In Armonk Einwände gegen Sparberg als neuen Deutschland-Chef?

Bösenberg-Nachfolge noch nicht entschieden

15.04.1983

STUTTGART - Die Nachfolge des am 3. Mai scheidenden Vorstandsvorsitzenden der IBM Deutschland GmbH, Walther A. Bösenberg, scheint nach wie vor offen. Mit Lothar F. W. Sparberg wurde zwar bereits im November letzten Jahres ein sicherer Kandidat für den Generaldirektor-Thron avisiert, doch im nachhinein stellt sich die Nominierung als "Alleingang" der Stuttgarter dar. Wie aus Kreisen des IBM-Hauptquartiers in Armonk jetzt durchsickerte, sei die letzte Entscheidung, wer neuer IBM-Boß in der Schwabenmetropole wird, noch nicht gefallen. Mit dem europäischen IBM-Vice-President Hans Olaf Henkel kam gar ein neuer Mann ins Gespräch.

Daß die Ernennung Sparbergs zum Generaldirektor der umsatzstärksten Auslandstochter des amerikanischen Computergiganten nur einen zeitlich begrenzten Kompromiß darstellen würde, ist für hiesige IBM-Mitarbeiter wie für die Top-Entscheider in den Planungsstäben der Konzernzentrale im Bundesstaat New York gleichermaßen offensichtlich. So führen Intimkenner des Marktführers vor allem zwei Punkte an, die unter Berücksichtigung der von Big Blue bislang weltweit verfolgten Personalpolitik einer Designation des ehrgeizigen Bösenberg-Stellvertreters entgegenstünden: Ein ungeschriebenes IBM-Gesetz lege für Generalmanager stets eine imaginäre Altersgrenze von 60 Jahren fest. Sparberg aber wird in diesem Jahr 56 und könnte sich damit als zu alt für eine längere Präsenz in der Firmenspitze des Unternehmens erweisen. Lediglich der 61jährige Bösenberg stellt in der bisherigen Firmengeschichte eine Ausnahme dar. So avancierten in der Regel Führungskräfte an die Spitze einer Gesellschaft, die diese minimal über ein Jahrzehnt repräsentierten. Sparberg könnte demnach eine Tätigkeit als Chef der GmbH höchstens bis 1988 ausüben.

Einen weiteren Bruch in der Personalstrategie des DV-Anbieters sehen IBM-Beobachter in der beruflichen Herkunft und Entwicklung des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden. Dieser hat in seiner rund 30jährigen Tätigkeit für die Stuttgarter überwiegend in Finanzressorts gedient.

Sämtliche Vorgänger in der Deutschland-Dependance wurden aber bisher aus Vertriebs- und Marketingpositionen in den Vorstandssessel gehievt. Grund: Die IBM-Töchter sind im internationalen Verbund vornehmlich als Verkaufsorganisationen aufgebaut. Nur im Vertrieb verfügten die Manager noch über einen akzeptablen Entscheidungsspielraum, konstatieren renommierte Ex-Stuttgarter, allen anderen Bereichen seien durch starre Vorgaben aus Armonk oder White Plains weitgehend die Hände gebunden.

Nachwuchssorgen im Topmanagement

Nachdem potentielle Bösenberg-Nachfolger wie der jetzige AEG-Berater Rolf-Dieter Leister und Bundesbahnlenker Reiner Gohlke das Unternehmen verließen und Sparberg den aus der Europazentrale zurückgekehrten Datenverarbeitungschef Karl E. Michels als "alternativen" Anwärter auf den GmbH-Thron ausbootete, steht der IBM Deutschland eine Nachwuchskrise im Topmanagement ins Haus. In Stuttgart gibt es derzeit keinen adäquaten Spitzenkandidaten, der dem etablierten Finanzexperten den Rang ablaufen könnte. Nach Verlautbarungen aus den USA bemühten sich die US-Bosse deshalb schon seit längerem intensiv, auf internationaler Ebene einen Bösenberg-Ersatz zu finden. Doch da für die GmbH nur ein deutscher Manager in Frage komme, sei auch hier die Personaldecke dünn. Aus den Stuttgarter Führungsreihen schafften bisher nur wenige Spitzenkräfte den Sprung in Top-Positionen des Konzernverbundes. Der in der Pariser Europazentrale als Vice-President für kontinentale Business-Areas zuständige Hans Olaf Henkel sei hier fast ein Sonderfall, ebenso der in Paris als Vizepräsident agierende Dr. Hans P. Hendricks, der Henkel zwar unterstellt ist, jedoch im Aufsichtsrat der GmbH sitzt. So keimen insbesondere um diese beiden International-Manager in letzter Zeit häufiger Gerüchte auf, die eine Nominierung zum Vorstandsvorsitzenden der deutschen Gesellschaft nicht mehr ausschließen wollen.

Beobachter der Armonker IBM-Szene wollen wissen, daß vor allem Henkel in letzter Zeit wiederholt im Gespräch gewesen sei. Der engagierte Mittvierziger entspreche sowohl vom Alter als auch von seiner rein vertrieblich orientierten Vergangenheit her dem Bild, das sich Konzernchef John Opel und seine Personalentscheider von einem IBM-Deutschland-Chef machten.

US-Entscheidung steht noch aus

Daß der "fliegende Wechsel" in der Stuttgarter Führungsetage vor dem 3. Mai noch platzen könnte, räumen denn auch Ex-IBM-Manager ein. Dabei würde man gegenüber Sparberg keineswegs wortbrüchig werden. Konzernüblich sei, "ausgemusterten" Aspiranten einen nach außen "wesentlich wichtigeren" Posten auf internationalem Parkett anzubieten.

Den ehrgeizigen Finanzmann dürfte eine derartige Entscheidung seiner US-Vorgesetzten vermutlich hart treffen. Dem Vernehmen nach hat Sparberg nämlich kräftig die Werbetrommel für sich rühren lassen, um eine Nominierung zum Kronprinzen voranzutreiben. Als im November letzten Jahres schließlich über alle Stuttgarter Public-Relations-Kanäle die Nachricht von der Wahl des neuen "Zarewitsch" verbreitet wurde, stieß dieses Vorgehen in eingeweihten IBM-Kreisen freilich eher auf Unverständnis, gehört es doch zur Öffentlichkeitspolitik des Unternehmens, mit Personalmeldungen generell äußerst zurückhaltend zu sein.

Glamour-Taten in der Wirtschaftspresse

Vollends skeptisch wurden aber selbst Bösenberg-Vertraute, als Meldungen über Sparbergs "Wundertaten" in der Wirtschaftspresse erschienen, wobei sich der Finanzmann rühmte, im Jahre 1981 verstärkt in Sacheinlagen investiert und damit erheblich zum Wohle des Unternehmens beigetragen zu haben, Obendrein habe er, wie in der "Wirtschaftswoche" zu lesen war, zwei weitere "Meisterstücke" vollbracht: Die Aktivierung des Auslandsgeschäftes führte zur Steigerung des Exportumsatzes-, die Ende 1980 beschlossene Neuorganisation des Vertriebs wurde in der "Rekordzeit" von sechs Wochen geschafft.

Daß solches Lob dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden eigentlich nicht zukommt, sprechen IBM-Mitarbeiter zum Teil ganz offen aus. Zwar seien in den letzten Jahren mehr Gelder in Sacheinlagen geflossen, aber auf diese Entscheidung habe Sparberg nur geringfügigen Einfluß gehabt. Solche Finanzspiele würden vorrangig in den Sandkästen von Armonk ausgetüftelt. Ein deutscher Geschäftsführer übe bei der Planung lediglich "Handlangerfunktionen" aus.

Exportlob gebührt US-Vordenkern

Als Farce verstehen IBM-Kenner auch den Sparberg zugeschriebenen Exportdeal, der in 1981 das Auslandsgeschäft um 16,7 Prozent auf 3,1 Milliarden Mark hochschnellen ließ. Die IBM Deutschland gilt konzernpolitisch als Inlandsvertriebsgesellschaft mit einer rein inaktiven Exportstrategie. Ein deutscher Manager kann somit keineswegs im Ausland nach Gutdünken verkaufen, was in hiesigen Produktionsstätten ausgeworfen wird, sondern hat ausschließlich auf Anforderungen der Schwestergesellschaften und US-Direktiven zu reagieren. Der Export der GmbH sei nur deshalb so hoch gewesen, heißt es in Stuttgart, weil die ausländischen Geschwister besser verkauft hätten. In der schwäbischen Hauptstadt habe der Inlandsumsatz indes 1981 mit 1,5 Prozent Wachstum gegenüber dem Vorjahr nahezu stagniert und zum schlechtesten Ergebnis in der Firmengeschichte geführt.

"Weder nach links noch nach rechts geschaut"

Als Glanztat soll sich bislang auch nicht die von Sparberg im Supertempo abgewickelte Reorganisation des Vertriebs herausgestellt haben. Das von dem Bösenberg-Vize dazu benutzte Hauruckverfahren erwies sich vor allem im Textverarbeitungsvertrieb als Bumerang. TV-Mitarbeiter, die sich nach der Verwirklichung des neuen Konzeptes als fünftes Rad am Wagen vorkamen, verließen verärgert das Unternehmen. Knapp eineinhalb Jahre später hat sich die Organisation noch immer nicht richtig eingespielt, sagen die Betroffenen. Chef-Organisator Sparberg wird vorgeworfen, er habe das Konzept der US-Mutter eins zu eins auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen versucht und dabei "weder nach links noch nach rechts geschaut".

Sparberg-Ära mit Bürokratie-Touch

Marketing- und Vertriebsleute in der Stuttgarter Deutschland-Zentrale, die lieber ihresgleichen auf dem GmbH-Thron sehen würden, meinen, daß mit Beginn der Sparberg-Ära ein "Touch" in die Abteilungen getragen wurde, der zum Abgang angesehener Führungskräfte führte:

- Reiner Gohlke, ehemaliger Chef des Bereichs Text- und Datensysteme, übernahm im Mai letzten Jahres den Vorstandssitz bei der Deutschen Bundesbahn.

- Bernhard P. Sauer, Leiter der etablierten IBM-Geschäftsstelle Frankfurt, wechselte sechs Monate später in die Geschäftsführung des Big-Blue-Konkurrenten Amdahl.

- Wilhelm Jägers, Leiter des IBM-Vertriebs im Bereich Anwendungen, wurde am 1. Januar 1983 bei der Kienzle Apparate GmbH in Villingen zum Vertriebsboß gekürt.

- Dr. Ernst Georg Lotz, Leiter des gesamten Produktmanagements in Stuttgart, avancierte vor wenigen Tagen zum Geschäftsführer der Tandem GmbH.

Image-Verlust durch Marketing-Schlappen

Eine derartige Fluktuation langjähriger IBM-Manager (Lotz war immerhin 20 Jahre im Unternehmen) hat es bei der IBM noch nicht gegeben. Stuttgarter Auguren wollen vor dem Hintergrund solcher Managementprobleme inzwischen auch eine gewisse Orientierungslosigkeit im Marketing ausgemacht haben. Dafür spreche sowohl das "dilettantische Vorgehen" bei der Suche nach Vertriebswegen für den im Januar angekündigten Personal Computer, mit dem der Marktführer den Fachhandel vergraulte (Metro), als auch die Terminschlappe im Bildschirmtextprojekt. Zu diesen Image-Verlusten komme hinzu, daß sich der klassische DV-Markt, in dem die IBM groß geworden sei, in einer markanten Umbruchphase befinde. "Diese Tendenzen", bekräftigt ein Ex-IBM-Manager, "erfordern in Stuttgart erfahrene Marketingprofis, aber keineswegs Finanzleute."