ITler in der Luft- und Raumfahrt

Der besondere Kick

23.02.2013 von Peter Ilg
In Flugzeugen muss die Software Jahrzehnte halten, und die Anforderungen an Sicherheit sind enorm. Damit sind die IT-Aufgaben in der Regel sehr anspruchsvoll. Der Bedarf an Informatikern in der Branche wächst.
In der Luft- und Raumfahrttechnik werden zunehmend Informatiker gesucht.
Foto: jarma/Fotolia.com

Flugzeugtriebwerke sind technologische Spitzenprodukte mit langem Lebenszyklus. Der liegt zwischen 30 und 50 Jahren. In diesem Zeitraum starten und landen die Flugzeuge rund 25.000-mal und sind gut 100.000 Stunden in der Luft. Die Entwicklung eines kompletten Triebwerks dauert etwa 15 Jahre und kostet Milliarden Euro. Das kann sich kein Unternehmen leisten. Deshalb arbeiten an einem Triebwerk unterschiedliche Hersteller zusammen, aus den einzelnen Komponenten entsteht der Antrieb. Dazu gehören Luftschaufeln, Verdichter, Brennkammer und Turbine. Bei Niederdruckturbinen ist MTU Aero Engines, München, Weltmarktführer. Das größte Passagierflugzeug, der Airbus A 380, bekommt seinen Schub aus Antrieben, an denen MTU beteiligt ist. Die vier Triebwerke des Großraumflugzeugs saugen pro Sekunde 1,5 Tonnen Luft an.

Die Münchner sind auch an Triebwerkskonzepten der Zukunft beteiligt, beispielsweise mit dem sogenannten Getriebe-Fan. In der Luftfahrtsprache ist Fan der Fachausdruck für Luftschaufeln. Die neu entwickelten Antriebe kommen in der nächsten Generation von Airbus-Mittelstreckenflugzeugen zum Einsatz.

Viele Projekte für die Forschung

Durch aerodynamische Effizienz der Strömung im Triebwerk wird eine Verbrauchsreduzierung von bis zu 15 Prozent Kerosin erreicht. In der Luft ist es nicht anders als auf dem Boden: Verbrauch und Emissionen sollen sinken. Aerodynamik wird häufig simuliert und die Produkte bei der MTU digital entwickelt. In beiden Fällen setzt das Unternehmen Informatiker ein, die ansonsten vor allem in der IT-Abteilung und projektbezogen im operativen Entwicklungsbereich beschäftigt sind.

Michael Schacher, MTU: "Wenn man die Wissenschaftler versteht, findet man auch leichter eine Lösung."
Foto: MTU

Zum Beispiel Michael Schacher. Der 35-Jährige hat an der Universität Erlangen-Nürnberg Mathematik-Informatik studiert und ist nach seinem Abschluss 2004 für seine Promotion an die Universität der Bundeswehr in München gewechselt. Im Januar 2011 hat er bei MTU in München als IT-System-Planer angefangen. Seine Aufgabe ist zweigeteilt: Auf der einen Seite geht es um Wartung und Betreuung von Software. Der andere Schwerpunkt sind Projektarbeiten für die Entwicklung. Zuletzt war Schacher an der Arbeit für virtuelle Triebwerke beteiligt. Entwickler sehen nun, wo der Platzbedarf für Treibstoffleitungen nicht mehr reicht, und Mitarbeiter in der Endmontage tun sich mit einem 3D-Modell bei ihrer Arbeit leichter als mit der zweidimensionalen Variante.

Auch in diesem Projekt war Schacher interner Dienstleister für seine Kollegen. "Sie sind technisch-wissenschaftlich ausgerichtet. Wenn man versteht, was ihr Problem ist, findet man leichter eine Lösung", sagt der IT-Profi. Ein grundlegendes Verständnis von Triebwerken sei daher hilfreich.

MTU beschäftigt im IT-Bereich etwa 170 Mitarbeiter, rund 100 davon sind Informatiker oder Mathematiker. "Wir gehen davon aus, langfristig mehr Informatiker zu brauchen. Das liegt auch an der engen Verbindung der IT-Abteilung zum Engineering", sagt CIO Erwin Pignitter. Dort wird immer häufiger Software benötigt, etwa für Simulationen oder digitale Produktentwicklung. Die Einsatzmöglichkeiten für Informatiker reichen von der Softwareentwicklung bis zum Design und Betrieb von weltumspannenden Enterprise-Management-Systemen. Neben 1300 Industrieanwendungen betreibt das Unternehmen ein Supercomputing-Rechenzentrum. "Wir brauchen Informatiker mit solider Grundausbildung, die gängige Programmiersprachen beherrschen und sich im Software- und Prozess-Design auskennen", so der IT-Chef.

Alte Sprachen sind nicht tot

"Die Systeme der Luft- und Raumfahrt werden komplexer und intelligenter. Technische Intelligenz bedeutet aber, dass immer mehr IT genutzt wird und immer mehr Informatiker in der Branche gebraucht werden", ist Peter Middendorf überzeugt. Der Professor leitet das Institut für Flugzeugbau an der Universität Stuttgart.

Peter Middendorf, Universität Stuttgart: "Die Branche benötigt immer mehr Informatiker."
Foto: Universität Stuttgart

Computerfachleute arbeiten laut Middendorf in der Entwicklung von Navigations- und Cockpitsystemen oder im Infotainment in der Kabine oder in der Instandhaltung. "Der wesentliche Unterschied zur IT in Consumer-Produkten ist, dass es in der Luft- und Raumfahrt aufgrund gesetzlicher Bestimmungen hohe Sicherheitsanforderungen gibt", so der Wissenschaftler.

Die Bologna-Reform hat die Universität Stuttgart genutzt, um das Studium der Luft- und Raumfahrttechnik mit mehr IT-Inhalten zu bereichern. Informatik mit dem Schwerpunkt Luft- und Raumfahrt gibt es dagegen nicht. Das sei auch nicht nötig, meint der Professor: "Softwarekenntnisse bringen die Informatiker mit, und branchentypische Sprachen lernen sie leicht."

Dass häufig alte Programmiersprachen wie Pascal genutzt werden, liegt an den langen Lebenszyklen der Flugzeuge. Als interessante Fortbildungsmöglichkeit für Informatiker, die sich in Luft- und Raumfahrt spezialisieren wollen, nennt Middendorf das Master-Studium an der Universität Stuttgart.

Keine Scheu vor neuen Technologien

Andreas Schreiber leitet die Abteilung Verteilte Systeme und Komponentensoftware am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Gut 200 Informatiker arbeiten im staatlichen Forschungszentrum.

CW: Was sind typische Aufgaben von Informatikern im DLR?

SCHREIBER: Die meisten Informatiker schreiben Individualsoftware für die Wissenschaftler an den Instituten und unterstützen so deren Forschungsarbeit. Beispiele sind Visualisierungssoftware für Flugzeuggeometrien, Betriebssysteme für Raumfahrzeuge oder Simulationssoftware. Andere beschäftigen sich mit Software-Engineering-Verfahren, also Methoden, mit denen Software im Idealfall entwickelt wird. Das sind dann Forscher im Bereich der Informatik.

CW: Brauchen Informatiker am DLR spezielle Kenntnisse, sei es in bestimmten Programmiersprachen oder Branchenwissen?

Andreas Schreiber, DLR: "Wir setzen etwa 30 unterschiedliche Progammiersprachen ein."
Foto: DLR

SCHREIBER: In einigen Fällen ja, in anderen nicht. Wir haben viele Bereiche, in denen ingenieurwissenschaftliche Kenntnisse notwendig sind, um Anwendungen dafür zu schreiben. Das setzt Branchenwissen voraus. Bei der Programmierung setzen wir etwa 30 unterschiedliche Programmiersprachen ein, die die einzelnen Mitarbeiter nicht alle kennen müssen. Am weitesten verbreitet sind C und C++, Python, Java und Matlab.

CW: Welcher Typ Informatiker passt ins DLR?

SCHREIBER: Unsere Informatiker tauschen sich intensiv mit Kollegen aus. Deshalb ist Teamfähigkeit sehr wichtig. Sie müssen den Auftrag verstehen und andererseits ihre Lösung den Anwendern erklären können. Dafür ist Kommunikationsstärke in interdisziplinären Teams vonnöten.

CW: Worauf sollten Ihre Informatiker vorbereitet sein?

SCHREIBER: Sie müssen fachlich flexibel sein, weil sich Forschungsthemen und -inhalte regelmäßig und relativ schnell ändern können. Sie dürfen auch keine Scheu davor haben, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen, weil es bei uns immer um Forschung geht. Interesse an neuen Themen sollte vorhanden sein. Das setzt Neugier voraus.

Steckbrief DLR

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist eine staatliche Forschungseinrichtung mit rund 7300 Mitarbeitern, von denen die meisten Wissenschaftler sind. Sie forschen in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Energie, Verkehr und Sicherheit. Grundlagenforschung bis hin zur Entwicklung von Produkten für morgen gehört zu ihren Aufgaben. Das DLR hat 32 Institute an 16 Standorten.

CW: Wie hoch ist das Einstiegsgehalt?

SCHREIBER: Das Gehalt am DLR richtet sich nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, dem TVÖD. Bachelor-Absolventen beginnen in den Entgeltgruppen zehn oder elf. Das sind rund 2700 Euro monatlich. Bei Absolventen mit Diplom oder Master sind es die Gruppen 13 oder 14 und damit etwa 600 Euro mehr.

Weitere Berufsbilder aus der IT

*Peter Ilg ist freier Journalist in Aalen.