Virtualisierung des Arbeitsplatzes

Der zentralisierte Desktop kommt scheibchenweise

24.06.2008 von Wolfgang Sommergut
Citrix steht mit dem Terminal-Server seit Jahren für ein Modell der Desktop-Zentralisierung. Auf dem iForum in München zeigte das Unternehmen nun neue Optionen zur Virtualisierung der Clients im Rechenzentrum.

Citrix gilt als Pionier bei der Nutzung von Windows als Multiuser-Umgebung. Seit dem Verkauf der entsprechenden Erweiterungen an Microsoft Mitte der 90er Jahre konzentriert sich das Unternehmen darauf, die in den Windows Server integrierten Basisfunktionen für Terminaldienste mit eigenen Produkten zu erweitern. Die wesentliche Komponente ist dabei der "Presentation Server", der zuvor auf den Namen "Metaframe" hörte und kürzlich auf "Xenapp" umgetauft wurde.

Das langjährige Hauptprodukt von Citrix ermöglicht ein Modell des Server Based Computing, wie es in den ersten Jahren genannt wurde. Es bietet eine Reihe von Vorteilen, die zahlreiche Unternehmen überzeugten und zu einer großen Verbreitung der Software führten. Dazu zählen die zentrale Administration, Zugriffsmöglichkeiten über das Web und schmalbandige WAN-Verbindungen sowie die Bereitstellung ressourcenhungriger Anwendungen für leistungsschwache Endgeräte. Durch die zentrale Kontrolle der Applikationen versprechen sich Firmen auch mehr Datensicherheit von einer solchen Lösung.

Terminal Server nicht für alle Arbeitsplätze

Bei allen Vorteilen, speziell auch bei den Kosten für das Desktop-Management, leidet das Terminalmodell auch unter einigen wesentlichen Defiziten, so dass es für viele Arbeitsplätze nicht in Frage kommt. Dazu zählt, dass die Anwendungen auf einem Server-Betriebssystem laufen, dessen Desktop sich vom aktuellen Client-Windows unterscheidet.

Beim bisher dominierenden Modell des zentralen Desktops, dem Terminal-Server, teilen sich die Anwender das Betriebssystem.

Persönliche Anpassungen durch die Benutzer kommen ebenso wenig in Frage wie die Installation eigener Software. Die Nutzung lokaler Peripheriegeräte ist umständlich, das Offline-Arbeiten wird nicht unterstützt, einige Anwendungen vertragen sich nicht mit einer Multiuser-Umgebung, und die Darstellung von Multimedia-Anwendungen ist meist unbefriedigend. Insgesamt fällt das Benutzererlebnis bei entfernt laufenden Anwendungen im Vergleich zu ihren lokal ausgeführten Pendants sichtbar schlechter aus.

Aus diesem Grund beschränkt sich der Einsatz des Presentation Server in den meisten Firmen auf bestimmte Arbeitsplätze und Applikationen. Zu der typischen Zielgruppe gehören Sachbearbeiter, die den Großteil ihrer Aufgaben mit einigen Programmen von einem festen Arbeitsplatz aus erledigen. Deshalb ist die Terminallösung etwa im Bankensektor oder in Call-Centern sehr beliebt.

Erschließung neuer Zielgruppen

Mit dem ursprünglich von VMware entwickelten Konzept der Virtual Desktop Infrastructure (VDI) eröffnet sich für Citrix die Chance, mit einer weiteren Variante eines zentralen Desktops zusätzliche Nutzer zu erschließen, für die der Presentation Server nicht in Frage kommt. Mit dem Kauf von Xensource erwarb das Unternehmen im letzten Jahr die Basistechnik, um komplette Client-Installationen in virtuellen Maschinen auf dem Server ablaufen zu lassen. Das kürzliche veröffentlichte Xendesktop das in seinem ersten Release gleich die Versionsnummer 2.0 erhielt, enthält die nötigen Werkzeuge, um physikalische in virtuelle Desktops zu migrieren, diese zu verwalten und zu betreiben.

Auch wenn bestehende PC-Installationen komplett in die virtuelle Umgebung übernommen werden können, sieht das VDI-Konzept von Citrix ein solches Vorgehen nicht vor. Es liegt nahe, dass damit internen Abhängigkeiten eines monolithischen Desktops und die daraus resultierenden Probleme bloß in das Rechenzentrum verlagert werden. Wenn etwa bei klassischen Arbeitsplatz-PCs das Update einer Anwendung nötig ist, dann erfordert dies unter Umständen den Wechsel auf eine neuere Version des Betriebssystems, der wiederum häufig die Anschaffung neuer Hardware nach sich zieht.

Auf einer VDI kann man sich dank Hardwareabstraktion zwar den Austausch des PC sparen, aber die Abhängigkeiten zwischen Betriebsystem, Benutzereinstellungen und Anwendungen bleiben erhalten. Die Folge ist ein aufwändiges Desktop-Management, bei dem in jedes Image die System-Patches genauso eingespielt werden müssen wie Updates von Anwendungen. Wenn die Nutzer ihre Arbeitsumgebung individuell anpassen dürfen, muss in letzter Konsequenz für jeden Mitarbeiter, der einen virtuellen Desktop erhält, ein eigenes Systemabbild bereitgestellt und verwaltet werden.

Zerlegung des monolithischen Desktops

Um mit einem zentralistischen Modell Vorteile gegenüber der traditionellen Lösung zu erzielen, propagiert Citrix einen Ansatz, bei dem der Desktop in mehrere Schichten zerteilt wird. Diese Aufgabe kann allerdings nicht Xendesktop alleine übernehmen, sondern es bedarf dafür einer ganzen Infrastruktur. Die größeren Ausführungen des Produkts ("Enterprise" und "Platinum") enthalten daher einen kompletten Softwarestapel, mit dem sich ein solches Konzept realisieren lässt.

CEO Mark Templeton warb auf dem iForum für ein radikales Umdenken bei der Art und Weise, wie Unternehmen ihren Mitarbeiten Anwendungen zur Verfügung stellen.

Die Abtrennung der ersten Schicht, der Hardware, erfolgt durch den Umzug in eine virtuelle Maschine (VM). Auf der nächsten Ebene bietet der "Provisioning Server" die Möglichkeit, die feste Verbindung von virtueller Hardware und Betriebssystem zu lösen, indem Windows beim Systemstart per Streaming in die VM gespielt wird ("OS Virtualization"). Bei einer Migration zu einer neuen Version des Betriebssystems müsste der Systemverwalter bloß ein neues Systemabbbild bereitstellen, das beim nächsten Hochverfahren in den virtuellen PC gefüllt wird.

Jeden Tag ein frisches Windows

Die Windows-Installation enthält nach diesem Ansatz keine Benutzeranpassungen und wird jedes Mal frisch eingespielt. Auf diese Weise lassen sich die typischen Alterungserscheinungen von Windows vermeiden. Benutzerspezifische Konfigurationen müssen separat vorgehalten werden, entweder über Microsofts Server-gestützte Profile oder den "User Profile Manager" von Citrix, den es kürzlich von der Kölner Sepago GmbH zugekauft hat.

Der von Ardence zugekaufte Citrix Provisioning Server spielt in diesem <a href="http://www.youtube.com/watch?v=B8reDlSqxuY" title="provisioning Server">Video</a> gleichzeitig auf 150 Dell-Rechnern Windows ein.
Foto: Citrix

Die Anwendungen schließlich kommen bei dem Konzept von Citrix typischerweise nicht über das Installationsprogramm in den virtuellen Desktop, sondern via Xenapp. In der neuen Version 4.5 beherrscht die Software weiterhin den klassischen Modus des Presentation Server, bei dem die Anwendungen auf dem Backend ablaufen und nur Bildschirmausgaben beziehungsweise Benutzereingaben über das Netz gehen. Zusätzlich kennt die aktuelle Ausführung noch einen Streaming-Modus, bei dem die Bits der Anwendung an den Client gesendet und dort ausgeführt werden. Bei diesem Feature handelt es sich um die Citrix-Variante der Applikations-Virtualisierung. Es erlaubt bei physischen PCs auch das Offline-Arbeiten, weil die übertragenen Daten lokal zwischengespeichert werden können.

Vorzüge des dynamischen Desktops

Eine konsequente Trennung aller Desktop-Schichten verspricht eine Reihe von Vorteilen. Dazu zählt vor allem eine wesentlich größere Flexibilität, beispielsweise dann, wenn eine Komponente verändert wird. Das Update des Betriebssystems hat keine Auswirkungen auf die Anwendungen, weil der Citrix-Client als Ablaufumgebung fungiert, die zwischen Windows und den Applikationen sitzt. Ähnliches gilt für die anderen Komponenten des Desktops. Durch die Entkoppelung von der PC-Hardware ergeben sich zudem neue Zugriffsmöglichkeiten, so dass Benutzer auch von zu Hause oder anderen Standorten aus auf ihre Arbeitsumgebung zugreifen können. Diese muss keineswegs heruntergefahren werden, wenn sich der Benutzer abmeldet, so dass dieser beim Wiederanmelden von einem anderen Ort dort fortfahren kann, wo er aufgehört hat.

Aus der Sicht der zahlreichen Citrix-Anwender kommt hinzu, dass sie für Xendesktop die bestehende Infrastruktur und ihre Kenntnisse weiternutzen können. Für den Zugriff von außen eignet sich ebenfalls "Secure Gateway", der Broker ("Desktop Delivery Controller") ist ein abgewandeltes Xenapp und daher ähnlich zu verwalten. Da der virtuelle Desktop per ICA an die Endgeräte gelangt, kann die Datenübertragung wie beim Presentation Server mit Hilfe von NetScaler und WANScaler verbessert werden. Außerdem können Anwender mit dem gleichen Citrix-Client auf Xendesktop und den Terminal Server zugreifen. Dieser erhält im Herbst dieses Jahres unter der neuen Bezeichnung "App Receiver" eine Plug-in-Architektur, in die Komponenten für die Kommunikation mit allen Citrix-Server-Produkten eingeklinkt werden können.

Längerfristig könnte einer der größten Vorteile eines solchen modularen Konzepts darin bestehen, dass sich Unternehmen bestimmte Aspekte des Desktops als Service verschaffen. So wäre es etwa denkbar, dass virtuelle PCs inklusive eines blanken Windows inklusive Office von einem Hoster bezogen werden, während die IT-Abteilung bestimmte interne Anwendungen zur Laufzeit in dieses System einspielt.

Kinderkrankheiten

Auch wenn das Konzept eines dynamischen Desktops, der in seine wesentlichen Komponenten zergliedert und zur Laufzeit zusammengestellt wird, vielversprechend klingt, so lauern beim derzeitigen Entwicklungsstand doch einige Fallen.

Der dynamische Desktop geht mit einer wesentlich höheren Komplexität einher als der reine Presentation Server. Das betrifft zum einen die Einrichtung der Infrastruktur auf Basis der dafür nötigen Citrix-Produkte. Dieser Baukasten erlaubt eine Vielzahl von Konstellationen, so dass Citrix es für angebracht hält, mit dem "Workflow Studio" ein eigenes Planungs- und Modellierungswerkzeug auf den Markt zu bringen.

Die Zerlegung und Virtualisierung des herkömmlichen Desktops bedarf einer aufwändigen Inrastruktur.

Hinzu kommen wesentlich höhere Anforderungen an die Hardware. Schließlich teilen sich dort die Nutzer nicht einen Windows Server, vielmehr läuft für jeden von ihnen ein XP oder Vista im Rechenzentrum. Ein solcher zentralistischer Ansatz setzt zudem eine hochverfügbare Umgebung voraus, die sich auch auf die Netzkomponenten erstrecken muss, wenn physikalische PCs in einem Mischmodell mittels Provisioning-Server mit dem Betriebssystem versorgt werden.

Eine Reihe von Einschränkungen entspringt der Tatsache, dass Nutzer über das Thin-Client-Protokoll ICA auf ihren virtuellen Desktop im Rechenzentrum zugreifen. Trotz ständiger Verbesserungen, die ihm Citrix über die Jahre angedeihen ließ, muss der Anwender im Vergleich zu einem klassischen Desktop wesentliche Einbußen an Komfort hinnehmen. So sind der Übertragung von Multimedia-Anwendungen immer noch klare Grenzen gesetzt. Auch wenn in der aktuellen Version die "Speedscreen"-Technik Verbesserungen bei 2D-Grafiken bringt, tun sich virtuelle Desktops mit Bildbearbeitung oder CAD-Programmen schwer. Abhilfe soll das Projekt "Apollo" schaffen, das sich laut Citrix positiv auf 3D-Grafiken auswirken wird.

Multimedia wird wichtiger

Während dieses Defizit vor einigen Jahren im Unternehmensumfeld noch eher als exotisch galt, nimmt die Bedeutung von Multimedia-Anwendungen erheblich zu. Videos im Flash Player gehören zum Alltag, etwa für Produktdemonstrationen oder E-Learning. Außerdem steigt durch Unified Communications der Bedarf an VoIP-Unterstützung auf dem Client, etwa mittels Softphones. Citrix versprach auf seiner Hausmesse iForum in dieser Hinsicht ebenfalls Verbesserungen, derzeit ist die Situation jedoch unbefriedigend. Der Hersteller empfiehlt für die Telefonie sein eigenes "Easy Call", das Verbindungen über herkömmliche Telefonanlagen aufbauen kann.

Außerdem ist die Handhabung lokaler Geräte umständlich und klappt in kritischen Fällen nicht, etwa bei der Steuerung in der Produktion. Wenn Anwendungen über Xenapp eingeblendet werden, existiert weiterhin das Problem, dass in dieser Konstellation keine Cleartype-Schriften unterstützt werden, was sich auf LCD-Bildschirmen nachteilig auf die Ergonomie des Arbeitsplatzes auswirkt. Dieser Mangel soll erst mit Xenapp 5 ("Delaware") unter Windows Server 2008 ausgeräumt werden.

Während Xenapp 4.5 mit seinem Streaming-Modus das alte Problem der fehlenden Offline-Unterstützung beseitigt, gibt es für virtuelle Desktops dafür noch keine Lösung. Sie soll in einer späteren Version nachgereicht werden, über Details machte CEO Mark Templeton gegenüber der COMPUTERWOCHE keine Angaben.

Fazit

Mit Xendesktop stellt Citrix seinem erfolgreichen Presentation Server eine VDI-Lösung zur Seite, die vor allem Wissensarbeiter erreichen kann. Ihren Ansprüchen kann das Terminalmodell meist nicht genügen, so dass damit laut Citrix maximal 60 Prozent der Arbeitsplätze abgedeckt werden können. Freilich werden sich mit der Kombination aus Terminal Server und VDI nicht 100 Prozent der Arbeitsplätze über einen zentralistischen Ansatz bedienen lassen.

Dieses <a href="http://www.youtube.com/watch?v=J_i_EpZHMLc" title="RDP vs. ICA">Video auf Youtube</a> zeigt die vergleichsweise schlechte Leistung von RDP.

Citrix sieht als weitere Option noch den "Hochleistungs-Desktop" auf Basis von Blade-PCs vor, die ebenfalls über den Provisioning Server und Xenapp versorgt werden können. In diesem Fall erhält der Benutzer wieder seine eigene Hardware. Wo Einschränkungen jedoch auf ICA zurückgehen, kann diese auch nicht helfen.

Das Unternehmen profitiert davon, dass es für Xendesktop die Infrastruktur nutzen kann, die in vielen Unternehmen für den Presentation Server bereits eingerichtet wurde. Da Microsoft die Terminaldienste nur im Schneckentempo weiterentwickelt und das Geschäft mit Application Delivery seinem Partner Citrix überlässt, entsteht dem Hauptkonkurrenten VMware ein zusätzlicher Nachteil, weil er für den Zugriff auf virtuelle Rechner mit dem deutlich schlechteren RDP Vorlieb nehmen muss.

Plus und Minus des dynamischen Desktops

Vorteile

  • Aufbrechen der internen Abhängigkeiten des monolithischen Modells, keine gegenseitige Beeinflussung der Komponenten;

  • zentrales Management;

  • Zugriff auf den Unternehmens-Desktop von vielen Endgeräten und schmalbandig angebundenen Außenstellen;

  • zukünftige Option auf "Desktop als Service".

Nachteile

  • Komplexe Infrastruktur und radikale Umstellung des Desktop-Modells nötig;

  • keine Offline-Fähigkeit;

  • eingeschränktes Benutzererlebnis;

  • Defizite bei Multimedia-Anwendungen;

  • umständliche Nutzung lokaler Peripherie.