Cloud Computing in der Praxis

"Cloud Broker helfen dem CIO"

23.11.2010 von Christoph Witte
Neue Liefermodelle werden die Bedenken in Sachen Cloud Computing verringern, erwartet Gartner-Analyst David Cearley.

CW: Welche wichtigen Trends erwarten Sie im Cloud-Sektor in den nächsten zwei bis drei Jahren?

Gartner-Fellow Cearley: "Wenn Unternehmen Cloud-Services von unterschiedlichen Providern nutzen, brauchen sie einen Vermittler."
Foto: Gartner

Cearley: Wir gehen davon aus, dass sich zunächst einmal die verschiedenen Cloud-Liefermodelle ausdifferenzieren werden (siehe auch CW-Umfrage: Anwender misstrauen Google und Amazon). Bisher gibt es im Wesentlichen die Public Cloud, von der Anwender Services beziehen können und Private Clouds, in denen Anwenderunternehmen nicht nur als Service-Konsumenten agieren, sondern als interne Service-Provider, weil sie sich auch um Implementierung und Infrastruktur kümmern müssen. Künftig werden diese Modelle ergänzt zum Beispiel durch Community Clouds, die nur bestimmten Gruppen den Zugang zu ihren Services erlauben, also eine Automobil-Cloud, eine Regierungs-Clou, eine Pharma-Clous und ähnliche. Solche Konzepte helfen, das Sicherheitsrisiko zu reduzieren - allerdings muss dafür die Community groß genug sein.

Sonst lohnt sich eine solche Cloud weder für den Provider noch für den Konsumenten. Die zweite Cloud-Art, die sich zurzeit entwickelt, ist die "Exklusive Ressource Cloud". Das Teilen von Ressourcen ist einer der größten Cloud-Vorteile, bereitet gleichzeitig aber Probleme, weil die Trennung von Inhalten auf verschiedenen virtuellen Maschinen nicht immer hundertprozentig funktioniert. Das führt zu Sicherheitsrisiken. Deshalb rechnen wir damit, dass Clouds entstehen, auf die Anwender ebenfalls im Pay-as-you-go-Verfahren zugreifen können, die ihre skalierbaren Kapazitäten aber auf physischen Servern anbieten und nicht auf virtuellen Maschinen. Das sind nur zwei Beispiele, aber es werden weitere Cloud-Varianten entstehen, die die Sicherheitsbedenken der Anwender besser adressieren als heute.

CW: Im vergangenen Jahr hat Gartner versucht, den Begriff Cloud Broker zu etablieren. Was hat es damit auf sich?

Cearley: Wenn sich Cloud Computing weiter entwickeln wird, und Unternehmen Services von unterschiedlichen Providern nutzen, benötigen sie höchstwahrscheinlich Vermittler oder Makler. 2009 begannen Unternehmen die Cloud zu entdecken, 2010 haben schon viele damit experimentiert. In den Jahren 2011 bis 2013 werden Anwender Cloud ernsthaft einsetzen. Dann werden die Broker wichtig. Ihre Rolle wird den heutigen Integrationsdienstleistern ähneln.

Die aktuelle CW-Umfrage zeigt: Das Cloud Computing
CW-Umfrage im Überblick
Hier finden Sie die wichtigsten Ergebnisse der CW-Umfrage zum Cloud Computing im Überblick.
Die meisten beobachten die Cloud
Die Cloud beschäft nahezu jeden Anwender. Knapp 85 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich mit den Thema auseinandersetzen.
Viele beziehen bereits Services
Oft lassen die Anwender den Überlegungen auch Taten folgen. Knapp 30 Prozent beziehen bereits Dienste aus der Wolke. Ausdrücklich gegen eine Cloud-Nutzung haben sich weniger als 15 Prozent ausgesprochen.
Applikationen sind beliebt
Wenn sich Anwender für Cloud-Angebote interessieren, dann vor allem für Geschäftsanwendungen und Speicherkapazitäten.
Cloud-Dienste gegen Lastspitzen
Die Befragten schätzen die Flexibilität der Cloud-Services. Sie nutzen derartige Dienste beispielsweise, um Lastspitzen abzufedern.
Die Skepsis bleibt
Die Bedenken richten sich vor allem gegen Sicherheits- und Datenschutzproblemen.
Amazon und Google führen
Nach Einschätzung der Befragten führen Amazon und Google derzeit das Feld der Cloud-Provider an.
In fünf Jahren: Platzhirsch ist Google
Auch in fünf Jahren wird Google zu den führenden Anbietern zählen, doch die traditionellen IT-Anbieter haben aufgeholt.
Klassische Provider genießen Vertrauen
Google hat ein wesentliches Problem. Die Anwender vertrauen dem Konzern nicht. Sie wenden sich lieber an etablierte Anbieter wie IBM und T-Systems.
Sympathien für die Deutsche Cloud
Der Bitkom hat auf der CeBIT 2010 vorgeschlagen, eine deutsche Cloud zu installieren. Das trifft durchaus auf Zustimmung der Anwender.
Wichtige Daten bleiben inhouse
Dennoch speichern die Nutzer ihre kritischen Daten ungern in der Wolke.
Kein Einfluss auf die interne IT
Cloud wird die heutige IT um Services ergänzen, die Arbeit der internen IT aber nicht überflüssig machen.

Applikationen wandern in die Cloud

CW: Das scheint für ein so neues Paradigma nicht viel Innovation zu sein…

Cearley: Ich war ja noch nicht fertig… Wir denken, dass sich der Fokus von der Infrastrukturnutzung, mit der Legacy-Anwendungen in die Cloud gebracht werden, Richtung Platform as a Service verschieben wird. Dabei geht es um die Entwicklung innovativer Applikationen, die die Vorteile des Cloud-Modells stärker nutzen. Bei den Applikationen in der Cloud verläuft die Entwicklung von Migration über Verbesserung und schließlich hin zu Innovation. Zurzeit werden die bestehenden Applikations-Architekturen auf die neue Plattform gebracht, als Nächstes werden wir dort ganz neue Sachen erleben (siehe auch FAQ Cloud Computing)

CW: Welche Anbieter sieht Gartner im Cloud Computing vorn?

Cearley: Weil Cloud Computing verschiedenste Marktsegmente betrifft, ist das schwer zu sagen. Denken Sie nur an die verschiedenen Bereiche, die es umfasst: Plattform, Infrastruktur und Software as a Services, Information as a Service oder komplette Business-Prozesse als Service. Dabei sind noch gar keine Anbieter berücksichtigt, die selbst keine Cloud-Provider sind, aber die notwendigen Technologien dazu liefern (siehe auch: Anbieteranalyse Cloud Computing von Experton). Wenn wir jedoch über Cloud-Provider generell reden, dann gibt es starke Anbieter, die aus der Welt des Web in die Cloud drängen und solche, die aus dem Bereich der Enterprise-IT stammen. Nehmen sie Amazon. Wir gehen davon aus, dass dieser Anbieter eine wichtige Kraft im Bereich Infrastructure as a Service bleibt, in Sachen Plattform oder Software as a Service sind sie dagegen eher schwach. Im Bereich Plattform as a Service und Software as a Service sehen wir beispielsweise Saleforce.com als starke Kraft. Microsoft ist ebenfalls dabei, in diesem Segment wichtig zu werden. Sie bieten mit Azure Platform Infrastructure und Platform as a Service. Deshalb sehen wir Microsoft langfristig in einer stärkeren Position als Amazon.

Welche Erfahrungen haben deutsche Unternehmen mit Cloud Services gemacht?

Die COMPUTERWOCHE Marktstudie Cloud Computing gibt Antworten.

"Microsoft riskiert viel"

CW: Geht Microsoft mit diesem starken Schwenk zu Cloud Computing ein Risiko ein?

Cearley: Microsoft riskiert viel: Wenn die Rechnung nicht aufgeht und sich Cloud Computing nicht zum dominanten Modell entwickeln sollte, dann machen sich die Investments in den Aufbau von Rechenzentren und Architekturen nicht bezahlt.

CW: Ist Azure eine Microsoft-zentrische Plattform wie Windows oder ist sie offener?

Cearley: Es handelt sich immer noch um eine Microsoft-zentrische Welt, aber in einigen Bereichen wurde sie offener gestaltet als die früheren Plattformen. Wir befinden uns am Anfang dieser Entwicklung, aber die Richtung geht definitiv zu mehr Offenheit, zum Beispiel was die APIs betrifft, auf denen ISVs aufbauen können.

CW: Wie steht es um Salesforce.com? Ist das nicht ein idealer Kaufkandidat für die großen Spieler, die zunehmend das Thema Cloud Computing für sich entdecken?

Cearley: In den nächsten drei bis fünf Jahren wird es in diesem Markt viele Konsolidierungsbemühungen geben. Weil Salesforce.com im Cloud-CRM-Sektor und mit force.com auch im Plattformbereich eine führende Position errungen hat, kommt das Unternehmen natürlich als Übernahmekandidat infrage. Oracle, IBM, HP und mit Abstrichen auch Microsoft oder SAP, werden sich den Anbieter sicher sehr genau ansehen, aber jeder der potenziellen Käufer würde sich mit einer Akquisition auch Nachteile einhandeln, mit denen umgegangen werden müsste.

Google App Engine ein Nischenprodukt?

CW: Wie schätzen sie Googles Position im Cloud-Markt ein?

Cearley: Google verdient sein Geld mit Cloud basierten Business-Services, hauptsächlich mit Kontext-bezogenen Anzeigen. Alles, was sie unternehmen, von Youtube bis zu Google Apps, stützt dieses Modell. Außerdem arbeiten sie noch daran, ihr Cloud-Angebot für Enterprise-Kunden zu positionieren. Bisher haben Unternehmen die App-Engine aber noch nicht in größerem Maße angenommen, das gilt übrigens auch für die unabhängigen Softwareentwickler. Ich glaube deshalb, dass die App Engine ein Nischenprodukt bleibt. Enterprise-Kunden betrachten Cloud-Anbieter mit Web-Hintergrund generell eher skeptisch. Offenbar verfügen sie noch nicht über die passenden Lizenzmodelle, Supportstrukturen oder Applikationen.

CW: Sie haben erwähnt, dass Microsoft ein Risiko eingeht, wenn sich Cloud Computing nicht als das neue große Paradigma entpuppt. Wie sieht Gartner das?

Cearley: Cloud Computing wird die IT-Welt wahrscheinlich stärker verändern als das Client-Server-Paradigma. Diese Art des Computings ist ein langfristiges Phänomen. Dabei werden sich die verschiedenen Modelle in unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickeln und vom Anwender angenommen werden.

"Evolution mit revolutionären Folgen"

CW: Ist der Eindruck richtig, dass Cloud Computing zum ersten Mal nach der Client-Server-Ära der IT wieder ein gemeinsames Dach gibt?

Cearley: Ja. Bei Cloud Computing handelt es sich um eine evolutionäre Entwicklung mit revolutionären Konsequenzen. Service orientierte Architekturen, das Web als Plattform, Mashups, verteilte Web-Applikationen á la Google, die Entwicklungen in der Infrastrukur, Virtualisierung, all das vereint Cloud Computing zu einem neuen IT-Ansatz. Die letzte große Umwälzung dieser Art war Client-Server, die ebenfalls die gesamte IT vom Rechenzentrums- bis hin zum Applikations-Design verändert hat. Die Attribute Serviceorientierung, Skalierbarkeit, Elastizität und verteilte Infrastrukturen kennzeichnen diesen neuen Computing-Stil. Dabei führt die Serviceorientierung zu einer klaren Trennung von Aufgaben zwischen Service-Konsument und Service-Provider. Das Service konsumierende Unternehmen ist ausschließlich über das Service-Interface mit dem Provider verbunden. Weder sieht es die Details der Implementierung des Services noch hat es Einfluss darauf. (wh)

(Titelbild: J. Thew/Fotolia )