Buchprüfer entdecken IT-Beratung neu

12.01.2006 von Sabine Prehl
Für Prüfungsnahe und Strategische Consulting-Leistungen sind die "Big Four" gut aufgestellt.

Neben ihren Kernbereichen Auditing und Steuerberatung hatten die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in den neunziger Jahren das Geschäft mit der ERP-Beratung stark ausgebaut. "Die Nachfrage war damals wegen der bevorstehenden Jahr-2000-Umstellung und Euro-Einführung enorm", erinnert sich Jean-Christian Jung vom Marktforschungsunternehmen Pierre Audoin Consultants (PAC).

Hier lesen Sie ...

  • warum die "Big Four" ihre Kompetenzen in den Bereichen prüfungsnahe Technologieberatung und IT-Strategien ausbauen;

  • inwiefern sie für diese Nische gut aufgestellt sind;

  • und in welcher Form die Kunden davon profitieren können.

Jean-Christian Jung, PAC: "Wer Prozessberatung im Finanzwesen anbietet, kommt an der IT nicht vorbei."

Nach Abflauen des Booms gliederten Ernst & Young, KPMG und Pricewaterhouse-Coopers (PWC) ihre Consulting-Aktivitäten rund um die Einführung und Integration betriebswirtschaftlicher Software aus (siehe Kasten: "Trennung von Prüfung und Beratung"). Seitdem bieten sie vornehmlich strategische und prüfungsnahe Services an. Nur Deloitte hat die reine IT-Beratung beibehalten. Das Unternehmen erzielt heute rund zehn Prozent seines Gesamtumsatzes mit Systemintegration, SAP-Implementierung und Customizing.

Viel Wachstum ist hier allerdings nicht mehr zu erwarten: "Der Markt ist heute noch weniger lukrativ als damals, als die Buchprüfer ihre IT-Beratung verkauften", konstatiert Douglas Hayward, Analyst beim britischen Marktforschungsunternehmen Ovum. Hinzu kommt, dass die Big Four per Gesetz zur unabhängigen Prüfung der Wirtschaftsdaten ihrer Mandanten verpflichtet sind. Rechnungslegungssysteme dürfen sie daher nur bei Kunden einführen, die nicht gleichzeitig Prüfungsmandanten sind, was den Aktionsradius beträchtlich einschränkt.

Trennung von Prüfung und Beratung

Ende der neunziger Jahre sahen sich die "Big Five" zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, durch die gleichzeitige Ausübung von Wirtschaftsprüfung und Beratung ihre Unabhängigkeit zu gefährden. Als sich der Druck vor dem Hintergrund des Enron-Skandals verschärfte und sich ein Rückgang des Markts für Systemintegration abzeichnete, reagierten die Wirtschaftsprüfer:

  • Ernst & Young gliederte die IT-Beratung als rechtlich unabhängiges Unternehmen aus, das 2000 an Capgemini verkauft wurde.

  • KPMG trennte sich von seinem Geschäftsbereich KPMG Consulting, der heute unter Bearingpoint firmiert.

  • Pricewaterhouse-Coopers (PWC) spaltete sein Consulting-Geschäft ebenfalls ab. Es wurde 2002 von IBM übernommen und in deren Beratungseinheit BCS (Business Consulting Services) eingegliedert.

  • Bei Deloitte wurde das Management- und IT-Beratungsgeschäft lediglich formal - durch den Namenszusatz "Consulting" - von den übrigen Bereichen getrennt.

  • Andersen Consulting ging als Folge des Enron-Skandals 2001 an Ernst & Young und verschwand als eigenständige Marke. Aus den "Big Five" wurden die "Big Four".

Auch Peter Müller, Partner Consulting bei Deloitte, räumt ein, dass "sich mit der Strategieberatung mehr Geld verdienen lässt". Die Systemintegration bilde zwar nach wie vor ein wichtiges Standbein, ein weiterer Ausbau sei jedoch nicht geplant.

Douglas Hayward, Ovum: "Die Wirtschaftsprüfer könnten den etablierten IT-Beratern ernsthaft Konkurrenz machen."

Statt dessen werde sich Deloitte stärker auf IT-Strategien und Prozesse konzentrieren. Diesen Ansatz verfolgen mittlerweile auch die anderen großen Wirtschaftsprüfer. Angesichts der wachsenden Verflechtung von Geschäfts- und IT-Prozessen verzeichnen sie in allen Unternehmensbereichen - Audit, Tax und Advisory - eine steigende Nachfrage nach entsprechenden IT-Dienstleistungen: IT-Prüfungen zum Jahresabschluss, Beratung in Security-Fragen, Software-Zertifizierungen, Prozessoptimierung, Governance sowie die Umsetzung von Compliance-Anforderungen.

IT als Hebel im Finanzwesen

Auch Themen wie Kosten- und Value-Management von IT, Effektivität von IT sowie Management- und Organisationsfragen, die sich im Zusammenhang mit Transaktionen ergeben, spielen im Portfolio der Wirtschaftsprüfer eine zunehmend wichtige Rolle. Nach den Worten von PAC-Analyst Jung sind die Anwender wegen der verschärften Vorgaben der US-Börsenaufsicht SEC und des Sarbanes-Oxley Act darauf angewiesen, die Leistung ihrer IT auf den Prüfstand zu stellen. "Die IT hat in diesem Umfeld eine starke Hebelwirkung: Wer Prozessberatung anbietet, kommt an ihr nicht vorbei", so der Experte.

Ausbau der IT-Kompetenzen

Das haben auch die Wirtschaftsprüfer erkannt. So hat KPMG im Bereich Information Risk Management (IRM) im vergangenen Jahr rund 70 neue Mitarbeiter eingestellt. Die Abteilung, die fünf Prozent zum Gesamtumsatz von KPMG Deutschland beisteuert, soll laut IRM-Leiter Armin Weyell in den kommenden Jahren um 20 Prozent jährlich zulegen. Wachstumschancen sieht Weyell vor allem bei den Themen Outsourcing (Auswahl, Begleitung, Migration), Post-Merger-Integration und Compliance. "In diesen Bereichen bauen wir gezielt Personal auf."

Dabei sehen sich die Buchprüfer zwischen Systemintegratoren wie Accenture und Unternehmensberatern wie McKinsey angesiedelt, die ebenfalls ins Geschäft mit strategischem IT-Consulting drängen: "Im Gegensatz zu den Business-Consultants, die sich eher als Designer von IT-Strategien positionieren, wollen wir den Kunden durch fachlich intensivere Beratung tendenziell helfen, diese Strategien umzusetzen", beschreibt Weyell. "Damit ist unser Markt zwar kleiner, aber dafür gehen wir auch tiefer rein." Ähnlich formuliert es Kurt Glasner, Leiter Performance Improvement bei PWC: "Wir sind das Bindeglied zwischen der Umsetzung von fachlichen Vorgaben und der Steuerung der Technik. Unsere Stärke liegt darin, dass wir wissen, wie die Prozesse ablaufen und sich durch den IT-Einsatz verbessern lassen."

Neuer Ansatz in der Beratung

PAC-Consultant Jung hält diesen Ansatz für sinnvoll. Seiner Ansicht nach ist es einfacher, sich auf die Geschäftsabläufe der Kunden zu fokussieren und anschließend aufzuzeigen, inwiefern die IT diese unterstützt, als umgekehrt: "Reine IT-Dienstleister, die von der Technik ausgehend versuchen, die Geschäftsprozesse des Kunden zu verstehen, dürften es da schwerer haben", so Jung. Nicht nur Deloitte, sondern auch Ernst&Young, KPMG und PWC haben seiner Einschätzung nach gute Chancen, weil sie einen neuen Ansatz in die Beratung bringen: "Wer sich mit Sarbanes-Oxley beschäftigt, und das müssen zurzeit viele Firmen, ist auf gute Consultants angewiesen. Und die Wirtschaftsprüfer gehören bei Themen wie Risiko-Management zu den Besten".

Auch für Ovum-Analyst Hayward sind die Big Four im Bereich prüfungsnahe IT-Beratung gut aufgestellt. "Mit ihrem Know-how im Finanzwesen haben diese Firmen einen umfassenderen Blick für das Business ihrer Kunden als breiter aufgestellte Berater." Ein weiterer Vorzug sei die gesetzlich verordnete Unabhängigkeit. Vor allem bei Fragen, in denen es um die Verbindung von Business- und IT-Strategie geht - etwa der Steuerung von externen IT-Dienstleistern oder im Projekt-Management - könne ihre Rolle als Trusted Independent Advisors den Kunden handfeste Vorteile bringen: "Berater, die keine angehängten Systemintegrations- und Outsourcing-Geschäfte ernähren, sind objektiv und raten gegebenenfalls auch von IT-Investitionen ab", so Hayward.

Sourcing-Beratung im Trend

Der Analyst geht daher davon aus, dass die Wirtschaftsprüfer ihre Consulting-Aktivitäten weiter ausbauen werden - vor allem im Bereich Sourcing. Ein Zeichen dafür sei, dass KPMG vor einigen Monaten den ehemaligen Chef der Outsourcing-Beratung Orbys Consulting mit dem Aufbau eines globalen Sourcing Centre of Excellence beauftragt habe. Auch Ernst & Young habe in den letzten Monaten aggressiv Consultants von Outsourcern wie IBM, Accenture und Capgemini abgeworben.

Noch steckt das IT-Consulting-Geschäft der Wirtschaftsprüfer in den Kinderschuhen: "Sogar mit Deloitte kommen die Big Four auf einen Marktanteil von weniger als fünf Prozent", schätzt Christophe Chalons, Geschäftsführer von PAC. Die prüfungsnahe Beratung birgt jedoch noch einiges an Potenzial. "Bei Kunden, die keine Prüfungsmandanten sind, könnten die Buchprüfer den etablierten IT-Beratern ernsthaft Konkurrenz machen", glaubt Analyst Hayward.

Unabhängig per Gesetz

Die "Big Four" sind per Gesetz zur Unabhängigkeit verpflichtet. Bei Kunden, deren Bücher sie prüfen, dürfen sie an der Einführung von Rechnungslegungssystemen nicht mitwirken. Aber auch bei der strategischen und Prozessberatung unterliegen die Wirtschaftsprüfer strengen internen und externen Kontrollen, um sicherzustellen, dass die Unabhängkeitsvorschriften nicht verletzt werden.