Chancen und Gefahren des vernetzten Autos

Das neue Motorenöl: Big Data im Auto

03.03.2016 von Stefan Müller
Das Auto hat sich zu einem der wichtigsten „Schlachtfelder“ der Digitalisierung entwickelt. Autos werden zu fahrenden Computern, die Daten erzeugen und zur Verfügung stellen. Das entfaltet eine wahnsinnige Wertschöpfung.

McKinsey schätzt, dass bis 2030 1,5 Billionen Dollar des weltweiten Umsatzes der Automobilbranche aus vernetzten Diensten kommen könnten. Die zusammenlaufenden Entwicklungen in den Bereichen „vernetztes Auto“, „Mobilitätsservices“ und „digitaler Lifestyle“ führen zu einem Wettkampf der verschiedensten Akteure und Industrien. Auf der einen Seite rivalisieren die Autohersteller miteinander bei neuen Bedienkonzepten und den Zukunftsfeldern Connectivity und Autonomes Fahren.

Auf der anderen Seite versuchen branchenfremde Firmen aus den Bereichen IT bzw. Big Data in die automobile Welt einzudringen und Teile der Wertschöpfungskette abzugreifen. Bei beiden Entwicklungen stehen Daten als länder- und industrieübergreifende Währung im Mittelpunkt.

Megatrend: Vernetztes und automatisiertes Fahren

Fahrerassistenzsysteme, wie etwa Einparkhilfen und Navigationssysteme mit Echtzeit-Verkehrsinformationen, sind längst Realität. Das vernetzte Fahrzeug geht über solche Funktionen weit hinaus: Selbständig fahrende Autos, die mit anderen Autos (car2car) und mit ihrer Umgebung (car2x) - also etwa Ampeln, Verkehrszeichen oder Schranken - vernetzt sind, sollen das Fahren sicherer, komfortabler und unterhaltsamer machen. Soweit das Versprechen an die Kunden. Damit geht aber auch eine Reihe von offenen Fragen rechtlicher und sicherheitstechnischer Natur einher.

Staus einfach umfahren

Heute schon sind moderne Autonavigationssysteme in der Lage Staus, zähfließenden Verkehr oder Ampelschaltungen innerhalb weniger Sekunden zu erkennen und alternative Routen zum Umfahren von Verkehrsbehinderungen zu berechnen. Die Zeitersparnis kann dabei erheblich sein. Die zugrunde liegende Technologie haben bereits alle führenden Autohersteller in ihre Fahrzeuge eingebaut. Diese Systeme (Car-Net-Dienste) kommunizieren untereinander und geben Meldungen an zentrale Stellen weiter, wo sie ausgewertet und mit neuen Informationen versetzt zurückgesendet werden. Neben derlei Systemen, die zur Sicherheit beitragen sollen, hat aber auch das Thema Komfort einen großen Stellenwert.

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Rollendes Wohnzimmer

Das Fahrzeug selber wird komplett vernetzt: mit Internet, Verkehrs- und Wetterradar sowie umfassendem Unterhaltungsangebot wird es zum rollenden Wohnzimmer und Büro. Ziel der Anbieter ist es, dem Kunden ein umfassendes digitales Angebot rund um sein Fahrzeug zu bieten. Das reicht von höchst aktuellen und genauen Verkehrsdaten über die Remote-Bedienung von einzelnen Fahrzeugfunktionen bis hin zu personalisierten Online-Diensten, wie sie auf PCs oder Smartphones schon länger verfügbar sind.

Das vernetzte Auto revolutioniert die Industrie.
Foto: Syda Productions / shutterstock.com

Die Visionäre der Branche halten verschiedenste Szenarien für möglich. Der Fahrersitz könnte in Zukunft Vitaldaten, etwa den Herzschlag des Autolenkers, erheben und diese übermitteln. Die Bordelektronik könnte die Luft im Wageninneren analysieren und zum Beispiel bei einem erhöhten Alkoholpegel des Fahrers das Auto automatisch blockieren. Mit verschiedenen Sensorsystemen könnte der psychische Zustand des Fahrers erhoben werden und je nach Gemütslage die Musik geändert oder andere Unterstützung angeboten werden.

Tektonische Verschiebungen in der Mobilität

Durch die Vernetzung sind alle diese vom Auto erhobenen Daten auch übermittel- und nutzbar. Ein „Goldschatz“ für die Autobranche, aber auch für die IT-Giganten, die BI-Unternehmen und App-Hersteller. Da ist es klar, dass diese massive Datenerhebung auch eine Reihe von Fragen aufwirft. Etwa danach, wem die Daten eigentlich gehören – dem Fahrer, dem Autohersteller, den Anbietern der entsprechenden Apps, dem Mobilfunkunternehmen, der das Netz zur Verfügung stellt – und wer sie wie nutzen darf. Auch die Frage der Sicherheit der Fahrzeuge an sich ist ernst zu nehmen, wie die erfolgreichen Hacks an Googles selbstfahrenden Autos gezeigt haben.

Diese Autos wurden 2015 gehackt
Auto-Hacks 2015
Das Jahr 2015 ist das Jahr der Auto-Hacks. In den ersten acht Monaten des Jahres werden gleich sechs gravierende IT-Security-Schwachstellen in Fahrzeugen verschiedener Hersteller bekannt. Wir haben die aufsehenerregendsten - wissenschaftlich motivierten - Hackerangriffe auf Connected Cars für Sie in unserer Bildergalerie zusammengefasst.
BMW "ConnectedDrive"
Der ADAC deckt Anfang des Jahres eine massive Sicherheitslücke innerhalb des BMW „Connected Drive“-Systems auf, über die sich Angreifer via Mobilfunknetz Zugang zum Fahrzeug verschaffen können. Das Problem wird schließlich per Software-Update behoben – weltweit sind über zwei Millionen Fahrzeuge quer durch alle Konzern-Marken und -Baureihen betroffen.
Jeep Cherokee
Enormes Medienecho verursacht im Mai 2015 der Remote-Hack eines Jeep Cherokee – bei voller Fahrt. Den Sicherheitsforschern Chris Valasek und Charlie Miller gelingt es, einen Jeep Cherokee über Funk fremdzusteuern. Das Infotainment-System im Fahrzeug dient den Security-Experten als Einfallstor – kurz darauf sind sie in der Lage, sämtliche Fahrfunktionen des SUV fremd zu steuern. Der Fiat-Chrysler-Konzern muss in der Folge in den USA circa 1,4 Millionen Fahrzeuge zu einem Software-Update in die Werkstätten rufen.
General Motors "OnStar"
Hacker Samy Kamkar gelingt es, eine Schwachstelle im General-Motors-Infotainment-System „OnStar“ auszunutzen. Das System ermöglicht den Auto-Besitzern, ihr Fahrzeug per Smartphone zu öffnen und zu schließen. Mit Hilfe eines Toolkits fängt Kamkar die Kommunikation zwischen Smartphone und Automobil ab. So kann er nicht nur den Aufenthaltsort des Fahrzeugs bestimmen, sondern es auch nach Lust und Laune öffnen und schließen sowie den Motor aus der Ferne starten.
Corvette-SMS-Hack
Die Sicherheitsforscher Karl Koscher und Ian Foster gelangen über manipulierte SMS-Nachrichten in das CAN-BUS-System einer Corvette. Als Zugangspunkt dient ihnen ein Telematik-System eines Kfz-Versicherers. So erhalten sie Zugriff auf essentielle Fahrsicherheits-Komponenten wie Bremsen, Gas und Lenkung. Das Telematik-System des US-Versicherers Metromile kommt in den USA unter anderem auch beim Fahrdienstleister Uber zum Einsatz. Metromile zufolge sind die Security-Löcher inzwischen gestopft.
Der VW-Motorola-Hack
Bis zum August 2015 versucht der Volkswagen-Konzern - offensichtlich aus Angst vor Reputationsschäden - die Veröffentlichung von technischen Details zu einem Hack zu verhindern, der Wissenschaftlern der Universitäten Nijmegen und Birmingham bereits 2012 gelungen ist. Als Zugangspunkt dient den Forschern das Transponder-System einer Wegfahrsperre von Zulieferer Motorola. Nachdem sich Volkswagen außergerichtlich mit den Forschern einigt, werden die technischen Details auf der Usenix-Konferenz 2015 öffentlich gemacht.
Tesla Model S
Der jüngste Auto-Hack-Fall in diesem Jahr betrifft das Tesla Model S. Die Security-Spezialisten Kevin Mahaffey und Marc Rogers wollen beweisen, dass auch Teslas Elektro-Limousine nicht unhackbar ist. Letztendlich finden die beiden tatsächlich einen Weg, Kontrolle über das Model S zu erlangen. Auf der Defcon-Konferenz 2015 präsentieren sie ihre Erkenntnisse. Fazit: Auch wenn der Hack des Tesla nur unter immensem Aufwand und über einen physischen Zugang zu den Systemen möglich war – unhackbar ist auch dieses Auto nicht. Immerhin erweist sich die Architektur der Tesla-Systeme laut Mahaffey und Rogers als „relativ sicher“ und „gut durchdacht“.

Persönlichkeitsrechte sind ebenso zu berücksichtigen wie Haftungsfragen bei Unfällen. Und nicht zuletzt stellt sich, wie in allen Branchen, in denen massenhaft Daten anfallen, auch die Frage der Speicherung, Verwaltung und Analyse dieser Daten. Die Auswertung der Daten kann genutzt werden, um neue Mehrwerte für die Fahrer und Prozessverbesserungen und Produktinnovationen bei den Herstellern zu generieren. Mit diesen Daten eröffnen sich neue Möglichkeiten, neue Chancen, aber auch neue Gefahren.

Fazit

Mobilität wird sich in Zukunft radikal verändern. Durch die intelligente Aufbereitung und Verfügbarmachung von Verkehrs- und Fahrzeugdaten und die Vernetzung der beteiligten Akteure (Unternehmen, Dienstleister und Privatpersonen) wird sich das Fahren eines Autos grundlegend wandeln. Das Potenzial, das in der Vernetzung von Fahrzeugen mit der Umwelt, Infrastruktur und Internet liegt, ist enorm. Autofahren wird durch die Car-to-X-Kommunikation in den Punkten Sicherheit, Komfort und Infotainment eine neue Erlebniswelt. Dennoch sollte man bei allen Vorteilen nicht die Risiken aus den Augen verlieren: Sicherheit und Datenschutz sind bei der Nutzung der sensiblen Daten sehr ernst zu nehmen. (sh)