Anwender kontrollieren stärker

Beratung wird transparenter

08.02.2010 von Joachim Hackmann
Der IT-Consultant verliert den Nimbus, über exklusives Wissen zu verfügen. Die Kunden diskutieren auf Augenhöhe.

Schon seit Jahren verändert sich die IT-Consulting-Branche. Die aktuelle Krise beschleunigt und verstärkt den Prozess lediglich.

Konsolidierung erfasst die Systemintegration

Tomasz Trojanowski/Fotolia
Foto: Tomasz Trojanowski/Fotolia

"Projekte zur Effizienzsteigerung, also solche Vorhaben, in denen es um das klassische Reengineering oder um die Integration von Standardsoftware geht, geraten unter einen enormen Preis- und Margendruck. Hier wird sich die Konsolidierung beschleunigen", erwartet Thomas Balgheim, Geschäftsführer der Münchner Cirquent GmbH. Die deutschen Anwenderunternehmen betreiben seiner Einschätzung zufolge schon sehr schlanke Prozesse im Backend. Neueinführungen von Standardsoftware gebe es kaum noch, denn die meisten Unternehmen hätten bereits ERP-Lösungen installiert. Damit blieben den Beratern nur noch Projekte zum Erneuern und Überarbeiten etwa von SAP-Installationen. Doch solche Aufträge böten deutlich weniger Verdienstmöglichkeiten als Erstinstallationen.

Unter diesen Voraussetzungen wird das Geschäft mit der Systemintegration und Softwareentwicklung zu einem Wettbewerb, in dem nur Skaleneffekte und effiziente Abläufe hohe Gewinne versprechen. Das sind Rahmenbedingungen, die vor allem den großen, global aufgestellten Anbietern zupasskommen. "Je IT-näher die Projekte sind, desto wichtiger sind globale Strukturen", erläutert Matthias Hartmann, verantwortlich für die weltweite Strategie bei IBM Global Business Services. "Ich kenne kein einziges großes Applikationsprojekt, das wir in den vergangenen Jahren nur mit deutschen Mitarbeitern abgeliefert hätten."

Thomas Balgheim, Geschäftsführer von Cirquent: "Projekte zur Effizienzsteigerung geraten unter einen enormen Preis- und Margendruck. Hier wird sich die Konsolidierung beschleunigen."
Foto: Cirquent GmbH

Neben IBM zählen auch Unternehmen wie Accenture, Hewlett-Packard, Capgemini sowie einige indische Anbieter zu den Firmen, die den globalen Herausforderungen begegnen können. "In einem sich konsolidierenden Markt gewinnen immer die Großen und verlieren immer die mittleren Anbieter. Kleine Dienstleister können sich Hoffnung machen, weil sich in einer solchen Konstellation oft Nischen auftun", schildert Balgheim die Entwicklung. Cirquent, so betont der Manager, habe deshalb beschlossen, sich schrittweise aus diesem Markt für Effizienzprojekte zurückzuziehen.

Wertschöpfende Projekte gewinnen an Bedeutung

Es gibt Segmente, in denen IT-Berater auch im vergangenen Jahr gute Geschäfte gemacht haben. "Wir haben Projekte betrieben, in denen wir etwa für eine Reederei die Transportkosten reduziert und für einen Baumarkt mit einem analytischen Prognose-Tool die Verkaufsbestände optimiert haben, so dass die Lager effizienter bestückt werden können. Dadurch entstehen völlig neue Beratungszweige, die den Kunden schnelle und nachweisbare Erfolge bringen", sagt IBM-Manager Hartmann. Laut den Marktforschern von PAC gab es auch eine recht hohe Nachfrage nach Business-Intelligence-Projekten oder Beratungsleistungen rund um branchenspezifische Themen. Cirquent-Chef Balgheim berichtet von einem Mitte vergangenen Jahres eingetretenen Nachfrageschub nach differenzierenden Vorhaben, um IT in die Produkte und Services der Anwenderunternehmen zu integrieren. "Mehrwert schaffende Projekte sind ein wachsender Markt, der jedoch ganz neue Anforderungen an die Dienstleister stellt", betont der Cirquent-Chef. Hier kommen die Consultants seiner Meinung nach mit Standardmethoden nicht weiter. Differenzierende Projekte verlangen individuelle Ansätze.

Die Kompetenz des Projektmitarbeiters zählt

Eva-Maria Manger-Wiemann, Cardea: "Systematisches Arbeiten und entsprechende Methoden setzen die Kunden heute voraus, das bieten alle Häuser."

In den Ausschreibungen achten Anwender verstärkt auf die Profile der Projektmitarbeiter. Nicht nur das gesammelte Wissen des Beratungshauses ist gefragt, sondern vor allem die Erfahrung und das Projekt-Know-how des einzelnen Consultants und insbesondere des Projektleiters. Eva-Maria Manger-Wiemann, Managing Partner des schweizerischen Metaberatungshauses Cardea, warnt: "Systematisches Arbeiten und entsprechende Methoden setzen die Kunden heute voraus, das bieten alle Häuser." Manger-Wiemann muss es wissen, ihr Unternehmen ist darauf spezialisiert, Anwender bei der Auswahl und Steuerung von Beratern zu unterstützen.

Ganz entscheidend ist die Fähigkeit des Consultants, dem Kundenunternehmen einen Mehrwert im Kerngeschäft zu verschaffen. Dazu muss er in der Lage sein, die fachlichen Bedürfnisse und Anforderungen mit den Möglichkeiten der IT zu verknüpfen. Darin liegt die innovative Consulting-Leistung. "Die IT-Beratung ist dort gefragt, wo die Informationstechnik mit den Geschäftsanforderungen verknüpft wird. Das wird jedoch immer komplexer, so dass die Schnittstellen zwischen Fach- und IT-Wissen insgesamt besser gemanagt werden müssen", fordert Manger-Wiemann.

Außerdem erwarten die Kunden, dass ein Teil des Berater-Know-hows nach Abschluss eines Projekts im Haus bleibt. Das ist ein heikler Punkt: Die wenigsten Consultants sind bereit, Wissen abzugeben und damit ihren Marktwert zu reduzieren.

Die Mechanik des Geschäftsmodells verschiebt sich

Weil die Anforderungen der Kunden an die externen Anbieter derart gestiegen sind, hat sich das Niveau der Projekte zwangsläufig verbessert. Das beeinflusst das Staffing. Junge unerfahrene Consultants müssen heute behutsam an ihre Aufgaben herangeführt werden. Eine Ausbildung auf Kosten des Kunden gibt es nicht mehr. "Damit hat sich die Mechanik des Geschäftsmodells der Dienstleister verändert", erläutert Manger-Wiemann: "Der Mittelbau wurde gestärkt." Die Konstellation, dass ein Partner mit einer Reihe von Juniorberatern beim Kunden vorspricht, ist selten geworden. Diese Beobachtung bestätigt Antonio Schnieder, Vorsitzender der Geschäftsführung der deutschen Capgemini-Niederlassung und BDU-Präsident: "Es gibt mehr Consultants, die in Projekten arbeiten", bringt er es auf den Punkt. Die Anbieter hätten ihre Management-Strukturen schlanker gestaltet, so dass Berater auf allen Ebenen in die Projekte involviert seien.

Die Anwender sind professioneller geworden

Foto: IBM

Aus den vielen gescheiterten Projekten früherer Jahre haben die Anwender ihre Schlüsse gezogen. Nicht immer waren die externen Partner schuld, auch interne Unzulänglichkeiten haben zu den Schwierigkeiten beigetragen. Daher haben viele Firmen den Einkauf und das Projekt-Management verbessert. "Die Kunden sind professioneller geworden und haben zum Teil ehemalige IT-Berater eingestellt. Damit werden die Erwartungen realistischer, und das Projekt-Management ist besser", beschreibt Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. "Die gestiegene Kompetenz und der mittlerweile große Erfahrungsschatz der internen IT-Mitarbeiter erschweren allerdings auch den Beratern das Geschäft. Änderungen und Folgeaufträge lassen sich immer schwerer verkaufen."

Doch das erachten die Anbieter nicht unbedingt als Problem. "Früher haben wir Berater uns gerne darüber beklagt, dass gute Ideen nicht angenommen und umgesetzt wurden. Heute verlaufen die Projekte schneller und effizienter", schildert Schnieder. Damit können die Häuser zwar weniger Beratungsstunden pro Auftrag absetzen, doch insgesamt bestehe kein Grund zur Sorge. Da sich viele Unternehmen stark veränderten, sei der Gesamtbedarf an Beratungsleistungen gestiegen. Unter dem Strich würden mehr Vorhaben gestartet, erläutert Schnieder. Zur Professionalisierung der Berater-Kunden-Beziehung trägt auch die Lieferantenbewertung bei, die in großen Unternehmen längst gang und gäbe ist. Sie erstreckt sich nicht mehr nur auf Produkthersteller und Betriebsdienstleister, sondern auch auf Consulting-Leistungen. "Berater sympathisch, keine besonderen Vorkommnisse, Note acht von zehn - solche Lieferantenbewertungen gab es früher", erinnert sich Manger-Wiemann. Heute gehe es um einiges professioneller zu. "Wenn die Kunden sich die Mühe machen, die Aufgaben und Rollen der Dienstleister sowie die Ziele zu Beginn eines Vorhabens genau zu beschreiben, lassen sich sowohl Projekterfolg als auch Teammitglieder anhand dieser Kriterien bewerten." Schwierig beziehungsweise nahezu unmöglich bleibt es, den Beitrag der IT-Consultants zum Unternehmenserfolg oder Umsatzwachstum des Kunden zu messen. Dagegen lassen sich Veränderungen in den Durchlaufzeiten, der Prozesseffizienz und der Lagerhaltung durchaus erheben. "Wenn Sie heute als Berater nicht den Return on Investment gegenüber dem Kunden nachweisen können, dann gibt es Probleme", bestätigt IBM-Manager Hartmann.

Warum Projekte scheitern

Warum scheitern Beratungsprojekte, und wie lässt sich das verhindern? Mit diesen Fragen hat sich die Cardea AG beschäftigt, die Firmen bei der Auswahl und Bewertung von Consultants unterstützt. Aus zwei Umfragen sowie eigenen Erfahrungen hat Cardea mögliche Gründe für das Scheitern von Projekten zusammengetragen.

Vor Beginn des Projekts:

  • In der Problembeschreibung wird häufig zu wenig Wert auf Sorgfalt und Präzision gelegt. Auch die Ziele, Erwartungen sowie das genaue Vorgehen und der Projektumfang sind häufig nur vage formuliert.

  • Die Personalressourcen und die Qualifikationen der Mitarbeiter entsprechen nicht den Anforderungen, oder es mangelt im Unternehmen an Akzeptanz und breiter Unterstützung für das Vorhaben.

  • Der Auftrag wird an einen Partner vergeben, ohne dass sich Anwender genau über dessen Kompetenz und Erfahrung informieren. Ein Wettbewerb um das Projekt unter mehreren Anbietern ist in vielen Unternehmen noch kein Standard.

Während des Projekts:

  • Die Berater werden ungenügend gesteuert und Projekte mangelhaft kontrolliert.

  • Die Anwender verlieren die ursprünglich festgelegten Projektziele aus den Augen oder ändern sie immer wieder.

  • Die Qualifikation der internen und externen Projektmitarbeiter entspricht nicht ihren Aufgaben.

  • Wenn sich Projekte verzögern, lässt die Motivation und Aufmerksamkeit der Projektmitarbeiter und des Managements nach.

Junge Consultants fordern Transparenz

Thomas Lünendonk: "Was künftig auf uns lostwittern wird, macht richtig Spaß."

Doch nicht allein die Kunden werden mündiger, auch die Berater selbst verändern sich. Jüngere Consultants bedienen sich neuer Kommunikationskanäle, Web-2.0-Tools und Netzwerke. "Was künftig auf uns lostwittern wird, macht richtig Spaß", freut sich Thomas Lünendonk, Marktforscher im gleichnamigen Beratungshaus. Doch nicht jeder etablierte Manager und Berater begegnet den "Digital Natives" mit Wohlwollen, denn "die nachrückende Beratergeneration stellt Hierarchien in Frage und will Transparenz", sagt Lünendonk.

Diese Transparenz erstreckt sich auch auf Beraterwissen. Die Web-2.0-Generation ist es gewohnt, sich in ihren sozialen Netzen auszutauschen. Offenheit ist Teil ihrer Arbeitsweise. Das muss nicht nachteilig für die Consulting-Häuser sein, denn im weltweiten Netz hat sich eine Kultur des Gebens und Nehmens etabliert. Für Beratungshäuser ändert sich der Umgang mit Wissen. Sie müssen sich daran gewöhnen, Details öffentlich zu machen, die bislang unter Verschluss waren. "Wissen und der Zugang dazu sind nicht mehr exklusiv", betont Lünendonk.

Damit haben auch die Kunden Zugang zum einst exklusiven Beratungs-Know-how. "IT-Berater haben mindestens eine so ausgeprägte Neigung zum Besserwissertum wie Management-Berater, sie stellen es nur anders dar", charakterisiert Fink die Branche. "Unternehmensberater verpacken es in Anglizismen, IT-Berater in Akronyme. Alle versuchen, über eine möglichst unverständliche Sprache den Eindruck zu erwecken, sie wüssten mehr." Doch diese Einstellung ist mit dem Kompetenzzuwachs auf Kundenseite hinfällig. Dort ist auch nicht der Besserwisser gefragt, sondern ein Partner, mit dem die Anwender auf Augenhöhe diskutieren können.

Anwender und Berater neigen zu Festpreisprojekten

Die Professionalisierung auf Beratungs- wie auf Kundenseite wirkt sich auf die Bezahlung aus. Weil die Anwender die Herausforderungen und Unwägbarkeiten der Projekte besser abschätzen können und zudem die Vorhaben enger und methodischer führen, neigen sie zunehmend zu Festpreisprojekten. "Das machen sowohl die Berater als auch die Kunden gerne", bestätigt Capgemini-Chef Schnieder. "Es setzt allerdings voraus, dass detaillierte Aufwandsabschätzungen möglich sind. Kompetente Kunden können besser mitgestalten. Sie verstehen, wie die Projekte abgewickelt werden, so dass die Kalkulation sehr zuverlässig und der Risikoaufschlag für den Kunden entsprechend gering ist."

Zudem geht die erfolgsabhängige Entlohnung zurück, denn solche Vereinbarungen werden mitunter sehr teuer für die Kunden - auch deshalb, weil sie selbst mit gutem Projekt-Management die Vorhaben zum Gelingen führen. Die Endabrechnung, so Schnieder, habe schon bei so manchem erfolgsabhängigen Bezahlmodell für ein böses Erwachen beim Kunden gesorgt.

Verhandeln lohnt sich

Die Lünendonk GmbH hat die gezahlten Honorare für Strategie- sowie Organisations- und Prozessberater in 13 Großunternehmen und Konzernen analysiert und dabei erhebliche Unterschiede festgestellt. Einige Organisationen zahlen für einen Senior Consultant 1300 Euro pro Tag, andere müssen für einen Berater gleicher Qualifikation täglich 3820 Euro abtreten. Die Marktforscher nennen zwei Gründe: Zum einen verhandeln manche Kunden besser, zum anderen sind die Berater flexibler geworden, sie räumen Nachlässe ein.

Entsprechende Erhebungen für IT-Berater gibt es nicht. Doch auch hier dürften sich harte Verhandlungen lohnen. Zwar sind die Honorare für IT-Consultants auf dem Papier stabil geblieben, beobachtet etwa Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, "doch dafür haben die Pro-bono-Leistungen, also die kostenlosen Zusatzdienste, zugenommen". Die Praxis, den Kunden Extraleistungen zu gewähren, wird jedoch in dem Maß wieder zurückgehen, wie sich der IT-Beratungsmarkt erholt. "Einen Anstieg der Honorare erwarte ich dagegen auf absehbare Zeit nicht", sagt Fink.