Kleiner Lichtblick auf dem IT-Arbeitsmarkt

Branchenreport: Es geht bergauf - aber nicht für alle

15.03.2004 von YP-Chefredakteur Hans
2003 war der Tiefpunkt auf dem IT-Arbeitsmarkt. Es gibt Anzeichen, die sprechen dafür, dass es langsam aufwärts geht. Richtig ist aber auch, dass sich die IT-Tätigkeiten verändern und damit die Anforderungen an die Computerfachleute.

Die IT-Industrie fasst wieder Tritt. Nur so lässt sich deren selbstbewusstes Statement im Vorfeld der weltgrößten Computermesse, der CeBIT in Hannover, interpretieren: "Die Branche der Informations- und Telekommunikationstechnik sieht das Jahr 2004 optimistisch." Rund 70 Prozent der Firmen rechnen mit steigenden Umsätzen, jede zehnte sogar mit einem zweistelligen Plus. Zu diesem Schluss kommt der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom) aus Berlin.

Diese Prognose werde sich auch positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken, davon ist der IT-Interessenvertreter überzeugt. Das Ende der Talsohle wurde laut Bitkom 2003 erreicht. Dieses Jahr erwartet der Verband ein Ende des Arbeitsplatzabbaus und eine Stabilisierung der Beschäftigten auf 750 000. Im Jahr 2005 soll dann endlich die spürbare Belebung auf dem Arbeitsmarkt kommen. Auch in der Adecco-Analyse des offiziellen Stellenmarktes in 40 Zeitungen zeichnet sich ein kleiner Lichblick ab, auch wenn im Jahr 2003 im Vergleich zu den Vorjahren erneut weniger IT-Jobs angeboten wurden.

SAP- und Security-Profis gefragt

Zuerst die schlechte Nachricht mit den negativen Zahlen: 2001 zählte Adecco rund 66 000 IT-Stellen und ein Jahr später fast 25 000. Im Vorjahr waren es dann knapp unter 15 000. Doch ein kleiner Lichtblick zeichnet sich ab: Im vierten Quartal 2003 sank die Zahl der Stellen gegenüber dem Vorjahr nur noch um 20 Prozent.

Eine Bestätigung dafür, dass der Abwärtstrend bei den Stellenanzeigen in den Zeitungen gebremst ist, liefert der Quartalsvergleich. Von Januar bis März 2003 betrug der Rückgang gegenüber dem Vorjahr fast 50 Prozent, im vierten Quartal dagegen nur noch 20 Prozent. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Fach- und Führungskräfte sank die Zahl der freien Positionen am Anfang des Jahres um 40 Prozent und gegen Ende um 35 Prozent auf 168 822 Personen.

Betrachtet man die Branchen, so fällt auf, dass vor allem die Finanzdienstleister das Interesse an Computerfachleuten verloren haben. Sie wenden sich verstärkt den Trendthemen Outsourcing und Offshore-Programmierung zu - mit dem Ergebnis, dass die Zahl der offenen IT-Stellen um 60 Prozent auf 427 gegenüber dem Vorjahr geschrumpft ist. "Ja, wir suchen Mitarbeiter, aber nicht in dem Umfang wie in den vergangenen Jahren", heißt es beispielsweise von bei der Münchener Rück, dem weltweit größten Rückversicherer. Benötigt werden Mitarbeiter in der Anwendungsentwicklung, hier vor allem SAP-Spezialisten, aber auch für den Systembetrieb, etwa Security-Experten.

Operatives wird ausgelagert

Laut Rainer Janßen, oberster IT-Chef - neudeutsch: auch Chief Information Officer (CIO) - genannt, haben sich die Aufgaben und Anforderungen an die IT-Beschäftigten in den vergangenen Jahren stark verändert. "Da wir auf vielen Gebieten eine konsequente Strategie des Outtasking, also des Ausgliederns nicht unternehmenskritischer, operativer Tätigkeiten, verfolgen, verschiebt sich die Tätigkeit der internen Mitarbeiter zunehmend auf Steuerungs-, Architektur- und Fachkonzeptentwicklungsaufgaben."

Rainer Janßen, IT-Chef der Münchner Rückerversicherung

Wichtig sei heute, dass die IT-Experten den Bedarf und die Prozesse der Fachbereiche sehr genau verstehen und sie in die geeignete IT-Architektur übersetzen könnten. Sie müssen die Möglichkeiten der neuen Technologien ausloten und sie in die unternehmenseigene IT-Landschaft integrieren. Ausgegliederte Aufgaben sollten sie als Service-Manager steuern und konzeptionell weiterentwickeln. Vor allem im Systembetrieb setzt das Unternehmen seit Jahren "sehr stark" auf Outtasking.

Der Rückversicherer hat sich seit dem Jahr 2000 am Standard IT Infrastructure Library (Itil) ausgerichtet und systematisch alle Teilprozesse wie 7x24-Desktop-Services, Hotline und Corporate Network, die er nicht selbst effizient betreiben kann, nach außen gegeben. "Dadurch können wir bei großen Rollouts sehr flexibel agieren, aber auch den Aufwand im Helpdesk oder in der Schulung den schrumpfenden Budgets leicht problemlos anpassen", schildert Janßen.

Einen Rückgang von rund 50 Prozent an Jobs verzeichnen jeweils die Telekommunikationsindustrie, die Elektrotechnikbranche sowie die Software- und Beratungshäuser, wobei sich Letztere nach wie vor auf hohem Niveau bewegen. Auf die IT-Dienstleister entfallen 3048 Stellen, was einem Anteil von fast 22 Prozent aller angebotenen IT-Jobs entspricht.

E-Business erst am Anfang

Trotz dieses dramatischen Rückgangs an IT-Jobs, was zum Teil mit massiven Entlassungen einherging, sind Beratungsfirmen wie Accenture und IT-Hersteller wie IBM zurzeit wieder dabei, sich nach Personal umzuschauen. Beide kündigten an, mehrere hundert Mitarbeiter an Bord zu nehmen. Accenture stellt zum einen für das Beratungsgeschäft Absolventen der Informatik oder der Wirtschaftswissenschaften ein - allerdings mit "überdurchschnittlich abgeschlossenem Studium", wie Berater Ralf Miller versichert. In der Softwareentwicklung bevorzuge man Praktiker, also Programmierer oder Fachinformatiker, etwa mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder einer IT-Umschulung.

Die Berater durchlaufen nach einem zweitägigen Einführungsseminar ein vierwöchiges Training und arbeiten dann in Kundenprojekten. Die Anwendungsentwickler hingegen absolvieren ein zweimonatiges Trainee-Programm, in dem sie sich Java- und SAP-Know-how aneignen, bevor sie dann ebenfalls beim Kunden eingesetzt werden.

IBM ist in erster Linie an Fach-, Berufsakademie- und Hochschulabsolventen der Fachrichtungen (Wirtschafts-)Informatik, Elektrotechnik, Wirtschaftsingenieurwesen sowie Betriebs- und Wirtschaftswissenschaften interessiert. Der weltweit größte Computerhersteller sagt ganz klar, dass ihm "fundiertes Fachwissen und Leistungsbereitschaft" sehr wichtig sind. Daneben spielten "Kommunikations- und Teamfähigkeit sowie Flexibilität und Lernbereitschaft" eine große Rolle.

Für weniger negative Schlagzeilen sorgten im vergangen Jahr der Maschinenbau und die Automobilindustrie. Hier betrug der Rückgang der IT-Stellen nur etwa 25 Prozent bis 30 Prozent. Fahrzeugbauer wie BMW oder Audi melden nach wie vor Bedarf an Computerfachleuten, und Audi-CIO Klaus Mühleck verkündet stolz, dass sein IT-Budget nicht gekürzt werde, im Gegenteil: in die IT werde viel investiert, und E-Business stehe erst am Anfang. Der Ingolstädter Konzern sucht in erster Linie Mitarbeiter mit einer "fundierten akademischen Hochschulausbildung, technischem IT-Know-how und praktischen Erfahrungen, am besten in Form von Projektarbeit." Weniger gefragt seien die Entwickler; dieses Know-how könne man sich jederzeit am Markt einkaufen.

Clemens Jochum, CTO der Deutschen Bank, beobachtet einen grundlegenden Profilwandel der IT-Organisation.

Clemens Jochum, Chief Technology Officer (CTO) der Deutschen Bank in Frankfurt am Main, beobachtet einen "grundlegenden Profilwandel" der IT-Organisation. Im künftigen Arbeitsmodell werde sie sich verstärkt konzeptionellen Tätigkeiten wie Design und IT-Architektur, der IT-Governance, aber auch dem Sourcing- und Vendor-Management als Kernkompetenz widmen.

Vom Handwerker zum Architekten

Für die Mitarbeiter der IT-Abteilung ergäben sich aus dieser Entwicklung "anspruchsvolle und interessante Perspektiven". Das künftige Arbeitsmodell bietet nach Jochums Meinung "inhaltsreichere und komplexere Wirkungskreise und sowie neue Arbeitsmöglichkeiten", fordere aber auch ein hohes Maß an Lernbereitschaft. Die neuen Anforderungen resultieren in einem veränderten Profil und Selbstverständnis der IT-Mitarbeiter: vom Handwerker zum Kaufmann und Architekten.

Wenig Interesse an Netzexperten

Manche Berufe waren und sind von der schwierigen wirtschaftlichen Lage besonders stark betroffen. So verringerten sich laut Adecco die freien Stellen für Netz- und Internet-Experten um 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bei Datenbank- und Systemspezialisten macht der Rückgang 50 Prozent aus, bei den Programmierern und den Vertrieblern rund 45 Prozent. Am besten sieht es für CAD/CAM-Profis aus: Hier liegt das Minus bei 35 Prozent. Als Ausbildung erwarten laut Adecco die Unternehmen am ehesten ein Informatik- oder ein Ingenieurstudium. Nur in vier Prozent der Fälle wünschen sich die Arbeitgeber ein Betriebswirtschafts- und in drei Prozent ein Wirtschaftsinformatikstudium. Wer in der IT-Branche Fuß fassen will, hat in Nordrhein-Westfalen die besten Chancen. Die Zahl der ausgeschriebenen Jobs beträgt 2567, was einem Rückgang von rund 50 Prozent entspricht. Bayern leidet indes besonders stark unter der Krise der IT-Industrie: Im einstigen Hightech-Musterland

schrieben die Firmen im Vorjahr noch 3860 Computerstellen aus, im Jahr 2004 sind es nur noch 1805.