Interview mit Bitkom-Vize Heinz-Paul Bonn

"Der Mittelstand muss umdenken"

06.02.2006
Mit Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn sprach CW-Redakteur Christoph Witte über die CeBIT und die Anforderungen, die mittelständische Kunden an mittelständische IT-Anbieter stellen.

CW Mittelstand: Was bietet die CeBIT 2006 dem Mittelstand?

Bonn: Zusammen mit dem Bitkom hat sie nicht nur das Mittelstandsforum gestartet, sondern sie spricht auch gezielt Mittelständler auf Kunden- und Ausstellerseite an; beiden Gruppen bietet sie maßgeschneiderte Pakete. Das geht bis hin zur Reise- und Zeitplanung. Der Mittelstand hat inzwischen ein eigenes Internet-Portal mit speziellen Informationsangeboten.

CW Mittelstand: Was halten Sie von der Hinwendung der CeBIT zur Consumer-Elektronik?

Bonn: Eine Trennung zwischen IT und Unterhaltungselektronik hätte einfach keinen Sinn mehr. Die Messe ist ein Spiegel des Marktes, und die Consumer-Produkte gehören inzwischen einfach in diesen Markt, zumal kommerzielle IT und Unterhaltungselektronik zum Teil von den gleichen Unternehmen angeboten werden. Außerdem wird auch der private Haushalt immer stärker zum Ort komplexer Informationsverarbeitung.

CW Mittelstand: Das hört sich alles so an, als wenn auch die Stimmung in der Branche insgesamt besser ist.
Bonn: Der Bitkom erwartet für 2006 in der Informationstechnik ein Wachstum von mehr als drei Prozent. Klar ist: Das Umsatzplus im deutschen IT-Markt liegt über dem Vorjahr, aber leicht unter dem Durchschnitt in Westeuropa. Gezogen wird der Markt von Software, IT-Services und Beratungsleistungen. In diesen Segmenten liegen die Wachstumsraten über dem Durchschnitt. In der Telekommunikation legen der Mobilfunk und die Datenübertragung am stärksten zu. Unter Druck steht dagegen die Sprachtelefonie im Festnetz. Die gute Stimmung wirkt sich natürlich auch auf die Messe aus.

CW Mittelstand: Was glauben Sie, wofür sich der Mittelstand interessiert?

Bonn: Das Interesse dürfte sich auf alles richten, das zur Konsolidierung ihrer Softwarelandschaften beiträgt. Die gewachsenen IT-Landschaften reichen nicht mehr aus, wenn der Mittelständler den Herausforderungen der Internationalisierung und weiterer Effizienzsteigerung gerecht werden will. Das heißt nicht, dass nur Kosten gespart werden - moderne Lösungen im Softwarebereich oder in der Kommunikationstechnik erlauben einfach einen effektiveren Mitteleinsatz. Das Mantra des Mittelstandes setzt sich meiner Ansicht nach aus drei Vokabeln zusammen: Konsolidieren, Kosten senken, Internationalisieren.

CW Mittelstand: Was ist mit dem Thema Sicherheit?

Bonn: Das ist ebenfalls enorm wichtig. Allerdings nicht nur in dem platten Sinne des Hacker- und Virenschutzes. Es geht auch um die Qualität der softwaregestützten Services, um die Verfügbarkeit der Dienste in Krisensituationen etc. Dazu gehören die gesetzlichen Anforderungen, die heute an die IT gestellt werden. Den Forderungen nach sicherer Archivierung, Basel II, Sarbanes Oxley oder branchenindividuellen Regeln muss ebenfalls entsprochen werden.

CW Mittelstand: Wenn der Mittelständler so auf die Kosten achten muss, wird er dann in Zukunft doch noch den Wert von ASP- oder Hosting-Modellen für sich erkennen?

Bonn: In einer "ALDI-sierung" unserer Welt, in der jedes Unternehmen immer leistungsfähiger werden muss, damit es die sinkenden Preise überleben kann, kommt es nicht darum herum, Outsourcing ernsthaft zu prüfen. Und wenn sich die Angebote für ihn rechnen, wäre der Mittelständler schlecht beraten, wenn er sie nicht nutzen würde. Das heißt aber nicht, dass sich die IT-Anbieter zurücklehnen und sagen können, die müssen ja sowieso. Nein, der Mittelständler wird sehr darauf achten, dass die Serviceangebote für seine Belange passen.

CW Mittelstand: Glauben Sie, dass das Volumen im Mittelstand dem durchschnittlichen Wachstum folgt, oder steigt die Nachfrage da stärker an?

Bonn: Ich glaube, dieser Bereich wird stärker wachsen als der Durchschnitt. In einigen Branchen wird das Wachstum weit über dem vom Bitkom prognostizierten Wert liegen. Die Erwartungen unserer Mitglieder - und die fragt der Bitkom ja ab - werden übrigens gestützt durch Nachfragestudien, in denen Mittelständler direkt befragt worden sind. Daraus geht hervor, dass die allgemeine Investitionsbereitschaft steigt und in IT ebenfalls mehr investiert werden soll als in den Vorjahren.

CW Mittelstand: Welche Auswirkungen hat das auf die Anbieter?

Bonn: Sie werden sich von ein paar liebgewonnenen Gewohnheiten trennen müssen. Beispielsweise wird durch Themen wie SOA und Konvergenz die Segmentierung der Mittelstandsmärkte geringer. Diese großen Themen können nur mit Hilfe der großen Leitarchitekturen abgearbeitet werden. Da gibt es keinen Gebietsschutz mehr. Die kleinen Anbieter werden sich umstellen und eher die Partnerschaft mit den Großen suchen und sich innerhalb dieser Partnerschaften differenzieren müssen.

CW Mittelstand: Auch die Großen landen bei Mittelständlern nicht gerade einen Erfolg nach dem anderen.

Bonn: Wer nach China geht und dort Geschäfte machen will, braucht einen Dolmetscher. Das Gleiche gilt für den Mittelstand. Sie kommen im Mittelstand nicht ohne mittelständische Anbieter aus. Die großen Anbieter der Leitarchitekturen können zwar den Mittelstand adressieren, aber sie können es nicht wirtschaftlich und nicht schnell genug. Das hohe Engagement, das sie im Mittelstand aufbringen müssten, würde die Skaleneffekte, die sie mit den großen Architekturen erreichen, wieder zunichte machen. Aber der mittelständische Anbieter muss ebenfalls umdenken. Er muss sich spezialisieren. Spezialgebiete lassen sich noch wirtschaftlich bearbeiten, das große Ganze nicht mehr.

CW Mittelstand: Werden die Ecosysteme, die Netzwerke also zwischen Vertreibern und Systemhäusern auf der einen und den großen Anbietern auf der anderen Seite, jetzt langsam Wirklichkeit?

Bonn: Die hat es schon immer gegeben, nur waren die früher anders definiert. Es hieß: Partnerschaft ist, wenn der Partner schafft. Das ist heute anders. Allerdings müssen beide Seiten noch etwas in Kultur investieren. Wir Mittelständler müssen uns mit den Speziallösungen stärker einbringen und nicht mehr "geheime" Lösungen stricken, und die Anbieter müssen ihre Systeme ergonomisch so konstruieren, dass die mittelständischen Softwareanbieter leichter damit umgehen können.

CW Mittelstand: Wie viele der Kleinen haben begriffen, dass sie sich ändern müssen, und wie viele der Großen haben erkannt, dass sie nur zusammen mit den Mittelständlern ihre Leitarchitekturen auch an mittlere und kleinere Kunden herantragen können?

Bonn: Bei den Großen fällt es mir leichter: Microsoft, SAP, Oracle und natürlich die IBM, auch wenn sie eher von der Middleware-Seite kommt. Ebenfalls Teil der Rechnung sind Häuser wie Infor oder SSA. Sage muss man als ernsthaften Anbieter von Mittelstandslösungen sehen oder auch Häuser wie Semiramis.

"Sämtliche Anbieter werden entweder in der eigenen Kirche predigen oder als Gläubige den jeweiligen Gottesdienst zelebrieren." Bitkom-Vize Heinz-Paul Bonn
Foto: Bundesnetzagentur

CW Mittelstand: Auch die Letztgenannten als Anbieter von Leitarchitekturen?

Bonn: Sämtliche Anbieter werden entweder in der eigenen Kirche predigen oder als Gläubige den jeweiligen Gottesdienst zelebrieren. Leitarchitektur ist nicht nur eine Frage der Größe. Auf der anderen Seite hat die Mehrheit der mittelständischen Anbieter die Sache noch nicht begriffen. Viele gerieren sich nach wie vor als unversöhnliche Mittelständler, die ihren eigenen Weg gehen wollen. Ich teile diese Meinung nicht mehr. Die mittleren Anbieter werden sich für eine der Leitarchitekturen entscheiden müssen, und viele haben das auch schon gemacht.

CW Mittelstand: Das bedeutet aber auch, dass die Verdienstmöglichkeiten für die Mittelständler kleiner werden.

Bonn: Nur, wenn ich weiter in Lizenzgebühren und Wartungsverträgen denke. Ich bin aber überzeugt davon, dass auch in kleineren Häusern die Beratungskompetenz und damit der Consulting-Anteil am Umsatz zunehmen werden. Schließlich ist es doch genau dieses "Passendmachen" für den mittelständischen Kunden, aus dem sie ihre Existenzberechtigung ziehen.