Der Tag danach

26.02.1988

DV-technischen und wirtschaftlichen Einwänden, da ist sich die IBM ganz sicher, wird die Einführung der neuen "Enterprise Systems Architecture /370", kurz: ESA/370, bei 3090-Anwendern nicht scheitern. "Funktionsvielfalt und zusätzliche Wachstumsschritte", verkündet der Mainframe-Monopolist vollmundig im ESA-Ankündigungspapier, " kennzeichnen das IBM-Großsystemangebot mit Lösungen für die A n f o r d e r u n g e n (Hervorhebung durch die CW-Redaktion) unserer Kunden bis in die 90er Jahre."

Das ist eine Prospektsprache" die in Allgemeinplätzen badet. Aber mit derartigen Aussagen steht die IBM als Werbetrommler nicht alleine da. Der Hinweis auf die vermeintlichen Forderungen der Benutzer ("Der Markt braucht das!" ist typisch für die in Wahrheit hilflose und verblasene Marketingpolitik sämtlicher DV-Hersteller - eine Politik, die die Anwender kurzerhand für mündig erklärt. Aber sind sie das wirklich? Der Hamburger Informatik-Professor Klaus Brunnstein hat Zweifel daran: "An der Gestaltung der Informationstechniken sind Anwender und Benutzer bisher kaum beteiligt worden." (Siehe auch: Für Sie gelesen.)

Brunnsteins Analyse stimmt, wenn sie die Naivität der Topmanager und Endbenutzer in Sachen Informationstechnik aufspießt. Doch noch können die Hersteller darauf setzen, daß die DV-Spezialisten beim Anwender dem Novitäten-Charme von X-Architekturen, relationalen Datenbanken und Expertensystemen erliegen und jeden High-Tech-Tusch mit Applaus begleiten. Wenn es allerdings um wichtige Investitionsentscheidungen geht (ein neues Betriebssystem, ein neuer Prozessorkomplex), dann schieben viele DV-Chefs ihre Topmanager vor - die verstehen ohnehin nicht, was da vorgeht.

So weit sind die DV-Profis bei Anwendern und Herstellern nämlich schon in Widersprüche verstrickt - und hier geht unsere Kritik über die Brunnsteins hinaus - , daß sie, ähnlich wie die Militärs, an ihre eigenen Forderungen glauben m ü s s e n. Geradezu gespenstisch wird die Geschichte, wenn man etwa an die Komplexität großer Datenbank-Anwendungen denkt. Der Spruch von der "Funktionsvielfalt" bekommt hier einen scharfen Beigeschmack. Was aber tönt aus dem Werbe-Lautsprecher? O-Ton IBM: "Die heutige Situation in Großsystem-Installationen ist gekennzeichnet durch starkes Wachstum."

Es ist ein Widersinn, die "Anforderungen" wachsen zu lassen, wenn bei den Anwender-Unternehmen nicht einmal geklärt ist, wohin die Informatik-Reise gehen soll. Und es ist grotesk, die Technik in den Vordergrund zu stellen - als ob es auf den Nutzen nicht ankäme. Aber damit sind wir beim eigentlichen Schmerzpunkt: Solange die Entwickler, sprich: die Spezialisten, das Sagen haben, werden die Komplexitätsprobleme unter den Ankündigungsteppich gekehrt. Motto: Millionen Mips-Geisterfahrer können nicht irren.

Eines ist sicher: Klassische Dienstleister wie Banken, Versicherungen, Handelsketten oder Verkehrsbetriebe sind bereits in hohem Maße von der Informationstechnik abhängig. Daß die Verantwortlichen den Kopf in den Sand stecken würden, dieser Vorwurf trifft den Kern nicht. Selbst wenn sie sich ihrer Abhängigkeit bewußt wären, sie könnten nichts daran ändern, ohne die Existenz des Unternehmens aufs Spiel zu setzen - ein Teufelskreis. Warten wir also, das mag zynisch klingen, bis die ganze Chose zusammenbricht. Noch ungeschrieben:

"The day after!"