infrastruktur. "Die Leistung hat um zirka 50 Prozent zugelegt", schildert Kleen die ersten Betriebserfahrungen. Da die neue Hardware durchweg bescheidenere Ansprüche an Platz und Energie stellt, lässt sich auch hier beinahe die Hälfte der bisherigen Kosten sparen. Nach Kleens Überzeugung wird sich der Schritt in Richtung Linux und Intel innerhalb eines Jahres mehr als auszahlen.