IT-Arbeitsmarkt

Attraktive IT-Jobs in der Automobilbranche

23.02.2012 von Peter Ilg
Spektakuläre IT-Innovationen schaffen Jobs für Informatiker im Automobilbau. Spezielle Autokenntnisse brauchen sie nicht, denn die Automobilbranche setzt auf Standards.
"Bevor das High-Tech-Auto auf die Straße kommt, sind eine Menge Vorarbeiten notwendig."
Foto: BMW

In den nächsten Wochen bringt BMW seine sechste Generation der 3er Baureihe auf den Markt. Mit diesem Fahrzeug machen die Münchner einen digitalen Quantensprung, denn das Auto ist ein fahrender Computer. Alle wichtigen Informationen werden in einem Head-Up-Display angezeigt. Dieses ist Teil von Connected-Drive, einem Portfolio innovativer Kombinationen von Fahrerassistenzsystemen und Mobilitätsdiensten.

Michael Würtenberger ist Leiter der Entwicklung von Connected-Drive für alle Modellreihen bei BMW in München. "Etwa 80 bis 90 Prozent der Software in unseren Autos entfallen auf Connected-Drive. Dabei setzen wir stark auf Open-Source in Form Linux-basierender Systeme", so der Münchner Manager. Entwickelt und umgesetzt werden die Anwendungen bei BMW selbst.

BMW beschäftigt immer mehr Informatiker

In der Konsequenz bedeutet das: BMW beschäftigt immer mehr Informatiker. Würtenberger hat 270 Mitarbeiter im Team, von denen etwa die Hälfte Informatiker oder Ingenieure und Naturwissenschaftler mit informationstechnischem Hintergrund sind. Die einen beschäftigen sich mit der Umfeldmodellierung, beispielsweise dem Parkassistenten. Andere sind spezialisiert auf Bildbearbeitung oder Audio- und Video-Streaming. Das alles sind Tätigkeiten, die angehende Informatiker im Studium lernen. "Die IT im Auto profitiert von anderen Informatikanwendungsgebieten und Technologien", erzählt Würtenberger. Deshalb ist er der Meinung, dass die meisten Informatikabsolventen auch Anwendungen fürs Auto entwickeln können. Automobiles Spezialwissen sei dafür nicht notwendig.

Neben der Elektromobilität war die Informationstechnologie im Auto das zweite Kernthema der IAA 2011. Im Mittelpunkt standen Fahrerassistenzsysteme wie etwa Verkehrszeichen-Erkennung, Bremsassistenten oder Müdigkeitswarner, die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander, etwa zur Stauwarnung sowie mit Verkehrsleitzentralen. Neue IT-Systeme im Auto sollen Verkehrssituationen erfassen, vor Gefahren warnen und notfalls eigenständig reagieren. Es geht darum, die Hände am Lenkrad und die Augen auf der Straße zu behalten, Head-Up-Displays sei Dank.

SimTD

... ist ein Forschungsprojekt, das die Car-to-X-Kommunikation und deren Anwendungen für eine sichere und intelligente Mobilität von morgen erforscht und erprobt. Im September 2008 gestartet, ist es auf eine Laufzeit von vier Jahren angelegt. An dem Projekt nehmen Unternehmen aus der Automobil- und Telekommunikationsbranche, die hessische Landesregierung, Universitäten und Forschungsinstitute teil. Gefördert wird es vom Bund. Weitere Informationen unter www.simtd.de

Informatik und Elektronik

"Unsere Unternehmen setzen auf Informatik und Elektronik aus drei Gründen: Sie können damit die Sicherheit der Fahrzeuge erhöhen, den Kraftstoffverbrauch weiter senken und zusätzlichen Komfort im Auto bieten", sagt Ulrich Eichhorn, technischer Geschäftsführer im Verband der Automobilindustrie, Berlin. Großes Potenzial für die Informatik sieht er auch in der Vernetzung des Autos mit seiner Umwelt. Mit dem Projekt ‚Sichere intelligente Mobilität, Testfeld Deutschland’, habe die deutsche Automobilindustrie eine erste Testphase gestartet. "Immer mehr Informatik im Auto bedingt, dass immer mehr Informatiker in der Automobilbranche gebraucht werden", so Eichhorns Gleichung.

Der Automobilzulieferer Continental, Hannover, beschäftigt weltweit über 10.000 Informatiker, Tendenz steigend, "weil der Integrationsaufwand der Softwarekomponenten eine Herausforderung ist, die man professionell angehen muss", teilt das Unternehmen auf Nachfrage mit.

Michael Nimser arbeitet bei Continental. Der 38-Jährige hat in Kiel Ingenieurinformatik studiert. "Das ist Informatik mit technischem Einschlag in Richtung Hardware." Gleich nach seinem Abschluss ging er 2004 zu Continental als Entwickler; heute arbeitet er in Berlin im Bereich Entwicklung Hybrid & Electric Vehicles. In dieser Geschäftseinheit entwickelt das Unternehmen Steuergeräte und Elektromotoren für Hybrid- und Elektroautos - inklusive der Software für die Batteriesteuergeräte. Kunden sind beispielsweise BMW und Daimler. "Wir betreiben hardwarenahe Programmierung von Embedded Systems, die kleine Prozessoren steuern und dessen Anwendungen in der Programmiersprache C geschrieben sind" berichtet Nimser. Speicherplatz dürfe aufgrund der geringen Controller-Größe nicht vergeudet werden, daher sei auf Effizienz zu achten. Mit solchen Kompromissen zu arbeiten unterscheide seinen Job von dem eines Entwicklers etwa im Server-Bereich, wo über ein Gigabyte nicht diskutiert würde.

Absolute Zuverlässigkeit

Michael Ehrmann, BMW: "Was wir schaffen, sieht man auf der Straße."
Foto: BMW

Michael Ehrmann, ebenfalls 38, studierte in Karlsruhe Informatik und hatte mit dem Anwendungsfall Auto im Studium nur am Rande was zu tun, nämlich in Vorlesungen über die bereits erwähnte hardwarenahe Programmierung. Nach dem Studium begann er bei BMW Car IT, einer hundertprozentigen Tochter des Münchner Automobilbauers, die sich mit Vorentwicklung, Serienunterstützung und neue IT-Konzepten im Auto beschäftigt. Seit 2005 ist er bei BMW selbst in der Serienentwicklung im Bereich Mensch-Maschine-Schnittstelle Teammitglied von Würtenberger. Ehrmann hat an der Software für das Bediensystem im neuen 3-er mitgearbeitet. Er war für die Basis-Frame-Work-Entwicklung von Telefon, Navigationssystem, Multimedia und anderen Anwendungen zuständig. Er hat die Möglichkeiten dafür geschaffen, dass die Anwendungen grafisch dargestellt werden: "Was man im Display sieht, ist teilweise von mir."

Sehen und gesehen werden, das unterscheidet seinen Job von dem eines Informatikers in dessen typischem Arbeitsbereich - etwa der Entwicklung von Datenbanken, Online-Diensten oder Server-Architekturen. "Was wir schaffen, sieht man auf der Straße", erklärt Ehrmann stolz. Ein weiterer Unterschied: An der Entwicklung eines Autos arbeiten mehrere tausend Leute Hand in Hand. "Daher sind wir Teil eines aufeinander aufbauenden und verzahnten Projekts, das absolute Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit erfordert."

Embedded Software im Auto

"Künftig wird in allen Autos die Software von der Hardware getrennt sein", weiß Dieter Nazareth, Leiter des Studiengangs Automobilinformatik an der Hochschule Landshut. Zu diesem Zweck wurde 2003 die Entwicklungspartnerschaft Autosar (Automobile offene Systemarchitektur) gegründet, an der Automobil-, Steuergeräte-, Controller- und Softwarehersteller teilnehmen. Deren Ziel ist es, den Austausch von Software auf unterschiedlichen Steuergeräten zu erleichtern, erreicht werden soll dies durch eine einheitliche Softwarearchitektur für Embedded Software im Automobil.

"Es wird auch weiterhin viele Steuergeräte in einem Auto geben, doch die haben alle ein Betriebssystem, standardisierte Basissoftware sowie Treiber, um die Funktionalität der Hardware unabhängig von der Software zu gewährleisten." Dadurch kann Software über mehrere Baureihen hinweg wiederverwendet werden. Im aktuellen 7er Modell von BMW zum Beispiel kam 2010 weltweit erstmals Autosar-standardisierte Software zum Einsatz. Jetzt steckt sie auch schon im neuen 3er.

Studium der Automobilinformatik in Landshut

Dieter Nazareth, Hochschule Landshut: "Wir wollen das Auto vernetzen."
Foto: Hochschule Landshut

An der Hochschule Landshut wird der weltweit einzigartige Studiengang Automobilinformatik angeboten. Mitte 2012 wird es die ersten Absolventen geben. Die Berufsaussichten der Studenten dieses Fachs beurteilt Studiengangsleiter Professor Dr. Dieter Nazareth als genial. Als Programmierer seien sie überqualifiziert.

CW: Herr Nazareth, gibt es noch Studenten im letzten Semester, die keinen Job haben?

NAZARETH: Ganz wenige und bei denen hapert es an den Noten. Mit einer vier im Durchschnitt finden die wenigsten auf Anhieb einen interessanten Job. Alle anderen haben geniale Berufsaussichten.

CW: Und dennoch ist auch der aktuelle Studiengang nur zur Hälfte ausgelastet?

NAZARETH: Was ganz bestimmt nicht an unserem Angebot liegt. Wie an allen Hochschulen haben auch wir in den technischen Fächern zu wenig zu Studenten. Doch für die Automobilinformatik bin ich zuversichtlich: Von Anfang an hatten wir immer um die 15 Erstsemester, fürs Wintersemester 2011/2012 haben sich fast doppelt so viele eingeschrieben und zum ersten Mal Frauen. Und dann gleich vier.

CW: Werden die Absolventen Spezialisten für die Informatik im Auto sein?

NAZARETH: Nein, sie sind in erster Linie vollwertige Informatiker. Und Informatiker brauchen ein Anwendungsgebiet, bei uns ist es das Automobil, anderswo Medizin, Wirtschaft oder Sport. Man kann sie auch als Bindestrichinformatiker bezeichnen. Neben der Informatik lernen sie die Grundlagen ihres Anwendungsfalles kennen: wie funktioniert ein Motor, was muss ein Fahrwerk können? Mit diesem Wissen können sie Software für eine dieser Anwendungen schreiben. Und ganz wichtig: unsere Studenten beschäftigen sich nur mit Software, die sich im Fahrzeug befindet.

CW: Zum Beispiel?

NAZARETH: Das betrifft alle Steuerungen etwa für Motor, Fahrwerk, Getriebe, ABS, ESP und aktuell Fahrerassistenzsysteme. Bislang beschäftigen sich häufig Ingenieure etwa der Elektro- und Nachrichtentechnik mit diesen Dingen.

CW: Und was kommt in Zukunft?

NAZARETH: Immer mehr Informatiker zum Zug. Denn, wir wollen das Auto vernetzen, es soll Bestandteil eines übergeordneten Netzwerkes werden und gerade das ist definitiv ein Thema für Informatiker. Dass wir das Auto nicht mehr als black-box ansehen, ist einer der Trends im Automobilbau. Car-to-Car- und Car-to-Infrastructure-Communication sind Anwendungen dafür. Dass man vom Fahrzeug ins Internet kommt, das gibt es schon. Neu und interessant ist, vom Internet ins Fahrzeug zu kommen. Dafür braucht es eine Schnittstelle zum Internet. Auf die Straße gebracht bedeutet das: ein Auto steht vor der roten Ampel. Schaltet sie auf Grün, wird der Motor gestartet und der Gang eingelegt. Das ist komfortabel und sicher zugleich.

CW: Wer werden typische Arbeitgeber, was typische Aufgaben der Absolventen sein?

NAZARETH: Die Automobilhersteller müssen sich erst entscheiden, ob die Informatik zu ihren Kernkompetenzen zählen wird oder nicht. Hinzu kommt, dass sie bei Einstellungen stark schwanken und in unsicheren Zeiten mit Leiharbeitern agieren. Daher vermute ich, dass mittelständische und große Zulieferer die meisten unserer Absolventen einstellen werden. Die Funktionalität von Anwendungen auf einem abstrakten Level zu spezifizieren und das Gesamtdesign zu entwerfen werden typische Aufgaben sein. Weniger das Programmieren, dafür sind sie fast schon überqualifiziert.

Berufsbilder im Wandel: