Praxistest

Das taugt das Nokia N97

06.07.2009 von Manfred Bremmer
Mit dem N97 lässt der finnische Handy-Riese Nokia sein neues Consumer-Flaggschiff vom Stapel. Die COMPUTERWOCHE hat das Super-Smartphone auf Stärken und Schwächen untersucht.

Nokias neues Topmodell N97 ist neben dem Apple iPhone 3G S, dem Palm Pre, dem Toshiba TG01 , dem HTC Touch Diamond2 sowie den Google-Android-Geräten HTC Touch Magic und Samsung I7500 ein heißer Anwärter auf die Smartphone-Krone in diesem Sommer. Für den finnischen Handy-Primus steht dabei viel auf dem Spiel, gilt es doch, Apple und anderen Rivalen Paroli zu bieten. Gleichzeitig dürfte der interne Druck groß sein, nach dem eher mäßigen N96 wieder einen Verkaufsschlager à la N95 vorzulegen. Die COMPUTERWOCHE hat in einem Test geprüft, inwieweit das Nokia-Smartphone den hohen Erwartungen gerecht wird.

Der erste Eindruck

Nach dem N95 und N96 ist Nokia wieder vom Slider-Design abgekommen und hat stattdessen mit dem N97 einen neuen Formfaktor eingeführt: Dank eines überraschend stabilen Klappschiebemechanismus lässt sich das Display schräg im 35-Grad-Winkel aufstellen. Darunter kommt eine Qwertz-Tastatur zum Vorschein, so dass das Ganze wie eine Art Mini-Netbook wirkt. Derart aufgeklappt zieht das N97 mit seinem schicken Chromrahmen überall die Blicke auf sich. Der edle Eindruck wird jedoch getrübt, wenn der Blick auf den schmucklosen, billig wirkenden Plastikdeckel auf der Rückseite fällt. Hier hat Nokia bei seinen Bemühungen, das Kampfgewicht des neuen Überfliegers auf durchaus respektable 150 Gramm zu bringen, am falschen Ende gespart.

Auch dem mit dem Nokia E75 geweckten (und nicht erfüllten) Wunsch nach einer neuen Nokia-Schreibmaschine wird das N97 nicht ganz gerecht. So ist das schräge Display zwar ein netter Effekt. Da die Oberseite zuviel Platz beansprucht, bleiben nur noch drei Zentimeter Platz für die Tastatur, die entsprechend mit nur drei Zeilen auskommen muss. In der Praxis bedeutet dies, dass die Tasten doppelt belegt sind und sämtliche Ziffern sowie wichtige Zeichen wie Umlaute oder Punkt und @ erst über die Funktionstaste erreicht werden. Weiterhin ist zu bemängeln, dass die Leertaste zu klein geraten ist. Trotz dieser Tücken lässt sich die Tastatur mit etwas Übung gut und zügig bedienen, zumal die Tasten relativ groß und griffig sind. Linkshänder wird zudem die Anbringung der Fünf-Wege-Navigation auf der linken Seite freuen - Pech nur, dass die Mehrheit der Menschheit Rechtshänder ist.

Während es hier noch Platz für Verbesserungen gibt, wurden andere Schwachstellen beseitigt. So besitzt das N97 eine 3,5 Millimeter-Buchse zur Aufnahme von Kopfhörern, zum Laden wird jetzt die MicroUSB-Schnittstelle verwendet, ein Adapter für ältere Ladegeräte liegt bei.

Trotz Vollausstattung nur wenige Highlights

In Nokias N-Serie ist seit jeher Klotzen statt Kleckern die Devise. Auch das N97 bildet da keine Ausnahme. Das neue Flaggschiffmodell weist als Allrounder nahezu Vollausstattung auf, ohne jedoch mit besonderen Highlights aufzuwarten. Auf der Liste der Features finden sich unter anderem WLAN, GPS, ein digitaler Kompass, ein Bewegungssensor, UKW-Radio und -Sender (FM-Transmitter) sowie HSDPA (nur bis 3,6 Mbit/s). Auf den Upload-Turbo HSUPA wurde dagegen verzichtet, trotz der verbauten 5-Megapixel-Kamera mit Videofunktion und der allgemeinen Konzipierung des Geräts für Social-Media-Nutzung. Vermutlich um dem Apple iPhone in punkto Ausstattung um nichts nachzustehen, verbaut Nokia außerdem einen 32 GB großen Flash-Speicher. Dieser kann mithilfe einer MicroSD-Karte um zusätzliche 16 GB erweitert werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Smartphones kann die Speicherkarte im laufenden Betrieb getauscht werden. Angesichts der vielen stromfressenden Funktionen ist der 1500 mAh-Akku nicht unbedingt überdimensioniert.

Ein trendiges AMOLED-Display sucht der User vergeblich, ebenso ist der Touchscreen nach wie vor resistiv statt kapazitiv ausgelegt. Dennoch dürfte der große LCD-Touchscreen mit 640 mal 360 Pixel Auflösung das Highlight der Hardware-Ausstattung sein. Das Display sorgt mit 16,7 Millionen Farben nicht nur für eine großartige Darstellung, sondern ist auch im Freien bei direkter Sonneneinstrahlung noch gut nutzbar.

Neue Navigation

Nokia hat erst relativ spät angefangen, als Reaktion auf den Erfolg des Apple iPhone selbst Smartphones mit Touch-Steuerung auf den Markt zu bringen. Nachdem die entsprechende Plattform Symbian S60 5th Edition auf dem Anfang des Jahres erschienenen 5800 XpressMusic noch etwas unausgereift wirkt, haben die Finnen im N97 nachgebessert. Besonders profitierte davon die Startansicht, die nun neben Uhrzeit, Kalender und Audioprofil fünf frei belegbare Kästen enthält. Diese Boxen lassen sich neben Schnellzugriffen, Kontakten oder einer Mailbox erstmals auch mit Widgets bestücken. Eine Reihe von Minianwendungen stehen dazu bereits zur Verfügung, unter anderem kann sich der Nutzer direkt auf dem Display die aktuelle Wettervorhersage via Accuweather betrachten, wird über Börsenkurse von Bloomberg informiert oder erfährt die neuesten Ereignisse auf Facebook oder Hi5.

Weniger Fingerspitzengefühl hat Nokia bei der Gestaltung des Menüs bewiesen, auf das man über den silbernen Knopf unter dem Display gelangt. Hier erwarten den Nutzer zwölf Icons mit den vermeintlich wichtigsten Funktionen. Vermeintlich deshalb, weil es Nokia sichtliche Mühe gekostet hat, alles im sichtbaren Bereich anzuzeigen. So wurde der Menüpunkt System aufgelöst, weitere wichtige Ordner wurden daher eine Ebene tiefer in der Kategorie Programme untergebracht, die mit über 30 Punkten und zahlreichen Untermenüs entsprechend unübersichtlich ist. Mit seinen vielen Einstellungsmöglichkeiten kann der Anwender das N97 bis ins Detail nach seinen Wünschen konfigurieren. Leider ist dabei weniger Intuition als Phantasie gefragt, auch die Tatsache, dass manche mitunter verschiedene Wege zu ein und derselben Funktion führen, beschleunigt den Lernprozess wenig. Für zusätzliche Verwirrung sorgt eine uneinheitliche Bedienung der Touch-Oberfläche: Während zum Ansteuern von Icons in einem Menü ein einfacher Druck genügt, müssen Listenpunkte zunächst mittels Berührung ausgewählt und dann quasi bestätigt werden. Kleiner Trost: Wer nicht ständig überlegen will, ob ein einzelner Klick oder ein Doppelklick gefragt ist, kann auch einfach die Fünf-Wege-Navi neben der Tastatur nutzen. Diese funktioniert wie bei herkömmlichen Nokia-Geräten problemlos. Optional stehen außerdem Sprachsteuerung und Handschrifterkennung zur Verfügung.

Softwareausstattung

Bei aller Kritik: Einmal konfiguriert, lässt sich das N97 nach etwas Eingewöhnungszeit richtig gut einsetzen. Die Anwendungen öffnen sich zügig und lassen - wie etwa der hauseigene Browser, Musik- und Videoplayer sowie die Navigationsoftware Nokia Maps - kaum Wünsche offen. Auch die Kamerasoftware schafft es mit ihren vielfältigen Einstellungsmöglichkeiten, das Beste aus dem 5-Megapixel-Objektiv herauszuholen. Erwähnenswert ist außerdem der interne FM-Transmitter, der das kabellose Abspielen von Musiktitel auf einem (Auto)Radio ermöglicht. Auch an Business-Nutzer hat Nokia gedacht und stellt unter anderem Pushmail via Mail for Exchange (MfE) zur Verfügung. Das mitgelieferte Office-Paket "Quickoffice" ist leider nur die Version zum Lesen von Dokumenten. Wer auch Texte und Tabellen bearbeiten will, muss auf die kostenpflichtige Vollversion warten. Eine bereits verfügbare Alternative ist die "OfficeSuite 5" von MobiSystems, die auch Office-2007-Dateien unterstützt. Ansonsten ist das Angebot an vorinstallierter Software - insbesondere Vollversionen - eher mager - nicht ohne Grund hat Nokia das Icon für seinen Ovi-Dienst an prominenter Stelle platziert.

Fazit: Kein Handy für einen Nachmittag

Foto: Nokia

Mit dem N97 haben die Finnen ein weiteres Mal unter Beweis gestellt, dass ihre Bezeichnung "Multimedia Computer" für Nokia-Smartphones keine reine Marketing-Floskel ist. So kommt das Gerät einem ausgewachsenen Desktop-PC schon relativ nahe, allerdings nicht nur in seiner Funktionsvielfalt, sondern auch in seiner Komplexität. Daran dürfte eine Vielzahl potenzieller Käufer verzweifeln und sich intuitiveren Plattformen wie iPhone oder Android zuwenden. Langjährige Nokia-Fans werden sich dagegen an dem N97 erfreuen, weil sie das Smartphone exakt nach ihren Wünschen einrichten können.