Der Kostendruck erzwingt Nachdenken ueber Downsizing Praxisbeispiele belegen unterschiedliche Motive

19.11.1993

Von "Downsizing" oder "Rightsizing" ist derzeit keineswegs nur in Fachpublikationen und auf Kongressen die Rede. In vielen Unternehmen werden Projekte diskutiert oder bereits durchgefuehrt, in deren Mittelpunkt die Verlagerung von DV-Aufgaben aus der Mainframe-Welt auf eine Umgebung kleinerer vernetzter Systeme steht. Die Motive fuer derlei Massnahmen sind unterschiedlich und teilweise stark von der anhaltenden Rezession beeinflusst. Rightsizing kann - so zeigt eines der im folgenden angefuehrten Beispiele - als Antwort auf das "Wrongsizing" im eigenen Hause verstanden werden. Waehrend hier der Kostendruck im Vordergrund steht, geht es in anderen Faellen darum, die vorhandenen IT- Moeglichkeiten auszuschoepfen und Anwendern neue Hilfsmittel an die Hand zu geben.

G ut 2000 staendige Benutzer sind derzeit auf die Rechenleistung der Gesellschaft fuer wissenschaftliche Datenverarbeitung (GWDG) in Goettingen angewiesen - darunter nicht nur Studenten und Mitarbeiter der Universitaet, sondern auch Angestellte von insgesamt fuenf angeschlossenen Max-Planck-Instituten. Sie sollen weiter ungestoert im Dialog- und Batchbetrieb arbeiten koennen, wenn sich das Wissenschafts-RZ aus seiner 3090-Mainframe-Welt zurueckzieht, um auf einen Workstation-Cluster von Digital Equipment zu wechseln.

"Wir koennen nicht von heute auf morgen den Grossrechner abschalten", stellt Projektleiter Eckhard Handke klar. "Wir muessen einen fliessenden Uebergang schaffen, indem wir bestimmte Kapazitaeten in Form aneinandergekoppelter Workstations vorhalten." Ziel seines Rechenzentrums sei es, die bisher gueltige "Universalrechner-Philosophie", die vor allem aus Kostengruenden nicht mehr zeitgemaess sei, durch das "Konzept einer verteilten, kooperativen Datenverarbeitung" abzuloesen.

In Cluster-Konfigurationen liessen sich verschiedene Aufgaben auf diverse Rechner verteilen. Eingebundene Systeme koennten als "Ueberlaufstationen" fungieren, wenn Arbeitsplatzrechner in den Fachbereichen vor Ort zu stark belastet wuerden.

Cluster besteht aus diversen Unix-Rechnern

Im Zentrum des Rechnerverbundes stehen kuenftig zunaechst acht Workstations der Alpha-AXP-Familie von Digital Equipment, die unter dem Betriebssystem OSF/1 laufen werden. Vorerst installiert die GWDG die Rechnermodelle 3000-500, spaeter werden diese durch noch modernere Systeme der Reihe 3000-800 abgeloest. Der Cluster, der als Dialog- und als Fileserver den Kern der kuenftigen RZ- Datenverarbeitung darstellen soll, wird jedoch keineswegs nur aus DEC-Rechnern bestehen. Etwa genauso viele Unix-Systeme anderer Hersteller, darunter IBM und Sun Microsystems, sollen langfristig integriert werden.

"Die Universalrechner-Philosophie, nach der ein Rechner alles macht, wird in den naechsten zehn Jahren verschwinden", prophezeit Handke. Im Universitaetsumfeld, wo schon jetzt in vielen Abteilungen Workstations und High-end-PCs vorgehalten wuerden, zeichne sich diese Entwicklung besonders klar ab. Dennoch sei eine zentrale Kontrolle und Verwaltung der verteilten DV-Landschaft weiterhin zweckmaessig. Mainframes sind laut Handke schon bald ein Anachronismus - der Unterhalt werde zu teuer, und die Upgrade- Kosten seien kaum noch zumutbar. Vernetze seine DV-Gesellschaft mehrere kleinere Maschinen, so koenne sie "modular upgraden". Ohne das Gesamtsystem negativ zu beeinflussen, lasse sich ein neuer Unix-Rechner dort einbinden, wo er gerade benoetigt werde.

Dass in der GWDG eine Reihe verschiedener Unix-Varianten laeuft - AIX, Ultrix, OSF/1, SunOS und Sun-Solaris sind im Einsatz - bereitet Handke wenig Kummer. Die Benutzer haetten kaum Schwierigkeiten, da die Oberflaechen sehr aehnlich seien. Ausserdem existiere ein recht umfangreiches gemeinsames Subset von Systemkommandos. Zwar gebe es auf den einzelnen Systemen sehr unterschiedliche Compiler-Optionen, aber auch dieses Problem lasse sich durch die Einhaltung bestimmter Uebersetzungsregeln bewaeltigen.

Schwieriger gestalte sich die Verwaltung der Unix-Derivate durch den Administrator, der mit unterschiedlichen Konfigurationsverfahren und File-Systemen sowie mit einem jeweils anderen Handling zurechtkommen muesse. Um diese Aufgaben zu erleichtern, habe sich die GWDG fuer den Einsatz der Verwaltungssoftware "DEC Athena" entschieden, die von ihrer Funktionalitaet her vergleichbar mit der Distributed Management Environment (DME) von der Open Software Foundation (OSF) sei.

Die vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) sowie den Herstellern Digital Equipment Corp. und IBM entwickelte Software, die zur Zeit ausschliesslich von DEC kommerziell vermarktet wird, dient der zentralen Verwaltung einer Vielzahl von Workstations und PCs. Die Rechner sind in verteilten DV-Umgebungen miteinander verbunden. Peter Heine, DEC-Consultant fuer den Bereich Forschung und Lehre, zaehlt das Einspielen neuer Releases, das Updating von Programmen, Sicherungsfunktionen und die Uebermittlung von Nachrichten zu den wichtigsten Aufgaben der System-Management- Software.

Ihren Wechsel in die Unix-Welt vollzieht die GWDG fliessend: Die Grossrechneranwendungen werden komplett in die neue Unix-Umgebung uebertragen. Handke sieht darin jedoch kein allzu grosses Problem: "Es handelt sich im wesentlichen um selbstentwickelte wissenschaftliche Fortran-Anwendungen, die mit nicht allzu grossem Aufwand zu portieren sind."

Wehrtechnik-Firma setzt voll auf Standardsoftware

Ausufernde DV-Kosten waren auch bei einem hessischen Unternehmen aus der Wehrtechnik ausschlaggebend fuer die Entscheidung, seine Grossrechnerinstallation komplett auszumustern. Die Datenverarbeitung sei in der Vergangenheit ueberdimensioniert gewesen, raeumt ein Mitarbeiter ein. "Solange es der Firma gut ging, war das aber kein Problem." Doch die goldenen Zeiten seien vorueber. "Aufgrund der wirtschaftlichen Situation in der Wehrtechnik muessen wir neue Organisationsformen im Unternehmen finden und zudem die Informatikkosten drastisch senken", erklaert der DV-Chef. Hinzu komme der dramatische Personalabbau in seinem Unternehmen, der ganz neue DV-technische Moeglichkeiten eroeffne.

Die Konsequenzen sind einschneidend. Fuer eine "sanfte Migration" in die neue Welt und eine Portierung der bestehenden Anwendungen hat das Unternehmen keine Zeit mehr. "Wir werfen alle unsere bestehenden Systeme weg und steigen komplett auf eine Standardsoftware-Umgebung im DEC-Umfeld um", schildert der DV- Verantwortliche.

"Wir hatten eine IBM-3090 im Einsatz und waren in dieser Umgebung recht weit fortgeschritten", erzaehlt ein anderer Mitarbeiter, der sich und seine Firma als "publikumsscheu" bezeichnet und daher ebensowenig wie der DV-Chef namentlich genannt werden moechte. Diverse Standardsoftware-Produkte von der SAP waren ebenso im Einsatz wie Eigenentwicklungen und eine stark modifizierte Version der PPS-Software Copics von der IBM.

Als die anhaltende Rezession und der weltweite Trend zur Abruestung das Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten brachten und Entlassungen im grossen Stil notwendig wurden, sah sich das Unternehmen gezwungen zu handeln. Die Datenverarbeitung wurde im Rahmen eines Outsourcing-Projektes fuer einen befristeten Zeitraum an ein Genossenschafts-Rechenzentrum vergeben, um genuegend Zeit fuer die Umstellung der DV auf eine Midrange-Systembasis zu finden. Diese besteht aus einer DEC-Alpha-Rechnerumgebung auf der Basis von Open-VMS. SAP-Software kommt nicht laenger in Frage, denn, so die Begruendung: "Nur wer Zeit und Geld hat, kann sich diese Software leisten."

Dennoch setzt das Unternehmen kuenftig voll auf Software von der Stange. Fuer die Fertigungssteuerung wird das PPS-System "Piuss-O" von der Berliner PSI GmbH eingesetzt. Standardsoftware fuer das gesamte Rechnungswesen liefert die it Infotechnik GmbH, Muenchen. Zwar machen die vorhandenen Strukturen und die Forderungen der Auftraggeber umfangreiche Modifikationen der Standardsoftware notwendig, doch rechnen die Hessen trotzdem damit, die kaufmaennische DV noch bis zum Jahresende und die technische bis zum April 1994 umstellen zu koennen.

Bei der Auswahl der Hardware war fuer kurze Zeit auch die AS/400 von IBM als Mainframe-Ersatz im Gespraech, erlaeutert der Mitarbeiter. "Wir sind dann aber aus finanziellen Gruenden zu DEC gegangen. Bei der IBM zahlt man bekanntlich immer fuer den Namen mit." Hinzu komme, dass im Bereich der technischen Datenverarbeitung bereits DEC-Rechner im Einsatz seien und dass der Service preiswerter als bei der IBM sei, ohne qualitativ minderwertig zu sein.

Berliner Polizei: Sorgen bereitet das Netzwerk

Geht beim hessischen Ruestungsunternehmen das Downsizing-Projekt Hand in Hand mit einem konzernweiten Schrumpfprozess, so hat die Berliner Polizei Sorgen, die eher im Wachstum der Behoerde und ihrer Aufgabenfelder begruendet sind. "Strafverfolgung ab 1994 gefaehrdet", titelte die "Berliner Zeitung" am 17. September dieses Jahres und wies auf die Gefahr eines netzweiten DV-Infarktes hin.

Anlass zur Sorge geben die eingeschraenkten Moeglichkeiten der Datenkommunikation. Die Behoerde betreibt ein veraltetes Terminalnetz von der Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG, in das neben dem BS2000-Host eine Reihe von Netzknotenrechnern eingebunden ist, die dem Stand der Technik nicht mehr entsprechen.

Die Unruhe bei den Beamten ist gross, denn Siemens-Nixdorf uebernimmt fuer die Ersatzteilbeschaffung dieser Rechner ab September 1994 keine vollstaendige Garantie mehr.

"In unserem Netz werden noch Komponenten aus den 70er Jahren betrieben", beschreibt Abteilungsleiter Wolfgang Roppel die Notlage der Berliner Polizei. Zwar sei es insofern modern, als es rechnerunabhaengig und "sich selbst administrierend" arbeite, doch alte Netzknoten, fuer die es schon bald keine Wartungsgarantie mehr gebe, stellten sich mehr und mehr als Zeitbombe heraus. "Wenn ein solches System ausfaellt, steht ein Fuenftel der Stadt Berlin polizeilich ohne Informationsbasis da", so der leitende Kriminaldirektor. "Dann ist keine Fahndung mehr moeglich."

Schwierigkeiten macht der direkte Zugriff auf polizeinotwendige Daten, wie sie beispielsweise beim Bundeskriminalamt, bei der Kfz- Zulassungsstelle in Flensburg oder auch beim staedtischen Einwohnermeldeamt vorliegen. Diese Kommunikationsfunktionen werden kuenftig von den neuen Workstations uebernommen. Unterschiedliche Rechnerkonfigurationen in den Polizeiwachen vor Ort sollen dies ermoeglichen.

Nach und nach wird so die komplette Datenfernuebertragung auf die Unix-Systeme verlagert. Bereits im letzten Jahr hatte Siemens- Nixdorf den Zuschlag fuer ein auf Ostberlin beschraenktes Teilprojekt erhalten. Ein offenes Netz mit interner Administrationstechnik auf Siemens-Produktbasis wurde eingerichtet. Leitungssteuerung und Ueberwachung lassen sich nun netzintern vollziehen, der Host ist - zumindest als Netz-Server - entbehrlich geworden.

In einem zweiten Schritt wird nun auch das Westberliner Netz erneuert. Die Ausschreibung gewann Unisys . "Als Generalunternehmer macht Unisys fuer Westberlin, was die Firma Siemens-Nixdorf im vergangenen Jahr in Ostberlin getan hat: ein offenes Netz mit einer neuen Administrationstechnik implementieren", erlaeutert Roppel. Innerhalb der naechsten drei Jahre werde Unisys rund 600 Arbeitsplaetze - ueberwiegend alphanumerische Terminals, zum Teil aber auch X-Terminals und PCs - vernetzt installieren. Das Projekt habe einen Gesamtwert von rund sieben Millionen Mark.

Waehrend also die Kommunikation weitgehend in die Unix-Welt verlegt wird, bleibt die Vorgangsbearbeitung zunaechst dem BS2000-Host vorbehalten. Dazu zaehlen etwa Sachbearbeitungsaufgaben wie das Ausfuellen von Anzeige- und Fahndungsformularen. Doch auch hier fasst die Behoerde einen vollstaendigen Umstieg in die offene Welt ins Auge. "Die Laender Brandenburg und Berlin sind zur Zeit dabei, gemeinsam ein Abloeseverfahren zu planen", kuendigt Roppel an.

Die Grossrechnerwelt werde sukzessive abgebaut. Die Unix-Rechner sollten als Front-end-Systeme in den Wachen stehen und dort langfristig nicht nur fuer Aufgaben im Bereich der logischen Vorverarbeitung und der Datenkommunikation zustaendig sein. Teile der Software-Entwicklung wuerden auf Dauer ebenfalls auf diese Rechner verlagert. "Die Technik, die jetzt als neue Transportebene geschaffen wird", so Roppel, "soll kuenftig auch genutzt werden, um eine verbesserte Vorgangsbearbeitung betreiben zu koennen und vielfaeltige Zusatzfunktionen zu ermoeglichen."

Heinrich Vaske