Datenverlust - die Geißel der IT

Datenrettung - eine Aufgabe für Experten

08.12.2015 von Peter Böhret
Nicht nur Privatpersonen müssen immer wieder Datenverluste erleiden. Auch Unternehmen verlieren immer wieder wichtige Informationen an das virtuelle Nirvana. Die Wiederherstellung erfordert dabei nicht nur besondere Geräte sondern vor allem entsprechendes Knowhow und Erfahrung.

Man muss schon lange suchen, um jemanden zu finden, der noch nie einen Datenverlust zu beklagen hatte. Jeder kennt das flaue Gefühl, wenn ein Stromausfall oder ein Absturz des Computers das nicht-gespeicherte Word-Dokument ins Nirwana schickt oder wenn eine Internetverbindung abreißt und ein Formular auf einer Webseite plötzlich komplett leer ist.

Ein Datenverlust hat wohl jeder schon erlebt. Im Unglücksfall gilt es Panik zu vermeiden und die geeigneten Rettungsmittel einzusetzen.
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Richtiges Verhalten beim Datenverlust

Was also tun, wenn man von einem Datenverlust betroffen ist? In jedem Fall gilt: Nicht in Panik geraten und versuchen, ohne fundiertes Wissen die Daten selbständig wiederherzustellen. Je ruhiger man das Problem angeht und die möglichen Optionen durchdenkt, desto besser. Wenn man sich als Laie oder auch als fortgeschrittener Computernutzer an einer Datenrettung versucht, besteht das große Risiko, dass man die verlorenen Daten endgültig zerstört.

Flash-NAND und SSDs - komplexe elektronische Speicherbausteine

In vielen Fällen können die Anwender die Daten selbst beim besten Willen und mit dem vorhandenen Knowhow nicht wiederherstellen. Das ist nicht nur bei mechanischen Defekten wie etwa einem Headcrash einer Festplatte so - der Nutzer hat weder einen nach ISO 5/Klasse 100 zertifizierten Reinraumarbeitsplatz und die notwendige Ausrüstung noch die passenden Ersatzteile zur Verfügung - sondern gerade auch bei den Flash-NAND-basierten Speichern. Hier zeigt unsere Erfahrung, dass die superschnellen Speicher eben nicht nur nach dem Ablauf ihrer Lebensdauer ausfallen, sondern vermehrt auch aufgrund defekter Controller. Diese wieder zum Laufen zu bringen und damit wieder auf Daten zugreifen zu können, erfordert großes Expertenwissen.

RAID-Systeme können ausfallen

Bei der Datenspeicherung auf Festplatten-basierten Server- oder Storage-Systemen hat sich seit längerem der Einsatz von RAID-Systemen durchgesetzt. Egal ob RAID 0, 1, 5 oder 6, der Einsatz der Technologie hat neben seinen unbestreitbaren Vorteilen - verbesserte Ausfallsicherheit und Auslastung des Speicherplatzes - auch seine Tücken. Nämlich dann, wenn das gesamte System doch mal ausfällt und wichtige unternehmenskritische Daten wiederhergestellt werden müssen. Das kann beispielsweise dann passieren, wenn ein RAID-Controller oder die immer populärer werdende rein Software basierte Variante ausfällt, der Festplatten-Verbund nach einem Server-Neustart durch fehlerhafte Initialisierung "verloren" geht oder mehrere Festplatten gleichzeitig ausfallen. Diese Fälle kommen nicht selten vor und der damit verbundene Aufwand, gespeicherte Dateien wiederherzustellen, ist alles andere als trivial.

Häufig werden von den Administratoren RAID-Recovery-Bordmittel zum falschen Zeitpunkt eingesetzt. So wird nach einem Plattenausfall das RAID versehentlich neu initialisiert, wo eigentlich ein Rebuild auf der Agenda stünde. Gefährlich ist die fehlerhafte Neuinitialisierung deshalb, weil die neue Parity unter Missachtung der alten Parity neu geschrieben wird, und das teilweise in einer anderen Reihenfolge - anstatt aus den verbliebenen guten Festplatten die fehlende Festplatte auf der neuen Ersatzfestplatte wieder aufzubauen. Denn unter einer Parity versteht man die sogenannte RAID-Fehlerkorrektur, mit der man den Inhalt einer oder mehrerer ausgefallener Festplatte wiederherstellen kann. Bei der Initialisierung werden die eigentlichen Nutzdatenbereiche zunächst überschrieben und die vorhandenen kostbaren Daten sind für immer verloren.

Die spektakulärsten Fälle von Datenverlust 2013 laut Kroll Ontrack
Lange Reise mit kaputter Festplatte (Hong Kong)
Als ein weltbekannter Radfahrer und Fotograf im Mai 2013 Hong Kong erreichte, entdeckte er, dass seine Festplatte nicht mehr funktionierte. Dies war umso ärgerlicher, als dass er auf ihr Fotos und Videos seiner 40.000 km langen Benefiz-Radtour gespeichert hatte.
Katastrophenfilm (Polen)
Während ein Filmteam einen Film für ein Festival produzierte, verursachten sie am Set den absoluten Super-GAU. Als sie ein Backup ihres Laptops auf eine externe Festplatte zogen, stolperte ein Crew-Mitglied zufälligerweise über den Tisch. Sowohl der Laptop als auch die externe Festplatte krachten zu Boden - und alle Daten waren verloren. 18 Monate Filmproduktion und die zugehörigen Investitionen schienen zwei Monate vor dem Filmfestival verloren.
Vorsicht mit dem Alkohol (USA)
Ein Mann erwachte nach einer langen Party mitten in der Nacht und benutzte das, von dem er ausging, dass es eine Toilette war. Am folgenden Morgen musste er feststellen, dass es sich dabei leider um seinen Laptop handelte.
Die Wut der Spieler (Frankreich)
Eines Tages versuchte eine Mutter von drei Kindern, den Familien-Computer zu starten - sie bekam jedoch nur eine Fehlermeldung. Sie fragte ihre Kinder, ob bei der letzten Benutzung etwas vorgefallen war, denn sie wusste, dass diese ihn zuletzt verwendet hatten. Sie bekam jedoch keine Antwort. Sie fragte nochmals nach, denn sie hatte einen leisen Verdacht. Die älteste Schwester verriet der Mutter schließlich, dass ihr Bruder, als er ein Videospiel verlor, so wütend war, dass er mit seinen Fäusten auf die Tastatur einschlug.
Vereitelter Diebstahl (Italien)
Ein Dieb schleppte nach einem Einbruch zusammen mit anderem Diebesgut auch einen Laptop aus dem Haus - als er floh, geriet er jedoch vermutlich in Panik. Denn den Laptop überließ er im Garten seinem Schicksal. Der Besitzer fand ihn somit am nächsten Tag - allerdings erst, nachdem er die ganze Nacht in Regen gelegen hatte.
Sabotage (Großbritannien)
In Großbritannien bekam Kroll Ontrack ein mysteriöses Paket - darin befand sich nämlich keine Festplatte, sondern nur noch Einzelteile. Als die Ontrack-Ingenieure bei dem Unternehmen anriefen, um der Sache auf den Grund zu gehen, bekamen sie zu hören, dass die Festplatte wohl wiederholt von einem Hammer getroffen wurde. Daher beauftragte das Unternehmen Kroll Ontrack mit der Datenrettung - immerhin eine Datei konnte aus den Bruchstücken wiederhergestellt werden. Was das Unternehmen aus dieser einen Datei lernte, war, dass ein Mitarbeiter versuchte, die Daten zu zerstören, um so Beweise zu vernichten. Diese eine wiederhergestellte Datei war also genug, um den Saboteur zu überführen.
Naturkatastrophen (USA)
Leider sind Naturkatastrophen häufige Ursachen der größten Daten-Desaster. Als ein Anwender hörte, dass Hurricane Sandy auf dem Weg in Richtung des amerikanischen Festlands war, wurde er schnell aktiv und machte ein Backup aller Server. Jedoch konnte er nicht ahnen, dass der Pegel des eine halbe Meile vom Haus entfernten Flusses durch das Unwetter extrem anstieg: So standen sowohl die Server als auch die Backup-Bänder unter mehr als 70 cm tiefem Wasser.
Spinnen (Italien)
Nach dem plötzlichen Zusammenbruch eines fünf Jahre alten Servers zog ein Unternehmen die Datenretter hinzu. Als ein Ingenieur das Laufwerk öffnete, fand er ein Nest von Spinnen vor. Die Spinnen hatten sich ein kleines Feriendomizil im Inneren der Festplatte eingerichtet.
Noch mehr gefällig?
Wer die kuriosesten Datenpannen der vergangenen Jahre Revue passieren lassen möchte, wird in der "Hall of Fame" von Kroll Ontrack fündig.

Virtuelle Systeme schützen auch nicht vor Datenverlust

Spannend wird es für Administratoren auch bei einem Ausfall einer oder mehrerer virtueller Systeme. Denn auch bei der Virtualisierung sind überwiegend RAIDs im Einsatz. Unabhängig von der Hardware verteilt diese Technologie die Informationen über viele Festplatten. Einzelfestplatten werden zu LUNs zusammengeschaltet und die Daten nach RAID Prinzipien darauf verteilt. Aber auch ein solcher hardwareunabhängiger RAID Verbund unterliegt dabei den allgemeinen Ausfallrisiken des RAID Prinzips. Diese Gefahr wird oft unterschätzt und Backups fehlen oft komplett oder befinden sich bei heutigen Backup to Disk Varianten auf dem gleichen Array und stehen im Ernstfall ebenfalls nicht zur Verfügung.

Und das Einsatzgebiet wird immer größer: So geht der neueste Trend dazu über auch Storage-Systeme zu virtualisieren.

Beim Einsatz der Virtualisierung wird die Komplexität nochmals deutlich verschärft: Bei einem Virtual Storage System wie beispielsweise einem VSAN System von VMware werden Applikationen oder Dateien, die in virtuellen Maschinen gespeichert wurden, in einem gemeinsam geclusterten Shared Storage Datastore zusammengefasst. Jeder angebundene Hostrechner mit seinen Festplatten ist Teil dieses gemeinsamen Datastores. Um die Ausfallsicherheit zu erhöhen, lässt sich auf der Virtual Storage Ebene einstellen, wie die einzelnen Hostrechner abgesichert werden sollen. Abhängig von der Anzahl der eingesetzten Hosts werden von dem Original-Host und seinen Daten auf anderen Hosts sowohl komplette Kopien als auch Verweise (Witness) erstellt, aus denen sich bei einem Ausfall eines Hosts dieser wiederherstellen lässt. Dabei gilt: Je mehr Hosts desto mehr Original-Hosts können ausfallen.

Bei einem Datenverlust bedeutet das für unsere Datenrettungs-Ingenieure, dass sie sich neben den normalen virtuellen Maschinen und den darin eingebetteten Daten mit einer zusätzlichen Informationsebene beschäftigen müssen. Und die Praxis zeigt: Auch ein virtuelles Storage schützt die Verantwortlichen nicht vor Datenverlust, selbst wenn das die Werbung der Hersteller suggeriert.

Es zeigt sich: Je komplexer die eingesetzte Technologie, desto komplexer ist auch die spätere Datenrettung! Trotzdem sollte der Anwender, wenn er auf wichtige Daten scheinbar nicht mehr zurückgreifen kann, nicht in Panik auszubrechen. Wer das Problem mit professioneller Hilfe schnell angeht, kann sich gute Hoffnungen auf eine Wiederherstellung machen. Aber eines ist klar: Man hat bei der Datenrettung meist nur eine einzige Chance und diese sollte man den Profis überlassen.