Interview mit Karl-Heinz Streibich, Software-AG

Das digitalisierte Unternehmen

19.06.2013 von Heinrich Vaske
Für Software-AG-Chef Karl-Heinz Streibich gehört die Zukunft dem komplett durchdigitalisierten Unternehmen.

CW: Die Software AG gehört zu den Unternehmen, die ihre Zukunft unter anderem auf das Thema Big Data verwetten. Warum sehen Sie ein so großes Potenzial?

Streibich: Das ist keine Wette, sondern das Ergebnis sorgfältiger Marktbeobachtung und unternehmerischer Entscheidungsfindung. Big Data ist ein Phänomen, das aus dieser Welt nicht mehr wegzudenken ist und auch nicht mehr verschwinden wird. Zusammen mit den anderen drei technologischen Megatrends Cloud, Mobile und Social Collaboration führt dies zu einer digitalen Revolution - dem komplett digitalisierten Unternehmen. Das Aufeinandertreffen dieser vier Megatrends zum gleichen Zeitpunkt ist einmalig in der IT-Branche. Wir haben es hier mit einer Veränderung zu tun, deren Auswirkungen größer sind als alles, was wir bisher in der IT-Welt erlebt haben.

Die digitale Revolution wird jeden betreffen: jede Branche, jedes Unternehmen und jeden Kunden. Die vier Megatrends werden in den kommenden Jahren die maßgeblichen Wachstumstreiber der Softwarebranche sein. Für das Thema Big Data sehen wir uns als Unternehmen, das als Daten-Management-Company gegründet wurde, bestens aufgestellt.

Karl-Heinz Streibich ist seit September 2003 Vorstandsvorsitzender der Software AG, Darmstadt.
Foto: Software AG

CW: Wesentliche Big-Data-Elemente, allen voran In-Memory-Datenbanken, sind gar nicht so neu. Wie kommt es zu dem starken Hype dieser Tage?

Streibich: Neu sind zwei Dinge. Zum einen handelt es sich um wirklich unvorstellbar große Datenmengen - um das zu veranschaulichen: die Daten, die von Anbeginn der Menschheit bis zum Jahr 2003 erzeugt wurden, entstehen heute in nur zwei Tagen. Zum anderen sind die Daten unstrukturiert, liegen also in jeder nur denkbaren Form vor. Mit Smartphones werden Textnachrichten und Bilder erstellt, Videos oder Spiele heruntergeladen und Sensordaten von Maschinen abgerufen. Das sind ganz neue Herausforderungen, die an In-Memory-Technologien gestellt werden.

Der entscheidende Faktor ist dabei die Geschwindigkeit, besonders im Unternehmensumfeld: Wie schnell können unternehmensrelevante Daten ausgewertet werden, und wie kann ein Unternehmen möglichst schnell darauf reagieren, um die neu gewonnenen Erkenntnisse direkt umzusetzen? Das sind für Unternehmen künftig überlebenswichtige Fragen und kein Hype.

Trendthema Big Data
Von der Auswertung der riesigen Datenmengen, die täglich von IT-Systemen erfasst werden, versprechen sich Unternehmen, aber auch öffentliche Einrichtungen große Vorteile.
Vorteile von Big Data
Laut der Untersuchung von Barc erwarten sich Unternehmen von Big Data vor allem Vorteile auf strategischer Ebene. Doch das setzt voraus, dass Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen Hand in Hand arbeiten: Business Manager, IT-Fachleute und Experten für das Sammeln und Auswerten von großen Datenbeständen.
Benno Zollner, Chief Information Officer von Fujitsu Technology Solutions
" Big Data Lösungen kombinieren Informationen aus unterschiedlichen Quellen und einer Vielzahl von Technologien. Deshalb müssen Big-Data-Fachleute interdisziplinäre Erfahrungen mitbringen."
Big Data: Wer analysiert?
Die Analyse der Daten, die im Rahmen von Big-Data-Projekten erfasst werden, erfolgt laut einer Studie von TCS vornehmlich durch die Fachabteilungen, die diese Informationen verwenden. Die IT-Abteilung spielt eine untergeordnete Rolle.
Kay Müller-Jones, Head of Global Consulting Practice bei Tata Consultancy Services:
"Neben technischen Fertigkeiten und fachlichem Wissen sollten Big-Data-Fachleute über ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl im Umgang mit Kollegen verfügen. Denn gerade Big Data erfordert ein fachbereichsübergreifendes Denken, das Informationen aus vormals klar abgegrenzten Bereichen zusammenführt."
Big Data, die Probleme
Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Barc zählt fehlendes Fachwissen zu den größten Hemmnissen, mit denen sich europäische Unternehmen bei Big-Data-Projekten konfrontiert sehen.
Big Data: Wer ist zuständig?
Die Verarbeitung, das "Processing", von Big Data ist Aufgabe von IT-Fachleuten. Das können hauseigene Mitarbeiter sein, aber auch externe Spezialisten.
Analytische Infrastruktur für Big Data

CW: Wo liegt aus Ihrer Sicht das Differenzierungspotenzial der Anbieter? Welche Rolle spielt vor diesem Hintergrund die in den USA ansässige Firma Terracotta in Ihrem Portfolio?

Streibich: Wie bei jeder neuen Technologie ist das Lösungsangebot aller Anbieter am Markt anfangs oft sehr heterogen und nicht übersichtlich. Das Portfolio der Software AG hat dabei den Vorteil, dass es herstellerneutral ist und auf Standardtechnologie basiert. Technologisch gesehen bieten wir mit der Terracotta-Technologie eine In-Memory-Middleware-Plattform an, die einen Datastore und einen Event-Manager hat, alle relevanten Sprachen versteht - Java, .NET, C++ -, Zugriff auf SQL und No-SQL bietet und auch eine Messaging-Plattform für viele Endgeräte liefert. Damit sind wir äußerst flexibel, ganz gleich, welche Systeme ein Kunde bereits hat und welche Lösungen er benötigt. Das ist unser wesentliches Differenzierungsmerkmal.

Übergang von der alten in die neue Welt

CW: Die Software AG hat eine alte Produktwelt, die Enterprise Transaction Systems (ETS) mit der Adabas-Datenbank und der Abfragesprache Natural im Zentrum, und eine neue mit BPM-, Big-Data- und Integrationslösungen. Wie schaffen Sie den Übergang von der alten in die neue Welt?

Streibich: Datenbanken werden auch in Zukunft erforderlich sein. Die Realtime-Intelligenz befindet sich jedoch heute in der In-Memory-Plattform. Das eine schließt das andere aber nicht aus, sondern beide ergänzen sich. Adabas und Natural sind für eine große Kundenbasis praktisch unersetzlich, sowohl aus technologischer Sicht als auch aus Effizienzgründen. Es gibt daher für diese Kunden so gut wie keinen Grund, unsere Datenbankprodukte durch andere Technologien zu ersetzen. Das Risiko und die Kosten eines solchen Schritts wären hoch und ein Nutzen praktisch nicht vorhanden. Im Gegenteil: Es würden zusätzliche Kosten entstehen, und die Anwendungen wären de facto weder schneller noch performanter. Adabas und Natural werden in puncto Performance führend bleiben und weiterhin neueste Technologietrends integrieren.

CW: Können Sie mit dem Wachstum der neuen Produkte den Einbruch im Segment der angestammten Produkte kompensieren?

Streibich: Wir verzeichnen keinen Einbruch, sondern ein sukzessive rückläufiges Lizenzgeschäft im Bereich Enterprise Transaction Systems. Das Wartungsgeschäft, also die Kundenbasis, bleibt dabei relativ stabil, deshalb haben wir schon früh auf das Wachstumsfeld Business Process Engineering (BPE) gesetzt. Heute machen wir bereits mehr Umsatz im BPE-Geschäft. Dennoch wird das ETS-Geschäft weiter eine hochprofitable Geschäftsbasis sein.

Im Software-AG-Campus spiegelt sich die anthropologische Geisteshaltung des SAGGründers Peter Schnell wider.
Foto: Software AG

CW: Der Kursverlauf der Software-AG-Aktie war nach zuletzt mäßigen Quartalszahlen nicht besonders günstig. Hat die Börse Sorge, dass Sie ein Altlastenproblem bekommen könnten? Oder woran liegt`s?

Streibich: Natürlich gibt es Investoren, die unsere Entscheidung für mehr Wachstum zu Lasten kurzfristiger Ergebnisse mit Blick auf ihr Chancen-Risiko-Profil nicht mittragen wollen. Das ist ihr gutes Recht. Mancher Investor wird möglicherweise auch aufgrund seines Zeithorizonts die vorerst rückläufige Entwicklung unserer Gewinne je Aktie nicht mitmachen wollen. Aber für die Software AG ist der eingeschlagene Weg der richtige, davon sind wir überzeugt. An dem Vertrauen in die neue Wachstumsstory werden wir weiter arbeiten.

Am Ende läuft es aber auf die Frage hinaus, ob die Anleger das dem Management zutrauen. Hier haben wir einen guten Track Record. Denn 2004 sind wir schon einmal mit einer langfristigen Wachstumsstrategie angetreten. Seither haben wir das Unternehmen nicht nur in einem neuen Geschäftsfeld etabliert, sondern auch den Marktwert versechsfacht. Die bis 2012 angestrebte Umsatzmilliarde hatten wir bereits 2010 erreicht.

"Die SAP hat Pionierarbeit für das Big- Data-Bewusstsein geleistet"

CW: Wie verändern sich die Märkte, wenn auch andere Player, zum Beispiel eine SAP mit ihrer HANA-Appliance, in das Datenbank-Business drängen?

Streibich: Die SAP hat Pionierarbeit für das Big- Data-Bewusstsein geleistet. Das kommt auch uns zugute. Unser Terracotta-Angebot grenzt sich deutlich von HANA ab. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen bieten wir zum Beispiel reine Software und keine Appliance mit Hardware an. Außerdem fokussieren wir uns eher auf Anwendungen der Programmiersprachen Java und .NET. Dabei speichern wir die Daten nicht nur und stellen sie der Applikation zur Verfügung, sondern haben eine Event- und Messaging-Lösung integriert, um die Daten schnell zu analysieren.

Es gibt viele Differenzierungsmerkmale, und je weiter sich der Big-Data-Markt entwickelt, umso klarer treten die Unterschiede der verschiedenen Angebote zutage. In Zukunft werden In-Memory-Technologien die Datenspeicherung möglicherweise verlassen und sich in Richtung Plattform entwickeln. Neue Applikationen werden nativ mit diesen neuen Technologien erstellt. Eines ist sicher: Wir beherrschen beide Technologien.

Big Data in Zahlen
Karl Valentin hat einmal das Bonmot geprägt, schwer sei leicht was. Das kann man für den Trend Big Data mit Sicherheit auch behaupten. Sinnvoll in der Theorie, schwer in der Realisierung. Wir liefern ein paar Fakten.
Welche Probleme sehen Sie beim Einsatz von Big Data?
Big-Data-Konzepte werden nicht vorangetrieben, weil es an den richtigen Skills fehlt.<br> Angaben in Prozent; n = 206; Mehrfachnennungen möglich; Quelle: BARC

CW: Glauben Sie, dass deutsche Unternehmen verstanden haben, was eine Data Driven Company ist? Und welche Chancen auf Wettbewerbsvorteile haben Early Adopters?

Streibich: Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, schnell zu reagieren, um dem Wettbewerb standzuhalten. Grundlage ist das schnelle Erfassen und Analysieren riesiger Datenmengen - und schnell bedeutet in Echtzeit. Viele unserer Kunden haben das verstanden und den Wandel zu "Data Driven Companies" vollzogen. Die Softwarebranche hat die Aufgabe, der aktive Treiber des Wandels und Fortschritts für die Unternehmen zu sein. Ein Early Adopter hat sicher auch eine größere Chance, langfristig erfolgreich zu sein, wenn er dadurch früher zu einem digitalen Unternehmen wird. Das ist ein kontinuierlicher Prozess.

CW: Neben Big Data ist das Business-Process-Management (BPM) ein weiteres großes Thema der Software AG. Außerdem haben Sie mit Webmethods eine Integrationsplattform im Angebot und die bereits angesprochene Adabas- und Natural-Welt. Wie lässt sich aus so einem gemischten Produktangebot eine kohärente Strategie ableiten?

Streibich: Das Portfolio der Software AG, die Software AG Suite, steht für Prozess- und Integrationssoftware. Wir bieten unseren Kunden alles, was sie brauchen, um IT-Landschaften zu harmonisieren. Um im Wettbewerb zu bestehen, ist es essenziell, dass die Qualität, also Konsistenz, geschäftskritischer Daten im gesamten Unternehmen gleich hoch ist. Unterschiedliche Datenqualität und heterogene IT-Landschaften verlangsamen die Geschwindigkeit, mit der Geschäftsentscheidungen getroffen werden. Die Zukunft liegt somit in der kompletten Digitalisierung. Jedes Unternehmen braucht eine einzigartige, unverwechselbare digitale Vision. Diese Vision realisieren wir und garantieren mit unseren Technologien und Services, dass sie auch Wettbewerbsvorteile bringt. (mhr)

Zur Person

Der studierte Nachrichtentechniker hatte im Lauf seiner Karriere diverse Führungspositionen in der ITK-Branche inne. Unter anderem war er Geschäftsführer der Debis Systemhaus GmbH sowie stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung von T-Systems. In dieser Rolle verantwortete er die Fusion von Debis Systemhaus und Deutscher Telekom IT.

Streibich ist Mitglied des Bitkom-Präsidiums sowie im Vorstand der regionalen Wirtschaftsinitiative Frankfurt Rhein-Main e.V. Außerdem hält er den Co-Vorsitz der Arbeitsgruppe 3 ",Innovative IT-Angebote des Staates" des Nationalen IT-Gipfels der Bundesregierung. Zudem ist Streibich Mitbegründer des deutschen Software-Clusters und Mitglied des Wirtschafts- und Zukunftsrates der hessischen Landesregierung.