Audio- und Videokomponenten/Die Hersteller bereiten schon die naechste Speichergeneration vor Die neue Digital Video Disc: Das CD-Format der Zukunft?

08.12.1995

Von Nikolaus Ebbinghaus*

Am 15. September dieses Jahres war es endlich soweit: Zwei konkurrierende Konsortien um Toshiba und Time Warner sowie Sony und Philips einigten sich auf einen gemeinsamen Standard fuer die Digital Video Disc (DVD). Diese ist insbesondere als Medium fuer digitale Videos im Kompressionsformat MPEG 2 konzipiert worden, soll aber auch zum Speichern von Computer- und Audiodaten dienen.

Der Streit um technische Aspekte des naechsten CD-Standards war eine Frage von Gewinnen aus Patentrechten. Die Toshiba-Time- Warner-Gruppe favorisierte die Super Density Disc (SD). Ihr gegenueber stand die Multimedia-CD (MMCD) von Sony und Philips. Am Ende ging aus dem Konflikt das weitaus umsatzstaerkere SD-Lager, dem unter anderem auch die Elektronikkonzerne Matsushita, Hitachi und Mitsubishi angehoeren, als klarer Sieger hervor. Folglich wird der neue Datentraeger weitgehend den Vorgaben der SD-Entwicklung entsprechen, von der unterlegenen MMCD-Loesung stammt lediglich das Modulationsverfahren.

Ein Kompromiss auf Druck der DV-Industrie

Der Kompromiss kam nicht zuletzt auf Druck von IBM zustande, nachdem sich Sony und Philips noch weiter gehenden Zugestaendnissen beharrlich verweigert hatten. Ungeklaert sind nur noch wenige Details, darunter auch der offizielle Name der neuen Disc. Die CD- Erfinder Sony und Philips moechten die Buchstaben "CD" im neuen Produktnamen beibehalten, was die SD-Allianz bislang jedoch ablehnt.

Trotz der Einigung ist ein Ende der Verwirrung fuer die Verbraucher und Anwender nicht abzusehen. Die gleichen Hersteller, die den neuen Standard verkuendeten, vermarkten weiterhin Abspielgeraete fuer bisherige Video-CDs, die auf dem MPEG-1-Standard basieren. So stellte etwa Matsushita noch auf der IFA 1995 einen zwar neuen, aber eben doch herkoemmlichen Video-CD-Player (Marke Technics) vor, waehrend das Unternehmen gleichzeitig mit grossem Aufwand auf die DVD verwies. Aber auch fuer die voraussichtlich im Herbst 1996 auf den Markt kommenden DVD-Player ist bereits eine Nachfolgegeneration fuer 1998 in Sicht.

Wie sieht der - somit nur kurze Zeit neue - Standard aus? Die neue Disc wird mit einem Durchmesser von 120 und einer Staerke von 1,2 Millimetern die gleichen Masse wie herkoemmliche CDs aufweisen. Sie besteht jedoch aus zwei Discs halber Staerke, die rueckseitig, also auf der bedruckten Labelseite herkoemmlicher CDs, aneinandergeklebt werden.

Dieses umstaendlich anmutende Herstellungsverfahren bietet eine Reihe von Vorteilen: Beide Seiten lassen sich fuer die Datenspeicherung nutzen, und die Produktion laeuft schneller, da die duenneren Scheiben rascher abkuehlen. Nicht zuletzt wird gegenueber dem von Sony und Philips favorisierten Vorschlag eine um etwa 30 Prozent hoehere Speicherkapazitaet moeglich.

Denn die Daten befinden sich anders als beim MMCD-Standard und bei herkoemmlichen CDs nicht nahe am CD-Label, sondern nahe der CD- Mitte. Der dadurch etwa um die Haelfte verringerte Abstand der Datenschicht zur Disc-Oberflaeche ermoeglicht es dem Laser, bei gleicher Wellenlaenge feinere Strukturen aufzuloesen. So weisen die als Pits bezeichneten Unebenheiten, die die Datenstruktur ausmachen, bei der neuen Disc nur noch eine Laenge von 0,4 bis 2,128 Mikrometern auf, bei herkoemmlichen CDs sind es 0,834 bis 3,058 Mikrometer.

Andererseits haette eine "aus einem Guss" bestehende Disc nach dem MMCD-Vorschlag zumindest einen Vorteil gehabt: Es waere moeglich gewesen, in zwei uebereinanderliegenden Schichten bisherige CD- Formate und neue hoeherer Dichte in einer Disc zu vereinen. Also beispielsweise eine Disc, die gleichzeitig ein Video im neuen Format sowie Audio-Tracks und Computerspiele fuer herkoemmliche Abspielgeraete beherbergt.

Insgesamt wird es sechs verschiedene neue Disc-Formate geben: eine einseitige, einschichtige Disc mit einer Speicherkapazitaet von 4,7 GB Daten oder knapp 130 Minuten Spielfilm, sowie eine beidseitig bespielte Disc mit doppelter Kapazitaet, die der Anwender allerdings wie LPs umdrehen muss.

Da sich dieses Verfahren aufgrund des Random-Access-Zugriffs fuer die Datenverarbeitung nicht eignet, hat Matsushita ein weiteres Format mit etwa 8,5 GB entwickelt. Diese Disc laesst sich, obwohl sie zweiseitig beschrieben ist, von einer Seite aus vollstaendig lesen, da die aeussere Datenschicht aus einem teilreflektierenden Material besteht.

Mit etwa 17 GB wird eine von Hitachi entwickelte beidseitig bespielte Disc mit jeweils zwei Schichten (eine davon teilreflektierend) die hoechste Kapazitaet aufweisen. Darueber hinaus sind je ein Standard fuer einmalig beschreibbare Scheiben mit 7,5 GB sowie fuer wiederbeschreibbare Discs mit etwa 5 GB konzipiert, beide zweiseitig.

Urspruenglich waren sogar noch hoehere Speicherkapazitaeten vorgesehen. Da jedoch das sicherere Modulationsverfahren nach dem MMCD-Standard zum Zuge kommt, verringerten sich die einzelnen Werte um jeweils etwa sechs Prozent. Zum Vergleich: Herkoemmliche CDs verfuegen lediglich ueber eine Speicherkapazitaet von etwa 680 MB, fuer die MMCD waren Fassungsvermoegen von 3,7 beziehungsweise 7,4 GB vorgesehen, beide einseitig mit ein oder zwei Schichten.

Um die feineren Datenstrukturen auslesen zu koennen, arbeitet in den neuen Laufwerken und Abspielgeraeten ein roter Laser mit hoeherer Aufloesung: 635 bis 650 statt bisher 780 Nanometer Wellenlaenge. Durch den Einsatz eines von Matsushita entwickelten holografischen Lasers wird es auch moeglich sein, zu herkoemmlichen CD-Formaten abwaertskompatible Laufwerke und Abspielgeraete zu konstruieren. Diese Forderung hatte vor allem die Computerindustrie gestellt.

Der neue Laser verfuegt ueber zwei Brennweiten, um sowohl die bisher ueblichen als auch neue Formate abtasten zu koennen. Diese Loesung gilt als sehr kostenguenstig, sie soll gerade ein Prozent der gesamten Herstellungskosten eines Lasers ausmachen. Manche Hersteller, so beispielsweise Philips, streben auch eine Abwaertskompatibilitaet der DVD-Player zu bisherigen Video-CDs an. Moeglich ist dies aufgrund der Abwaertskompatibilitaet von MPEG 2 zu MPEG 1.

Die Entwicklung der DVD hat massgeblich die Unterhaltungselektronik-Industrie vorangetrieben. Vor allem die japanischen Konzerne hoffen, durch das neue Produkt ihre zuletzt eher stagnierenden Umsaetze anzukurbeln. Medienkonzerne wie Time Warner erwarten aber auch Rationalisierungseffekte - etwa im Videoverleih. Schliesslich wird die DVD mit Kosten von voraussichtlich etwa drei Mark pro Stueck nicht nur preisguenstig zu fertigen sein. Sie ist ausserdem handlicher und leichter als VHS- Kassetten und nutzt sich auch bei haeufigem Gebrauch nicht ab.

Voraussetzung fuer die optimistischen Marketing-Erwartungen ist allerdings eine schnelle Verbreitung der DVD-Player. Time Warner prognostizierte noch im letzten Sommer allein fuer die USA einen Absatz von 3,4 Millionen Einheiten in den ersten zwoelf Monaten - bei einem Stueckpreis von rund 1000 Dollar. Fuer den deutschen Markt rechnete Time Warner mit aehnlich optimistischen Zahlen, immerhin sollten demnach hierzulande im gleichen Zeitraum eine Million Geraete ueber die Ladentische gehen. Der eher bescheidene Erfolg vergleichbarer Systeme wie Laserdisc, Video-CD und CDi-Digital- Video laesst an diesen Zahlen aber erhebliche Zweifel aufkommen.

Optimistische Prognosen inzwischen korrigiert

Und tatsaechlich zeigt sich auch Time Warner neuerdings weniger euphorisch: Am 19. November war von der Tochtergesellschaft Warner Home Video zu erfahren, dass bei der Markteinfuehrung moeglicherweise weniger als die versprochenen 250 Titel verfuegbar sein werden. Ausser der Verzoegerung, die sich durch die Einigung im Standardstreit und die daraufhin notwendigen Neuentwicklungen ergeben, duerfte auch die Befuerchtung, auf vollen Lagern sitzenzubleiben, fuer diesen Rueckzieher ausschlaggebend gewesen sein.

Ausserordentlich guenstig duerften die Marktchancen der DVD hingegen im DV-Bereich aussehen. Die entsprechenden Laufwerke, die ebenfalls im Herbst 1996 auf den Markt kommen sollen, werden die bisherigen Laufwerke vermutlich rasch verdraengen, selbst wenn es momentan noch kaum Anwendungen gibt, die eine derart hohe Speicherkapazitaet erfordern.

Die Abwaertskompatibilitaet und die niedrigen Preise (fuer den US- Markt sind weniger als 200 Dollar fuer Laufwerke mit achtfacher Lesegeschwindigkeit im Gespraech) werden keine Alternativen zum neuen Standard zulassen. Das Marktpotential ist sogar weit groesser als im Videobereich, denn derzeit werden jaehrlich etwa 15 Millionen CD-ROM-Laufwerke abgesetzt - mit steigender Tendenz.

Unguenstiger sehen dagegen die Perspektiven der DVD im Audiobereich aus. Zwar soll sie eines Tages auch 90 Minuten Audio im Sechskanalton ohne Kompression aufnehmen koennen, entsprechende Produkte sind aber noch nicht in Sicht. Die herkoemmliche Audio-CD hat sich so etabliert, dass gerade dieses groesste Marktsegment - ueber 80 Prozent aller Compact-Discs sind Audio-CDs - auf absehbare Zeit unangreifbar bleiben wird. Dafuer spricht auch die Tatsache, dass es anderen Audioprodukten wie der Mini-Disc bisher nicht gelang, die Dominanz der klassischen CD in Frage zu stellen.

Die DVD wird die CD demnach in absehbarer Zeit keinesfalls ersetzen, sondern lediglich ergaenzen. Es ist sogar damit zu rechnen, dass ihr Anteil an der CD-Gesamtproduktion in diesem Jahrhundert fuenf Prozent kaum uebersteigen wird. Dies steht in krassem Gegensatz zu der Beachtung, welche die Standarddiskussionen in den Medien verursachte.

An einer Nachfolgegeneration wird allerdings schon jetzt intensiv gearbeitet. So stellte der japanische Elektronikkonzern Pioneer bereits einen blauen Halbleiterlaser mit einer Wellenlaenge von 425 Nanometern vor. Damit liesse sich die Kapazitaet einer einzelnen DVD-Datenschicht von 4,7 auf 10 GB steigern. Bis zum Verkaufsstart, der 1998 zeitgleich mit der Einfuehrung des hochaufloesenden Fernsehens HDTV erfolgen soll, wird eine weitere Steigerung auf 15 GB angestrebt.

Damit ist die DVD auch ein Beispiel dafuer, wie immer kuerzere Innovationszyklen die Einfuehrung an sich fortschrittlicher Produktstandards zunehmend erschweren. Der Markt fuer Videokonserven duerfte schliesslich kaum davon profitieren, wenn in naher Zukunft - einschliesslich der Laserdisc - vier aehnliche Standards nebeneinander existieren, von den Videorekordern ganz zu schweigen.

*Nikolaus Ebbinghaus ist freier DV-Journalist in Hamburg.