Die schlechte Nachricht präsentierten die Marktforscher gleich zu Beginn des Gartner Symposium/ITxpo in Barcelona. In der Region Emea (Europa, Naher Osten, Afrika) sollen die IT-Ausgaben im laufenden Jahr um 1,4 Prozent sinken, erst 2012 sei wieder mit einem Anziehen um 2,3 Prozent zu rechnen, prognostizierte Gartners Forschungschef Peter Sondergaard. Ursache sei das Kriseln mancher westeuropäischer Staaten.
Die gute Nachricht: Unternehmen und insbesondere CIOs haben es laut Sondergaard selbst in der Hand, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einzustellen. Ein "Weiter so" dürfe es dabei nicht geben, so das Credo der Analysten auf der traditionell hochkarätig besetzten Fachkonferenz, die laut Veranstalter rund 4000 IT-Experten, darunter 1600 CIOs, besuchten.
Das Leitthema auf dem laut Gartners bescheidener Selbsteinschätzung "weltweit wichtigsten Treffen von CIOs und IT Executives" lautete denn auch bedeutungsschwanger "Re-Imagine IT". Wie so häufig bei neuen Wortschöpfungen von Gartner lässt sich der Begriff nur vage übersetzen. Die IT "neu zu denken" wäre angesichts der vielfältigen Herausforderungen wohl zu kurz gegriffen; Unternehmens-IT andererseits aber gleich "neu zu erfinden" dürfte von den meisten CIOs dann doch etwas viel verlangt sein.
Die Analysten erwarten in der Tat eine Menge von den IT-Machern. Um die Unternehmen auf neue Technologien, Bezugsmodelle und veränderte Marktbedingungen einzustellen, fordern sie - in Anlehnung an den Ökonomen Joseph Schumpeter - nicht weniger als einen Prozess der "kreativen Zerstörung": IT-Verantwortliche müssten lernen, Vorhandenes "niederzureißen", um am Ende das zu erhalten, was sie wirklich benötigten, postulierte das Marktforschungs- und Beratungshaus.
Gartners Goup Vice President Mark McDonald versuchte in seinem Vortrag darzulegen, wie IT-Verantwortliche diesen Prozess anstoßen könnten: "CIOs sollten damit beginnen, ein neues Konzept für die IT-Organisation und deren Beitrag für das Unternehmen zu entwickeln." Das Thema Cloud Computing spiele dabei eine entscheidende Rolle, erklärte er unter Verweis auf eine aktuelle Gartner-Studie. Derzufolge plant fast die Hälfte der Befragten CIOs, innerhalb der nächsten vier Jahre den größten Teil ihrer Applikationen und der IT-Infrastruktur in die Cloud zu verlagern.
COMPUTERWOCHE Marktstudie
"Was IT-Abteilungen 2011 beschäftigt" (390,-€)
IT-Kompass 2011: Was beschäftigt deutsche IT-Abteilungen im Jahr 2011? Wie schätzen IT-Verantwortliche die wirtschaftliche Lage ihrer Unternehmen ein, wo setzen sie Prioritäten und auf welchen Feldern wollen sie investieren?
Vier Kräfte verändern die Unternehmens-IT
Forschungschef Sondergaard bemühte sich, das Motto Re-Imagine IT mit konkreten Inhalten zu hinterlegen. Nach seiner Einschätzung kristallieren sich vier große Kräfte in der Unternehmens-IT heraus, die die hergebrachten IT-Architekturen über kurz oder lang überflüssig machen und ein neues Computing-Modell formen: Cloud, Social Computing, Information (Big Data) und Mobile.
Zwar stecke der breite Einsatz von Cloud-Services in Unternehmen noch in den Kinderschuhen, doch die Wachstumsperspektiven seien beeindruckend: In der Region Emea werden Kunden nach Gartner-Schätzungen in diesem Jahr rund 16 Milliarden Dollar für Public-Cloud-Services ausgeben; das entspricht etwa drei Prozent der gesamten IT-Ausgaben. Schon im nächsten Jahr werde die Summe auf 20 Milliarden Dollar steigen. Im Vergleich zu den klassischen IT-Ausgaben der Unternehmen sollen Public-Cloud-Dienste indieser Region bis zum Jahr 2015 zehnmal so schnell wachsen.
Angesichts der schieren Größe der Social Networks ist der zweite große Trend, Social Computing, nach Lesart der Gartner-Analysten kaum noch erklärungsbedürftig. Für CIOs und Business-Verantwortliche müsse es darum gehen, die Prinzipien der Social Networks unternehmensintern zu erschließen und auf diese Weise neue Formen der Zusammenarbeit zu ermöglichen, die am Ende Wettbewerbsvorteile und mehr Kundennähe bringen. Im so genannten Postmodern Business, ebenfalls eine Wortschöpfung Gartners, gehe es darum, die Beziehungen zu Kunden, Zulieferern und Partnern entscheidend zu vertiefen. Über Social Communities ließen sich etwa Kunden in interne Prozesse wie die Produktentwicklung einbinden.
Big Data beschäftigt Unternehmen
Mit Big Data als Schlagwort kommt laut Sondergaard das Thema Information ins Spiel, das in Unternehmen eine zunehmend strategische Bedeutung erhalte. Aus vielen Gesprächen mit Kunden hätten die Analysten den Eindruck gewonnen, dass die Unternehmen den Umgang mit den wachsenden Datenmengen auf eine neue Grundlage stellen wollten. Das Thema Analytics in seinen verschiedenen Ausprägungen spiele dabei eine Schlüsselrolle. Gleiches gelte für das Gartner-Konzept der "Pattern-based Strategy", das intelligente Systeme zur Erkennung von Mustern in großen Datenbeständen in den Mittelpunkt stellt.
Last, but not least gehören für die Auguren mobile Techniken zu den vier großen Kräften, die die Existenz traditioneller IT-Architekturen in Frage stellen. Sondergaard verwies auf die dramatisch wachsende Zahl mobiler Geräte, die im Zuge der "Consumerization" auch in Unternehmen Einzug hielten. Schon im Jahr 2014 würden dort mehr mobile Betriebssysteme wie iOS, Android oder auch Windows 8 installiert sein als klassische PC-Betriebssysteme, lautet die Prognose.
Dass der Prozess der kreativen Zerstörung vor allem mit überkommenen Denkmustern und Gewohnheiten zu tun habe, erklärte Tina Nunno, Vice President und Distinguished Analyst in ihrem Vortrag. IT-Verantwortliche müssten Abschied nehmen vom hergebrachten Schwarzweißdenken, lautete ihre Forderung. So sei etwa der oft zitierte Konflikt zwischen IT- und Fachabteilungen in der Praxis vor allem deshalb problematisch, weil keine der beiden Seiten sich vom traditionellen Rollenverständnis lösen wolle. Ein anderes Beispiel: Viele CIOs wollten als innovative Macher im Unternehmen gelten, schafften es aber nicht, angemessen zu kommunizieren. Statt über innovative und riskante Projekte zu reden, stellten sie in ihren Vorträgen die langweiligsten, aber kostenseitig einleuchtendsten IT-Vorhaben in den Mittelpunkt.
Re-Imaging IT - Vorbild Unterhaltungsindustrie
Der Begriff Re-Imagine stammt ursprünglich aus der Unterhaltungsindustrie. Die Kreativen der Filmbranche stützen sich dabei häufig auf eine bekannte Story und fragen sich: "Was wäre wenn…?" Sie verändern Szenen, Charaktere und ganze Plots, um der Story einen neuen Dreh zu geben und so für die Zuschauer attraktiver zu machen. Ein ähnliches Vorgehen empfiehlt Gartner auch IT-Verantwortlichen. Im Prozess der kreativen Zerstörung könnten sie neue Ressourcen entwickeln, indem sie alte Systeme "zurückbauten" und bestehende Ressourcen für neue Zwecke einsetzten. Dabei könnten ihnen neue Technologien und Methoden helfen. Im Bereich Infrastruktur nennt Gartner hierbei vor allem Virtualisierungstechniken und Cloud Computing.
Dahinter steht letztlich eine alte Grundidee: Die IT soll nicht länger ausführendes Organ für die Fachabteilungen und ein Kostenfaktor sein, sondern mit Hilfe innovativer Systeme einen Wertbeitrag für das Unternehmen liefern. Commodity-Dienste, die keinen direkten Geschäftsnutzen versprechen, beziehen Unternehmen in diesem Szenario idealerweise von externen Dienstleistern. Im Zeitalter des Cloud Computing sind die Optionen vielfältiger, die Bezugsmodelle flexibler geworden, argumentiert Gartner. CIOs sollten diese "einmalige" Chance nutzen, um nur noch solche IT-Systeme selbst zu betreiben, die dem Unternehmen Wettbewerbsvorteile bringen können. (wh)