Winfried Holz, CEO Atos Deutschland

"Atos schafft Aufbruchstimmung"

20.07.2011
Am 1. Juli wurde die Integration von SIS in Atos Origin abgeschlossen. Mit Winfried Holz, CEO von Atos Deutschland, sprach CW-Redakteur Joachim Hackmann.
Winfried Holz, CEO von Atos Deutschland, kennt Siemens genau: Er war dort ingesamt 25 Jahre beschäftigt.
Foto: Atos

CW: Atos Origin startet nach der Übernahme von Siemens IT Solutions and Services (SIS) unter dem neuen Namen Atos und hat auch den Marktauftritt überarbeitet. Warum war das erforderlich?

Holz: Bei Atos Origin gab es schon vor der SIS-Übernahme Überlegungen, den Marktauftritt zu überarbeiten. Der Origin-Zusatz geht noch auf ein Abkommen mit Philips zurück, doch mittlerweile ist Philips ein Kunde von vielen. Den Siemens-Namen wollten und konnten wir nicht übernehmen. Der neue Schriftzug ist eine Referenz an die zwei Vorgänger-Organisationen und soll darstellen: "A to S", also Atos Origin to Siemens. Wir sind ein neues Unternehmen und wollen Aufbruchstimmung erzeugen.

CW: Warum wollten Sie den Siemens-Schriftzug nicht im Firmennamen? SIS hat immer Wert darauf gelegt, eine Siemens-Tochter zu sein und hat gehofft, mit dem klingenden und vertrauenswürdigen Konzernnamen Türen bei Kunden öffnen zu können.

Holz: Siemens ist nach wie vor großer Anteilseigner von Atos, mit einer Beteiligung von 15 Prozent, und es gibt eine enge strategische Partnerschaft. Wir wollen uns als eigenständiger Anbieter behaupten und unseren Kunden auf Augenhöhe gegenübertreten, auch gegenüber Siemens. Wir wollen weg von der kaptiven Vergangenheit der SIS. In einer solchen Beziehung kann man nur verlieren.

CW. Wie meinen Sie das?

Holz: Aus meiner Zeit bei Siemens kann ich sagen: Es ist SIS nie gelungen, sich als Partner auf Augenhöhe gegenüber den Fachbereichen zu etablieren. Diese Chance bekommen wir nun, denn Siemens hat ein klares Bekenntnis zugunsten von Atos ausgesprochen. Der Konzern und die Fachbereiche brauchen einen IT-Enabler. Wir streben es an, diese Rolle auszufüllen, dann haben wir ein ganz wichtiges Differenzierungspotenzial. Gerade die Kooperationen in der Forschung und Entwicklung sowie in Projekten zum Beispiel für die Elektromobilität verschaffen uns einen Vorteil gegenüber dem Wettbewerb.

Die SIS-Geschichte
SIS in Kürze
Hier finden Sie einen kurzen Abriss über die Geschichte von Siemens IT-Services and Solutions (SIS) von 1995 bis 2010.
Januar 1995:
Der SIS-Vorgänger Siemens Business Services (SBS) wird als Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI) unter Leitung von Friedrich Fröschl gegründet.
Dezember 1998:
Fröschl erwägt einen Börsengang in den USA, um potenzielle Übernahmen zu finanzieren. Er strebt eine weltweit führende Position an. Ein Auftrag in Großbritannien untermauert den Anspruch. Die britischen Sparkassen lagern für eine Milliarde Pfund an SBS aus.
November 2001:
Der gewonnene Deal erweist sich als faul. Er reißt SBS tief in die Verlustzone. Das Siemens-Management zweifelt an der SBS-Entwicklung. Fröschl muss gehen. Nachfolger wird Paul Stodden, der zuvor bereits Fujitsu-Siemens Computers saniert hatte.
Dezember 2001:
Stodden führt SBS wieder in die Gewinnzone, indem er die hohen Ansprüche zurechtstutzt, erste Märkte räumt und ein straffes Kosten-Management verfolgt. Die Marge liegt unter zwei Prozent. Das Siemens-Management fordert mindestens fünf Prozent bis zum Jahr 2004.
August 2003:
Der Umsatz schrumpft, die Marge entwickelt sich nicht wie erhofft. Stodden erwägt Entlassungen, sollte sich die schwierige Marktsituation nicht bessern.
Juni 2004:
Stodden geht. Adrian van Hammerstein, zuvor CEO von Fujitsu-Siemens Computers, kommt.
März 2005:
SBS will bis Ende des Geschäftsjahres 1000 Stellen streichen. Das Management verpflichtet alle Geschäftsbereiche, IT-Services von SBS zu beziehen.
April 2005:
Der neue Siemens-CEO Klaus Kleinfeld verpflichtet SBS auf eine Marge von über fünf Prozent in genau zwei Jahren.
September 2005:
Von Hammerstein geht, Christoph Kollatz kommt.
Oktober 2005:
SBS kündigt an, innerhalb von zwei Jahren 1,5 Milliarden Euro zu sparen und 5400 Stellen zu streichen.
Oktober 2010:
Unter Oeckings Leitung wird SIS als GmbH ausgegründet.
Dezember 2010:
Siemens verkauft SIS an Atos Origin . Damit schließt der Münchner Konzern endgültig das Kapitel der Kommunikations- und IT-Lösungen aus dem eigenen Haus.
Juli 2011
Am 1. Juli 2011 wurde die Übernahme der SIS durch Atos Origin offiziell abgeschlossen. Das dadurch entstandene Unternehmen firmiert unter dem Namen Atos. Es rückt im europäischen Ranking der größten IT-Service-Provider auf Rang zwei hinter IBM vor.

Siemens will den Atos-Erfolg

CW: Wieso sollte sich das Binnenverhältnis zwischen der ehemaligen SIS und Siemens nun ändern, zumal die Ansprechpartner auf beiden Seiten weitgehend die gleichen wie vorher sind?

Holz: Das ist kein Selbstläufer, das ist klar, aber wir bekommen eine neue Chance. Die SIS war "der Prophet im eigenen Lande" und das hat verhindert, dass SIS von den Siemens-Mitarbeitern als gleichwertiger Partner akzeptiert wurde.

Atos wird sich durch Qualität gegenüber der Siemens AG und den Unternehmensbereichen behaupten. Zudem laufen die ersten Kooperationen bereits, insgesamt wurden schon zehn Forschungs- und Entwicklungsprojekte angestoßen, darunter das Vorhaben im Bereich Elektroauto. Hier müssen wir uns gegenüber der Konkurrenz durchsetzen.

CW: Sie müssen sich vor allem gegenüber der internen IT-Kompetenz bei Siemens behaupten. Alle Unternehmensbereiche haben doch eigene IT-Experten, die zudem viel vertrauter mit den speziellen Herausforderungen der Siemens-Kunden sind.

Holz: Dennoch benötigen diese Experten auch Fachleute, die die IT-Integration genau kennen. Hier ergeben sich Synergien.

CW: Sind die Projekte vertraglich vereinbart oder hegen Sie einfach nur die Hoffnung auf weitere Projekte mit Siemens?

Holz: So etwas lässt sich nicht vertraglich fixieren. Das wäre auch der falsche Weg. Wir können uns nur durch Leistungsfähigkeit empfehlen. Vereinbart wurde ein Investment-Fond in Höhe von 100 Millionen Euro, den beide Partner gemeinsam aufgelegt haben. Aus diesem Topf werden Projekte etwa für Elektromobile von einem gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungs-Komitee gesteuert und vereinbart.

Schauen Sie sich Vorhaben wie Green-City von Siemens an. In diesen Projekten ist IT eine Kernkompetenz. Siemens AG braucht IT-Know-how und hat Interesse am Atos-Erfolg: Zum einen, weil wir die SIS übernommen haben, zum anderen, weil der Konzern mit 15 Prozent an Atos beteiligt ist.

Klare Zuständigkeiten vermeiden Grabenkämpfe

CW: Sie müssen in Deutschland mehr als 8000 ehemalige SIS-Mitarbeiter und rund 2500 Atos-Origin-Kollegen unter einem Dach vereinen und haben zudem Stellenabbau angekündigt. Gibt es schon Entscheidungen?

Holz: Wir werden weltweit 1750 Stellen streichen, davon rund 650 in Deutschland. Betroffen ist nur der indirekte Bereich in der Administration. Die Gespräche laufen, nähere Details möchten wir derzeit nicht nennen.

CW: Wo ist denn künftig die Zentrale von Atos in Deutschland?

Holz: Wir werden das Unternehmen künftig von München aus führen. Das Management-Team wird landesweit verteilt arbeiten und Essen vorerst Sitz der ehemaligen Atos Origin GmbH bleiben.

CW: Schaut man auf das weltweite Atos-Organigram, fällt auf, dass die ehemalige SIS dort wenig Spuren hinterlassen hat. Nahezu alle Schlüsselpositionen wurden von Atos-Origin-Managern besetzt. Wie wurden die Top-Jobs in Deutschland verteilt?

Holz: Hier ist es ausgewogener, allerdings muss man auch klar sagen, dass die SIS in Deutschland viel bedeutender war als in vielen anderen Ländern. Wir hatten einen sehr transparenten und fairen Nominierungsprozess, in dem wir ganz bewusst gemeinsam zunächst die Positionen der dritten und danach der zweiten Führungsebene zu einem Zeitpunkt besetzt haben, als die oberste Management-Positionen hier noch offen waren.

So konnten wir sicherstellen, die jeweils besten Leute von SIS und Atos Origin zu benennen. Wichtig war uns eine klare Zuteilung der Verantwortung vor dem Start des Unternehmens. Warnendes Beispiel für mich war die Nixdorf-Übernahme durch Siemens, als man die Unternehmen zunächst zusammengebracht hat, und dann das Management untereinander die Grabenkämpfe ausfechten ließ.

Ich leite künftig das Deutschland-Geschäft. Auf der nächsten Ebene gibt es aber viele SIS-Kollegen. Außerdem zähle ich mich fast noch zu den "Siemensianern".

CW: Sie haben die Vorgängerorganisation von SIS 2006 verlassen.

Holz: Ich war fünf Jahre weg. Das war auch gut so, ich habe viel lernen können und andere Unternehmen und Kulturen erleben können. Zuvor war ich fast 25 Jahre bei Siemens, davon fünf Jahre bei SBS.

Wettbewerb zu IBM und T-Systems

CW: Was ändert sich für SIS-Mitarbeiter unter dem Atos-Dach?

Holz: Für die SIS-Mitarbeiter ist die Zeit der Unsicherheit vorbei. Wir bieten ihnen eine langfristige Perspektive in einem Unternehmen, das IT als Kerngeschäft betreibt. Ich bin überzeugt, das wirkt motivierend und führt uns gemeinsam zum Erfolg.

Für die Atos-Origin-Mitarbeiter ist die Integration eine tolle Erfahrung. Wir waren in Deutschland immer gut positioniert, haben aber beispielsweise mit der Arcandor-Insolvenz einen schweren Rückschlag erlebt. Für die Atos-Orgin-Mitarbeiter ist es ein neues Gefühl, bei einem Top-Anbieter in Deutschland zu arbeiten. Bezogen auf die Zahlen und Präsenz gehören wir zu den Top-drei-Anbietern in Deutschland. Wir haben die Ambition einer qualitativen Marktführerschaft.

CW: Wo stehen Sie im Vergleich zu den große Wettbewerbern T-Systems und IBM?

Holz: Ich möchte gerne Teile der Kultur von Atos Origin bewahren. Damit hat sich unser Unternehmen wohltuend abgehoben von den beiden genannten. Wichtig ist, dass wir uns nicht von Bürokratie dominieren lassen. Unser Ziel ist es, das Beste von beiden Kulturen zusammenzuführen.

Im Vergleich zum deutschen Wettbewerber müssen wir es schaffen, ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen zu sein, das sich frei von jeglicher finanziellen Hilfe im Markt bewährt. Auch für den ehemaligen SIS-Bereich unter dem Atos-Dach gibt es keinen Konzern im Hintergrund mehr, der quersubventioniert.

Das war vielleicht eines der größten Probleme der SIS. Als 2009 der Deal mit Arcandor wegbrach, bestand die Gefahr, dass das ganze Unternehmen vom deutschen Markt verschwindet. Das war allen Mitarbeitern klar. Mit einer solchen Erfahrung und mit einem solchen Druck entsteht eine andere Unternehmenskultur. Das Engagement jedes einzelnen Kollegen trägt dazu bei, den eigenen Arbeitsplatz zu sichern.

Diese Erfahrung ist ein Hauptunterschied zum deutschen Wettbewerber. Gegenüber unserem amerikanischen Konkurrenten werden wir die europäische Karte spielen und uns flexibel und auf Augenhöhe gegenüber den Kunden präsentieren. Das Geschäft in Deutschland ist für die gesamte Gruppe enorm wichtig, es steuert rund 20 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Der Konzern schaut auf uns.

Weitere Übernahmen sind denkbar

CW: Was verändert sich für die andere Kunden von Atos Origin und SIS?

Holz: Wir haben unsere Kundenstämme welt- und deutschlandweit analysiert. Unter den 250 größten Kunden gibt es nur rund zehn Unternehmen mit überlappendem Geschäft. Die Aktivitäten ergänzen sich also sehr gut. Wir können unseren Kunden nun Portfolio-Elemente der einen und anderen Seite anbieten.

CW: Aber die Beziehung zu Siemens wird für Atos Deutschland der Schlüssel zum hiesigen Erfolg sein?

Holz: Ganz bestimmt, ich werde persönlich darauf achten. Entscheidend ist, dass wir unsere Hausaufgaben machen. Wir können uns nicht darauf verlassen, das Siemens hilft. Wir müssen aus einer Position der Stärke und auf Augenhöhe für unsere Rolle als strategischer Partner von Siemens werben. Nach ersten Gesprächen bin ich guter Dinge.

Fairerweise muss ich sagen, dass die lokalen Siemens-Einheiten es der SIS in der Vergangenheit nicht immer leicht gemacht haben. Ich bin mir nicht sicher, ob der Siemens-Vertrieb die SIS voll unterstützt hat. Atos geben sie nun eine neue Chance, weil sich das Unternehmen zuvor auch im freien Markt mit Projekten und Know-how bewährt hat.

CW: Die geografische Ausrichtung von Atos konzentriert sich auf Europa. Weder SIS noch Atos haben zuvor mit globaler Präsenz geglänzt. Wie wollen Sie auf die fortschreitende Globalisierung reagieren?

Holz: Das Einbinden von Offshore-Kapazitäten hat bei Atos Origin schon ganz gut funktioniert. Wir haben den Offshore-Anteil zuletzt deutlich verbessern können und damit auch die Profitabilität erhöht. In dieser Hinsicht gibt es bei der SIS noch Nachholbedarf.

Wir sind verglichen zu unseren deutschen Wettbewerbern in Europa homogener verteilt. In den anderen Märkten haben wir eine ausreichende Präsenz, so dass wir unsere Kunden globale Lieferfähigkeit zusichern können. Außerdem sind wir noch nicht am Ende. Auch nach der Übernahme sind ausreichend liquiden Mittel vorhanden, so dass wir weiter handlungsfähig sind.

CW: Sie meinen, es sind weitere Übernahmen denkbar.

Holz: Ja.

Europäisches Schwergewicht Atos

Foto: Atos

Seit dem 1. Juli 2011 ist Siemens IT Solutions and Services (SIS) offiziell und vollständig in Atos Origin integriert. Als Zeichen des Neuanfangs gab sich das verschmolzene Unternehmen einen neuen Namen: Künftig wird es unter der Bezeichnung Atos firmieren. Der Dienstleister beschäftigt nun annähernd 79.000 Mitarbeiter in 42 Ländern und erzielt einen Pro-forma-Umsatz von 8,7 Milliarden Euro. Im europäischen Ranking der größten IT-Service-Provider rückt Atos damit auf Rang zwei hinter IBM vor. In der weltweiten Liste belegt Atos den siebten Platz.

Mit dem Zusammenschluss eines französischen und eines deutschen Schwergewichts ist ein bedeutender Anbieter in Zentraleuropa entstanden. Sehr gut aufgestellt ist Atos zudem in Großbritannien sowie in der Region Benelux und den skandinavischen Ländern. Große Lücken zeigen sich jedoch in den USA und in Asien.

Intern richtet sich Atos entlang einer Matrixorganisation aus. Sie enthält fünf vertikale Segmente, die alle relevanten Branchen abdecken. Vier horizontale Säulen stellen Leistungen für die Beratung, Systemintegration sowie für Betriebsdienste und Transaktionsservices bereit. Darüber hinaus gibt es elf regionale Geschäftseinheiten, etwa für den französischen und den deutschen Markt. Letztere wird von Winfried Holz geleitet. Er war bislang Chef von Atos Origin Deutschland. Zuvor war er 25 Jahre bei Siemens beschäftigt, fünf davon bei der SIS-Vorgängerorganisation SBS.