LTE kommt in die Gänge

Das bringt das Mobilfunknetz von morgen

23.02.2009 von Manfred Bremmer
LTE verspricht nicht nur Bandbreiten auf Festnetzniveau, auch eine geringere Latenzzeit und allgemein Dienstgüte halten mit der 4G-Technik Einzug.
LTE-Rundkurs: Am Placa de Espanya konnten Interessierte die Zukunftstechnik testen.

Wer hin und wieder mobil im Internet surft, wird zustimmen, dass es trotz der vermeintlichen Datenturbos HSPA und HSUPA - sofern überhaupt verfügbar - noch deutlichen Verbesserungsbedarf gibt. Hoffnung macht in diesem Zusammenhang vor allem Long Term Evolution (LTE). Mit Bandbreiten von bis zu 120 Mbit/s und gleichzeitig niedrigen Latenzzeiten verspricht die Mobilfunktechnik der vierten Generation (4G) eine wackelfreie Übertragung von HD-Videos und die problemlose Nutzung von Echtzeit-Anwendungen wie Voice over IP (VoIP) auf dem Handy oder Notebook.

Besucher des Mobile World Congress in Barcelona konnten die Fähigkeiten von LTE dank einiger Feldtests bereits jetzt in Augenschein nehmen: Um einen Eindruck über die Leistungsfähigkeit zu vermitteln, kutschierte etwa Motorola Interessierte in einen Kleinbus rund um den Placa de Espanya in der Nähe der Messe herum. Während sich das Fahrzeug durch den dichten Verkehr kämpfte, konnten die Insassen nach Lust und Laune auf einem großen LCD-Monitor eine Live-HD-Übertragung (acht Mbit/s) vom Motorola-Messestand verfolgen oder im Internet surfen. Die Verbindung übernahm dabei ein durch den LTE-Empfänger gespeistes Fahrzeug-WLAN. Auf dem Messestand wiederum wurde das über eine On-Board-Kamera aufgezeichnete Videosignal (ebenfalls acht Mbit/s) aus dem Kleinbus ausgestrahlt. Selbst das Handover beim Wechsel von einer Funkzelle - eine auf dem MWC-Stand, die andere in einem nahe gelegenen Hotel - zur anderen funktionierte nahezu ruckfrei.

LTE-Feldtest - hier im T-Mobile-Kleinbus in Bonn.
Foto: Telekom AG

Auch Telekom-Tochter T-Mobile ließ sich nicht lumpen und gab zusammen mit den Testpartnern Nortel und LG eine Zugabe zu dem LTE-Testlauf im Herbst 2008. Für die Demonstration wurde in Bonn auf beiden Seiten der Rheinbrücke jeweils ein Sender in der Telekom-Konzernzentrale und auf dem T-Mobile-Hauptquartier aufgestellt. Eine dritte, über eine internationale Verbindung angebundene Basisstation sendete vom T-Mobile-Pavillon in Barcelona auf der Messe. Auch hier konnte sich das Resultat sehen lassen: Über das zehn Megahertz breite Frequenzband stand eine Bandbreite von 60 Mbit/s zur Verfügung. Diese war mehr als genug für die mobile Übertragung von Videokonferenzen oder Filmen in HD-Qualität, für Web-basiernde Multiplayer-Spiele oder Downloads von großkalibrigen Dateien in Sekundenschnelle. Wie T-Mobile erklärte, ermöglicht in der endgültigen Version voraussichtlich ein Frequenzband von 20 Megahertz sowie verbesserte Antennentechnik eine Bandbreite von 140 Mbit/s - für die ganze Mobilfunkzelle wohlgemerkt. Wie nahe die Serienreife der Technik bereits ist, dokumentiert das von LG entwickelte Modem in der Größe eines Handys. Wenngleich der Formfaktor sicher nicht zufällig gewählt wurde, gehen Marktkenner jedoch davon aus, dass es sich bei den ersten marktreifen LTE-Empfängern um Modemkarten für Notebooks handeln wird - erste Modelle werden wahrscheinlich in einem Jahr auf der Mobilfunkmesse in Barcelona präsentiert werden.

Unterstützung für Echtzeitanwendungen

LTE bringt jedoch nicht nur einen Anstieg der Bandbreite in einer Mobilfunkzelle - dieser Effekt würde bei dem prognostizierten Zuwachs der mobilen Nutzer schnell verpuffen. Für den Benutzer viel wichtiger sind eine deutlich geringere Latenzzeit und weniger Jitter, was erstmals die verlässliche Nutzung von VoIP - wenn es denn die Netzbetreiber künftig erlauben - oder andere Echtzeit-Anwendungen über Mobilfunknetze verspricht. Hinzu kommt die Möglichkeit, wie im Festnetz eine bestimmte Dienstgüte (Quality of Service - QoS) für verschiedene Datenpakete festzulegen. Diese rauschen somit quasi auf einer Überholspur durch das Netz, während weniger kritische Daten wie E-Mails kurzfristig, also wenige Millisekunden, "rechts ranfahren”. Branchenkenner wie Michael Ritter von ADVA Optical Networking sind sich sicher, dass spätestens mit LTE auf Basis der Dienstgüte neue Gebührenmodelle entstehen. So seien insbesondere Businessnutzer bereit, für eine bessere Übertragung und eine geringere Latenzzeit ihrer Daten einen Zuschlag in Kauf zu nehmen. Die Carrier könnten somit eine neue Wertigkeit in ihr Angebot bringen, ohne sich von der All-You-Can-Eat-Kultur, die letztendlich stark zum Durchbruch der mobilen Internet-Nutzung geführt hat, verabschieden zu müssen. Mit Hilfe von Deep Packet Inspection seien Mobilfunkbetreiber somit in der Lage, den sanften Übergang zur All-IP-Technik zu gestalten und zu verhindern, dass die wertvollen Sprachumsätze durch VoIP via LTE kannibalisiert werden, fasst Ritter zusammen.

Wann LTE Realität wird, ist angesichts der Finanzkrise ist nur schwer absehbar - zumal die Technik hohe Investitionen im Backbone erfordert. Hierzulande hat Marktführer T-Mobile angekündigt, HSPA rein softwaretechnisch auszureizen, um anschließend auf 4G-Technik umzusteigen. Ob LTE oder Wimax behält sich der Carrier - vermutlich aus Verhandlungstaktik - vor. In der Praxis spricht insbesondere die Rückkompatibilität mit 2,5- und 3G-Netzen bei bestehenden Mobilfunkbetreibern eher für LTE. Auf der anderen Seite ist Wimax bereits verfügbar.

O2 setzt auf HSPA+

Nicht abzusehen ist derzeit auch, wie sehr sich die Telekom-Tochter von der Konkurrenz unter Druck setzen lässt: So hat O2 nun den teilweisen Ausbau seiner Mobilfunknetze auf HSPA+ angekündigt. Die Weiterentwicklung von HSPA und HSUPA verspricht 28 Mbit/s im Downstream und knapp sechs Mbit/s im Upstream für die gesamte Mobilfunkzelle. Die Technik erfordert jedoch bei älteren Basisstationen nicht nur ein reines Software-Update, sondern auch Veränderungen an der Hardware. Unter anderem müssen die Antennen auf MIMO-Technik (Multiple Input, Multiple Output) umgerüstet werden. Wegen der dabei anfallenden Kosten gehen Marktkenner davon aus, dass O2 HSPA+ vermutlich nur im Umkreis der Hauptniederlassung in München ausrollt - ein Tropfen auf den heißen Stein und nicht unbedingt notwendig, da die Region bereits mit drahtgebundenen Breitbandanschlüssen nicht eben unterversorgt ist. Etwas größer ist das mit Ericsson-Technik aufgerüstete HSPA+-Netz, das der australische Mobilfunk-Provider Telstra jetzt in Betrieb genommen hat. Das Netz erreicht zunächst eine Datenrate von 21 Mbit/s, Ende 2009 soll die Bandbreite durch die Bündelung von zwei Frequenzkanälen auf 42 Mbit/s verdoppelt werden.

Auch im LTE-Lager tut sich etwas: So hat der größte US-amerikanische Mobilfunkanbieter Verizon Wireless Ericsson, Alcatel und Nokia Siemens Networks mit dem Bau eines der ersten LTE-Netzes beauftragt, dieses soll in einigen Regionen bereits 2010 in Betrieb gehen.