30 Jahre Brotkasten

C64 wieder aufgebaut und ausprobiert

11.06.2013 von Benj Edwards
Der Commodore 64 feiert 30. Geburtstag. Wir machen die Probe: Was taugt der Brotkasten heute im Business-Einsatz, als Spielkonsole und bei der Internetnutzung?
Foto: Commodore

Vor 30 Jahren brachte Commodore Business Machines den Commodore 64 auf den Markt: Einen 8-bit-Heimcomputer, der sich bald zu einer Kultikone mauserte. Dank seines günstigen Preises und der erstaunlichen Grafik-Power diente der C64 Millionen von Nutzern in erster Linie als Spiele-PC. Andere hingegen machten vom vollen Potenzial des wegen seiner Form liebevoll "Brotkasten" genannten Geräts Gebrauch und nutzten ihn als programmierbaren Allzweck-Computer.

In diesem Jahr wird der Commodore 64 30 Jahre alt. Um den Geburtstag des legendären PCs gebührend zu feiern, wagten sich die Kollegen unserer Schwesterpublikation PC World an ein Experiment: Tschüss, Windows-PC! Eine Woche lang arbeiteten sie mit einem Original Commodore 64 aus dem Jahr 1982 um herauszufinden, ob man mit einer Maschine mit unbedeutender Menge RAM und CPU-Leistung tatsächlich heute noch anfallende Arbeiten verrichten kann. Hinweis: Alle Abbildungen dieses Artikels stammen von der PC World.

Tag 1: Der Aufbau

Von den insgesamt zehn Commodore 64 in unserem "Vorrat" funktionierten nur noch drei. Ein Blick ins Gehäuse des C64 offenbart, dass die häufigste Ursache für den frühen Computer-Tod Überhitzung durch mangelnde Durchlüftung ist. Der Commodore besitzt keinen Lüfter und seine heißlaufenden Chips sitzen lediglich unter einem Stück Pappkarton. Die restlichen internen Komponenten sind wie Sardinen in einer Büchse unter einem kaum durchlüfteten Plastikgehäuse verstaut. Ja, Sie haben richtig gehört: Pappkarton. Um die Herstellungskosten zu senken, verzichtete Commodore damals auf die üblichen, beschichteten Metall-RF-Schilde, die normalerweise die Schaltkreise eines Computers vor Interferenzen durch TV-Empfang schützen. Stattdessen kam ein Stück Press-Karton zum Einsatz, der mit einer dünnen Schicht Metall-Folie überzogen wurde. Das funktionierte zwar erstaunlich gut, allerdings ist Pappkarton nicht gerade für seine Wärmeleit-Fähigkeiten bekannt...

Darüber hinaus ist das generelle Schaltkreis-System des C64 weitaus weniger robust, als es sein sollte. Verbindet man also die einzelnen Pins mit den falschen Konnektoren, frittiert man das Innenleben schneller, als einem lieb ist. Auch das bekannte unförmig-schwere Netzteil des Commodore 64 wird extrem heiß und tendiert nicht selten dazu, sein eigenes Plastik-Gehäuse einzuschmelzen und dann den Geist aufzugeben.

30 Jahre Brotkasten
Der Aufbau eines C64
Die komplette Ausstattung eines C64-Arbeitsplatzes
Die Datasette
Floppy Disk
Pixelige Auflösung
Omnitronix Interface
Webseite auf dem C64
Twitter Client
Easy Script
Omniwriter
Super Script
Tastaturlayout
M.U.L.E.
Summer Games
Summer Games
Joystick
Joysticks
Kritzelei

Unser endlich funktionstüchtiger Commodore kommt natürlich nicht ohne entsprechende Peripherie aus. Als Monitor wählen wir daher einen gut erhaltenen Commodore 1702, der nicht nur über einen Composite-Video-Eingang verfügt, sondern auch einen speziellen S-Video-artigen Chroma/Luma Eingang auf der Rückseite besitzt. Der garantiert ein hochqualitatives Videodisplay.

Als Speicherlösung greifen wir auf das Standard Commodore 1541 Floppy-Disk-Laufwerk zurück. Es arbeitet mit ein- oder beidseitig nutzbaren 5,25-Zoll-Disketten, die jeweils 170 Kilobytes pro Seite speichern können. Das Laufwerk wird über einen seriellen Anschluss mit dem Commodore 64 verbunden - diese Verbindung ist zwar oft sehr langsam, aber immerhin benutzerfreundlich.

In den 1980ern konnten Diskettenlaufwerke eine wirklich teure Angelegenheit sein. Viele C64-Nutzer griffen daher lieber auf günstigere Kassetten-Laufwerke (beim C64 als Datasette bezeichnet) zurück - also solche Laufwerke, die Computerdaten auf einer normalen Audio-Kassette speichern und von dort auch wieder abrufen konnten. Zwar hatten wir auch von diesen Laufwerken ein passendes parat, das beliebte Modell Commodore 1530 C2N Datasette, doch kaum nützliche Programme auf entsprechenden Kassetten-Tapes. Bei den Game-Controllern entscheiden wir uns für zwei Commodore VIC-1311 Joysticks. Dazu später mehr.

Ein Computer ist nur so gut, wie seine Software - da macht auch der Commodore 64 keine Ausnahme. Immerhin: Mehr als 10.000 Programme wurden einst für den C64 veröffentlicht. Das Problem besteht also nicht in der Software-Auswahl, sondern in deren Nutzung. Die meisten Programm-Disks sind mittlerweile furchtbar alt und viele von Ihnen werden wissen: Floppys halten leider nicht ewig. Die magnetischen Daten verblassen mit der Zeit und werden unlesbar. Manchmal funktioniert auch die Diskette selbst, doch die Grafikdaten geraten durcheinander, wie es bei uns beim Spiel "Gauntlet" der Fall war.

Tag 2: Der C64 geht online

Jetzt werden sich viele wohl fragen: Wie soll man mit einer 30 Jahre alten Maschine ernsthaft twittern können? Nun, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man macht's auf die "altmodische" Art, die wir in Kürze erläutern werden; oder man kauft sich einen modernen C64-Ethernet-Adapter und startet die "Breadbox 64" - einen nativen Twitter-Client, der im Jahr 2009 von Johan Van den Brande speziell für den Commodore 64 entwickelt wurde. Da wir uns aber vorrangig an den altmodischen Weg halten wollen, benutzen wir einen "simulierten Internet-Provider". Wer zur damaligen Zeit also Informationsdienste nutzen wollte, besorgte sich eine größere, leistungsstarke Maschine mit einem Modem und koppelte diese mittels seriellem Anschluss an den Commodore 64.

Etwas ähnliches versuchen wir, indem wir den C64 über einen seriellen Anschluss mit einem halbwegs modernen PC auf Linux-Basis verbinden. Auf dem Commodore lassen wir gleichzeitig einen Emulator für ein ASCII-Terminal laufen. Die beiden Maschinen miteinander zu verbinden entpuppt sich aber als komplizierter als gedacht. Auf dem C64 müssen wir auf ein Omnitrox Deluxe RS-232 Interface zurückgreifen. Dieses Interface verbindet sich mit dem I/O-Port des Commodore und wandelt die Signale so um, dass sie die Benutzung von Standard RS-232-Geräten erlauben. Mit einem Null-Modemkabel verbinden wir dieses Interface mit dem seriellen Anschluss des Linux-PCs. Einmal verbunden können wir auf das komplette Linux-System zugreifen.

Von da aus kann man E-Mails abrufen, durchs Web surfen und eben auch twittern. Zwar könnten einige nun denken, mit dem Commodore 64 über ein Linux-System zu arbeiten, sei quasi Betrug. So ist es aber mitnichten. Denn auch in den 80ern war es üblich, den C64 mit einem leistungsstärkeren PC zu verbinden, um Zugang zu größeren Computernetzwerken zu erhalten.

Unseren ersten Schritt mit dem C64 auf Twitter gehen wir mit einem Linux-basierten Kommandozeilen-Programmnamens Twidge.

Als nächstes machen wir uns daran, mit dem Commodore 64 das World Wide Web zu erobern. Wie auch bei Twitter gibt es mehrere Möglichkeiten, das zu tun. Zum Beispiel mit Hilfe von modernen Browsern, die irgendelche C64-Verrückte speziell für den Brotkasten entworfen haben. Aber das wäre zu einfach... Stattdessen setzen wir wie bei Twitter erneut auf die "virtueller Internet-Provider"-Methode. Zunächst laden wir Lynx, einen vermutlich nur Linux-Experten bekannten, textbasierten Web-Browser auf unsere Linux-Maschine. Als nächstes rufen wir ein paar Webseiten auf und beobachten staunend, wie sie sich auf dem Bildschitm des C64 entfalten wie literarische Spaghetti. Sie sehen: Unsere amerikanische Schwesterseite PCWorld.com in 40 Zeichen Breite und reinem Text:

PC-World-Webseite auf dem C64
Foto: PCWorld

Kurzum: Webseiten mit dem C64 aufzurufen funktioniert, aber leider nicht sonderlich vorbildlich. Mit einer besseren Software-Lösung würde das Ganze deutlich ansprechender aussehen, aber die Zeit tickt und wir wollen schließlich noch ein paar E-Mails abrufen! HIerzu nutzen wir den zuverlässigen, Linux-basierten Kommandozeilen-E-Mail-Client "Pine". Allerdings kann man sich wohl vorstellen, wie mühsam es ist, Mails abzurufen, die lediglich in einer Breite von 40 Zeichen dargestellt werden. Empfehlenswert geht jedenfalls anders...

Tag 3: Textverarbeitung

Am dritten Tag entschieden wir uns, es mal mit etwas Schreibarbeit zu versuchen. Ein von vornherein abenteuerliches Unterfangen auf einer Maschine, die in der Breite maximal 40 Zeichen darstellen kann. Zuerst aber brauchen wir eine passende Software. Insgesamt drei Programme konnten wir in unserem Wust an C64-Disketten entdecken: OmniWriter, Easy Script und Super Script 64.

OmniWriter, ein 1984 veröffentlichtes Programm von Human Engineered Software, entpuppte sich als die intuitivste, benutzerfreundlichste und leistungsstärkste Software von allen dreien. Easy Script ist dagegen ein einfacher Word-Prozessor von Precision Software, der gerade mal mit dem nötigsten ausgestattet ist. Dadurch fehlen ihm auch wichtige Komfortfunktionen wie der Zeilenumbruch - kein sonderlich beeindruckender Kandidat.

Zu guter Letzt versuchten wir unser Glück mit Super Script 64, ebenfalls von Precision Software, aus dem Jahr 1985. Als Nachfolger von Easy Script fühlt sich das Programm recht ähnlich an, bietet aber bessere Funktionen - unter anderem endlich auch ein Zeilenumbruch, Seitennummerierung, Tabs und mehr.

Unsere ersten Schreibversuche wurden vom furchterregenden Tastaturlayout des Commodore 64 jäh ausgebremst. Mit jedem Tastendruck sind Sie nur wenige Zentimeter davon entfernt, den kompletten Text wieder zu löschen und es existiert keine generelle Backspace-Taste, die in allen Anwendungen die gleiche Funktion hat.

Bedenkt man allerdings den damaligen Preis des Commodore 64, seine Zielgruppe und die Ära, in der er entstanden ist, kann man die Tastatur als durchaus angemessen bezeichnen. Wer sich länger damit auseinandersetzt (das heißt mindestens eine Woche), gewöhnt sich sogar an das katastrophale Layout. Man darf nicht vergessen: Auf der Tastatur des C64 tippten Millionen enthusiastischer Anwender seitenlange Listings ein. Es geht also, man muss es nur wollen und ausreichend leidensfähig sein.

Tag 4: Videospiele auf dem C64

Am vierten Tag waren wir es leid, mit dem Commodore immer nur zu arbeiten. Schließlich gilt der C64 nicht umsonst als weltbekannte Plattform für Videospiele! Zeit, für ein bisschen Spaß...

Erinnern Sie sich, dass wir zu Anfang die Commodore VIC-1311-Joysticks erwähnten? Hätten wir es besser nicht getan: Sie sind schrecklich. Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, einen Joystick-Griff in Form eines dreieckigen Prismas zu gestalten, war entweder geistig nicht klar im Kopf oder sehr darauf erpicht, einem Patent-Rechtsstreit aus dem Weg zu gehen. Heute, nach knapp 30 Jahren, fühlt sich das Bewegen und Drücken der Knöpfe und Einzelteile des Joysticks so an, als würde man an einem festgeschweißten Stück Plastik rütteln. Also entschieden wir uns, sie auszutauschen.

An ihre Stelle tritt ein Suncom TAC-2 - der vermutlich beste, digitale Joystick, der jemals erschaffen wurde. Sein einzigartiger Kontaktmechanismus auf Ball-/ Plattenbasis macht ihn ausgesprochen stabil und gleichzeitig sehr akkurat und reaktionsfähig. Seine zwei Aktionsknöpfe sind mit ein und demselben Kontakt verbunden, was ihn auch für Linkshänder bedienbar macht.

Doch auch nach ein paar Runden mit "Frogger" und "Wizard of Wor" wollte sich keine so rechte Befriedigung einstellen. Welche Games, wenn überhaupt, haben den Commodore 64 einst so groß werden lassen? Wir werfen einen Blick ins unsere umfangreiche Floppy-Sammlung: Tatsächlich besitzen wir neben vielen "Raubkopien" sogar noch einige Originale - die meisten mittlerweile aber unlesbar. Immerhin taucht in unserer Sammlung ein bekanntes Gesicht auf: "Summer Games", die digitale Version der Olympischen Sommerspiele von EPYX aus dem Jahr 1984. Wir stoßen außerdem noch auf "Summer Games II", ebenfalls aus dem Jahr 1984. Im Anschluss legen wir noch einen unserer Favoriten ins Laufwerk: "M.U.L.E." von Electronic Arts aus dem Jahr 1983 - ein Mehrspieler-Strategie-Game, bei dem vor allem Handel und Ressourcen-Management im Vordergrund stehen.

Tag 5: Von Grafik bis Frustration

Am fünften Tag wollten wir uns an Grafik-basierte Programme am Commodore 64 heranwagen. Für C64-Verhältnisse sind das im Wesentlichen Joystick-basierte Kritzel-Anwendungen, mausbasierte Klone von Mac Paint und Broderbunds "The Print Shop", mit dem sich niedliche Banner, Newsletter und Kalender designen und ausdrucken lassen. Das war zumindest die Theorie.

In Wahrheit verbrachten wir den fünften Tag unseres Experimentes im Wesentlichen mit dem Versuch, die Software NovaTerm über die serielle Verbindung von der Linux-Maschine auf den Commodore 64 zu transferieren. Bei 1.200 Bits pro Sekunde ein ziemlich langwieriges Unterfangen - zu langwierig, wie sich herausstellen sollte.

Zeichenprogramm Doodle
Foto: PCWorld

Immerhin konnten wir ein einzelnes Grafik-Paket ausprobieren: "Doodle", ein Joystick-basiertes Zeichenprogramm von Omni Software aus dem Jahr 1985. Unser Ergebnis sehen Sie hier:

Eigentlich wollten wir auf einen Sonnenuntergang am Eiffelturm hinaus, nun erinnert unser Meisterwerk aber doch eher an die Arbeit eines Holzwurms...

Fazit

Was haben wir also gelernt aus unserer arbeitsreichen Woche mit dem Commodore 64? Vorrangig, ehrlich gesagt, eines: Am Ende der Woche haben wir weitaus weniger Respekt vor dem "ehrbaren" C64 als Multifunktionsplattform, als zu Beginn den Experiments. Wer den Commodore 64 seinerzeit vor allem zum gelegentlichen Spielen genutzt hat, wird das kaum nachvollziehen können. Aber glauben Sie uns eines: Was auch immer Sie mit dem C64 außerhalb von Spielen anstellen wollen, endet in massenweise Arbeit und Frust - vor allem, wenn Sie mit altertümlicher Hardware arbeiten, die alles andere als zuverlässig agiert.

Gewachsen ist hingegen unser Respekt für den C64 in seiner Rolle als kultureller Katalysator für eine Generation, die mit seinem betörenden, blauen Licht aufgewachsen ist. Für sie konnte der Commodore 64 alles, was sie brauchten: Er war Wegweiser in eine wachsende Welt von Computern, brachte vielen Neulingen das Programmieren bei und war für seine Zeit eine unschlagbare Spielmaschine.

Wenn Sie den C64 als das sehen, was er war - ein Einstiegsklasse-Heimcomputer mit hohem Unterhaltungsfaktor - und nicht als das, was er eigentlich sein wollte, dann ist es offensichtlich, dass kaum ein anderes Produkt seine Rolle so gut erfüllte wie Commodores kleine braune Box. Nur wenige Geräte waren jemals so einflussreich und wichtig im Leben von Millionen von Menschen wie der C64. Und ungeachtet der Probleme, die wir beim heutigen Arbeiten mit dem Computer hatten, wollen wir nicht darauf verzichten, auf den 30. Geburtstag der Wundermaschine anzustoßen. Happy Birthday, Commodore 64!

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation PC-Welt.