Standard- und Individualsoftware im kombinierten Einsatz

Dank IT mit voller Kraft voraus

01.03.2004 von Lars Reppesgaard
Standard- oder Individualsoftware? Für die 1964 gegründete Peter W. Lamke GmbH (PWL) in Bremen ist das keine Frage. Um ihr komplexes Geschäft erfolgreich zu betreiben, bedient sich die Schiffsmaklerfirma aus beiden Töpfen.

WIR BRAUCHEN keine Fahrzeuge, Häuser oder Lagerhallen, um erfolgreich zu sein“, sagt PWL-Prokurist Rainer Klukowski. „Wir müssen extrem gut vernetzt sein. Die Menschen und die IT sind die Bausteine, aus denen unser Unternehmen besteht.“ Der kluge Einsatz von Informationstechnologie hat PWL geholfen, sich zu einem der führenden Schifffahrtsunternehmen in Europa zu entwickeln.

Der Linienagent und Schiffsmakler mit 220 Mitarbeitern verdient Geld, indem er Schiffsraum für Transporte vermittelt. Als Netzwerkpartner ersparen die Maklerfirmen den Reedereien, selbst in jedem Hafen präsent sein zu müssen. „Wir wissen, wann welches Schiff wo abfährt, und dienen diesesWissen potenziellen Kunden an“, erklärt Klukowski. Was sich so einfach anhört, ist ein kompliziertes Geschäft, bei dem Informationen aus unterschiedlichsten Quellen wie Ausschreibungen, Mitteilungen und Fahrplänen bei den Agenten zusammenlaufen, die auf der Grundlage dieses Wissens die richtigen Entscheidungen treffen müssen. Informationstechnologie ist dabei ein unverzichtbares Werkzeug.

Ein Netz für alle

Das Stammhaus des Unternehmens befindet sich am Präsident-Kennedy-Platz in Bremen. Weitere Standorte sind Hamburg, Bremerhaven, Düsseldorf und Antwerpen. Um flexibel zu bleiben, wurden die verschiedenen Aktivitäten von PWL in einzelne, überschaubare Geschäftseinheiten verlagert. Insgesamt sind so 13 Tochterfirmen entstanden, von der China Shipping Agency in Hamburg und den Bremer Containter-Spezialisten LOGMAR Logistics & Maritime Services über RoRo Service Center in Bremerhaven und Hamburg, ein Unternehmen, das sich auf den Transport von Fahrzeugen spezialisiert, bis hin zum Geschäftsreisenden- Service PWL Travel.

Prokurist Klukowski ist Geschäftsführer der Administration und IT Services GmbH (AIS), der IT-Tochter des Schiffsmaklers. „Die Organisationsstruktur von PWL sieht bunt aus“, sagt er. „Technisch steckt dahinter aber ein einziges, homogenes Netz, das alle Standorte und Unternehmensteile verbindet.“ Gerade in den vergangenen sechs Jahren ist der Verbund rasant gewachsen - unter anderem, weil die Digitalisierung in der Schifffahrt immer wichtiger wird und PWL zu den Wettbewerbern gehört, die in Sachen IT am besten aufgestellt sind.

Die Unternehmenslösung Navision ist - um einige von PWL entwickelte Funktionalitäten ergänzt - das Rückgrat der diversen in- und ausländischen Finanztransaktionen, des Cash-Managements und der Verwaltung der sensiblen Kundendaten der Schiffsraummakler. Hier werden Belege verwaltet, Transaktionen ausgelöst und dokumentiert. Allein das digitale Rechnungswesen macht es möglich, die Flut von anfallenden Belegen effizient zu managen, denn unzählige einzelne Transaktionen bestimmen das Geschäft der Schiffsmakler.

Komplexes Geschäftsmodell

Ein Beispiel: PWL ist nicht nur als Linienagentur, sondern auch im Befrachtungsgeschäft tätig. Wenn die Verkäufer in diesem Bereich eine Ladung an Land gezogen haben, beginnt für sie die Informationssuche: Sie ermitteln online, per Fax oder Telefon, wer Kapazitäten frei hat für die Ladung, was bei Reederei X ein 20-Fuß-Container nach Dubai kostet oder wie schnell Reederei Y diese Leistung erbringen kann. Dann wird Platz für die Ladung gebucht. Kaum ein Ozeanriese wird von einer Reederei und somit einer Agentur allein gefüllt. In der Regel teilen sich Reedereien den Platz im Containerschiff. Der Platz in den Containern wird teilweise wiederum gestückelt verkauft. PWL koordiniert zudem die Anlieferung oder Abholung der Sendungen durch LKW oder andere Logistik- Subunternehmer.

Anlagen, Massenstückgüter und Rohprodukten, wie Baumwolle, Kaffee und Tabak verschifft PWL ebenfalls. Da hier nicht immer mit den Standard- Containermaßen gearbeitet werden kann, um Platzbedarfe und Raten für die Frachten zu berechnen, müssen die Schifffahrtskaufleute maßgeschneiderte Lösungen für Kunden und Netzwerkpartner anbieten.

Um alle Kommunikations- und Geschäftsschritte rund um eine einzige Schiffsladung zu dokumentieren, fielen früher Berge von Papier an. All diese Vorgänge werden heute bei PWL elektronisch erfasst. Für jeden Container wird ein Dokument angelegt, aus dem hervorgeht, womit er beladen ist, wer dafür welche Bezahlung leisten muss und wer die Ware in Empfang nehmen darf. „Früher wurden die Ladungspapiere, die so genannten Konnossemente, mit Blaupausenmaschinen vervielfältig“, erinnert sich Klukowski. „Heute entsteht ein Konnossement auf Knopfdruck und geht dann automatisch an die Inhouse- Systeme der Reeder sowie an das dahinter gelagerte elektronische Rechungswesen.“ Auch an das PWL-Rechnungswesen werden die Daten in Echtzeit über Schnittstellen übergeben. „Die Geschwindigkeit, mit der heute be- und entladen werden muss, erlaubt gar nichts anderes mehr, als solche Vorgänge elektronisch zu erfassen“, sagt Klukowski.

Reeder und Makler kommunizieren außerdem intensiv mit den Verantwortlichen an den Terminals, den Verladestationen in den Häfen. Bei Gefahrengütern müssen beispielsweise die Hafenbehörden informiert werden. In modernen Häfen wie Bremen und Hamburg geschieht auch das elektronisch. „Der Digitalisierungsgrad ist weltweit sehr unterschiedlich“, sagt Rainer Klukowski. „Vietnam hinkt zum Beispiel recht weit hinterher, während in Nordamerika kein Schiff mehr anlegen kann, das nicht zuvor seine Daten an den Zoll übermittelt hat.“ Die digitale Infrastruktur bei PWL wird von Microsoft bestimmt. Clients und Server werden mit Windows 2000 und XP betrieben. Darauf laufen rund 100 verschiedene Anwendungen: Navision, MS-Office und Outlook, aber auch viele kleine Spezialanwendungen. Eine davon ist die Schiffsapplikation für die Erstellung der Ladungspapiere. „Für sie haben wir die Grundmodule irgendwann mal gekauft und dann von einem Dienstleister individuell an unsere Bedürfnisse anpassen lassen“, erinnert sich Wilfried Schramm, IT-Manager bei PWL. Eine Eigenentwicklung ist auch die Software „RoRoCargo“ für die Abfertigung von Autotransporten.

 

Das wichtigste selbst gestrickte System ist die in Navision integrierte Treuhandbuchhaltung. Sie stellt eine Art Unterbuchhaltung für die Schiffe der vertretenen Reedereien dar. Hier werden treuhändisch Gelder der einzelnen Reedereien verwaltet, Buchungsein- und -ausgänge, Inkasso und Mahnwesen abgebildet. Diese Anwendung ist die Basis der Schiffsabfertigung im Hafen, der so genannten Klarierung, eines der bedeutendsten PWL-Geschäftsfelder. „Wir vertreten den Reeder vor Ort“, erklärt Klukowski. „Die Schiffe brauchen Lotsen, Schlepper, Festmacher und Umschlagbetriebe, die Seeleute brauchen einen Zahnarzt und so weiter.“ Die Agenten fertigen die Schiffe bei den Behörden ab, versorgen die Besatzung mit Proviant, Ersatzteilen und Ausrüstung, entsorgen Schiffsabfall und organisieren Reparaturen.

Reibungslose Abläufe

Auch in diesem Bereich muss die IT reibungslos das Geschäft unterstützen, erklärt Klukowski, denn „der Rechnungsverkehr für das Schiff und für den Reeder läuft dabei über unser Haus. Wir bezahlen die Dienstleister für die Reeder.“ PWL bewegt so mehrere hundert Millionen Euro an kassierten Seefrachten und verauslagten Kosten pro Jahr, behält davon aber nur die vereinbarten Provisionen. Bei allen Beträgen müssen die Treuhänder nachweisen können, dass ein Lieferant tatsächlich bezahlt hat, eine Rechnung tatsächlich übermittelt wurde.

Treuhand und Rechnungswesen miteinander zu verzahnen war denn auch das bislang letzte Großprojekt der PWLIT- Mannschaft. Dazu musste man 2001 auf Navision Financials umsteigen. „1996 hatten wir mit Navision im Rechnungswesen angefangen“, beschreibt Klukowski die Genese der derzeit laufenden Systeme. „Das Finanz- und Rechungswesen war zuvor an einen Großrechner angebunden, aber Schnelligkeit und Aktualität reichten irgendwann nicht mehr aus.“ Nach einer Ausschreibung implementierte der IT-Dienstleister Cabus aus Hamburg die Geschäftssoftware bei den Hanseaten. 2001 stellte das Unternehmen auf Navision Financial um. Grund für den Release-Wechsel war nicht allein die Euro-Umstellung oder die grafische Nutzeroberfläche, die diese Version beinhaltete, sondern der Wunsch, endlich die Treuhandfunktionen mit der Finanzbuchhaltung zu verzahnen. Nach einer Projektlaufzeit von neun Monaten konnte PWL schließlich auf die vereinheitlichte Datenbasis zugreifen.

Zwei Anforderungen stehen für Klukowski, Schramm und ihre IT-Mannschaft bei ihren Projekten im Vordergrund: Flexibilität und Sicherheit. „Wir müssen sehr viele Verbindungen nach außen aufbauen“, sagt IT-Manager Schramm mit Blick auf die Reedereien rund um die Welt, mit denen PWL Geschäfte macht. „Einerseits müssen wir diese vielen Verbindungen dicht kriegen. Andererseits verlangen viele Reeder, dass wir ihre Reederei-Systeme bedienen. Der Reeder ist in unserer Branche der Prinzipal, der hat das Sagen.“

Über Virtual Private Networks hat PWL deshalb alle Außenstellen und die Verbindungen zu den Reedereien abgesichert. Im verschlüsselten Tunnelnetz werden sensible Daten wie Frachtorders oder Abrechungen sicher übermittelt. Schwieriger ist es, die unzähligen Schnittstellen zu bauen, die in der oft von Eigenentwicklungen bestimmten IT-Landschaft der Reedereien notwendig sind.

Doch die Reedereien sind nur eine Informationsquelle, die PWL anzapft. Das Unternehmen ist auch an etliche Hafen-Datenbanken angebunden, die „Datenbank Bremische Häfen“ etwa oder das System „Dakosy“ in Hamburg. In solche Systeme pflegen Reeder und Agenten ihre Schiffsfahrpläne ein, andere Daten für das Tagesgeschäft zieht sich PWL aus den Datenbanken heraus, etwa Containerbewegungsmeldungen. „Container werden gelöscht, gelagert, sind kaputt oder repariert“, erklärt ITManager Schramm. „Wir erhalten den Status vom Container-Terminal und liefern die Daten an die Reeder weiter.“ Auch bei diesen geschäftskritischen Daten ist klar, dass die Ausfallsicherheit der PWL-Systeme wettbewerbsentscheidend ist angesichts der Umschlaggeschwindigkeit, die heute in der Schifffahrt gefordert ist.

Innovationsfreudige Führung

Als Informationsvermittler und -empfänger ist PWL bereits an etliche Datennetze angebunden. Dass das Unternehmen bei Bedarf flexibel und schnell an die Systeme weiterer Partner andocken kann, ist die Voraussetzung für künftiges Wachstum im von knappen Margen und harter Konkurrenz geprägten Schiffsladungsmarkt. Klukowski und Schramm sind dabei als IT-Macher in einer dankbaren Position: Während anderswo die Geschäftsführung oft von den Fachabteilungen mühsam überzeugt werden muss, Geld in die IT zu stecken, weht bei PWL dank des technologiebegeisterten Vorstands ein anderer Wind. „Die Oberen fordern uns geradezu“, lacht Wilfried Schramm. „Wenn unser Geschäftsführer unterwegs jemanden sieht, der auf seinem PDA Mails liest, fragt er uns, ob es nicht auch in unserem Haus Sinn machen würde, Mails mobil abrufen zu können, statt dafür erst ins Büro zu gehen. Diese Einstellung ist für die EDV natürlich ein glücklicher Umstand.“

Auch die kurzen Entscheidungswege, die ein inhabergeführtes Unternehmen mit sich bringt, sieht er als Vorteil, um IT-Projekte rasch umsetzen zu können. Der Computer bestimmt den Alltag, die Datenleitungen sind der Lebensnerv des Unternehmens. Die PWL-Standorte Bremen und Hamburg telefonieren gar per Computer miteinander.

Die IT-Mitarbeiter sind allerdings in der Regel keine ausgewiesenen Computerexperten. „Schlüsselqualifikation unseres EDV-Personals ist, sich im Schifffahrtsgeschäft auszukennen“, sagt Klukowski. Anwendungen im Alleingang zu entwickeln verbiete sich ohnehin bei der kleinen, sechsköpfigen IT-Mannschaft. Klukoswki: „Wichtig ist, dass wir unseren IT-Partnern erklären können, wie unser Geschäft funktioniert.“

IT-Abteilung als Mittler

Beispiel Treuhandsystem: „Diese Funktionalität fand sich nicht auf dem Markt“, so Schramm. „Unsere Hauptaufgabe bei dem Projekt war es zu vermitteln, wie diese Vorgänge finanztechnisch abgebildet werden.“

Das nächste große Projekt der Bremer soll der Aufbau eines CRM-Systems sein. Dazu wird PWL erneut mit dem Dienstleister Cabus zusammenarbeiten. Basis des neuen Kunden-Managements soll auch Navision sein. Sorgen, dass sich durch die Übernahme des Softwarehauses durch Microsoft etwas an der Funktionalität oder den Finanzierungsmodalitäten bei den Navision-Produkten ändert, hat bei PWL niemand. „Wir haben uns sehr dezidiert danach erkundigt, wie man es werten muss, dass jetzt Microsoft auf der Verpackung steht. Wir verlassen uns darauf, dass dieses Produkt wie angekündigt bis 2012 weiter gepflegt wird“, erklärt Schramm.