In einem Jahr von der manuellen zur computerunterstützten Konstruktion und Fertigung:

CIM ohne Ausfallzeiten verwirklichen

17.02.1989

MÜNCHEN (CW) - Der Automobilschellen-Hersteller Rasmussen, Maintal, hat innerhalb eines Jahres seinen kompletten Konstruktions- und Produktionsbereich automatisiert. Lutz Lunzer, Geschäftsführer der L+P Unternehmensberatung GmbH, beschreibt den Werdegang der CIM-Einführung.

Anfang 1987 untersuchte L+P den konstruktiven und fertigungstechnischen Bereich bei der Firma Rasmussen, um hierauf aufbauend ein geeignetes Konzept zur Verknüpfung von Konstruktion und Fertigung zu erstellen.

Begleitend zu den Analysen im Konstruktions- und Fertigungsbereich wurden einige Konstrukteure durch Schulungen an einem "Low-cost"-CAD-System mit der Arbeitsweise der Rechner vertraut gemacht. Damit baute man die bei dem einen oder anderen Konstrukteur, bewußt oder unbewußt vorhandene Hemmschwelle gegenüber der Computerunterstützten Konstruktion ab. Gleichzeitig wurden die am eigenen Projekt geschulten Konstrukteure qualifiziertere Ansprechpartner gegenüber L+P für das gemeinsam zu erarbeitende Konzept. Die Analysen selbst führten Mitarbeiter des Hauses L+P in Form von Checklisten durch.

Workstation-Konzept oder Großrechner?

Die Checkliste enthält alle wesentlichen CAD-Merkmale, die bei der späteren Systemauswahl zum Tragen kommen. Die Anforderungen des Anwenders wurden dem auf einem Personal Computer gespeicherten Kriterienkatalog gegenübergestellt und analysiert. Gleichzeitig sind Gewichtungen vorgenommen worden, die für den nachfolgenden anbieterneutralen Systemvergleich von Bedeutung sind. Aus der Marktkenntnis und Vorgesprächen mit möglichen Lieferanten hatten sich fünf Systemanbieter für die Auswahl qualifiziert. Sie bekamen Gelegenheit, die in der Checkliste festgelegten Anforderungen mit ihrem CAD-System vorzuführen. Die Systemeigenschaften wurden bewertet und als Leistungsmerkmale in die elektronisch gespeicherte Checkliste eingetragen, Ergänzt mit den Preisen wurde das Preis/Leistungsverhältnis ermittelt, das nun darüber Aufschluß gab, welches System den größten Teil der Forderungen abdeckt.

War die Firma Rasmussen vor der Untersuchung davon überzeugt, für ihre Hauptanwendungen ein 3D-System einzusetzen, so stellte sich während der Untersuchung heraus, daß 96 Prozent aller Zeichnungen mit einem 2D-CAD-System durchgeführt werden können. Zum Zeitpunkt der Untersuchung war ungewiß, wie sich der Anteil der 3D-Zeichnungen künftig entwickeln wird. Bei dem System, für das sich Rasmussen letztendlich entschied, besteht die Möglichkeit, jederzeit auf 3D-Basis mit gleichzeitiger Übernahme der Zeichnungen zu konstruieren.

Nun stellte sich die Frage: Workstation-Konzept oder Großrechner? Zur Beantwortung sollen zunächst beide Konzepte kurz erläutert werden:

Workstations zeichnen sich durch ihre Geschwindigkeit, Multitaskingfähigkeit und einfache Vernetzung zu einem Rechnerverbund aus. Die Systeme arbeiteten meistens mit einem 32-Bit-Prozessor. Als Betriebssystem wird Unix oder ein Derivat davon eingesetzt. 4-MB-Hauptspeicher und eine Festplatte mit einer Kapazität zwischen 80 und 140 MB sind heute die Regel. Für den Rechnerverbund stehen verschiedene Netzwerke, beispielsweise Ethernet, zur Verfügung, die sich durch hohe Übertragungsgeschwindigkeiten auszeichnen.

Wird im Rechnerverbund gearbeitet, so wird eine Workstation als Server "ernannt"", über die netzübergreifende Arbeiten wie Plotten und Drucken abgewickelt werden. Dies schließt nicht aus, daß jede Workstation über eigene Plotter und Drucker verfügen kann. Theoretisch ist die Anzahl der Workstations im Netz unbegrenzt. Üblicherweise werden über den Server auch Verbindungen mit anderen Netzwerken, Datenfernverarbeitung oder Hostverbindungen aufgebaut, sowie Daten abgelegt, die allen Benutzern zur Verfügung stehen.

Im Gegensatz zum Workstation Konzept hat der Großrechner nur eine einzige Zentraleinheit. Dies hat den Vorteil, daß von jedem Terminal aus auf einheitliche Datenverbände zugegriffen werden kann. Jedoch die Angabe der anschließbaren CAD Terminals ist aus zwei Gründen limitiert:

1. An einen Zentralrechner passen rein physisch nur eine endliche Anzahl von Terminals.

2. Eine so rechenintensive Anwendung wie CAD benötigt sehr viel der zur Verfügung stehenden Performance, so daß jeder weitere CAD-Arbeitsplatz die Arbeitsgeschwindigkeit aller anderen Arbeitsplatze senkt.

Diese Limitationen entstehen beim Workstation-Konzept nicht, da jedem Arbeitsplatz die volle Rechnerleistung "vor Ort" zur Verfügung steht.

Der Einstieg in die computerintegrierte Fertigung (CIM) hat bei Rasmussen im April 1987 zunächst mit der EDV-unterstützten Konstruktion (CAD) begonnen. Eine komplexe Aufgabe stellte sich in der Anbindung der Werkzeugmaschinen an den CAD/CAM-Rechner sowie in der Integration des CAD/CAM-Rechners mit dem bei Rasmussen vorhandenen IBM-System /38. Bei der derzeitigen Anbindung der

Werkzeugmaschinen an den CAD/CAM-Rechner werden im Hause des Schellen-Herstellers grundsätzlich zwei Fertigungsarten unterschieden, nämlich Drahterodieren und Fräsen.

Anbindung von CAM und CAD

Im August 1987 wurde eine CNC-gesteuerte Drahterodiermaschine installiert. Die Anbindung von CAM an CAD wurde auf folgende Weise realisiert: Mit CAD werden die Konstruktionszeichnungen erstellt und an den CAM-Teil übergeben. Das CAM-Programm wird interaktiv, in gleicher Weise wie bei CAD, erstellt. Es kann an jeder Stelle der Bearbeitung die Maschinensitzung grafisch simuliert werden. Als Programmausgabe wird ein Code erzeugt, der über einen Postprozessor in den Befehlscode der Drahterodiermaschine übersetzt wird. Danach steht das Programm abrufbereit zur Verfügung. Die Workstation ist über ein zirka 400 Meter langes Kabel mit einem Personalcomputer verbunden. Der Bediener der Drahterodiermaschine ruft über den PC das Programm von der Workstation ab und speichert es lokal auf Festplatte und Diskette. Diese Diskette wird dann in das Laufwerk der Drahterodiermaschine gelegt und geladen. An der Werkzeugmaschine werden nur noch die technologischen Register gesetzt und der Arbeitsprozeß kann gestartet werden.

Im Dezember 1987 wurde dann eine Fräsmaschine mit Dialog-4-Steuerung in die Gesamtanwendung integriert. Die CAD/CAM-Bearbeitung läuft analog zur Bearbeitung mit der Drahterodiermaschine ab- bis zu dem Punkt, an dem sich das Programm auf dem PC befindet. Hier wird keine Diskette beschrieben, sondern über eine DNC-Übertragungssoftware von L+P der Dialog zur Fräsmaschine hergestellt. Der Mitarbeiter an der Fräsmaschine ist nun in der Lage, Programme direkt von der Festplatte des PCs abzurufen. Hierzu setzt er entsprechend den gewählten Bearbeitungswerkzeugen die Längen- und Radius-Kompensationsregister. Er kann ebenfalls auf dem Monitor der Fräsmaschine das Programm simulieren und gegebenenfalls modifizieren. Dabei bleibt zu erwähnen, daß ein geändertes Programm auch wieder auf die Festplatte des PCs zurückübertragen werden kann.

Anfang 1988, also bereits ein Jahr nach Erteilung des Auftrages zur Erarbeitung eines CIM-Konzeptes durch L+P, wurden zwei Workstations installiert, die neben der Konstruktionstätigkeit für die Anbindung des IBM-Systems /38 benutzt werden. Seit Juli 1988 stehen drei weitere Workstations zur Verfügung, so daß sich die Zahl der Arbeitsplatze damit auf insgesamt neun erhöht hat.

Umstellung auf Datenbankrechner

Der bereits vor dem Einstieg in die computerintegrierte Fertigung vor handene Datenbankrechner /38 wurde für die Archivierung der CAD/CAM-Dateien verwendet, wobei hier eine spezielle Kommunikationssoftware die Datenübertragung und ein entsprechendes Archivierungsprogramm auf dem IBM-System /38 die Verwaltung der Daten übernahm. Damit ist es möglich, komplette Zeichnungen von den Workstations auf das IBM-System und AS/400 zu übertragen und bei Bedarf auf die CAD-Arbeitsplätze zurückzuholen.

Im Oktober und Dezember 1988 installierte Rasmussen schließlich zwei IBM AS/400. Die Umstellung vom IBM-System /38 auf den Datenbankrechner AS/400 wurde ebenfalls von Lunzer + Partner geplant und realisiert. Gleichzeitig wurden Hard- und Software sowie die CAD-Arbeitsplätze angepaßt und optimiert. Die eigentliche Umstellung erfolgte ohne Zeitverzögerung, so daß es zu keinerlei Ausfallzeiten in den von der Umstellung betroffenen Abteilungen kam.