T-Systems-Chef Reinhard Clemens

"Der Cloud-Markt ist noch nicht verteilt"

13.06.2012 von Joachim Hackmann
Google und Co. sind im Cloud-Markt mitnichten enteilt, sagt T-Systems-Chef Reinhard Clemens im Gespräch mit CW-Redakteur Joachim Hackmann.
Reinhard Clemens, T-Systems: Anbieter wie Salesforce und Google kümmern sich nicht um Interoperabilität. Diese Rolle können wir in Deutschland besetzen.

CW: US-Provider besetzen mit Nachdruck das weltweite Cloud-Geschäft. Welche Rolle kann T-Systems hier noch spielen?

Clemens: Im Cloud-Umfeld sind die Würfel noch lange nicht gefallen. Nur weil es Firmen wie Google und Facebook gibt, sind die Märkte nicht abschließend verteilt. Kein Cloud-Provider wird Kunden alles anbieten können, es wird Raum für viele Spezialisten geben. Die große Frage wird sein: Wer stellt für den Kunden sicher, dass die einzelnen Dienste interoperabel sind, dass die Speicherformate zueinander passen, dass sich die Dienste untereinander verbinden lassen? Wer garantiert Kunden den Zugriff auf eigene Daten im Falle einer Insolvenz des Anbieters? Hier können wir am Standort Deutschland einiges bewegen. Deshalb engagieren wir uns auch in der Forschungsunion des Bundesforschungsministeriums.

CW: Das klingt nach gründlicher deutscher Ingenieursplanung, der Markt wird aber kaum auf Datenformate der Forschungsunion warten.

Clemens: Wir reden nicht über Datenformate, sondern über Interoperabilität. Anbieter wie Salesforce und Google tun das nicht. Diese Rolle können wir in Deutschland besetzen. Wir haben uns aus der IT-Welt lange herausgehalten, mit Cloud haben wir die Möglichkeit, ein Klima zu schaffen, in der IT aus Deutschland wieder eine Rolle spielt. Das können wir schaffen, wenn wir die Themen Cloud-Integration und Datenschutz als weltweiten Standortvorteil ins Spiel bringen.

CW: Dazu haben Sie vor zwei Jahren auch die deutsche Cloud ins Gespräch gebracht. Das Vorhaben war stets umstritten …

Clemens: … und hat gut funktioniert.

CW: Mit Einschränkung, sogar die Deutsche Telekom wirbt heute mit weltweit verteilten Rechenzentren.

Clemens: Security ist ein zentrales Thema, selbst die CeBIT steht unter dem Motto "Managing Trust". Was ist also von der ursprünglichen Idee nicht übrig geblieben?

CW: Der nationale Aspekt.

Clemens: Die deutsche Cloud verdeutlicht, worauf es ankommt: Datenschutz, Sicherheit und Transparenz der Datenhaltung. Betreiber sind dem lokalen Recht verpflichtet, und der deutsche Datenschutz räumt uns einen strategischen Vorteil ein.

Privat- und Geschäftskundensegmente verschmelzen

Reinhard Clemens, T-Systems: Durch Cloud Computing verschwimmen die Grenzen. Wir sind eine Company und bieten ein Portfolio vom Großkunden bis zum Privatkunden an.

CW: Wie richtet die T-Systems ihr Portfolio darauf aus?

Clemens: Wir setzen auf die Virtualisierung. Sie erlaubt es der Telekom, das Portfolio in alle Richtungen auszudehnen. Mit ihr können wir sowohl dynamische SAP-Services für Großkunden als auch virtuelle Server für Privatkunden betreiben. Wir bieten heute bereits Lösungen an, die gegenüber Amazon wettbewerbsfähig sind.

CW: Wollen Sie in den Preiswettbewerb mit Amazon einsteigen?

Clemens: Nein, unser Angebot stellt mehr Service bereit. Wir sprechen hier aber nicht über ein T-Systems-, sondern über ein Telekom-Thema. Der Konzern treibt die Cloud-Angebote insgesamt voran. Die Telekom hat den Marktzugang zu den privaten und mittelständischen Kunden. T-Systems ist Europas Nummer eins im IT-Servicemarkt, die Telekom bedient den Privatkunden genauso wie den Mittelstand.

Es gibt drei Themen, die den IT-Markt künftig dominieren: Realtime, Mobilität und always-on. Die Zeiten der Batch-Verarbeitung sind endgültig vorbei. Wenn Unternehmen Daten in Echtzeit verarbeiten, brauchen Sie dynamische Rechenkapazitäten und zentrale Speicherressourcen. Und die können sie aus der Trusted Cloud beziehen. Durch den Trend zur Mobilität werden Desktops, Laptops und Notebooks verschwinden. Die Zukunft gehört den virtuellen Desktops. Zur Gesamtlösung gehört schließlich ein permanent verfügbares Netz inklusive Quality of Services. Wenn Unternehmen in einer Virtual-Desktop-Umgebung arbeiten, sind sie auf leistungsstarke und zuverlässige Netze angewiesen. Die Deutsche Telekom ist ebenso Telekommunikations- wie IT-Konzern. Sie hat eine damit ungleich bessere Position als Anbieter, die in einer solchen Umgebung nur Baukästen liefern.

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Die Geschichte der Telekom
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Zur Mobile World 2011 ...
... präsentiert die Telekom ihren ersten LTE-Stick.
2008:
Fehltritt mit Folgen – Manfred Balz tritt als erster Vorstand für Datenschutz, Recht und Compliance der Telekom sein Amt an.
Anja Feldmann:
Feldmann leitet seit 2006 den Lehrstuhl für „Intelligent Networks“ und „Management of Distributed Systems“ der Deutsche Telekom Laboratories, einem An-Institut der Technischen Universität Berlin. Sie erhält den Leibnitz-Preis für ihre Konzepte eines Internet 2.
2007:
Friedrichshafens Oberbürgermeister Josef Büchelmeier, Ferdinand Tempel, Leiter T-City Repräsentanz und Bereichvorstand Technik T-Home Friedrich Fuß freuen sich über die Auswahl von Friedrichshafen als T-City.
2006:
Nach Kai-Uwe Ricke soll der ehemalige T-Online-Manager René Obermann Ordnung in das Telekom-Geschäft bringen.
Am 1. Januar 2005 ...
startete die LKW-Maut, an deren Realisierung T-Systems maßgeblich beteiligt war.
Von 2002 bis 2006 ...
steuerte Kai-Uwe Ricke als Telekom-Vorstand die Geschicke des Unternehmens.
2000:
Der schicke Robert T-Online wirbt für den Börsengang des gleichnamigen Telekom-Ablegers. Für die Anleger am Ende eine Pleite. Insofern wäre ein Pleitegeier wohl das bessere Symbol gewesen.
1998:
Die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation – heute Bundesnetzagentur – die in diesem Gebäude in der Bonner Tulpenallee residiert, nimmt ihre Arbeit auf und sollte der Telekom noch viel Ärger bereiten.
1996:
28,50-DM-Mann (so hoch war der Aktienpreis für Privatanleger) Ron Sommer zieht als CEO den ersten Börsengang der Telekom durch.
Tim Berners Lee:
Der Erfinder des World Wide Web, das ab Anfang der 90er seinen Siegeszug antrat und auch das Geschäft der Telekom mit DSL-Anschlüssen beflügelte.
Start des D1-Netzes 1992:
Dieser Chip machte es möglich, über D1 zu telefonieren
Erst 1966 ...
wurde die letzte Handvermittlungsstelle auf automatisierten Betrieb umgestellt. Das Fräulein vom Amt starb aus.
1965:
Telefonieren auch in die USA über den Satelliten Early Bird.
1961:
Für heutige Verhältnisse gigantisch mutete das erste Telefon für das A-Netz an, das 1958 startete.
1904 ...
installierte Quante in Berlin die erste Telefonzelle
1877 ...
funktionierte in Berlin das erste Telefon, hergestellt von Siemens.

CW: Andere Anbieter arbeiten auch an durchgängigen Services, beziehen aber auch das Endgerät mit ein, nicht umsonst besetzen Google, Apple und Amazon den Client-Markt.

Clemens: Gehen sie da mal und fordern bestimmte Verfügbarkeiten ein. Fragen Sie mal nach, wo Ihre Daten sind.

CW: Die Provider verbessern permanent ihre Angebote.

Clemens: Für uns ist wichtig, dass wir für jeden Kunden ein adäquates Produkt im Portfolio haben. Mit einem Marktplatz geben wir dem professionellen Anwender die Auswahl unter unterschiedlichen Lösungsanbietern und Produkte. Wir vereinbaren mit den Lösungspartnern Regularien und ergänzende Services. Dazu gehört auch die Transparenz darüber, wo die Daten gehostet werden. Die Sicherheitsanforderungen gestalten wir je nach Anforderungen der Kunden, eine Bäckerei hat anderes Bedürfnis als ein Maschinenbauer aus dem gehobenen Mittelstand.

Das Leistungsspektrum decken Telekom, T-Systems und Strato gemeinsam ab. Wir können eine hochskalierbare Umgebung anbieten, die dem deutschen Datenschutz entspricht.

CW: Bislang war T-Systems ausschließlich für die Geschäftskunden zuständig. Ist das jetzt hinfällig?

Clemens: Durch Cloud Computing verschwimmen die Grenzen. Wir sind eine Company und bieten ein Portfolio vom Großkunden bis zum Privatkunden an.

CW: Also könnten Ihre Key-Accounter künftig auch als Telekom-Mitarbeiter zum Großkunden gehen.

Clemens: Prinzipiell schon, nun haben wir uns aber insbesondere im Ausland auch einen Brand erarbeitet, den wir nicht leichtfertig aufgeben werden. Wir sind die Deutsche Telekom.

CW: Firmenkunden werden ihre Cloud-Plattform kaum mit Millionen Privatkunden teilen wollen.

Clemens: Nein, so wird es nicht sein, deshalb trennen wir die Plattformen.

Das Portfolio wird ausgedünnt

Reinhard Clemens, T-Systems: Dienste, die uns nicht vom Wettbewerb unterscheiden, werden wir künftig zusammen mit Partnern anbieten. Das betrifft gar nicht so sehr die Dienste im Infrastruktursegment, sondern eher den Systemintegrationsbereich.

CW: Ein Blick auf die aktuellen Geschäftszahlen zeigt nur geringes Wachstum. Was ist der Grund?

Clemens: Der interne Umsatz mit der Telekom reduziert sich, das externe Geschäft hat sich mit dem Markt entwickelt, und das ist in Ordnung.

CW: Auffallend waren Schwächen in den Desktop-Services.

Clemens: Die Margen im Desktop-Geschäft sind überall unter Druck. Wir werden hier etwas verändern und unter anderem verstärkt auf Desktop-Virtualisierung setzen. Intern arbeiten wir daran, wie wir diesen Geschäftszweig, der ja sehr lokal betrieben wird, anders und profitabler aufstellen werden. Ich möchte den Ergebnissen aber nicht vorgreifen. Wir werden die Services weiter anbieten, mit anderen Lieferstrukturen etwa über Partner.

CW: In einem Telefonat mit Analysten hat T-Systems kürzlich angekündigt, nicht-strategische Portfolio-Elemente auslaufen zu lassen. Welche sind das?

Clemens: Wir brauchen eine klare Botschaft für unsere Kunden: Wofür steht T-Systems, was machen wir? Warum soll der Kunde gerade uns anrufen? Unter diesen Aspekten gibt es einige Themen im unserem Portfolio, in denen wir besser als andere Provider positioniert sind. Die werden wir intensiver vorantreiben und ausbauen. Andere Dienste, die uns nicht vom Wettbewerb unterscheiden, werden wir künftig zusammen mit Partnern anbieten. Das betrifft gar nicht so sehr die Dienste im Infrastruktursegment, sondern eher den Systemintegrationsbereich.

Cloud-Portfolio
Application-Performance-Management
Mit seinem Application Performance Management hilft T-Systems seinen Kunden dabei, auch im Zeitalter überlasteter Netze schnelle Antwortzeiten von den Anwendungen zu erhalten.
Cloud-Readiness-Assessment
Das Cloud Readiness Assessment gehört zu den Cloud Readiness Services von T-Systems und trägt zur ganzheitlichen Cloud Computing Beratung bei.
Dynamic-Services-Collaboration
Die Dynamic Services for Collaboration sind das Pendant von Microsoft Office 365 in der T-Systems Cloud.
Dynamic-Services-for-Infrastructure
FIT4DCS
Mit der Systemintegrationslösung Fit4DCS migiert T-Systems die Anwendungslandschaften seiner Kunden auf sein Cloud Computing Plattform.
Mobile_Enterprise_Service
Die Welt wird immer mobiler und der Durchbruch der Mobile Cloud steht kurz bevor. Mit seinen Mobile Enterprise Services hilft T-Systems seinen Kunden dabei auch das mobile Zeitalter mit dem Cloud Computing zu verbinden.

CW: Wollen Sie das Projektgeschäft neu aufstellen?

Clemens: Wir legen gerade fest, welche Industrien und welche horizontalen Services wir stärken werden: Wir sind beispielsweise der größte SAP-Provider weltweit, gemessen an der Anzahl der von uns betreuten Installationen. Wir sind im Automotive-Segment einer der stärksten Projektdienstleister und haben dort enormes Know-how. Zu den horizontalen Themen im Fokus zählen etwa die Echtzeitdatenverarbeitung von Big Data mit HANA, Toll Collect, Telekommunikation und RFID.

CW: Welche Elemente werden Sie aussortieren?

Clemens: Wenn Kunden ein Personalabrechnungssystem von uns wollen, dann werden wir uns das künftig überlegen. Das können andere besser machen. Gleiches gilt für Angebote, mit denen wir uns nicht vom Wettbewerb unterscheiden können.