IBM-Chefin Koederitz im CW-Interview

"Cloud bedeutet Transformation"

20.10.2011 von Jan-Bernd Meyer und Heinrich Vaske
Martina Koederitz, Deutschland-Chefin der IBM, setzt auch in Zukunft auf Server-Produkte, das wachsende Softwaregeschäft und die Cloud.

CW: Die Situation an den internationalen Finanzmärkten hat sich in den vergangenen Wochen stark eingetrübt. Ist IBM schon in Alarmstimmung?

Koederitz: Noch spüren wir im Markt nichts. Das ist auch das Ergebnis der Gespräche, die wir zuletzt mit Kunden geführt haben. Trotzdem stellen wir uns entsprechend ein und identifizieren Bereiche, auf die wir uns nun stärker fokussieren wollen. Wir wissen ja, dass gerade in kritischen Zeiten IT genutzt werden kann, um die Produktivität von Unternehmen zu stärken. Nach der Krise von 2008/09 haben sich viele Unternehmen auf ihre Stärken besonnen und überlegt, welche Geschäftstätigkeiten sie bevorzugt angehen wollen. Auch hier ist IT eine treibende Kraft, neue Wege einzuschlagen.

CW: Ihr CEO, Samuel Palmisano, hat anlässlich der Verkündung der letzten Geschäftszahlen gesagt, IBM komme in dem tiefgreifenden Transformationsprozess, in dem sich das Unternehmen befinde, sehr gut voran. Was sind denn das für Transformationen, in denen sich IBM befindet?

Koederitz: Wir erheben den Anspruch, ein führendes, global integriertes Unternehmen zu sein. Da fragen wir uns, wie wir uns intern am besten aufstellen, um unsere Stärken auszuspielen. Hier arbeiten wir ständig an unserer Produktivität, unserer Effizienz und dies über alle geografischen Regionen hinweg.

Zum zweiten haben wir ja auch schon klar formuliert, dass wir in Richtung der höherwertigen Lösungssegmente gehen. Wir bewegen uns weiter Schritt für Schritt vom Produktgeschäft der Vergangenheit ins Lösungsgeschäft. Das betrifft alle Segmente: Hardware, Software und Services.

CW: Heißt das, dass Sie Ihr Portfolio an Hardware, Software und Services jetzt neu gewichten? Oder provokant gefragt: Lassen Sie das margenschwache Hardwaregeschäft und Teile des Servicegeschäfts links liegen, um nur noch Software und höherwertige Dienstleistungen anzubieten?

Ziel bis 2015 sind 50% Gewinn durch Software

Koederitz: Wenn Sie sich den letzten Geschäftsbericht der IBM angesehen haben, dann haben Sie festgestellt, dass der Anteil der Systems and Technology Group am Gesamtumsatz der IBM weniger stark ist. Dagegen haben wir kräftig in das Softwaregeschäft investiert. Zudem haben wir schon 2002 durch den Zukauf von Pricewaterhouse Coopers Consulting gezeigt, dass wir das Beratungs- und Integrationsgeschäft ausbauen. Wenn Sie sich zudem unsere Zielsetzung für 2015 ansehen – dann wollen wir annähernd 50 Prozent unseres Profits mit Software erwirtschaften – ist das eine klare Indikation, wo wir künftig den Mehrwert der Lösungen für unsere Kunden erzeugen werden.

CW: Dient Ihre allgegenwärtige Smarter-Planet-Kampagne dazu, diesen Anspruch zu untermauern?

Koederitz: Korrekt. Wir zeigen damit, wozu höherwertige Lösungen gebraucht werden und was sie bewirken können. Smarter Planet skizziert zum einen ökologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme, die wir rund um den Globus sehen, und zum anderen die Handlungsoptionen, die sich daraus für Gesellschaften und Unternehmen ergeben.

Wir haben ferner festgelegt, dass wir vor allem in Regionen starken Wachstums investieren werden. Wir investieren außerdem in die Themen Cloud Computing und Business Analytics. Durch die zunehmende Vernetzung in der Welt und die rasant wachsende Zahl von Geräten wird die Menge an Daten immer größer. Hier besteht die Herausforderung zum einen darin, relevante Daten zu erheben, mit denen man dann arbeitet, und zum anderen die vorliegenden Datenmassen mit neuen Methoden zu durchforsten, um so ganz neue Erkenntnisse für die Produktentwicklung, für Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen.

CW: Was bedeutet all das für das Hardwaregeschäft der IBM? Wird es mittelfristig heruntergefahren?

Koederitz: Nein. Wir haben hier eine klare Wachstumsstrategie. Vielleicht werden sich andere Segmente stärker entwickeln. Aber wir stecken unsere Forschungsgelder zu einem gehörigen Anteil in unsere Technologiesparte. Und: Es gibt kaum ein Segment, das so schnell und organisch wächst wie Storage. Eine smarte Infrastruktur müssen Sie darüber hinaus integriert sehen. Wir haben drei Serverfamilien am Markt, mit denen wir den verschiedenen Herausforderungen der Massendatenverarbeitung in punkto Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheitsanforderungen gerecht werden. Es gilt eben nicht "One server fits all". Vielmehr hängt dies von den unterschiedlichen Workload-Spezifika ab. Und je nach Workload werden sie unterschiedliche Preis-Leistungs-Verhältnisse bei verschiedenen Server-Plattformen finden.

Trennung von x86-Servern ist reine Spekulation

CW: Wie lange will sich IBM noch x86-Server leisten, die sich ja kaum von denen anderer Hersteller unterscheiden und von den Margen auch nicht sonderlich interessant sind. Wird IBM sie, ähnlich wie vor ein paar Jahren die PC-Sparte, abstoßen?

Koederitz: Das ist reine Spekulation. Wir sehen, dass der Markt auch nach dieser Plattform fragt. Mit der X5-Technologie haben wir Differenzierungspunkte, die aus der Mainframe-Welt stammen und die kein anderer Anbieter liefern kann. Wir haben für alle Segmente Entwicklungszeitpläne.

CW: Aber die x86-Server bringen Ihnen keinen Wettbewerbsvorteil mehr, die Unix-Maschinen eigentlich auch nicht. Da stellt sich die Frage, warum Sie an dieser Hardware festhalten.

Koederitz: In Verbindung von Softwarestack und technischer Architektur können wir sehr wohl einen Mehrwert für den Kunden generieren. Die Frage ist, ob der Kunde den Mehrwert immer honoriert, wenn wir beispielsweise von Quality of Service, Service-Level oder integrierte Sicherheitsfunktionen reden. Deshalb diskutieren wir ständig mit unseren Vertriebsteams und Geschäftspartnern, was den Kunden beim Einsatz neuer Business-Applikationen wichtig ist und was sie von einer Infrastruktur erwarten. Schauen Sie: Ein kurzfristiger Ausfall einer Infrastruktur kann zum Beispiel erheblich mehr kosten als die Investition in eine hochverfügbare Lösung.

CW: Noch einmal zurück zum Thema Software und hier zu den Personal Productivity Tools, insbesondere der Lotus-Suite. In der Öffentlichkeit wird durchaus kontrovers diskutiert, ob IBM in diesem Segment gut aufgehoben ist. Glaubt man den Marktauguren, gewinnt Microsoft gegenüber IBM beständig an Marktanteilen. Was bedeutet das für IBM?

Koederitz: In der Software kann man drei wesentliche Bereiche ausmachen: zum einen das Segment Collaboration und Social Networks, wo IBM ein klares und starkes Angebotsportfolio hat, das auch über klassisches E-Mail oder Calendering hinausgeht und etwa die Integration von Business-Applications mit adressiert.

Zum Zweiten gibt es den Bereich Business Process Management und Business Integration. Darauf antworten wir mit Produkten wie Websphere Portal und Websphere Integrator. Dort haben wir es bei unseren Kunden mit einer starken Herausforderung bezüglich der Integration unterschiedlicher Daten und Applikationen zu tun, und zwar zunehmend über Unternehmensgrenzen hinweg.

Der dritte Softwarebereich spielt im Business-Analytics- und Information-Management-Segment. Hier erwarten wir ein starkes Wachstum, weil eben die Datenvolumina stark wachsen.

CW: Trotzdem noch einmal die Frage: Wie sicher sind Investitionen in Lotus Notes?

Koederitz: Die IBM war in ihrem 100-jährigen Bestehen immer geprägt davon, größtmögliche Investitionssicherheit zu bieten. Und wie ich sagte haben wir drei wesentliche Bereiche ausgemacht, die für uns relevant sind. Die Lotus-Suite gehört dazu.

Cloud bedeutet Transformation

CW: Sie nannten Cloud Computing als strategisches Thema für IBM. Sehen Sie sich eher als Cloud-Enabler, der beispielsweise für den Kunden Cloud- und On-Premise-Umgebungen integriert? Oder treten Sie als Cloud-Anbieter auf, der Infrastruktur und Software aus der Cloud bereitstellt?

Koederitz: Cloud bedeutet Transformation. Da gibt es verschiedene Entwicklungsstufen. Wir arbeiten beispielsweise mit Unternehmen zusammen, die zunächst in Private Clouds investieren. Dort sehen wir uns als Partner oder Enabler. Wir beraten auch, welche Art von Workload sich auf einer Cloud-Plattform betreiben lässt. Die Idee ist ja, mit Cloud Computing möglichst zu standardisieren, zu automatisieren und letztlich ein Betreibermodell zu haben bis hin zum Selbstbedienungsmodus.

Wir stehen erst am Beginn der strategischen und systematischen Erschließung dieser neuen Technik. Bisher wurden Piloterfahrungen in den verschiedenen Anwendungsbereichen von Cloud gesammelt. Im Markt haben sich dabei sehr unterschiedliche Anforderungen herauskristallisiert. Aber mit unserem breiten Portfolio können wir da schon einen Großteil des Markts bedienen. In diesem Zusammenhang werden wir sicherlich Themen wie Mobilität und Sicherheit einfließen lassen.

CW: Rechtliche Fragestellungen und Datenschutzbedenken behindern die Entwicklung. Bauen Sie jetzt in jedem Land Cloud-Rechenzentren auf, um dem zu entgehen?

Koederitz: Wir haben uns in Deutschland als Competence-Center für Europa positioniert. Hier gibt es die schärfsten Datenschutzbestimmungen, so dass uns im Ausland weniger Probleme erwarten. Natürlich sind für uns die Gesetzgebungen in den einzelnen Ländern sowie europäisches Recht bindend.

CW: Bieten Sie Ihren Softwarepartnern an, aus Ihren Cloud-Rechenzentren Lösungen im SaaS-Modell anzubieten? Etwa einer Infor, die ihre ERP-Applikationen auch als Cloud-Lösung anbietet?

Koederitz: Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Das hängt vom Business Case des jeweiligen Partners ab. Momentan tun sich ja auch schon Partner untereinander zusammen und kooperieren. Wir engagieren uns, wo immer das für beide Seiten sinnvoll ist.

CW: Wie ist das Feedback im deutschen Markt bezüglich Cloud Computing? Gibt es da Nachfrage? Weltweit will IBM den Umsatz mit Cloud-Themen ja in diesem Jahr verdoppeln.

Koederitz: Das Interesse nimmt zu. Seit unseren Aktivitäten in Sachen Cloud auf der CeBIT kann man sagen, dass die Nachfrage höher geworden ist. Die meisten Firmen starten zunächst mit weniger geschäftskritischen Anwendungen. Manche sind aber noch nicht so weit, ihr Anwendungsportfolio im Grundsatz zu hinterfragen.

CW: Werden Unternehmen Ihrer Einschätzung nach betriebswirtschaftlich wichtige Anwendungen in die Cloud verlagern?

Koederitz: Warum nicht? Wir waren ja auch bisher mit verschiedenen Sourcing-Modellen erfolgreich. SAP-Applikationen werden ja schon als Managed- oder Hosting- Service Bestandteile von Outsourcing-Vereinbarungen. Nur wenn Anwendungen stark standardisiert sind, werden sie in eine Cloud-Infrastruktur gegeben. Die Frage ist, wie schnell diese Transformation hierzulande Fuß fassen wird.

Und dann wird es unterschiedliche Anbieter geben für IT-Cloud-Services, da sich die Ansprüche an Verfügbarkeits-Commitments, Service-Level-Agreements und Sicherheitsstandards, die ein Anbieter zu offerieren in der Lage ist, unterscheiden.

Aber wir stehen erst am Anfang dieser Transformation, und in jedem Unternehmen wird die Frage diskutiert werden, welche Anwendungen geschäftskritisch sind und welche weniger die Kernkompetenz betreffen. Die Antworten werden das Tempo entscheiden, in dem Cloud Computing in Deutschland Fuß fasst.

Eine kleine Cloud-Marktübersicht
CloudVendor Benchmark 2011
Im Folgenden liefert Experton eine Marktübersicht anhand von Kurzporträts zehn ausgewählter Anbieter. Diese basieren auf den Ergebnissen einer im Frühjahr 2011 vorgenommenen Anbieterbewertung, in der insgesamt 58 Cloud-Anbieter detailliert untersucht wurden (Studie „CloudVendor Benchmark 2011“):
Cisco
Cisco verfügt über ein breit ausgebautes Portfolio an Infrastrukturkomponenten für den Bau und Betrieb von Cloud-Rechenzentren und seit der Übernahme von WebEx über eine führende SaaS-Collaboration-Lösung. Das Joint Venture „Virtual Computing Environment Coalition (VCE)“ zusammen mit EMC und VMware bietet interessante Sourcing-Alternativen im Bereich Cloud Infrastructure. Eine Schwäche ist das fehlende IaaS-Angebot von Cisco.
Citrix
Citrix zählt mit der XenServer-Produktfamilie zu den technologisch führenden Anbietern im Cloud-Middleware-Umfeld, wenn auch auf der Marktseite die Transformation vom klassischen Virtualisierungsanbieter hin zum Cloud-Anbieter lange nicht so schnell vorangeht wie beim Konkurrenten VMware. Ein positiver Aspekt hinsichtlich der Web-Conferencing-Lösung Netviewer ist die auf deutschem Recht basierende Geschäftsbeziehung mit deutschem Gerichtsstand.
Google
Google verfolgt eine absolut klare Cloud-Strategie. So werden fast alle Produkte als Web- beziehungsweise Cloud-Service (IaaS, SaaS, PaaS) frei zugänglich angeboten und nutzungs- beziehungsweise nutzerbasiert abgerechnet. Google bietet mit seinen umgetauften„Google Apps for Business“ eine attraktive Alternative zu gängigen Collaboration- und Office-Lösungen an, die aber unter anderem aufgrund des Images von Google, des Vertriebsansatzes und des fehlenden deutschen Rechenzentrums bei (mittel-)großen Firmen noch nicht sehr erfolgreich ist. Die „App Engine“ genannte Plattform von Google richtet sich – auch aufgrund der geringen An¬passbarkeit – an einzelne Entwickler beziehungsweise kleine Unternehmen, bei denen geringe Kosten und einfache Nutzung im Vordergrund stehen.
Hewlett Packard (HP)
Als weltweiter Marktführer im Segment der x86-Industriestandard-Server behauptet HP auch im Markt für Cloud Infrastructure seine führende Rolle. Hinsichtlich HPs Utility Services, die Enterprise-Applikationen (zum Beispiel SAP) auf einer virtualisierten Plattform flexibel bereitstellen und abrechnen, hat das Unternehmen gegenüber dem vergangenen Jahr große Anstrengungen unternommen, sodass diese deutlich an Attraktivität gewonnen haben und als ausgereiftes Angebot gewertet werden können.
IBM
IBM bietet derzeit das kompletteste Cloud-Infrastrukturportfolio im Markt. Darüber hinaus steht Big Blue seit Anfang 2011 mit seiner Version einer PaaS-Plattform (IBM Smart Business Development and Test on the IBM Cloud) bereit, die aus dem Rechenzentrum in Ehningen geliefert wird. Beim Segment Großkunden ist IBM mit seinem breiten, durchgängigen Angebot aus Hardware, Middleware und Cloud-Management-Komponenten derzeit als marktführend zu betrachten, und die Cloud Services gelten als die derzeit attraktivsten Angebote am Markt.
Salesforce.com
Salesforce offeriert neben seiner ausgereiften SaaS-CRM-Lösung und der attraktiven PaaS-Plattform „Force.com“ mit „database.com“ auch ein reines IaaS-Angebot. Unter anderem arbeitet Salesforce darüber hinaus mit „Chatter“ und der Übernahme der Konferenzplattform „Dimdim“ inzwischen an der Ausweitung des Portfolios in Richtung Collaboration. Neben dem Fehlen eines deutschen/EU-Rechenzentrums ließe sich das unvollständige Portfolio kritisieren. Außerdem stellt sich die Frage, wann die vor über einem Jahr mit VMware angekündigte Enterprise Java Cloud „VMforce“ in Deutschland verfügbar sein wird.
T-Systems
Die von T-Systems „Dynamic Services“ genannten Private Cloud Services für Großunternehmen können im Umfeld des Betriebs geschäftskritischer Applikationen als eine der Pionierleistungen in diesem Umfeld gelten. Zusätzlich bietet T-Systems seinen Kunden seit Anfang 2011 auch eine IaaS-Plattform an, die in Kooperation mit dem Cloud-Management-Anbieter Zimory vorgestellt wurde.
VMware
VMware ist aufgrund seines breiten und ausgereiften Portfolios an Virtualisierungslösungen der klar dominierende Anbieter für Cloud Middleware. VMware bietet mit der „vCloudProduct Family“ nicht nur das breiteste Cloud-Management-Produktportfolio, sondern setzt hinsichtlich der Integration der einzelnen Module sowie deren technologischer Reife auch den derzeitigen Standard.