Internet der Energien

Das bringen Smart Grids

13.04.2010 von Jürgen Hill
Smart Grids versprechen eine effizientere Energienutzung, günstigere Strompreise und neue Milliardenmärkte für die IT-Industrie.
Die Tage des klassischen, dummen Stromzählers sind gezählt. Die Zukunft gehört vernetzten Zählern.
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Nach zwölf Stunden nervenaufreibender Fahrt, erschwert durch die Suche nach Schnellladestationen, steht das E-Car wieder in der heimischen Garage und wartet darauf, ab Mitternacht zum Super-Mondschein-Spartarif aufgeladen zu werden. Und sein Fahrer freut sich nach langer Dienstreise auf das erste kühle Pils. Doch beim Betreten der Küche schlägt dem Durstigen ein stechender Geruch aus dem Kühlschrank entgegen. Hat der Froster doch tatsächlich komplett abgetaut, ohne eine Störungsmeldung an die Mini-App "E-Control" auf dem Smartphone zu senden. Ein Blick in die Logfiles des E-Butlers - wie die moderne Kreuzung aus intelligentem Stromzähler und Internet-Gateway mittlerweile heißt - offenbart die Wurzel des Übels: Ein destruktiver Zeitgenosse hat sich in die heimische Strom- und Steuerzentrale gehackt.

Smart Grid - was ist das?

Unter Smart Grid ist die intelligente Vernetzung von Energieerzeuger- und Verbrauchernetz zu verstehen.

Eine kommunikative Vernetzung ermöglicht es zudem, Stromerzeuger, stromverbrauchendes Gerät und Netzbetriebsmittel zu steuern. Dabei bilden Smart Grids eine der drei Säulen zur Umsetzung der EU-Direktive 2006 "Energery end-use efficiency and energy Service".

Ziel ist es, vorhandene Ressourcen effizienter und kostengünstiger zu nutzen. Gerade mit der Verbreitung dezentraler Energieerzeugungsanlagen (etwa Windkraft, Biogas etc.) dürfte die Bedeutung und Notwendigkeit von Smart Grids steigen. Experten schätzen, dass der Anteil der regenerativen Energien in den nächsten zehn Jahren von 15 auf 30 Prozent steigt. Dann werden Haushalte und Unternehmen Strom nicht nur abnehmen, sondern auch einspeisen, zum Beispiel über eine Solaranlage auf dem Hallendach. Hier berechnen Smart Grids quasi in Echtzeit, wie viel Energie wo und wann entsteht und wie sie am besten gebraucht oder gespeichert wird. Anders formuliert: Smart Grids sollen die ständigen Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage ausgleichen. Hier liegt eine Analogie zum Cloud-Ansatz der IT nahe, bei dem es unter anderem ja ebenfalls darum geht, Spitzenlasten im RZ abzufangen und auf andere Data Center zu verteilen.

Auf Verbraucherseite sollen Smart Grids zum einen Auskunft über den Stromverbrauch geben - Stichwort intelligente Stromzähler (Smart Metering) - und zum anderen die Steuerung von Endgeräten erlauben.

Internet der Energien - ein Milliardenmarkt

Smart Grids sollen regenerative Energieren wie Windkraft effizienter zum Verbraucher transportieren.
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Das Beispiel aus einer womöglich gar nicht so fernen Zukunft ist etwas extrem gewählt, aber es verdeutlicht, welche Vorteile Smart Grids auf Verbraucherseite - egal ob Privathaushalt oder Unternehmen - bringen sollen und wo potenzielle Gefahren liegen. Für die neue Technik spricht die Möglichkeit, stromverbrauchende Geräte zu nachfrageschwachen Zeiten, etwa nachts, aktivieren zu können und so Strom günstiger zu beziehen. Zudem lassen sich in der Smart-Grid-Welt aus der Ferne der Stromverbrauch ablesen und elektrische Geräte ein- und ausschalten. Diese intelligente Verknüpfung zweier Welten birgt aber auch Probleme: So warnen die einen vor möglichen Crackern, die die Gerätesteuerung illegal übernehmen könnten, während andere den Datenschutz anmahnen, da sich anhand der erfassten Verbrauchsdaten (wann war der Fernseher an, wann wurde gekocht, zu welcher Zeit wurde der Fön benutzt?) theoretisch detaillierte Persönlichkeitsprofile erstellen lassen. Eine Gefahr, die auch die von der Computerwoche befragten ITK-Anbieter sehen. Allerdings weisen sie unisono darauf hin, dass die Übertragung der Daten natürlich verschlüsselt erfolgen werde, ähnlich wie heute beim Online-Banking. Und die Netz- und Internet-Zugänge eines Gebäudes - egal ob privat oder in Unternehmen - müssten schon heute abgesichert werden. Folgt man diesen Argumenten, stellen Smart Grids unter Security-Aspekten keine neue Herausforderung dar.

Dafür sieht die ITK-Industrie in den Smart Grids den 100-Milliarden-Markt der Zukunft. Unternehmen wie Cisco schätzen das Marktpotenzial 100- bis 1000-mal höher ein als beim Internet. Jeff Immelt, Vorstandschef von General Electric, schwärmt von "der größten Investmentchance in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts". Auf der anderen Seite stellen kleinere Unternehmen wie hierzulande QSC fest, dass Smart Grid bei den Anwendern per se noch kein großes Thema ist, aber die Frage nach der Steuerung von stromverbrauchenden Geräten in Projekten durchaus eine Rolle spielt, etwa als Fernwartung und Kontrolle via virtuelle private Netze (VPN). "Deshalb ist Smart Grid für TK-Unternehmen durchaus ein interessantes Thema, das aber nicht unbedingt höchste Priorität hat", so Bernd Schlobohm, Vorstandsvorsitzender der Kölner QSC AG.

Wer baut die Smart Grids

Der Weg zum Internet der Energien ist lang und es fehlen noch Standards.

Letztlich scheiden sich an der Frage, für wen Smart Grids nutzbringend sind, die Geister. Während Netgear-CEO Patrick Lo das Thema ganz klar bei den Carriern ansiedelt und diese in der Rolle der Integratoren und Lieferanten der Home-Gateways sieht, ordnet Pierre Joeris, Energieexperte bei IBM Global Business Services, den Bereich primär den Energieversorgern zu, "denn es geht um den Austausch von Information und die Unterstützung von Geschäftsprozessen. Die Sammlung und Aufbereitung dieser Informationen liegt in der Verantwortung der Energieversorger."

Offen ist ferner, über welche Infrastruktur die Steuerungsdaten transportiert werden. Während die einen die Breitbandnetze der Telcos mit Routern und Switches als Transportmedium für diese Informationen propagieren, hoffen andere auf ein Revival der Powerline-Technologie zur Datenübertragung. So wirbt etwa die Mannheimer Power Plus Communications AG überschwänglich: "Wir transformieren das Stromnetz in ein Kommunikationsnetz und schaffen somit eine ideale Plattform für das Internet der Energien: überall verfügbar, skalierbar und offen für neue Anwendungen." Ein drittes Lager hält beide Ansätze für einen Overkill und vertritt die These, mit modernen M2M-Komponenten (Machine to Machine) würde auch eine schmalbandige Mobilfunktechnik wie GPRS zum Aufbau eines Smart-Grid-Steuernetzes ausreichen.

Die unterschiedliche Bewertung erklärt sich, wenn man betrachtet, wer von den Smart Grids profitiert und wie die dahinterliegenden Steuernetze künftig aussehen könnten. So müsste die Energiewirtschaft laut Christian Feißt, Global Head Business Development der Cisco Smart Grid Business Unit, alleine in Deutschland zehn bis 15 Großkraftwerke gar nicht erst bauen. Feißt begründet seine Einschätzung damit, dass der Verbrauch durch Smart-Grid-Technologien um zehn Prozent reduziert und die Spitzenlastreserve um etwa 15 Prozent verringert werden könnte. Letzteres können laut Andreas Wisser, Partner und Leiter des Bereichs Netze beim Beratungsunternehmen Accenture, Großkonzerne und Großabnehmer, so genannte "Sondervertragskunden", bereits heute durch ein eigenes Energie-Management realisieren: "Für diese Gruppe bringen Smart Grids zunächst keine Vorteile." Für kleinere und mittlere Unternehmen sieht Wisser theoretische Vorteile, die sich aber in der Praxis nur bedingt nutzen ließen. Schließlich habe etwa ein Handwerksbetrieb ohne Schichtsystem gar nicht die Möglichkeit, den Betrieb energieintensiver Maschinen in preislich günstigere Zeitzonen - etwa in der Nacht - zu verschieben. Den größten Nutzen dürften Wisser zufolge die Endverbraucher aus dem intelligenten Netz ziehen. Für sie werden Märkte und Preise transparenter. Zudem profitieren sie von Features wie Steuerbarkeit, Automatisierung und besserer Integration von Abläufen. Wie diese Zukunft aussehen könnte, veranschaulicht der Beitrag "Vom Smart Meter zum Home Management".

Kein Standard

Auch wenn das Thema heute noch in den Kinderschuhen steckt und hierzulande lediglich einige Pilotprojekte (siehe Kasten "Pilotprojekte") existieren, müssen die Anwender nicht warten. Einzelne Aspekte und Ideen von Smart Grid lassen sich laut Cisco bereits mit heute verfügbaren Technologien individuell umsetzen (siehe auch "Smart Grid per Do it yourself"). Dies sind zwar Insellösungen, "von denen es mehrere innerhalb sowie außerhalb eines Gebäudes gibt", wie Bernd Grohmann, Bereichsleiter OEM Hausautomation der ELV/eQ-3-Gruppe, zu bedenken gibt. Doch ein Warten auf eine umfassende Norm lohnt nicht, denn einen einheitlichen Smart-Grid-Standard werde es nie geben, dämpft ein IBM-Manager allzu große Hoffnungen auf eine Komponenten-Interoperabilität zwischen Strom- und IT-Welt. Allerdings ist mit den heutigen Lösungen eine intelligente und automatisierte Einbeziehung von Preissignalen oder vertrieblichen Mehrwertdiensten nicht realisierbar, warnen einige Berater.

Pilotprojekte

Die Entwicklung zu Smart Grids oder dem Internet der Energien fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Rahmen der Initiative E-Energy mit 140 Millionen Euro. Hierbei werden Leuchtturmprojekte in sechs Modellregionen unterstützt:

eTelligence,

E-DeMa,

MEREGIO

Modellstadt Mannheim

RegModHarz,

Smart Watts.

"In letzter Konsequenz wird sich wohl TCP/IP beziehungsweise IPv6 durchsetzen", wagt Grohmann den Blick in die Kristallkugel. Eine Prognose, der Feißt beipflichtet: "Langfristig möchte Cisco die IP-Technologie als Kommunikationsstandard auch bei der Gebäudeautomatisierung etablieren."

Einen Ansatz zum Monitoring von Nicht-IP-Systemen über IP-Netze offeriert beispielsweise die Azeti Networks AG aus Lünen. Ansonsten sind derzeit vor allem die Systemintegratoren gefragt, um die Brücke zwischen den verschiedenen Welten zu schlagen. Ihnen kommt die Aufgabe zu, unterschiedliche Systeme wie ZigBee, Zwave, FS20, KNX oder Feldbus in die Netzwelt zu integrieren. Alle Beteiligten sind sich einig, dass dies nicht nur eine Aufgabe der IT-Systemhäuser sein kann, sondern eine übergreifende Zusammenarbeit mit Installateuren und Elektro-Handwerk gefordert ist, um ein intelligentes Zusammenspiel zu realisieren.