Auch in Second Life gelten Recht und Gesetz

20.07.2007 von Karolin Nelles
Wer Second Life für einen rechtsfreien Raum hält, ist auf dem Holzweg. Bewohner der virtuellen Parallelwelt müssen sich an Gesetze und Regeln halten.

Die virtuelle 3D-Welt Second Life im World Wide Web liegt im Trend. Mittlerweile tummeln sich dort rund 7,8 Millionen Besucher aus Ländern rund um den Globus. Selbst der Deutsche Bundestag hat sich bereits mit der Parallelwelt im Netz befasst. Das Spannende an diesem Telemedium ist, dass sich virtuelle und reale Welt vermischen. Menschen bewegen sich in einem irrealen Kosmos, der jedoch eng mit der wirklichen Welt verknüpft ist: Die Währung in Second Life – der Linden Dollar – lässt sich in handfeste US-amerikanische Dollar umtauschen. Universitätsvorlesungen und Geschäftstreffen werden in Second Life abgehalten und es gibt unzählige Verweise auf Internetseiten. Second Life ist zudem voll mit Werbung für "reale" Produkte.

Ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten?

Diese enge Verknüpfung von virtuellem und realem Leben hat die Diskussion darüber angeheizt, ob Second Life rechtlich genügend abgesichert ist. Denn das künstliche Universum im Web hat auch seine Schattenseiten. Die Palette der Rechtsverstöße reicht vom Drogen- und Waffenhandel bis hin zur Kinderpornografie. Ein rechtsfreier Raum, in dem jeder tun und lassen kann, was er will, ist Second Life aber nicht. Neben den vom Betreiber Linden Lab aufgestellten Regeln und Nutzungsbedingungen gilt auch das in der realen Welt definierte Recht.

Deutsches Recht lässt sich aber immer nur dann anwenden, wenn ein Vorgang in Second Life einen Bezug zu Deutschland hat oder ein in Deutschland Ansässiger beteiligt ist. Ein erster Anhaltspunkt dafür ist die Sprache. Auch wenn die deutsche Second-Life-Version noch auf sich warten lässt, gibt es jetzt schon Bereiche mit einem klaren Bezug zu Deutschland, wie zum Beispiel das Apfelland oder der T-Online-Strand, wo Ausschilderungen und Hinweise primär in Deutsch gehalten sind.

Beim Kauf von Gegenständen oder Grundstücken aus Bits und Bytes stößt die virtuelle Welt an die Grenzen der Realität, da die Umtauschmöglichkeit der Linden Dollar jeden Kauf auch zu einem Rechtsgeschäft in der wirklichen Welt macht. Hier will der Gesetzgeber mitreden. Zu beachten ist jedoch, dass bei einem Auto- oder Hauskauf in Second Life im juristischen Sinne kein Sachkauf, sondern ein Rechtskauf stattfindet. Denn natürlich erhält der Käufer bei dem Geschäft kein gegenständliches Produkt. Er besitzt lediglich das Recht, den virtuellen Gegenstand in Second Life zu nutzen.

Auch Firmen sollten sich der rechtlichen Relevanz ihrer Second-Life-Aktivitäten bewusst sein. Unternehmen nutzen die virtuelle Welt überwiegend als Werbeplattform. Dabei geht es primär darum, Präsenz zu zeigen und sich dadurch als dynamisch und "trendy" darzustellen, aber auch, um für wenig Geld in die Schlagzeilen zu gelangen.

Wer diesen Weg wählt, muss sich jedoch um die Einhaltung geltenden Rechts kümmern. Am T-Online-Strand etwa tummeln sich die Massen zum Tanzen, Sonnen und Chatten. Hier gibt es Sicherheitspersonal, das den Bereich überwacht und illegale Aktivitäten verhindern soll. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um einfache Nutzer, die einen entsprechenden Job innerhalb von Second Life angeboten bekommen haben. Es ist fraglich, ob dies ausreicht, um Haftungsrisiken auszuschließen.

Keineswegs lässt sich ausschließen, dass ein Unternehmen für rechtswidrige Handlungen auf seinem Grundstück zur Verantwortung gezogen wird. Bei Unterlassungsansprüchen wegen Urheberrechts- oder Markenverletzungen kommt es stets darauf an, ob das Unternehmen verpflichtet war, seinen Verantwortungsbereich zu prüfen und gegebenenfalls einzuschreiten. Dies ist spätestens nach konkreten Hinweisen auf Rechtsverletzungen der Fall.

Zurzeit tauchen fünf Typen von Rechtsverletzungen immer wieder auf:

1. Fälschungen von Identitäten

Viele Unternehmen sind mit ihrem Logo und ihren Produkten in Second Life vertreten, obwohl sie gar nichts davon wissen. So hat eine Studie der Agentur P4M kürzlich aufgedeckt, dass 59 Prozent der Marken auf Second Life Fälschungen sind. Betroffen sind etwa Adidas, Dell oder Nike, aber auch das KaDeWe, das original im Bereich "Preußen" abgebildet ist, aber nicht vom wirklichen KaDeWe betrieben wird.

Konkrete Hinweise auf diese Markenverletzungen werden durch Linden Lab offensichtlich ignoriert, obwohl der Betreiber stets beteuert, dass Gesetzesverstößen umgehend nachgegangen werde. Da Second Life auch für deutsche Nutzer zugänglich ist, besteht aber spätestens nach konkreten Hinweisen und ausbleibende Entfernung der Fälschungen innerhalb einer angemessenen Zeit eine Haftung von Linden. Allerdings ist es aufwändig, den Betreiber in Deutschland vor Gericht zu bringen. International aufgestellte Unternehmen sollten für solche Fälle eher Rechtsschutz innerhalb der USA anstreben.

2. Raubkopien und Übernahme fremder Leistungen

Ob Gebäude, Texte, Bilder oder Musik, all diese Dinge genießen den rechtlichen Schutz des Urheber- und Wettbewerbsrechts. Viele Nutzer von Second Life gehen darüber hinweg und bilden in der realen Welt existierende Gebäude, wie das Brandenburger Tor oder den Fernsehturm vom Berliner Alexanderplatz inklusive der berühmten Uhr im Second-Life-Bereich "Preußen" nach. Die Stadt Berlin teilte mit, sie sei nur "teilweise" involviert gewesen und der Senat habe an einem solchen Projekt überhaupt kein Interesse. Auch die ungefragte Übernahme von digitalen Abbildungen von Häusern, Shops und Produkten greift immer stärker um sich. Dies verletzt die Urheberrechte des ursprünglichen Erstellers.

3. Fehlende Rechtsbelehrung

Shops und Präsenzen von Unternehmen müssen auch in Second Life gemäß dem Telemediengesetz ihrer Impressumspflicht genügen. Bislang jedoch verfügt kaum eine Firmenniederlassung über ein solches Impressum. Dies ließe sich beispielsweise als Notecard versenden, sobald der Nutzer bei dem Shop beziehungsweise der virtuellen Lokation ankommt. Ferner könnte es an Eingängen aufgestellt werden. In jedem Fall ist es in der virtuellen Welt schwierig, den Anforderungen nachzukommen, das Impressum unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar zu machen, wie es § 5 Abs. 1 Telemediengesetz vorsieht.

Bei Shops, die Waren auch für die reale Welt anbieten, wie zum Beispiel Musik, müssen die Anbieter ihre Informationspflichten nach dem Bürgerlichem Gesetzbuch beachten und umsetzen. Das ist vorgeschrieben, soweit ein deutscher Avatar bei ihnen einkauft. Dazu gehört eine ausführliche Belehrung über ein Widerrufs- oder Rückgaberecht. Auch dies geschieht nur äußerst selten in dem immer größer werdenden virtuellen Paralleluniversum.

4. Mangelnder Schutz Minderjähriger

Linden Lab selbst schreibt vor, dass die Nutzer von Second Life mindestens 18 Jahre alt sein müssen. Ansonsten steht 13 bis 17-Jährigen nur ein speziell angepasstes "Teen Second Life" zur Verfügung. Eine wirksame Altersüberprüfung findet jedoch nicht statt. Werden innerhalb von Second Life Inhalte zugänglich gemacht, die nicht für Minderjährige geeignet sind, müssten nach Jugendmedienschutzstaatsvertrag angemessene technische Vorkehrungen getroffen werden, um diese vor dem Zugriff Minderjähriger zu schützen. Hier steht der Anbieter in der Pflicht, solange er seinen Dienst auch in Deutschland zugänglich macht.

5. Pornographie

In die negativen Schlagzeilen geraten ist Second Life in den vergangenen Monaten vor allem wegen der Verbreitung von Kinderpornographie. Zu Recht hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) darauf hingewiesen, dass Geschlechtsverkehr mit kindlichen Avataren als Kinderpornographie gilt und daher unter Strafe steht. Auch das Vertreiben von pornographischen Inhalten in Second Life erfüllt einen Straftatbestand, wenn der Käufer ein Minderjähriger ist. Inzwischen ermitteln bereits die Landeskriminalämter.

Rechtliche Grauzonen

Linden Lab kämpft jedoch auch an ganz anderen Fronten mit gewaltigen Rechtsproblemen. Der Betreiber kann jederzeit nach freiem Ermessen seinen Wechselkurs von Linden Dollar in US-Dollar festsetzen. Von einem Tag auf den anderen könnte es also zu einer Inflation kommen. Des Weiteren steht es dem Second-Life-Schöpfer jederzeit offen, die virtuelle Welt einfach zu schließen. Auch könnte das ganze System kollabieren und Linden Lab in die Insolvenz rutschen. Für die bereits gezahlten Dollars gibt es keine finanzielle Absicherung, wie es in Deutschland zum Beispiel im Versicherungswesen der Fall ist. Linden Lab ist somit eigentlich ein Fall für die Finanzaufsicht.

Eine Versicherung für den Handel innerhalb von Second Life gibt es ebenfalls noch nicht. Hier öffnet sich eine neue Marktlücke für Versicherungsunternehmen. Das damit verbundene Risiko ist allerdings erheblich.

Bessere Vollstreckung wichtiger als Gesetze

Wegen der Unsicherheit, welches Recht wann anzuwenden ist und vor allem, wie es wirksam vollstreckt werden kann, wird die Forderung nach einem Gesetz für Umgebungen wie Second Life immer lauter. So hat sich kürzlich Peter Fleissner, Wissenschaftler am International Center for Information Ethics (ICIE), für ein Gesetzeswerk stark gemacht, in dem vor allem die Grundrechte festgehalten und mehr Rechtssicherheit für globale virtuelle Welten geschaffen werden sollen. Ob dies tatsächlich in die Tat umgesetzt wird, ist zu bezweifeln. Der nationale Gesetzgeber kann jedenfalls nicht viel tun. Entsprechende Bestrebungen müssten international in Angriff genommen werden. Bevor jedoch ein eigenes Second Life-Gesetz geschaffen wird, sollten die Verantwortlichen daran arbeiten, die internationale Zusammenarbeit in Sachen Vollstreckung von Entscheidungen und Weitergabe von Daten zur internationalen Kriminalitätsbekämpfung zu verbessern. Dies wäre erheblich wirkungsvoller. (ba)

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