Burnout vermeiden

Arbeit - Lust oder Frust?

23.12.2013 von Ingrid  Weidner
Viele fühlen sich von den steigenden Anforderungen im Job gestresst. Doch es gibt Wege, die Arbeit zu genießen.

Weihnachten könnte eine willkommene Auszeit vom Arbeitstrott sein, doch in einer aktuellen Studie der Techniker Krankenkasse (TK) gaben 30 Prozent der Befragten an, dass sie die Zeit vor den Feiertagen stresst. Jedem Zehnten treibt bereits der bloße Gedanke an die anstehenden Weihnachtsvorbereitungen den Angstschweiß auf die Stirn.

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Am Arbeitsplatz ist die Situation keineswegs besser: Zu oft erweist sich die viel beschworene Work-Life-Balance als Märchen. Firmen schreiben zwar gerne in ihre Hochglanzbroschüren, dass Arbeit und Freizeit im Gleichgewicht sind und sich Familie und Karriere mühelos verbinden lassen, doch gleichzeitig drücken sie ihren Angestellten ein Smartphone in die Hand, damit sie auch am Wochenende "nur für Notfälle" erreichbar sind. Ganz nebenbei senken die Firmenlenker ihre Kosten, indem sie die Aufgaben von fünf Mitarbeitern auf die Schultern von zweien packen.

Gefühlter Stress nimmt zu

Diese Widersprüche hinterlassen Spuren. Wie die TK-Studie zeigt, nahm das subjektiv empfundene Stress-Niveau zu. Zwei von drei Befragten gaben an, dass ihr Leben heute stressiger sei als vor 15 oder 20 Jahren. Ein zu großes Arbeitspensum ist der am häufigsten genannte Belastungsfaktor am Arbeitsplatz, gefolgt von Termindruck und Hetze. Außerdem fühlen sich mehr als sechs von zehn Berufstätigen von den ständigen Unterbrechungen gestört, und vier von zehn beklagen sich über die Informationsflut in Form von Anweisungen oder E-Mails. Etwa 20 Prozent stören die ständige Erreichbarkeit sowie zu wenig Handlungsspielraum.

Ulrich Renz seziert in seinem Buch "Die Tyrannei der Arbeit" genau dieses Phänomen. Während unsere Väter noch mit Thermoskanne und Stullen zur Arbeit gingen und abends wirklich Feierabend machten, verwischen heute die Grenzen. In vielen Branchen ist es üblich, das Feierabendbier mit den Kollegen zu trinken und ansonsten immer erreichbar zu sein. Auch der Segen der technischen Gadgets, die das Leben erleichtern, verwandelt sich manchmal in einen Fluch, nämlich dann, wenn die Eigentümer nicht den Aus-Schalter finden, "mit dem die Geräte erstaunlicherweise immer noch serienmäßig ausgestattet sind", wie der Autor ironisch anmerkt. Renz predigt keineswegs das Nichtstun, doch er liefert genug Material, die modernen Arbeits- und Karriere-Mechanismen zu überdenken.

Bleibt von der vielzitierten Work-Life-Balance nur heiße Luft übrig? Oder ist es sowieso Unfug, zwischen Arbeit und Leben zu trennen, wie Thomas Vašek, Chefredakteur des Philosophie-Magazins "Hohe Luft" in seinem Buch "Work-Life-Bullshit. Warum die Trennung von Arbeit und Leben in die Irre führt" behauptet? "Wir brauchen Arbeit für ein gutes Leben" lautet die schlichte und gleichzeitig überzeugende These des Autors.

Bücher zum Thema Arbeit

Thomas Vašek: Work-Life-Bullshit. Warum die Trennung von Arbeit und Leben in die Irre führt. Riemann Verlag, München 2013, 288 Seiten, 16,99 Euro. Auch als E-Book verfügbar.

Ulrich Renz: Die Tyrannei der Arbeit. Wie wir die Herrschaft über unser Leben zurückgewinnen. Ludwig Verlag, München 2013, 271 Seiten, 17,99 Euro.

Frauen sind glücklicher als Männer

"Arbeit gibt dem Leben einen Rahmen, eine Struktur, die Verbindlichkeiten erzeugt und unser Handeln Regeln unterwirft", schreibt Vašek, und wer nicht arbeitet, verpasst die Chance, seine Fähigkeiten zu nutzen und sich weiterzuentwickeln. Ganz vehement widerspricht er der Dualität von Arbeit und Freizeit, die er als "Work-Life-Bullshit" angreift. Wer Arbeit nur als "dumpfe Notwendigkeit und Entfremdung" definiert und dem das "lichte Reich der Freiheit" gegenüberstellt, in dem Selbstverwirklichung möglich sei, der hat nichts kapiert, behauptet der Autor. Oder diese Leute haben einfach den falschen Job, ließe sich ergänzen, denn nicht jeder Call-Center-Mitarbeiter, der am Helpdesk die Kollegen unterstützen soll, geht voll und ganz darin auf, manchen Nutzern täglich mehrmals zu erklären, dass sie ihren Computer keineswegs ruiniert, sondern nur versehentlich ausgeschaltet haben.

Thomas Vašek, Buchautor: " Wir brauchen Arbeit für ein gutes Leben."
Foto: Thomas Vašek

Doch viele Arbeitnehmer hierzulande würden wohl dem Argument zustimmen, dass zu einem guten Leben auch gute Arbeit gehört. Gute Arbeit bedeutet für Vašek beispielsweise Sinn im eigenen Tun zu sehen, Spaß an der Arbeit zu haben, eine gerechte Entlohnung, weder Unter- noch Überforderung. Doch trotz aller Unzufriedenheit und allem Jammern über den Job bestätigt die TK-Stressstudie diese Annahme, denn 71 Prozent der Befragten sagten, dass ihnen ihre Arbeit Spaß macht und sie sie als wichtigen Teil ihres Lebens betrachten. Frauen sind tendenziell (78 Prozent) glücklicher mit ihrem Job als Männer (66 Prozent), und 80 Prozent der Bundesbürger in Ostdeutschland macht ihre Arbeit Freude.

Jutta Rump, Hochschule Ludwigshafen: "Die junge Generation lebt einen digitalen Lebensstil und ist von E-Mail-Verboten nach Dienstschluss irritiert."
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Braucht es also mehr liberale Chefs und Firmenlenker, die ihren Angestellten vertrauen, die Arbeitslast reduzieren, und alles wird gut? Mehr Flexibilität und Rücksichtnahme fordert auch Jutta Rump. Seit vielen Jahren beschäftigt sich die Professorin, die an der Hochschule Ludwigshafen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Internationales Personal-Magement und Organisationsentwicklung lehrt, mit Zukunftsfragen der Arbeit. "Der Begriff Work-Life-Balance hat sich verändert durch die lange Lebensarbeitszeit, hohe Flexibilität und die Generation der heute 25- bis 35-Jährigen" meint Rump und ergänzt: "Die Abgrenzung und Trennung Arbeit versus Freizeit ist für die über 50-Jährigen wichtig, doch für die Jüngeren zählen Aspekte wie die Freude an der Arbeit, Sinnhaftigkeit und Freiräume mehr als feste Arbeitszeiten und ein freies Wochenende."

Mail-Server abschalten bringt nichts

Deshalb laufen Aktionen, wie sie einige Konzerne zur Entlastung ihrer Angestellten anbieten, etwa den Mail-Server nach Dienstschluss abzuschalten, ins Leere. "Diese Generation lebt einen digitalen Lebensstil und ist von solchen Aktionen irritiert. Außerdem finden sie Wege, die solche Restriktionen umgehen", argumentiert Rump.

Besonders Führungskräften verlangen laut Rump diese unterschiedlichen Erwartungen der Belegschaft einiges ab. Manche (ältere) Mitarbeiter fühlen sich gestresst, wenn sie auch am Wochenende einen Blick in ihren Posteingang werfen sollen, (viele) Jüngere tun das ganz selbstverständlich. Mehr Eigenverantwortung, selbständiges Arbeiten und flexiblere Arbeitszeiten, wie es sich jüngere Mitarbeiter wünschen, kämen auch den älteren Beschäftigten zugute. Moderne und wettbewerbsfähige Unternehmen müssten sich diesen Aufgaben stellen, denn Balance bedeutet für viele Angestellte, dass sie freier über ihr Arbeits- und Privatleben entscheiden können, da die strikte Trennung aufgelöst sei. (hk)

Es ist souverän, nicht immer erreichbar zu sein

Im Frühjahr eröffnete der ehemalige Benediktinermönch Anselm Bilgri gemeinsam mit Nikolaus Birkl und Georg Reider die "Akademie der Muße". Achtsamkeit und Entschleunigung lernen die Teilnehmer in den Kursen und Vorträgen. Ingrid Weidner fragte Anselm Bilgri, ob Manager auch mal faulenzen sollten.

CW: Wie hat sich die "Akademie der Muße" inzwischen etabliert, und wer bucht Seminare bei Ihnen?

Anselm Bilgri, Ex-Benediktinermönch, Berater: "Ich empfehle, jeden Tag eine halbe Stunde nichts zu tun."
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BILGRI: Es hat sich gut und vor allem ganz anders entwickelt als wir dachten, denn es kommen Firmen auf uns zu, die sich auf ihr Unternehmen zugeschnittene Seminare wünschen. Wir haben auch schon für den Vorstand eines Unternehmens ein zweitägiges Einzeltraining konzipiert. Auch da ging es darum, Ruhephasen einzuplanen, Muße zu erlernen und sich nicht immer hetzen zu lassen.

CW: Was sind die häufigsten Fragen, mit denen die Teilnehmer zu Ihnen kommen?

BILGRI: Die meisten wünschen sich eine Entschleunigung ihres Arbeitsalltags und klagen über eine enorme Arbeitsverdichtung, denn sie müssen mehr in kürzerer Zeit schaffen, und das stresst viele. Wenn Unternehmen sagen, das Wertvollste sind ihre Mitarbeiter, dann sollten sie genau hinschauen, ob sie sie nicht ständig überfordern.

CW: Für Manager gehört "Gestresstsein" zum Standard-Repertoire, Sie aber sagen ihnen, dass sie das "Faulenzen lernen müssen". Weshalb?

BILGRI: Faulenzen passt nicht zu unserem hohen Arbeitsethos, wir müssen immer beschäftigt sein, das Handy klingelt ständig, und viele ziehen daraus ihr Selbstwertgefühl. Dagegen ist es souverän, nicht immer erreichbar zu sein oder seine E-Mails nur konzentriert in ein oder zwei Stunden am Tag zu beantworten. Wenn Führungskräfte Ruhe ausstrahlen und ihnen die Balance gelingt, nehmen sie die Mitarbeiter ganz anders wahr.

CW: Was raten Sie Hyperaktiven, denen Gelassenheit schwerfällt?

BILGRI: Ich empfehle, jeden Tag eine halbe Stunde nichts zu tun. In dieser Zeit sollten auch keine Pläne geschmiedet oder der Schreibtisch aufgeräumt werden. In den Seminaren üben wir dreimal pro Tag halbstündige Zen-Meditationen ein, also einfach nur still sitzen und an nichts denken. Das ist zwar anfangs ungewohnt, doch nach drei Tagen klappt es. Schön wäre es, wenn sich die Teilnehmer später in ihrem Arbeitsalltag wieder daran erinnern und solche Pausen einbauen.

CW: Was halten Sie von dem Modebegriff Work-Life-Balance?

BILGRI: Seine Balance finden ist wichtig für ein erfülltes Arbeitsleben, und Pausen gehören unbedingt dazu. Ob es Work-Life-Balance oder lateinisch ora et labora, also bete und arbeite, heißt, ist dabei egal. Anspannung und Entspannung sollten im Gleichgewicht sein, denn nur wenn beides ausgewogen ist, macht die Arbeit Freude.

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