Haben Computer ein Bewusstsein?

Besser Mensch

12.09.2014 von Jan-Bernd Meyer
Stellen Sie sich vor, Ihr Computer verstünde die Kunden. Er könnte beraten, überzeugen und sogar flirten. Klingt abwegig?

Hört sich beängstigend an: Ein Mann verliebt sich in eine Computer. Ist natürlich nur Spinnerei. In dem Golden-Globe-prämierten Film "Her" wird - zugegeben kitschig und nach Hollywood-Art schmalzig - genau diese Geschichte erzählt. Das Betriebssystem, das auf den schönen Namen Samantha hört, verfügt über künstliche Intelligenz (KI), parliert wie ein Mensch, kennt sich auch in allzu menschlichen Lebenslagen aus - und zeigt Empfindungen aller Art.

Ein Film, also. Mehr nicht. Doch mit diesem Argument wurden schon immer künstlerische beziehungsweise belletristische Utopien, aber auch Katastrophenszenarien wegdiskutiert. An George Orwells Klassiker "1984" sieht man aber heute, wie schnell die Wirklichkeit die Fiktion einholt.

"Her" ist deshalb interessant, weil einige der technischen Aspekte des Films heute schon Realität sind - oder es in der näheren Zukunft sein werden. Dann aber werden sie auch massiv auf die Arbeitswelt einwirken und die Art verändern, wie Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit ausrichten und Kunden ansprechen. Spätestens dann wird sich die Frage stellen, wie das Zusammenleben von Mensch und Maschine gestaltet werden muss.

Jackie Fenn gehört zu den Menschen, die dem Film "Her" eine ganze Menge abgewinnen können. Und das nicht aus spirituellen Gründen, sondern mit dem Blick der Analystin. Fenn ist Vice President und Fellow bei Gartner. Sie wird dafür bezahlt, Technikchancen und -folgen richtig einzuschätzen.

Der Computer kennt dich genau

Vor dem Hintergrund von "Her" und in Anbetracht von Entwicklungen in der KI-Forschung gefragt, wie sie die Potenziale von Computern einschätzt, äußert Fenn folgende Einschätzung: Der Tag sei viel näher, als viele dächten, an dem der Computer die Menschen besser kenne als jedes menschliche Wesen.

Begründung: Viele der Fähigkeiten, die das intelligente Betriebssystem Samantha in "Her" zeige, gebe es heute schon. Fenn nennt etwa die Spracherkennung und im engeren Sinne die Verarbeitung natürlicher Sprache sowie das zumindest ansatzweise ausgeprägte Vermögen, mit Menschen in Konversation zu treten. Ein Teil des bereits erzielten Fortschritts habe mit Entwicklungen bei Lernvorgängen von Maschinen zu tun. Heute schon müssen Systeme nicht mehr komplett auf möglicherweise eintretende Eventualitäten hin programmiert werden. Vielmehr sind sie zunehmend in der Lage, durch Erfahrung zu lernen. Fenn verweist in diesem Zusammenhang auf virtuelle "Persönlichkeiten" wie Cleverbot. Das ist eine KI-Web-Applikation, die durch die ständige Kommunikation mit Menschen immer besser zu sprechen lernt.

Der qualitative Umschlag ist erreicht, wenn ein Computer gelernt hat, sich durch Erfahrungen selbst zu optimieren. Dann gibt es nichts mehr, was ihn hindern könnte, eine Aufgabe in der gleichen Qualität zu erledigen wie ein Mensch. Oder sogar besser.

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Schon heute können Computer selbständig aktiv werden, indem sie zum Beispiel Arbeiten von Studenten benoten oder Vorschläge für passende Weine zum Abendessen machen oder einfache Artikel verfassen. Sie fertigen Diagnosen zu Krankheitsbildern an und nehmen Risikoeinschätzungen zur Kriminalitätswahrscheinlichkeit in Problemzonen von Städten vor. All das waren einmal Tätigkeiten, die der menschlichen Urteilskraft vorbehalten waren und die heute Computer besser oder wenigstens billiger erledigen.

Was also, fragt die Gartner-Analystin rhetorisch, sollte ein Betriebssystem respektive einen Computer daran hindern, ein guter, wenn nicht besserer Kumpel für einen Menschen zu werden? Je mehr ein System mit einem Menschen interagiere, desto eher werde es dessen Vorlieben und Abneigungen kennenlernen. Am Ende kenne der Computer den Menschen dann besser, als dieser sich selbst.

Bei Themen wie Humor und Kreativität werde es für KI-Systeme schwieriger, sagt Fenn. Aber auch hier seien die bereits vorhandenen oder noch in der Entwicklung befindlichen Algorithmen recht weit fortgeschritten (Stichwort: Deep Learning). Wenn ein Computer erst einmal gelernt habe zu analysieren, welche Art von Humor Menschen zum Lachen bringt, gebe es - zumindest theoretisch - keinen Grund, warum er nicht auch witzig und unterhaltsam sein könne.

Ähnliches gelte für die Komposition von Musikstücken oder bei der Kreation von Kunst. Experimentier-, Analyse- und Lernfähigkeit - das sind die Ingredienzen, die nötig sind, um zumindest solche Musik zu komponieren, die, gemessen an den Erfahrungen, Emotionen hervorrufen können.

Haben Computer ein Bewusstsein?

Richtig spannend wird es bei der Frage, ob ein Computer ein Bewusstsein und einen freien Willen entwickeln könne. Hierzu gibt es eine nette Anekdote: Als IBMs Rechner "Watson" im Februar 2011 beim amerikanischen Fernsehquiz "Jeopardy" gegen die besten jemals angetretenen Kandidaten gewonnen hatte, fragte eine deutsche Zeitung beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) an, wie lange es denn noch dauere, bis Computer den Menschen sagten, was sie zu tun hätten. Die trockene - und vielleicht nicht ganz ernst gemeinte - Antwort eines Wissenschaftlers lautete: "Das dauert noch ewig. Mindestens zehn Jahre."

In Wirklichkeit sagen die Computer den Menschen auch heute schon, was sie zu tun haben - oder tun es selbst, Die abermillionenfach getätigten Transaktionen an Börsen im Millisekundentakt beispielsweise können schon längst nur noch maschinell erledigt werden. Und hier ist nicht einmal künstliche Intelligenz am Werk. Gartner-Analystin Fenn fragt sich, wie der Mensch jemals herausfinden will, wann bei einem Computer bewusstes Handeln vorliegt und wann ein KI-System eigene Zielvorstellungen und Emotionen in einer für Menschen nachvollziehbaren Weise offenbart. Der Turing-Test von vor 64 Jahren feiert hier fröhliche Urständ.

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Strom abstellen schwer gemacht

Aus den Tamagotchi-Zeiten der 90er Jahre weiß man, dass Menschen zu Computern eine emotionale Beziehung aufbauen, wenn deren Verhalten irgendwie "menschlich" zu sein scheint. Holländische Wissenschaftler haben zudem in einem Versuch herausgefunden, dass es Menschen schwerfällt, einer "Roboterkatze" den Strom abzustellen, wenn diese um Gnade bettelte. Wenn die Katze intelligent und liebenswert wirkte, bekam der Mensch umso mehr Skrupel, den Schalter umzulegen. Der Phantasie darüber, was passiert, wenn wir irgendwann KI-gesteuerte Roboter um uns herum haben, ist also keine Grenze gesetzt.

Im Film "Her" kann das Betriebssystem Samantha im Prinzip nur sprechen, sehen und "denken". Das allein aber sind bereits Fähigkeiten, mit denen ein Computer heute schon weitreichende Analysen über den emotionalen Zustand eines Menschen anstellen kann. Ein Team um Marian Bartlett von der University of California veranstaltete hierzu einen Test. Es ließ einen Computer anhand der Mimik von Probanden Schmerzsignale einschätzen. Die Videos der Testpersonen wurden auch Menschen vorgeführt. Diese lagen bei der Beurteilung, wer von den Probanden Schmerzen nur simulierte, in der Hälfte der Fälle daneben, der Computer hingegen bei 85 Prozent richtig.

Gartner-Analystin Fenn sieht in der künstliche Intelligenz und intelligenten Maschinen die bestimmenden Trends der kommenden Dekade. Das wirft unweigerlich auch die Frage auf, wie Unternehmen künftig ihre Prozesse gestalten und Entscheidungen treffen werden. Dann nämlich, wenn Menschen und Computer Seite an Seite stehen und kooperieren. Bis solch eine Konstellation Realität ist, seien noch viele Herausforderungen zu bewältigen. Jedenfalls sei es, so Fenn gutgläubig, immer der Mensch, der auch künftig Entscheidungen trifft. Wenn sie sich dabei mal nicht irrt.