KI im Hospital - was ist, was wird, wo sind die Grenzen?

Das Krankenhaus der Zukunft ist smart und intelligent

18.04.2018 von Jochen Werner
Krankenhäuser der Zukunft, Smart Hospitals oder kognitive Krankenhäuser dürfen nicht als separierte, gebäudebezogene Einrichtungen jenseits der Sektorengrenze ambulant zu stationär verstanden werden. Demzufolge können auch die Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) nicht mehr institutionsgebunden betrachtet werdenhaftet.
Der Roboter auf Visite ist zwar noch Zukunftsmusik, doch Techniken wie KI oder Deep Learning erobern den klinischen Alltag.
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Die Universitätsmedizin Essen hat sich auf den Weg zur Transformation in ein Smart Hospital gemacht. Dies bedeutet nicht nur ein weitgehend digitalisiertes Krankenhaus, ausgerüstet mit Deep-Learning, KI, Blockchain- und anderen Technologien. Smart Hospital bedeutet ganz besonders auch einen gravierenden Kulturwandel, begleitet von kreativer Destruktion jahrzehntealter Bereiche und Verhaltensformen. Diese überfällige Neugestaltung von Krankenhausstrukturen wäre niemals eo ipso passiert. Es brauchte einen äußeren Anlass wie den der Digitalisierung, der tiefgreifende Umstrukturierungen der Medizin eingeleitet hat.

KI entlastet bei zeitraubenden und ermüdenden Tätigkeiten

In Essen ist beispielsweise bereits ein DaVinci-OP-Roboter im Einsatz.
Foto: Universitätsklinikum Essen

Die Digitalisierung wird zu Veränderungen in Teilbereichen der personalisierten Therapie führen. Schon heute zeichnen sich disruptive Neuausrichtungen der medizinischen Diagnostik ab. Bei der diagnostischen Neuaufstellung kommt der KI eine relevante Bedeutung zu. In der Radiologie ist dieser Wandel am weitesten. An der Universitätsmedizin Essen gibt es hierfür eine Reihe gelungener Beispiele. Diese Entwicklung wird sich ganz besonders rasch bei Screening-Verfahren (Brustkrebs- und später auch Lungenkrebs-Screening) durchsetzen, also zeitraubenden und ermüdenden Tätigkeiten. Schon heute ist absehbar, dass die Indikation zu bestimmten Biopsien mit Hilfe von MRT-Daten reduziert werden kann. Beispielhaft genannt sei die Differenzialdiagnostik der Fettleber.

Ein wenig weiter entfernt, aber schon zu erwarten ist eine Abnahme an Prostatabiopsien. Dies ist jedoch nur ein Streckenabschnitt auf dem Weg der diagnostischen Neuordnung. Noch bahnbrechender ist die Verknüpfung und Analyse von Bilddaten und Gendaten, die Entwicklung von Radiomics. Dabei werden radiologische Daten mit molekularbiologischen Daten und weiteren klinischen Kennzeichnen in Beziehung gesetzt und über Algorithmen interpretiert.

KI und Wearables: Eine zukunftsweisende Kombination

In der Diagnostik haben Roboter und AI bereits ihren festen Platz.
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Die KI-Anwendung betrifft keineswegs nur klassische Labordisziplinen. Sie hält zunehmend auch in klinische Fächer Einzug wie zum Beispiel in der Herzmedizin. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. Zum einen geht es um die kardiologische Risikoeinschätzung über den Umweg der Augenhintergrundanalyse und zum anderen um die Anwendung von KI-Systemen auf die mit der Apple Watch aufgezeichneten Herzfrequenzdaten. Grundlage für das Ziel einer Abschätzung von Herzerkrankungen war die Annahme, dass die Beschaffenheit der am Augenhintergrund lokalisierten Blutgefäße auf den körperlichen Gesamtzustand eines Menschen schließen lässt. Die Augenhintergrundscans werden über Algorithmen analysiert und das Risiko einer möglichen Herzerkrankung berechnet.

Pipettier-Roboter für Blut-, Urin- und Liquorproben in der Essener Biobank.
Foto: Universitätsklinikum Essen

Die Firma Verily Life Sciences entwickelte hierfür gemeinsam mit der KI-Abteilung von Google einen KI-Algorithmus auf der Datenbasis von mehr als 280.000 Patienten. Der auf neuronalen Netzwerken basierende selbstlernende Algorithmus erkennt Muster und Zusammenhänge aus den gespeicherten Bildern zur Gefäßstruktur des Augenhintergrunds und anderen Risikofaktoren wie beispielsweise Alter, Blutdruck, Trink- und Rauchgewohnheiten sowie Vorerkrankungen. Ziel war die Risikoabschätzung für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung in den nächsten fünf Jahren. Die Genauigkeit dieser Methode wurde mit 70 Prozent ermittelt, was als im Vergleich zu den herkömmlichen Methoden als Zeit- und Kostenersparnis bewertet wurde.

Ein trainierter KI-Algorithmus kann Vorhofflimmern erkennen

Auch beim Screening hält KI immer mehr Einzug.
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Die Apple Watch arbeitet mit einem Herzfrequenzmesser, der dank grüner LEDs und lichtempfindlicher Fotodioden den Blutfluss im Handgelenk bestimmen kann. Wissenschaftler der University of California in San Francisco sammelten so die Gesundheitsdaten von über 6.000 Teilnehmern einer Studie und werteten diese über einen KI-Algorithmus aus. Das Ziel: Es sollte ein mögliches Vorhofflimmern des Herzens nachgewiesen werden. Der Großteil der Teilnehmer dieser eHeart-Studie zeigte normale EKG-Werte. Anhand von 200 Studienteilnehmern mit nachgewiesenem Vorhofflimmern wurde ein neuronales Netzwerk trainiert. Die Forscher testeten ihr Modell anschließend gegen die Daten von 51 Kardioversions-Patienten. Der Nachweis von Vorhofflimmern gelang auf Basis der gesammelten Daten mit einer Genauigkeit von 97 Prozent.

Ein anderes, in der klinischen Diagnostik eingesetztes Diagnostikverfahren betrifft die über Musteranalysen praktizierte Differentialdiagnostik tumoröser Hautveränderungen, die von der Gruppe um Sebstian Thrun in Nature publiziert wurde. Die Stanford-Projektgruppe sammelte 130.000 Bilder zu verschiedenen Hautläsionen. Sie analysierte deren Charakteristika über einen Algorithmus, der mit der diagnostischen Genauigkeit von 21 Dermatologen verglichen wurde. Die Untersuchung zeigte eine vergleichbare bis bessere diagnostische Leistung der Maschine.

Verdacht auf Hirnblutung: Digitalisierung in der Notfallmedizin

Intelligente Chatbots wie WoeBot sollen Depressionen und Angstzustände günstig beeinflussen.
Foto: WoeBot Labs

Die Digitalisierung erreicht mehr und mehr auch das Gebiet der Notfallmedizin. So arbeitet IBM Watson Health mit der Firma MaxQ-Ai an einer Entscheidungsunterstützung in Echtzeit, die den Ärzten der Notaufnahme bei Verdacht auf eine Hirnblutung auf Basis von CT-Datensätzen mittels kognitiver Analytik und KI geboten wird. Für den Patienten kann dies ein schnelleres und adäquateres Handeln bedeuten. Auch die Universitätsmedizin Göttingen arbeitet mit Partnern an einem intelligenten, zwischenzeitlich mehrfach ausgezeichneten intelligenten Assistenzsystem in der Interdisziplinären Notaufnahme (A.L.I.N.A.). Mit dessen Hilfe können nicht-akademische Berufsgruppen der Notfallmedizin - Rettungs- beziehungsweise Notfallsanitäter und Pflegekräfte in den Notaufnahmen - eine webbasierte Unterstützung in ihrer beruflichen Tätigkeit über mobile Endgeräte erhalten. Diese Assistenzsysteme geben beim Einsatz fallorientiert Hilfestellung, um sehr zielgerichtet auf die akute Notfallsituation fokussieren zu können.

Kann KI Depressionen erkennen?

Die diagnostische KI-Anwendung weitet sich zunehmend auch auf psychische Erkrankungen aus. So versuchen Wissenschaftler seit Jahren, mithilfe von MRT-Scans Hinweise auf Depressionen zu erhalten. Durch Einsatz maschinellen Lernens verbesserten sich die Ergebnisse. Zwischenzeitlich ergibt der Vergleich der Hirnscans von betroffenen und nicht betroffenen Personen die korrekte Diagnosestellung in fast 75 Prozent. Am Weill Cornell Medical College, New York, arbeiten Wissenschaftler an einer differenzierten Typisierung der Depression ebenfalls über Machine-Learning-Algorithmen. Diese Technik wird weiterhin eingesetzt zur Analyse von Stimmmustern, um bei Patienten in der posttraumatischen Phase zwischen Psychose und Depression zu differenzieren.

Angst vor Gespräch mit Psychologen - Eine Chance für Robotik, Bots und Co.

Eine emotionale Interaktion zwischen Mensch und Roboter sollen Androide wie FACE künftig ermöglichen.
Foto: faceteam.it

Eine weitere Entwicklung in diese Richtung zeichnet sich mit dem Startup X2AI ab, das mit Tess einen psychologisch geschulten KI-Chatbot für Patienten mit Depressionen entwickelte. Derartige Chatbots können vor allem dann eine emotionale Stütze bieten, wenn die traditionelle Therapie nicht zugänglich ist. Psychologen und KI-Experten der Stanford-Universität haben WoeBot entwickelt, der als "Kummer-Bot" die psychische Gesundheit des App-Nutzers unterstützt und Depressionen sowie Angstzustände günstig beeinflussen soll. Der WoeBot tritt mit dem Nutzer täglich per Chat in Kontakt und erkundigt sich nach seinen Sorgen, Ängsten, Problemen und anderen Themen. Aus den angegebenen Daten zieht der Woebot ein "Tracking der Stimmung", das dem Nutzer dabei helfen soll, gewisse Muster in seinem Leben wiederzuerkennen. Diese Beobachtungen resultieren auch aus dem Umstand, dass sich Menschen einer Maschine wesentlich schneller und auch intensiver öffnen als ihren Psychologen und Ärzten. Sie haben weniger Furcht vor resultierender Ablehnung. Genau hier könnte die Robotik einen weiteren Entwicklungsschritt ermöglichen.

Wissenschaftler der Universität Pisa forschen an Emotionalen Interaktionen zwischen Mensch und Robotern. Die Forschergruppe nutzt einen mit Hanson Robotic entwickelten Androiden mit dem Namen FACE (Facial Automation for Conveying Emotions). Der Roboter imitiert emotionale Zustände, Empathie und nicht-verbale Kommunikation, verbunden mit automatischer Gesichtsmimik. Ein anderer Roboter mit Befähigung zum sozialen Verhalten ist Kismet, aus dem KI-Labor des MIT, Cambridge, USA. Kismet erkennt Körpersprache und Tonfall des Menschen und reagiert entsprechend. Diese unterschwelligen Interaktionen könnten zu einem Fundament für ein Lernsystem zu gefühlsmäßigen Bindungen zwischen Mensch und Roboter möglich werden.

Kuscheln mit dem Roboter?

Heftig umstritten - ist statt menschlicher Zuneigung künftig das Kuscheln mit dem Roboter angesagt? (Im Bild der Therapieroboter Paro von Parorobots als Robbe)
Foto: parorobots.com

Die Interaktion Mensch-Roboter wirft diverse Fragestellungen auf. Die Gemüter bewegen dabei weniger die Roboter in den Laborstraßen, es geht vielmehr um Roboterassistenzsysteme bei Operationen, Pflegeroboter oder um den eher provokativ formulierten Bereich "Kuscheln mit dem Roboter". Bei der roboterassistierten Chirurgie findet die Bildgebung immer mehr Eingang in die chirurgischen Behandlungsschritte. Ein nächster Entwicklungssprung wird vollzogen, wenn Präparations- oder Resektionsverfahren von der Maschine selbstständig entlang mittels Bildanalyse wohl definierter anatomischer Strukturen vollzogen werden können. Das Thema Pflegerobotik genießt eine hohe, teilweise auch konfrontative Aufmerksamkeit, wenngleich diese aktuell noch in den Kinderschuhen steckt. Einfache Handreichungen und Dokumentationsvorgänge sind möglich. Lagerungshilfen dürften mittelfristig Entlastung bei den Pflegenden schaffen.

Ebenfalls kontrovers verlaufen die Diskussionen zur Roboterrobbe Paro. Etwa 2,7 Kilogramm schwer, 57 Zentimeter lang, ausgestattet mit einem weißen kuscheligen Fell. Die Robbe hat etliche Berührungssensoren und ermöglicht den Zugang zu Menschen, die für ihre Außenwelt kaum noch erreichbar sind. Die Kritiker pochen auf Zuwendung von Mensch zu Mensch. Was aber tun, wenn diese einfach nicht verfügbar sind? Diese und vergleichbare Fragen verdeutlichen die Notwendigkeit, ethische Aspekte in die Zukunftsplanungen zur digitalisierten Medizin einzubeziehen. So hat sich die Universitätsmedizin Essen dazu entschieden, ihren Weg zum Smart Hospital durch die Gründung einer überregional besetzten Ethik-Ellipse begleiten zu lassen.