Der Markt für Enterprise-Content-Management

Der ECM-Markt: Mit Insellösungen gegen die Datenflut

27.09.2006
Der Markt für ECM-Lösungen wächst stetig. Treiber sind rechtliche Anforderungen sowie hohe Prozesskosten, die eine effizientere Dokumentenverwaltung unumgänglich machen.

Anders als in den europäischen Nachbarländern ist der deutsche Markt für Dokumenten- und Content-Management-Systeme (DMS/CMS) seit jeher stark fragmentiert. Für Unternehmen, die Dokumente erfassen, verwalten, bearbeiten, verteilen und (revisionssicher) archivieren müssen, bedeutet dies, zwischen vielen Dienstleistungen, Produkten und Techniken unterscheiden zu müssen. Neuere Schlagworte wie "Information-Lifecycle-Management", die Speicherhersteller ins Marketing-Feld führen, machen die Orientierung nicht leichter. Das Gleiche gilt für den von Herstellern und Analysten beworbenen Ansatz eines Enterprise-Content-Managements (ECM). Dieser will Kernaufgaben und Prozesse in der Dokumentenverwaltung über eine Softwareplattform vereinen, konnte sich aber bisher kaum durchsetzen (siehe Grafik Seite 72: "ECM umfasst je nach Daten…").

Für den bescheidenen Erfolg von ECM sind nicht zuletzt die Anbieter verantwortlich, da sie entgegen ihren Versprechen immer noch mit dem Aufbau/Zusammenkauf und der Integration solcher umfassenden Lösungen beschäftigt sind. Zum anderen fehlt es Kunden meist an einer entsprechenden unternehmensübergreifenden Strategie - mit dem dazugehörigen Budgets.

Top 10: ECM-Software Westeuropa (Deutschland)

(Marktanteile 2005 nach Umsatz)

  1. Open Text 20,3 (31,6)

  2. IBM 14,8 (13,7)

  3. EMC Documentum 12,5 (9,8)

  4. FileNet 9,5 (12,9)

  5. Hummingbird 8,5 (-)

  6. Vignette 4,3 (–)

  7. Intervowen 3,8 (-)

  8. Stellent 2,1 (-)

  9. Mobius 1,9 (-)

  10. Microsoft 1,4 (-)

In Deutschland liegt die Easy Software AG mit einem Marktanteil von sieben Prozent auf Platz fünf der ECM-Anbieter. Quelle: Gartner

90 Prozent ohne ECM

"90 Prozent aller mittelständischen Unternehmen haben keine ECM-Lösung, und auch von den Großunternehmen schöpfen vielleicht drei bis fünf Prozent das Potenzial solcher Systeme tatsächlich aus", bestätigt Jürgen Biffar, Vorstand des Anbieters Docuware aus Germering.

Teillösungen für das Dokumenten-Management dominieren hierzulande: Typischerweise beginnen mittelständische Firmen mit dem Aufbau einer Archivlösung für die kaufmännische Buchhaltung. Dann folgen Lösungen für den Vertrieb, die Personal- und die technischen Abteilungen. Die Nutzung beschränkt sich oft auf ein reines Abrufen von Dokumenten, während Workflows sich erst langsam durchsetzen. Gründe hierfür sind die hohe Komplexität und die Kosten, die der Aufbau umfassender Abläufe mit sich bringt. Ein guter und derzeit favorisierter Ansatz ist es dabei, mit überschaubaren und vertrauten Prozessen wie der Rechnungseingangsbearbeitung anzufangen. Welche Einsparungen die Digitalisierung von Rechnungen zur Folge hat, zeigt auch bei deren Versand: So verschenkt die deutsche Wirtschaft nach Berechnungen des Anbieters Basware jedes Jahr vier Milliarden Euro bei der Übermittlung von Rechnungen. Von den über sechs Milliarden Rechnungen, die jährlich in Unternehmen anfallen, würden mehr als zwei Drittel auf dem Postweg zugestellt.

Die nach Maßstäben eines ECM noch bescheidenen Unternehmenslösungen sind indes kein Grund für Trübsal in der Branche: "Die Nachfrage nach DMS-Software war nie schlecht, ob nun zu Krisenzeiten oder in Hype-Phasen", behauptet Docuware-Vorstand Biffar. Es gab und gibt starke Gründe dafür, die Dokumentenverwaltung in den Griff bekommen zu müssen und entsprechende Software und Dienstleistungen einzukaufen: Bisherige Papierarchive, Druck und manuelle Abläufe verursachen hohe Kosten, wichtige Informationen lassen sich nur schwer finden, bearbeiten und weiterleiten, es fehlen Prüfroutinen und eine strukturierte Ablage, wichtige Daten werden nicht sicher verwahrt.

E-Mail-Massen und Gesetze

Für die nächste Zeit sind es vor allem zwei große Themen, die Unternehmen ernst nehmen müssen: Der Umgang mit geschäftlichen E-Mails und die rechtskonforme Speicherung und Archivierung von Dokumenten. Letzterer Aspekt ist eigentlich ein Dauerbrenner, gewinnt aber durch die Gesetzesvorschriften der letzten Jahre und die elektronische Steuerprüfung an Brisanz. Nicht nur Anwender, sondern auch Berater und Hersteller sind von den Regelwerken manchmal überfordert. Das trifft auch auf die Verwaltung der elektronischen Post zu, die zunehmend aufbewahrungswürdige oder aufbewahrungsrelevante Dokumente generiert. Statt den Mail-Verkehr in die Geschäftsprozesse zu integrieren, haben viele Anwender bisher dem Mail-Server zur Entlastung lediglich eine Archivlösung zur Seite gestellt.

Welches Volumen der deutsche ECM-Markt hat und wie gesund, sprich: profitabel seine Anbieter sind, ist allerdings kaum verlässlich zu sagen. Viele Firmen sind nicht börsennotiert oder weisen wie IBM und Oracle ihre Umsätze nicht detailliert aus. Hinzu kommt die Frage, welche Teildisziplinen bei einer Bewertung eingerechnet werden müssen. Ein Beispiel: Laut Schätzungen der Berater von Zöller & Partner für das Jahr 2004 besaß der deutsche Markt ein Gesamtvolumen zwischen 900 Millionen Euro und 1,1 Milliarden Euro. Dabei sei vor allem im Mittelstandsgeschäft ein überproportionales Wachstum zu erkennen. Die Analysten von Gartner hatten hingegen den ECM-Markt wesentlich enger definiert (oder konservativer geschätzt) und für das Jahr 2004 eine Volumen von 157,5 Millionen Dollar errechnet. Enthalten darin sind Lizenzeinnahmen, Wartung und Support. Im letzten Jahr stiegen die Umsätze laut Gartner nochmals um 10,1 Prozent auf nun 173,4 Millionen Dollar.

Weltweite Steigerung

Als weitere Indikatoren zur Beurteilung der Marktverhältnisse im ECM-Markt können die weltweiten Umsätze und Trends herhalten. Danach konnten die Hersteller laut Gartner ihre Einnahmen im vergangenen Jahr weltweit um 10,7 Prozent steigern. Dies entspricht einem Marktvolumen von 2,25 Milliarden Dollar. Dabei erhöhten sich die Lizenzumsätze um acht Prozent, die Einnahmen aus Wartungsverträgen gar um 14 Prozent. Insgesamt fallen jedoch die Lizenzpreise, was aber bisher unter dem Strich dank höherer Benutzerzahlen kompensiert werden konnte, berichtet Gartner-Analyst Tom Eid. Allgemein steige weltweit nicht nur die Nachfrage nach klassischen DMS-Funktionen. Vielmehr belebe sich der seit einigen Jahren schrumpfende Markt für Web-Content-Management (WCM) wieder, da Unternehmen alte Systeme ablösen. Ebenso seien Lösungen für die Rechteverwaltung (Digital-Rights-Management) und Records-Management stärker gefragt, und es zeichne sich eine Konsolidierung von Speichersystemen bei Anwenderunternehmen, da bei diesen mit den Jahren ein Medienmix entstanden sei.

Gedränge ohne Verdrängung

Etwa 51 Prozent der weltweiten Lizenzumsätze entfielen 2005 auf die Anbieter EMC/Documentum, IBM, Filenet und Open Text. Diese sind laut Gartner auch in Deutschland führend und konnten hier 69 Prozent Gesamtumsatz für sich verbuchen. Erst an fünfter Stelle folgt mit Easy Software ein lokaler Anbieter mit immerhin sieben Prozent Marktanteil. Die Übernahme des ECM-Anbieters Hummingbird durch den Konkurrenten Open Text, die bei Redaktionsschluss als ausgemacht galt, sowie der vor kurzem angekündigte Kauf von Filenet durch IBM geben ein Beispiel für das raue Klima auf dem internationalen Parkett: Rund 40 Käufe und Fusionen soll es laut Gartner seit 2002 gegeben haben.

Ein Kampf von Groß gegen Klein findet aber zumindest hierzulande bisher nur begrenzt statt. Trotz der genannten ECM-Marktführer und aktiver Größen wie SAP oder Oracle sowie künftig auch Microsoft, finden sich noch viele kleinere, oft nach Branchen ausgerichtete Anbieter sowie Dienstleister (etwa im Druck-Management). Kenner sehen einen Grund hierfür in der Kundennähe, die diese Hersteller bieten können.

Allerdings herrscht unter den in Deutschland aktiven Anbietern alles andere als ein beschauliches Mit- und Nebeneinander. Vielmehr konkurrieren sie hart darum, möglichst schnell neue ECM-Funktionen anbieten zu können: ob nun durch eigene Entwicklungen, Partnerschaften oder Zukäufe. Übernahmen wie die von Red Dot Solutions durch Hummingbird, der Schweizer Solitas Informatik durch Soft M oder die Fusion von Beta Systems mit Kleindienst Datentechnik sind Beispiele. Und der Druck im Markt steigt: Vor allem Unternehmen, die bisher wenig Erfahrung mit umfassenden ECM-Lösungen und Archivierung haben, wenden sich zunehmend zunächst an Speicherhersteller oder Anbieter von ERP-Software statt an die DMS-Spezialisten.
von Sascha Alexander (Redakteur bei der Computerwoche)