Der Hype um das Web 2.0 macht auch vor Unternehmensgrenzen nicht halt. Die Konzerne und Firmen im Land gehen jedoch sehr unterschiedlich mit den damit verbundenen Herausforderungen um. Während manche Verantwortliche denken, sich mit dem als rein privat angesehenen Thema nicht auseinandersetzen zu müssen, greifen andere zu drastischen Maßnahmen. So hat beispielsweise Porsche dem Großteil seiner Mitarbeiter das private Surfen am Arbeitsplatz verboten und deshalb Plattformen mit eher privaten Anwendungsszenarien wie die Web-Dienste Facebook, Ebay oder Xing und private E-Mail-Programme wie Google Mail gesperrt. Laut "Wirtschaftswoche" geschieht dies in erster Linie aus Angst vor Wirtschaftsspionage. Der Leiter Konzernsicherheit, Rainer Benne, habe den Schritt damit begründet, dass interne Informationen nach draußen dringen könnten. Porsche-Sprecher Dirk Erat zufolge hat das Unternehmen darüber hinaus Guidelines verfasst, die den Mitarbeitern erklären sollen, was bei der privaten Nutzung von Social Media in Bezug auf dienstliche Belange zu beachten ist. "Daneben gibt es bei Porsche Kollegen in der Kommunikation und im Vertrieb, die sich intensiv mit Web-2.0-Plattformen beschäftigen und natürlich ohne Einschränkungen darauf zugreifen können", so Erat.
Tiefe Einblicke in die aktuellen Herausforderungen an die IT-Verantwortlichen gewährte ein CIO-Roundtable am Rande der COMPUTERWOCHE-Konferenz "IT@automotive" im September.
Dass beim Thema Web 2.0 unterschiedliche Welten aufeinandertreffen können, machte der Konzern-CIO von Volkswagen, Klaus Hardy Mühleck, deutlich. Kürzlich hatte Volkswagen zu einer Open-Space-Runde mit jungen Vertretern der Web-2.0-Generation eingeladen, um über Einsatzszenarien und Risiken von Social-Media-Ansätzen in Unternehmen zu diskutieren. "Vom offenen Meinungsaustausch offensichtlich angetan, wollten die Digital Natives gleich loslegen und aus der Diskussion heraus die ersten Tweets posten", berichtete Mühleck. Das ging dem grundsätzlich aufgeschlossenen Konzern-CIO dann doch zu weit. Er machte deutlich, dass man zwar über Chancen und Grenzen von Offenheit diskutieren könne, aber die Verantwortung für Arbeitsplätze nicht aus dem Auge verlieren dürfe. In der Folge verständigten sich die Diskutanten auf abgestimmte Meldungen zum Diskussionsergebnis.
IT-Manager twittern nicht
Volkswagen gilt hierzulande als einer der Internet-Vorreiter. So stellten die Wolfsburger im Mai dieses Jahres als erster Autohersteller ein digitales Kundenmagazin als App vor, das speziell für das iPad entwickelt wurde. Auch bei der Markteinführung seiner Produkte geht das Unternehmen neue Wege. In diesem Sommer wurde mit dem Polo GTI erstmals in Europa ein Fahrzeug ausschließlich in einem sozialen Netzwerk den Kunden vorgestellt. Facebook-Nutzer wurden als erste auf den neuen Wagen aufmerksam gemacht. Mühlecks Konzern-IT begleitet Projekte wie diese und treibt zugleich die Bereitstellung der Infrastruktur für das interne Web-2.0-Projekt voran.
Wie die Diskussion der rund 20 CIOs in der Wolfsburger Autostadt deutlich machte, sind viele von Mühlecks Kollegen dagegen noch in der Orientierungsphase. Willms Buhse, Web-2.0-Pionier und Geschäftsführer von Doubleyuu, der den Roundtable mit einem Impulsvortrag eröffnet hatte, erhielt auf Nachfrage ein eher zurückhaltendes Stimmungsbild. So nutzt kein einziger der anwesenden IT-Manager die Microblogging-Plattform Twitter, ein CIO gab stattdessen an, sogar seinen Xing-Account wieder deaktiviert zu haben, da er nicht die Zeit habe, sich mit der damit verbundenen Informationsflut zu beschäftigen.
Ignoranz der IT hilft nicht weiter
Dieses Argument wollte Buhse nicht akzeptieren. Ein Übermaß an Informationen sei immer ein Indiz für falsche oder ungenügende Filterung. Er empfahl den IT-Managern dringend, sich mit Social-Media-Plattformen und dem neuen Kommunikationsverhalten der Digital Natives zu beschäftigen. Es sei Teil ihres Jobs, hier Bescheid zu wissen. Schließlich müsse jedes Unternehmen Richtlinien für den Umgang mit Web-2.0-Diensten verabschieden, um zu regeln, welche Informationen die Unternehmensgrenzen nicht verlassen dürfen und welche Sicherheitsstandards eingehalten werden müssen.
Angst um das geistige Eigentum
Neben der Sorge, dass Mitarbeiter mit ihrem Engagement auf Web-2.0-Plattformen wie Facebook oder Xing einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit verbringen, ist es die Angst, dass Digital Natives geistiges Eigentum und Firmengeheimnisse publik machen, weshalb viele Führungskräfte Social-Media am liebsten aus dem Unternehmen verbannen würden. Buhse rät hier zu einem gelasseneren Umgang mit dem Thema, da diese sowieso unumkehrbare Entwicklung nicht nur Risiken berge, sondern auch viele Chancen eröffne. Allerdings täte jedes Unternehmen gut daran, Guidelines zu definieren und zu kommunizieren.
Schließlich biete das Web 2.0 die Möglichkeit, Mitarbeiter in wichtige Ideensammlungs- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen, wodurch sich auch die Motivation der Beteiligten mit wenig Aufwand kräftig steigern ließe. Hier ließen sich Buhse zufolge mehr Potenziale heben als mit Management-Ansätzen der Vergangenheit, wie beispielsweise der Einführung flacher Hierarchien oder der Einführung von kostspieligen Wissens-Management-Lösungen.
Hier sieht Mühleck die Vorzüge einer internen Social-Media-Plattform, auf der bei Volkswagen beispielsweise Blogs und Unternehmens-Wikis laufen. Sie fördere die Vernetzung und aktive Beteiligung von Mitarbeitern und helfe dadurch, vorhandenes Wissen von Experten für das ganze Unternehmen leichter zu erschließen. Hätten früher ausgewiesene Spezialisten zur Beschreibung von Arbeitsabläufen das Planungssystem "Aris" eingesetzt, kämen heute hierfür sukzessive Web-2.0-Tools mit intuitiven Benutzeroberflächen zum Einsatz. Die ersten Versuche bei Volkswagen seien so erfolgreich verlaufen, dass sich die Konzern-IT kaum vor Folgeaufträgen für diese neuartigen Tools retten könne. "Mitarbeiter, die sich in der täglichen Praxis mit Arbeitsabläufen befassen und eben nicht als IT-Experten verstehen, sind aus eigenem Antrieb aufgesprungen. Diese Kollegen sind versierte Fachleute. Ihr Wissen ist sehr gefragt und hochwillkommen", betont Konzern-CIO Mühleck. Oft helfe schon eine Kommentarfunktion, um die Ideen und Anregungen der Mitarbeiter einsammeln zu können.
Es geht nicht um Basisdemokratie
Die Diskussion der am Roundtable-Gespräch beteiligten CIOs offenbarte einen weiteren Grund, weshalb viele Verantwortliche noch zögern, die Mitarbeiter aktiv einzubeziehen: "Wie soll ich als Führungskraft mit solch basisdemokratischen Ansätzen umgehen?", fragen sich viele CIOs, die offenbar fürchten, nicht mehr Herr des Verfahrens zu sein. Willms Buhse zufolge liegt hier ein Missverständnis vor: "Mit Basisdemokratie hat das nichts tun, der Manager bleibt nach wie vor verantwortlich." Lediglich die Art der Entscheidungsfindung ändere sich. Die Möglichkeit, mittels Collaboration-Tools hierarchieübergreifend Lösungen zu entwickeln, wird laut Buhse mittelfristig zu neuen Führungskonzepten und einem kulturellen Wandel in den Unternehmen führen, brauche aber Zeit und könne nicht von oben verordnet werden.
Social-Media-freie Zone
Zum Einsatz von Web 2.0 in Unternehmen hat IT-Security-Anbieter McAfee mehr als 1000 Entscheider in 17 Ländern befragen lassen. Demnach hat jede dritte Firma noch keinerlei Regeln für den Umgang mit Social Media erstellt. Fast die Hälfte legt keine Richtlinien für Web 2.0 auf Mobilgeräten fest. Weltweit verbieten 13 Prozent der Unternehmen ihren Mitarbeitern jegliche Social-Media-Aktivität.
"Für den Großteil unserer Mitarbeiter sind viele externe Social-Media-Angebote aus Sicherheitsgründen am Arbeitsplatz nicht zugänglich", heißt es etwa in einer Stellungnahme der Commerzbank für die "Wirtschaftswoche", die eine Umfrage bei Dax-Konzernen gemacht hatte. Neben Porsche blockiert auch Heidelberg Cement Facebook und Twitter. Beim Energiekonzern Eon und dem Gaslieferanten Linde gibt es kein generelles Verbot, doch an einzelnen Standorten werde der Zugriff auf Seiten wie Facebook und YouTube eingeschränkt. Daimler ließ mitteilen, "aus Produktivitätsgründen" könne der Zugang zu sozialen Netzwerken an manchen Standorten gesperrt sein.