Wie die IT die Automobilbranche aufmischt

Das Internet of Things erobert die Straße

18.05.2016 von Michael Ramsperger
Es sind DIE Themen auf den Veranstaltungen der Automobilbranche: Connected Cars und autonomes Fahren. Noch vor wenigen Jahren galt das Interesse von Autoliebhabern vor allem den inneren Werten unter der Motorhaube und dem Design - heute rückt die digitale Ausstattung der Autos zunehmend in den Fokus.
Das Internet of Things ist die Grundlage für das Connected Car.

Für Automobilhersteller bedeutet der neue Fokus der Kunden viele neue Herausforderungen, insbesondere, da ihnen innovative IT-Unternehmen - vor allem aus dem Silicon Valley - hier immer mehr Konkurrenz machen. Doch es geht auch anders: Wenn Automobilhersteller und IT-Unternehmen zusammenarbeiten.

IoT-Plattformen als Grundlage für Connected Cars

Das Internet of Things ist die Grundlage für das Connected Car, das uns nicht mehr nur schnell, sicher und schick von A nach B bringen soll, sondern jetzt auch den Status einer Kommunikationszentrale einnimmt. Die Datenübertragung funktioniert in zwei Richtungen:

Es geht also zunächst um das Sammeln von Daten und dann um die Auswertung sowie intelligente Verknüpfung - in Echtzeit, sodass dem Fahrer der Mehrwert sofort zur Verfügung steht. Am Besten gelingt dies über Cloud-native Plattformen sowie Data Science Algorithmen. Cloud-nativ steht für die Komposition eines Systems, welches elastisch und skalierbar ist und gleichzeitig hochgradig robust, indem es annimmt, dass Infrastruktur, Netze oder ganze Regionen anfällig und austauschbar sind. Es steht für ein ganzheitliches Framework bei dem Software-Entwicklung, Continuous Deployment, Prozesse und Ressourcen über eine strukturierte Plattform mit hohem Automatisierungsgrad ineinandergreifen. Cloud-native Vorreiter mit ihren jeweiligen Eigenentwicklungen sind Unternehmen wie Netflix und Amazon.

Intelligente Prognosen und erhöhte Sicherheit

Die Connected-Car-Anwendung von Mercedes schickt Fahrzeuginformationen in die Cloud, die dann intelligent aufbereitet werden.
Foto: Screenshot/Mercedes Benz

Die Basis für die IoT-Plattform beim Connected Car bildet idealerweise die Cloud-native Plattform, auf der die einzelnen Bestandteile aufbauen. Neben den IoT-Komponenten, Sensoren, mobilen und eingebetteten Geräteanwendungen werden Big- und Fast-Data-Services benötigt, auf denen Data Science Algorithmen den analytischem Output liefern. Das IoT-Backend bildet die Plattform, auf der die Services miteinander interagieren, indem Sensor- & Log-Daten durch (Data-)Microservices verarbeitet werden. Die Plattform ermöglicht darüber den Betrieb über den gesamten Lebenszyklus der Applikationen durch Load Balancing, Message Queues, Health Monitoring, Scaling und Application Performance Management.

Ein gutes Beispiel ist hier die Connected-Car-Anwendung von Mercedes-Benz. Die auf Basis der Cloud-nativen Plattform entwickelte App stand bereits vier Monate nach der Vorstellung des ersten Prototyps kostenlos zum Download bereit.

Das Connected Car von Mercedes-Benz funktioniert folgendermaßen: Über die On-Board-Diagnose des Fahrzeuges (bei älteren Fahrzeugen) oder direkt über eine API mit dem Auto werden Informationen beispielsweise Umdrehungen pro Minute, Geschwindigkeit, Treibstoffverbrauch, Beschleunigung und Temperatur des Motors gesammelt. Ein Smartphone bzw. eine Smart Watch reichert anschließend die gesammelten Daten mit GPS-Informationen an und lädt sie in die Cloud.

Auf Basis der gesammelten Daten sowie der aktuellen Verkehrslage können intelligente Prognosen erstellt und dem Fahrer im Auto zur Verfügung gestellt werden. Zudem profitieren Nutzer von Echtzeitinformationen über den aktuellen Zustand ihres Wagens, die sie auch bequem über die App abrufen können, wenn sie nicht im Fahrzeug sitzen. Anwendungen wie die Standheizung sowie das Öffnen und Schließen der Türverriegelung werden aus der Ferne gesteuert. Updates werden schnell und unkompliziert 'over the air' durchgeführt. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das autonome Fahren rückt in greifbare Nähe, die Fahrsicherheit wird verbessert und es können automatisierte Notfallmanagement-Funktionen entwickelt werden, die bei einem Unfall oder einer Panne die richtigen Dienste informieren.

Neue Ansätze sind gefragt

Von grundlegender Bedeutung ist nicht nur, dass Daten schnell gesammelt werden. Essenziell ist, dass sie so schnell analysiert und interpretiert werden können, dass Fahrer in Echtzeit über wichtige Vorkommnisse informiert werden und einen Mehrwert generieren. Doch traditionelle Automobilhersteller sind keine Experten für Datenerhebung und -verarbeitung. Trotzdem: In naher Zukunft müssen sie die Daten von Millionen von Fahrzeugen gleichzeitig verarbeiten, was herkömmliche Systeme überfordert. Sowohl für die Gestaltung neuer Anwendungen, die die Wünsche der Kunden erfüllen, als auch für die Schaffung neuer Plattformen, die die Datensammlung und -verarbeitung gewährleisten, sind Automobilhersteller auf IT-Unternehmen angewiesen, die ihnen zu Verfügung stellen, was sie für innovative Real-Time Connected Car-Anwendungen benötigen.

Doch die IoT-Plattformen müssen sogar noch einen Schritt weiter gehen: Auf Basis der erhobenen Daten wollen die Automobilhersteller schnell neue Software und Services entwickeln, die genau auf die Kundenbedürfnisse abgestimmt sind. Dafür müssen Entwicklungszyklen deutlich verkürzt und die bereits vorhandene Software beständig weiterentwickelt werden. Idealerweise sollten kleine Updates und Batches bereits täglich bereitgestellt werden.

Die schnellen Entwicklungszyklen haben nicht nur den Vorteil, dass Unternehmen schneller und agiler reagieren. Auch Sicherheitslücken können sehr viel schneller entdeckt und geschlossen werden. Das Thema IT-Security darf bei allem Enthusiasmus für IoT nicht in den Hintergrund geraten. Vor allem beim Connected Car kann es um Menschenleben gehen, wenn Daten in die falschen Hände geraten und Manipulationen eines Fahrzeugs möglich werden. Auch die IoT-Plattformen müssen kontinuierlich gegen Angriffe von außen abgesichert sein. Zudem sollten die Käufer von Connected Cars darüber aufgeklärt werden, welche Daten wo hinfließen, wie sie verarbeitet und analysiert und wo sie langfristig gesichert werden.

Audi e-tron quattro concept
Die Ingolstädter VW-Tochter Audi zeigt auf der CES 2016 ein neues Concept Car. Das e-tron quattro concept ist ein Elektroauto mit 500 Kilometern Reichweite. Der Zukunfts-Audi ist mit seinen drei E-Motoren und einem maximalen Drehmoment von 800 Newtonmetern nicht nur antriebstechnisch ein Kraftprotz: OLED-Laserlicht, Curved OLED-Displays im Innenraum, bewegliche Aerodynamik-Elemente und ein Solardach sind nur einige der enthaltenen High-Tech-Features.
Faraday Future
Mit der Ankündigung eines Tesla-Konkurrenten sorgte das neu gegründete Unternehmen Faraday Future bereits im Vorfeld der CES 2016 für Furore. Der FFZero1 ist das erste Concept Car und demonstriert die neu entwickelte, modulare Plattform von Faraday Future die durch ihre Flexibilität den Bau einer Vielzahl unterschiedlicher Elektroauto-Modelle ermöglicht. Das Elektro-Extremsportwagen-Concept zeichnet sich vor allem durch seine Konnektivität aus und soll sich so adaptiv und individuell an seinen Besitzer anpassen. Dazu gibts vier Elektromotoren, Allradantrieb und rund 1000 PS. Ob der neue Elektroauto-Bauer aus Kalifornien künftig tatsächlich dem Pionier Tesla das Wasser abgraben kann, wird sich zeigen. Die Vorzeichen stimmen schon einmal: die Entwickler hinter dem Projekt arbeiteten früher unter anderem für BMW und Tesla, der Bau einer neuen Fabrik in Kalifornien für rund eine Milliarde Dollar ist bereits beschlossene Sache.
Volkswagen Budd-E
Der VW-Konzern zeigt auf der CES mit dem Concept-Van Budd-E, wie die Zukunft des legendären Bulli aussehen könnte. Der Budd-E ist die erste Studie, die auf VWs neuem, modularen Elektrifizierungsbaukasten entstanden ist. Der allradgetriebene Elektro-Bolide soll mit einer Akkuladung mehr als 500 Kilometer weit kommen. Der Innenraum des Budd-E wird dominiert von einem massiven Display, das auf Gesten- und Touchbefehle reagiert. Auch die Türen lassen sich per Geste öffnen. Das Internet of Things ist auch bei VW angesagt: der Budd-E ist mit dem Smart Home vernetzt.
BMW i Vision Future Interaction
Der Münchner Premium-Hersteller BMW präsentiert auf der CES 2016 das i Vision Future Interaction Concept Car, dessen Innenleben einen "berührungslosen Touchscreen" beherbergt. Das "AirTouch" getaufte Feature soll mit Hilfe zahlreicher Sensoren die Bedienung von Fahrzeugfunktionen ermöglichen - ohne das Panorama-Display im Wagen selbst zu berühren. Was das alles soll? Zitat BMW: "Das ermöglicht eine maximale Konzentration des Fahrers auf das Geschehen auf der Straße oder bietet zusätzliche komfortable Bedienmöglichkeiten, wenn das Fahrzeug hochautomatisiert fährt."
BMW Motorradhelm mit Head-Up-Display
Die Motorrad-Sparte von BMW ist auf der CES ebenfalls vertreten und präsentiert den Prototypen eines neuartigen Motorradhelms mit integriertem Head-Up-Display.
Bosch Connected-Car-Lösungen
Die Robert Bosch GmbH zeigt auf der CES 2016 wie das vernetzte Auto der Zukunft aussehen könnte. Mittelkonsole und Armaturenbrett des Bosch Showcars bestehen aus einem riesigen Display, dessen Inhalte sich automatisch an die Umgebung und individuellen Präferenzen des Fahrers anpassen. Weitere Features: ein cloudbasiertes Falschfahrerwarnsystem, automatisches Einparken, Vernetzung mit weiteren Diensten und Devices (beispielsweise Smart Home) und ein ganz besonderer Touchscreen.
Bosch Touchscreen
"Ganz besonders" ist der Touchscreen von Bosch deswegen, weil er in der Lage ist durch haptisches Feedback die Existenz mechanischer Buttons vorzutäuschen. Die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen die das Display erzeugt, sollen dafür sorgen dass der Fahrer Elemente "ertasten" kann - und damit weniger abgelenkt ist.
Chevrolet Bolt
General Motors präsentiert zur CES 2016 sehr wahrscheinlich die Serienversion seines Elektro-Kleinwagens Bolt. Das E-Auto wurde in Kooperation mit dem koreanischen Tech-Riesen LG realisiert. Die Reichweite des Chevrolet Bolt soll bei etwas mehr als 300 Kilometern liegen.
Delphi V2E
Zulieferer Delphi forscht bereits seit einigen Jahren im Bereich des autonomen Fahrens und zeigt in Las Vegas die V2E-Technologie. Unter dem Begriff V2E (Vehicle to Everything) fasst Delphi verschiedene Kommunikationstechnologien zusammen: Ein V2E-Fahrzeug ist demnach nicht nur in der Lage mit anderen Autos und der Infrastruktur, sondern auch mit Fußgängern (über deren Smartphones) zu kommunizieren. Neben der V2E-Technologie zeigt Delphi auch ein berührungsloses 3D-Interface und eine nachrüstbare V2V-Lösung.
Ford & DJI
US-Autobauer Ford kooperiert künftig mit dem Drohnen-Hersteller DJI. Das Ziel der Zusammenarbeit: künftige Ford-Modelle sollen mit Drohnen kommunizieren, beispielsweise nach Unfällen in schwer zugänglichen Gebieten. Zudem plant Ford auch die Vernetzung seiner Autos mit Amazon Echo und der Smart-Home-Plattform Wink.
Mercedes Concept IAA
Mercedes-Benz zeigt auf der CES sein bereits von der IAA bekanntes Concept Car.
Mercedes E-Klasse 2016
Die neue E-Klasse in ihrer Gesamtheit gibt es in Las Vegas zwar noch nicht zu sehen, aber immerhin präsentiert Mercedes in Las Vegas schon einmal das neue Interieur seines Dauerbrenners in der oberen Mittelklasse. Wesentliche Features: zwei hochauflösende 12,3-Zoll Displays und Touch-Buttons am Lenkrad die eine völlig neue, komfortable Art der Bedienung gewährleisten sollen.
Nvidia Drive PX 2
Nvidia präsentiert auf der CES 2016 eine Art Supercomputer für Connected Cars und autonomes Fahren. Der Nvidia Drive PX 2 soll nach Angaben von Nvidia in etwa die Rechenpower von 150 Macbook Pros in sich vereinen - dabei aber nicht größer als eine Lunchbox sein. Das Device kann von allen Autobauern genutzt werden.
Rinspeed Etos
Von der Schweizer Automanufaktur Rinspeed kommt der Etos. Das autonom fahrende Concept Car (die technische Basis bildet ein BMW i8) will zeigen, wie die Auto-Zukunft aussehen könnte. Im Innenraum des Hybrid-Sportwagens sorgen zwei 21,5-Zoll-Ulra-HD-Monitore dafür, dass die Insassen alles im Blick haben. Gesteuert wird ganz nach Belieben per Touch-, Gesten- oder Sprachbefehl. Acht HD-Kameras an der Außenhaut des Fahrzeugs überwachen die Umgebung und eliminieren tote Winkel. Im Heck des Fahrzeugs ist darüber hinaus eine DJI-Drohne "geparkt". Diese kann beispielsweise Fahraunahmen in Echtzeit streamen.
Toyota Map Generation
Toyota hat sich einer wesentlichen Hürde der autonomen Mobilität angenommen: der Sammlung von Daten für hochpräzise Karten. Diese Aufgabe übernehmen bislang Spezialfahrzeuge mit 3D-Laserscannern. Der japanische Autokonzern hat ein System entwickelt, mit dem die Daten für solche hochkomplexen Karten von Serienfahrzeugen gesammelt werden können. Die Japaner planen, das System ab 2020 in ihren Fahrzeugen anzubieten.
Volvo & Ericsson
Volvo stellt auf der CES ein Kooperations-Projekt mit dem Netzwerkausrüster Ericsson vor. Intelligente Breitband-Streaming-Dienste sollen im autonomen Auto dafür sorgen, dass die Insassen HD-Inhalte jederzeit verzögerungsfrei genießen können.
ZF Concept Cockpit
Erstmals auf der CES in Las Vegas vertreten ist der Automobil-Zulieferer ZF. Auch die Friedrichshafener widmen sich dem Thema autonomes Fahren und zeigen wie die Mensch-Maschine-Schnittstelle in der autonomen Zukunft aussehen könnte. Die wesentlichen Features: intelligentes Lenkrad, Touchscreen mit haptischem Feedback, Gesichts- und Emotionserkennung sowie smarte Sicherheitsgurte.

Die Transformation endet nicht mit der IT

Moderne Unternehmen sind sich deutlich bewusst, dass die IT und zukunftsweisende Trends wie IoT, Cloud und Big Data heute die treibenden Kräfte und essenziell sind, um weiterhin erfolgreich zu sein. Allein durch neue Möglichkeiten der IT entstehen vollständig neue Unternehmensmodelle, die Marktnischen für sich erobern und sich anschließend ausbreiten.

Das Connected Car sowie Carsharing-Services sind nur die ersten Beispiele aus dem Automobil-Sektor für transformative Unternehmens-Modelle. Bei den traditionellen Automobilherstellern müssen die Prozesse und der Aufbau der Abteilungen an die neuen Herausforderungen und Aufgaben angeglichen werden, da die IT eine viel wichtigere Rolle im Unternehmen einnimmt und teilweise Abläufe anders bestimmt. Natürlich passieren diese Änderungen nicht über Nacht. Automobilhersteller müssen sich bewusst sein, dass es sich hier um eine Reise handelt, die auch länger dauern kann und bei der sie auch Fehlschläge erwarten. Doch aus Fehlern lernt man und am Ende stehen zufriedene Kunden, neue Produkte, ein modernes Unternehmensmodell und der Erfolg. (mb)