Die Bologna-Reform wirbelte die klar strukturierte deutsche Hochschullandschaft durcheinander. Die meisten Universitäten verabschiedeten sich vom Diplom und bilden nun die Studenten in den zweistufigen Studiengängen Bachelor und Master aus. Viele Hochschulen nutzen die Chance des Neuanfangs und bieten einen bunten Strauss an neuen, internationalen Studiengängen. Gleichzeitig änderten die meisten Fachhochschulen ihren Namen und firmieren jetzt als Hochschule.
Trotz anfänglicher Skepsis begrüßen die meisten Unternehmen die Reform und freuen sich, dass sie die Absolventen früher ins Unternehmen holen und mehr Einfluss auf die weitere Ausbildung nehmen können. Dass in einem sechssemestrigen Bachelorstudium kein Diplom-Niveau erreicht werden kann, frustriert manche trotzdem. "Die Absolventen bringen weniger Praxiserfahrung mit", sagt Matthias Landmesser, verantwortlich für die Hochschulprogramme der IBM in Deutschland. "Ich bedauere sehr, dass die meisten Fachhochschulen das Praxissemester gestrichen haben." IBM versucht dieses Manko mit einem größeren Angebot an Praktikumsplätzen auszugleichen.
Auch die Deutsche Telekom möchte möglichst vielen Studenten einen Einblick in den Arbeitsalltag geben. "Im Bachelor-Studium sind zwölfwöchige Praktika inzwischen die Ausnahme. Wir bieten deshalb auch kürzere Praxisphasen von sechs oder acht Wochen an, damit Studenten uns als Unternehmen kennen lernen können", erläutert Peter Körner, Leiter Personalentwicklung der Telekom in Bonn. In den unterschiedlichen Unternehmenszweigen stehen bis zu 1000 Praktikumsplätze zur Verfügung. Körner hofft, dass die Studenten im Arbeitsalltag merken, dass sich das angestaubte Image der Telekom gerade wandelt. Für ihn sind Praktika auch Marketing-Instrument.
Zu kurze Praktika bringen nichts
Allzu kurz sollten die Praktikumsphasen aber nicht ausfallen, darin sind sich die Unternehmen einig. "Die Betreuung ist sehr aufwändig, und wir wollen, dass die Studenten etwas lernen. Deshalb sind vier Wochen einfach zu kurz", sagt Susanne Weber, Personalreferentin der mittelständische IT-Beratung Method Park in Erlangen.
Praktika sind ein Weg für Unternehmen, um Kontakte zu talentierten Studenten zu knüpfen, Abschlussarbeiten ein anderer. Uwe Kloos, Head of Human Resources Consulting vom Beratungsunternehmen Cirquent in München, sucht in diesem Jahr 250 neue Mitarbeiter, neben Berufserfahrenen stehen Absolventen und Junior-Consultants auf seiner Wunschliste. Darum will Cirquent mehr Themen für Bachelor- oder Master-Abschlussarbeiten im Unternehmen anbieten. Ähnliche Wege nutzt auch Fiducia in Karlsruhe. Zur dortigen Technischen Universität unterhält das Unternehmen enge Bande. "Viele Bachelor-Studenten schreiben in Zusammenarbeit mit der Fiducia ihre Abschlussarbeit. Auf diese Weise haben wir einen engen Kontakt zu den Studenten und lernen sie im Arbeitsalltag kennen. Diese Zusammenarbeit wollen wir auch mit den Master-Studenten intensivieren", sagt Jens Zimmermann, Referent der Bereichsleitung Anwendungsentwicklung bei Fiducia.
Die Ausbildungs- und Qualifizierungswege in der IT-Branche sind vielfältiger geworden. Mit den neuen Studiengängen Bachelor und Master weichen starre Grenzen zwischen Hochschulen und Unternehmen auf. Immer mehr Firmen unterstützen ihre Mitarbeiter, wenn sie nach einigen Jahren im Job einen weiteren Abschluss erwerben möchten. Schließlich goutieren es die meisten Beschäftigten, wenn sich der Arbeitgeber an den Studiengebühren beteiligt oder ein flexibles Arbeitszeitmodell anbietet.
Kritik an verschulten Studiengängen
Personalberater Michael Heidelberger von HR Partners in Stuttgart begrüßt grundsätzlich zwar die Studienreform und den Bologna-Prozess, sieht aber noch Korrekturbedarf. "Viele Studiengänge sind sehr verschult, und während des Bachelorstudiums ist es fast unmöglich, ins Ausland zu gehen. Diese Erfahrung fehlt den Bewerbern." Um schnell ins Berufsleben einzusteigen, eigne sich der Bachelor zwar hervorragend, doch der Master biete die umfangreichere und komplexere Ausbildung. "Für das Berufsleben ist es wichtig, auch mal nach links und rechts zu schauen. Dafür bleibt im Bachelorstudium wenig Zeit. Absolventen sollten nicht zu kurzfristig denken und ihren Weg gehen."
Die mittelständische IT-Beratung Method Park unterstützt schon heute Mitarbeiter, die für einen Abschluss oder eine Promotion an die Hochschule zurück möchten. "Einige Kollegen, die als Quereinsteiger begonnen haben, studieren berufsbegleitend Informatik an der Fernuniversität Hagen. Wir unterstützen dieses Engagement finanziell und mit flexiblen Arbeitszeitmodellen", sagt Weber. Ähnlich flexibel handhabt Cirquent das Thema. "Die Karrierewege haben sich in den vergangenen Jahren verändert und sind flexibler geworden. Wenn Kollegen einen MBA oder Master anschließen möchten, besprechen wir das und erarbeiten individuelle Lösungen. Wir unterstützen diese Pläne auf jeden Fall, ein spezielles Programm gibt es nicht", sagt Kloos. Cirquent beschäftigt europaweit rund 1600 Mitarbeiter und setzt auf individuelle Bildungsprogramme seiner Angestellten.
Studieren auf Kosten der Firma
Viele Konzerne haben dagegen eigene Programme für das berufsbegleitende Master-Studium initiiert. Bei IBM beispielsweise können sich Bachelor-Absolventen direkt für das Programm Master@IBM bewerben. "Wir erhalten sehr viele Bewerbungen für dieses Programm", so Landmesser. In der hauseigenen Stellenbörse finden Interessenten kombinierte Angebote für einen Job sowie den begleitenden Master. In 18 bis 24 Monaten, je nach Studienfach und Hochschule, erwerben Bachelor-Absolventen in zwei Jahren einen weiteren Studienabschluss, sammeln Berufserfahrung und bringen ihr neu erworbenes Wissen ins Unternehmen ein. "Wir werden das Programm auch für unsere Mitarbeiter ausweiten", so Landmesser. Momentan kombinieren rund 100 IBM-Mitarbeiter Arbeitsalltag und Masterstudium.
Traditionell wichtig für IBM ist auch das Duale Studium. Den Absolventen stehen anschließend die gleichen Weiterbildungswege offen wie Hochschülern. "In einem internationalen Konzern haben die Mitarbeiter viele Möglichkeiten. Wir ermutigen alle, in bestimmten Zeitabständen Branche und Arbeitsbereich zu wechseln. Das erhöht die Flexibilität jedes Kollegen, zeigt seine Leistungsbereitschaft und sichert langfristig den Arbeitsplatz", sagt Landmesser.
Auch die Telekom bietet Hochschulabsolventen ein Einstiegsprogramm an. Besonders beliebt ist das 15-monatige Nachwuchskräfteprogramm Start up. "In fünf Projekteinsätzen im In- und Ausland stellen die Teilnehmer ihr Potenzial zum unternehmerischen Handeln und Führung unter Beweis. Auch die jeweiligen Vorstände und das Top-Management haben Kontakt zu den Start ups, um sich selbst ein Bild machen zu können", sagt Peter Körner. Wer nach dem Studium direkt einsteigen möchte, kann sich für das Programm "Jump in" bewerben. "Neben Einstiegsveranstaltungen, Projekteinsatz und Netzwerkmöglichkeiten werden die Direkteinsteiger von ihren Führungskräften begleitet und beraten."
Die Telekom bietet ebenfalls unterschiedliche IT-Ausbildungen, duale Studiengänge und einen kombinierten Master-Studiengang an. Ähnlich wie IBM trägt der Konzern einen Teil der Studiengebühren und beschäftigt die Teilzeitstudenten während des Studiums. Eine Betriebsvereinbarung legt fest, wie hoch die finanzielle Förderung sowie die Ausstattung der Studenten sind. Dafür erwartet der Konzern anschließend eine gewisse, zeitlich gestaffelte Loyalität von den Absolventen. Wer eine zweijährige Ausbildung durchlaufen hat, sollte dem Unternehmen anschließend zwölf Monate die Treue halten. Dauerte die Ausbildung drei Jahre, erhöht sich die Frist auf 18 Monate und mit einem vierjährigen Studium muss sich der Kandidat 24 Monate an die Telekom binden. Körner sieht in der Kombination zwischen IT-Abschluss und berufsbegleitendem Wirtschaftsstudium ideale Voraussetzungen für die weitere Karriere. "Das ist wie ein Sechser im Lotto."
Von solchen Verpflichtungen hält die Karlsruher Fiducia nichts. "Wir möchten die Absolventen eines dualen Studiums mit einem attraktiven Arbeitsplatz, guten Aufstiegschancen und interessanten Projekten davon überzeugen, bei uns zu bleiben", erklärt Jens Zimmermann. "Wir bieten unseren Absolventen die Übernahme in ein festes Beschäftigungsverhältnis nach erfolgreichem Abschluss an", ergänzt Personalreferent Uwe Joas, "und so gut wie alle bleiben bei der Fiducia."
Mangelware Soft Skills
Zwar freuen sich die Unternehmen, dass die Absolventen inzwischen jünger sind, doch bei den wichtigen Soft Skills gibt es Lücken. "Gerade bei den jungen Absolventen fehlt es häufig an sozialer Kompetenz. Hier müssen die Unternehmen mehr investieren", weiß Personalberater Heidelberger. "Die Bewerber kommen heute viel früher zu uns ins Unternehmen. Wir sind auch dafür verantwortlich, die jungen Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen", sagt IBM-Mann Landmesser. Gerade an den nötigen Soft Skills für das Arbeitsleben mangele es häufiger, weniger an den Fachkenntnissen.
Das Software- und Beratungshaus Method Park schickt alle neuen Mitarbeiter unabhängig von ihrer Qualifikation zu einem Workshop. "Dort lernen die Einsteiger in zwei Tagen alles Wichtige über Soft Skills. Wir arbeiten seit vielen Jahren mit einem Trainer zusammen, der unser Unternehmen gut kennt und mit den neuen Kollegen beispielsweise übt, wie sie mit Kunden telefonieren, Konflikte im Projekt lösen oder in Meetings auftreten sollten", sagt Personalreferentin Weber. "Später lernen sie mit demselben Trainer Präsentation und Moderation."
Method Park sucht vor allem neue Mitarbeiter für die Softwareentwicklung sowie Beratung. Für die anspruchsvollen Aufgaben bewerben sich in erster Linie Absolventen mit Diplom oder Master. "Wir schreiben unsere Stellenangebote sehr detailliert aus. Bachelor-Absolventen fehlen häufig vertiefende Kenntnisse." Neben Informatikern und Elektrotechnikern beschäftigt das Unternehmen auch viele Mathematiker und Physiker, wenn sie das nötige Wissen in Softwareentwicklung mitbringen. "Es gibt immer wieder Quereinsteiger, die sich selbst die nötigen Kenntnisse beigebracht haben. Diese Bewerber laden wir natürlich zum Vorstellungsgespräch ein."
Bessere Karrierechancen mit dem Master
"Das Bachelorstudium bietet eine gute Basis. Doch wer später einen Master-Abschluss erwirbt, hat langfristig gesehen die besseren Karrierechancen", ist Personalberater Heidelberger überzeugt. Auch eine Dissertation kann dabei helfen, ganz nach oben zu kommen. "Sie dient auch der persönlichen Weiterbildung. Reine Karriereüberlegungen sollten dabei aber nicht im Vordergrund stehen. Wer drei bis vier Jahre investiert, sollte dieses Projekt mit Leidenschaft angehen und nicht auf schnelle Gehaltssprünge hoffen."
Method Park bietet immer wieder Positionen für promovierte Informatiker an. "Wir laden Bewerber mit einem interessanten Promotionsthema oder Abschlussarbeit zu unseren Firmenkolloquien ein. Das bietet unseren Mitarbeitern die Chance, neue Themen kennenzulernen, und die Bewerber können sich selbst präsentieren." Das Auswahlverfahren bei Method Park ist umfangreich. Neben der formalen Qualifikation achtet das Unternehmen sehr genau auf das Potenzial und ob der Bewerber zum Unternehmen passt. Diese Entscheidung treffen nicht Personalverantwortliche und Fachabteilung allein. Mit jedem Bewerber, der in die engere Wahl kommt, spricht auch einer der drei Vorstände. Das Unternehmen beschäftigt rund 100 Mitarbeitern in Deutschland und wünscht sich vor allem neue Mitarbeiter, die Teamgeist mitbringen, kommunikationsstark sind sowie mitreden und mitgestalten wollen.
Viele Personalverantwortliche in den Unternehmen brüten heute länger über Studienplänen und Lebensläufen um zu verstehen, welche Kenntnisse die Absolventen im Studium erworben haben. "Die neuen Studiengänge sind weniger transparent und ähneln einem Dschungel", sagt Personalberater Heidelberger. "Momentan fehlt uns noch die Erfahrung, wie sich Bachelor- und Masterabschlüsse vergleichen lassen. Auch Unternehmen haben Probleme, die Bewerber klar einzuschätzen".
Bisher hält sich die Zahl der Bewerber mit einem Bachelor-Abschluss noch in Grenzen, doch Cirquent-Mann Kloos weiß, dass er und seine Kollegen aus den Fachabteilungen künftig die Lehrpläne der Hochschulen genauer studieren müssen. "Wir führen schon heute intensive Einzelgespräche, in denen wir sehr detailliert auf die im Studium erarbeiteten Praxisthemen sowie die Abschlussarbeit eingehen." Doch ebenso wichtig wie Fachkenntnisse schätzt der Personaler die Persönlichkeit des Bewerbers. "Uns ist wichtig, dass der neue Mitarbeiter auch mit seiner Persönlichkeit zu uns passt. Deshalb gibt es Gespräche mit den Abteilungsleitern sowie Projektverantwortlichen."
Klaffen Wissenslücken, bietet Cirquent den Neuen strukturierte Einarbeitungsprogramme an, um Defizite auszugleichen. Das kann eine Intensivausbildung in Siebel sein, ein Thema aus dem Kundenumfeld oder Kenntnisse in Testverfahren sowie Qualitäts-Management. Ein Pate begleitet in den ersten 100 Tagen die neuen Kollegen, während der so genannten Welcome-Days erfahren die Neuem alles Wissenswerte zum Unternehmen. Zudem hinaus bietet das Unternehmen je nach Projekt vier- bis sechswöchige, berufsbegleitende Einarbeitungsphasen an.
Auch mit den vielen unterschiedlichen Studienabschlüssen lernen die Firmen und Personalberater gerade umzugehen. "Wahrscheinlich konzentrieren sich viele Unternehmen in Zukunft noch stärker auf ausgewählte Hochschulen, mit denen sie zusammenarbeiten", vermutet Heidelberger.
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