Bioinformatiker: Genomische Projekte erfordern biologisches und IT-Wissen

19.06.2002 von Ina Hönicke
Life Sciences soll das Geschäft des 21. Jahrhunderts werden. Die riesigen Datenmengen zur Entschlüsselung des Genoms werden mit dem Wissen von Bioinformatikern in den Griff zu kriegen sein.

Während deutsche Politiker und Feuilletonisten rege über den Sinn der Genforschung, etwa an embryonalen Stammzellen, diskutieren, plagen die Biotechnologiebranche zurzeit ganz andere Sorgen. "Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, Fachleute auf allen Ebenen zu finden", klagt Jens Katzek, Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) in Frankfurt am Main. Auch wenn die junge Branche - wie alle anderen auch - in den vergangenen Monaten unter der Wirtschaftsflaute gelitten habe, ändere dies nichts daran, dass qualifizierte Biowissenschaftler an allen Enden und Ecken fehlten. Vor allem Spezialisten für Genomforschung sowie Bioinformatiker sind rar.

Bioinformatiker entwickeln Programme, mit deren Hilfe sich Genomrohdaten schneller in medizinisch nützliches Know-how umwandeln lassen. Folge: Aufwändige chemische oder biologische Tests werden überflüssig. Das Ziel ihrer Arbeit ist das Entschlüsseln der Baupläne von Bakterien, Pflanzen und Menschen sowie das Aufdecken von Zusammenhängen bei der Entstehung von Krankheiten.

Für die neuen Herausforderungen brauchen die Pharmaunternehmen, Forschungsinstitute sowie Bioinformatik- und Biotechunternehmen dringend Wissenschaftler mit Informatik-Know-how. Der Grund: Pharmakonzerne werden künftig, so erklären sie selbst, verstärkt mit Informationen handeln. Um Datenbanken in verschiedenen Ländern miteinander zu verbinden, werden dringend Experten mit Doppelprofil benötigt.

Interdisziplinäres Arbeiten

Das ist auch der Grund, warum zum Wintersemester 2002/2003 die Medizinische Universität zu Lübeck erstmalig den Bachelor-Studiengang "Computational Life Science" anbietet. Professor Jürgen Prestin: "Damit soll eine Verbindung zwischen Mathematik, Informatik und Biowissenschaften geschaffen werden, wobei die mathematische Komponente im Vordergrund steht." Der künftige Bachelor soll sich im Studium weitreichende Kenntnisse zur Modellbildung, zur Analyse komplexer Strukturen und fachübergreifende Denkweisen aneignen.

"Durch ihre Ausbildung werden die Studierenden befähigt, interdisziplinär mit Biologen, Medizinern, Pharmazeuten oder Biochemikern zusammenzuarbeiten. Das wird ihnen", da ist Prestin überzeugt, "bei ihrem späteren Job helfen." Die jüngere Wissenschaftlergeneration um die 30 bringe das Feeling für die computergesteuerten Verfahren in der Regel mit.

Nicht nur die großen Pharma- und Biotechnologieunternehmen benötigen nach Ansicht des Hochschuldozenten dringend Mitarbeiter mit dieser Ausbildung - auch die großen IT-Unternehmen seien auf diese Kompetenz angewiesen. Schließlich habe IBM erst vor kurzem eine spezielle Life-Science-Abteilung gegründet, erzählt der Lübecker Biowissenschaftler: "Bedarf besteht auch in der klassischen chemischen Industrie sowie in den Genetiklaboren der Krankenhäuser."

Ein Zukunftsmarkt entsteht

An der Universität Bielefeld wird bereits seit 1989 Informatik mit Biologie kombiniert. Die Ausbildung ist speziell auf eine spätere Tätigkeit in der Genomforschung ausgerichtet. Robert Giegerich ist für den Studiengang Naturwissenschaftliche Informatik verantwortlich: "Die Bioinformatik ist das Hilfsmittel der Genomforschung, der medizinischen Forschung und der Biotechnologie." Er ist überzeugt, dass dieser Markt in Zukunft boomen wird.

Die Absolventen sieht er in kleinen Bioinformatikfirmen, bei Großforschungseinrichtungen oder an den Universitäten für die Forschung in Molekularbiologie ihren Weg machen. Giegerich: "Es geht darum, neue Medikamente oder Pflanzenschutzmittel zu entwickeln. Bioinformatiker werden beispielsweise Genome miteinander vergleichen, um herauszufinden, warum die eine Art der Pflanze anfälliger gegen Viren ist als die andere Art der Pflanze."

Karsten Quast gehört zu den Absolventen des Studiengangs Naturwissenschaftliche Informatik an der Universität Bielefeld. Heute arbeitet der 34-Jährige beim Pharmariesen Boehringer Ingelheim. Am Standort in Biberach gehört er zur Genomics-Gruppe, die sich mit der Analyse von Genomen beschäftigt. Quast und seine Kollegen arbeiten dabei mit den biologischen Forschungsabteilungen bei Boehringer Ingelheim zusammen.

Der Wissenschaftler denkt gern an sein Bioinformatik-Studium in Bielefeld zurück: "Die Universität hat eindeutig eine Vorreiterrolle gespielt und bildet hervorragend aus." Dass frisch von der Uni kommende Bioinformatiker heute gute Chancen haben, davon ist Quast überzeugt. Nicht mehr so gut wird die Situation seiner Meinung nach indes in einigen Jahren aussehen: "Da jetzt sehr viele Hochschulen auf den Zug aufspringen und Bioinformatik-Studiengänge anbieten, wird die Konkurrenz unter den Absolventen wesentlich größer sein."

In seinem Job befasst sich Quast vorrangig damit, die Funktionsweise menschlicher Zellen zu erforschen: "Aufgabe der Bioinformatiker ist es, unter anderem mit Hilfe des Computers die Funktion verschiedener Bauteile dieser Zellen zu ermitteln." Diese Informationen würden in die Entwicklung neuer Medikamente einfließen. "Da Bioinformatiker sowohl Biologie- als auch Informatik-Wissen mitbringen, fällt es ihnen im Vergleich zu Biologen oder Informatikern leichter, interdisziplinäre Konzepte zu entwickeln", stellt Quast den Vorteil des Doppelprofils heraus.

Junge Leute, die sich für eine Tätigkeit in der Bioinformatik interessieren, sollten seiner Meinung nach neugierig sein, aber auch akzeptieren, dass ihr Job sich hauptsächlich vor dem Rechner abspielt. Quast jedenfalls findet seine Tätigkeit extrem dynamisch und spannend: "Bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms werden ständig Fortschritte gemacht. Deshalb sehen wir uns hier als eine Art Speerspitze der Wissenschaft."

Nicht nur Hochschulen richten Bioinformatik-Studiengänge ein, auch die freien Bildungsträger wittern ihre Chance. So bietet das Fraunhofer-Institut mit zwei Schulungspartnern Umsteigern und Quereinsteigern, die ihr Berufsglück in der Biobranche suchen, das hierfür nötige Rüstzeug. Angesprochen sind Hochschulabsolventen mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung, insbesondere Biologen, Pharmazeuten und Mediziner. Die einjährige Ausbildung des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE), der Educators GmbH sowie der SWA Software-Akademie schließt mit dem Titel "Applikationsentwickler Bioinformatik" ab.

Manfred Eberle, der die Software-Akademie leitet: "In der Ausbildung geht es um die Schnittstelle zwischen Life Sciences und IT. Bei uns erhalten die Absolventen den informationstechnischen Hintergrund." Die Weiterbildung zielt laut Veranstalter auf eine wachsende Versorgungslücke, die durch den zunehmenden Einsatz computergestützter Verfahren in der Biotechnologie und Medizin bedingt ist. In Unternehmen wie Forschungsinstitutionen würden IT-Spezialisten für die Analyse und das Management großer molekularbiologischer Datenmengen dringend gesucht: "Die ersten Absolventen haben die Prüfung erfolgreich bestanden und befinden sich jetzt für drei Monate im Praktikum."

Geld für Forschung

Die Förderung von Bioinformatikprojekten hat sich die Klaus-Tschira-Stiftung aufs Panier geschrieben. Klaus Tschira, der in den frühen 70er Jahren SAP mitgegründet hat, erklärt: "Wir erwarten, dass die Biowissenschaften und die Biotechnologie für das 21. Jahrhundert eine ähnliche Rolle als Wachstumsmotor spielen wird wie die Physik und die Informations- und Kommunikationstechnologien für das 20. Jahrhundert."

Die Stiftung fördert vor allem Forschungsprojekte aus den Bereichen angewandte Informatik, Naturwissenschaften und Mathematik sowie die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit. Tschira: "Wir unterstützen keine Unternehmen, sondern nur Projekte und damit indirekt auch Menschen." So würden Wissenschaftler des European Media Laboratory in Heidelberg im Auftrag der Stiftung auf verschiedenen Gebieten der angewandten Informatik wie der Bioinformatik oder dem Mobile Computing forschen. Als nächstes Projekt plant die Stiftung, voraussichtlich zum 1. Oktober 2002 mit dem Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden ein Forschungsinstitut für Bioinformatik einzurichten und zu betreiben. Zudem bewilligte sie ein Stipendienprogramm für junge Wissenschaften aus Osteuropa