Application Development and Maintenance

Anwendungen effizienter entwickeln

04.04.2012 von Frank Bastian und Benjamin Kunst
Die Anwendungsentwicklung reibt sich zwischen Kundenwunsch und Kostendruck auf. Wege aus dem Dilemma führen in Richtung Softwarefabrik.
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Wer in den Unternehmen heute die Anwendungsentwicklung und Anwendungswartung verantwortet, hat keinen leichten Job. Manager für das Application Development and Maintenance (ADM) müssen innovative Lösungen für immer mehr kritische Anwendungen in immer kürzerer Zeit industriell bereitstellen. Dabei erweist es sich zunehmend als schwierig, die Schere zwischen den speziellen Anforderungen der Fachbereiche und dem andauernden Optimierungsdruck zu schließen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Organisationen den Anspruch eines effizienten und ganzheitlichen Applikationsportfolio-Managements verfolgen.

Vor diesem Hintergrund sollten sich die Verantwortlichen häufiger den Methoden und Instrumenten öffnen, die zum Beispiel professionelle ADM-Dienstleister nutzen und anbieten. Dabei sind vor allem CIOs gefragt, denn immer noch herrschen alt hergebrachten Mustern in den Abläufen einer ADM-Organisationen vor. Die Erfahrung aus entsprechenden Projekte lehrt, dass sich ein konsequenter Umbau und eine zielgenaue Ausrichtung auf ein umfassendes Applikationsportfolio-Management lohnt und für die Zukunft unabdingbar ist.

Erfahrung aus aktuellen Untersuchungen

Nach wie vor verursachen ADM-Organisationen einen signifikanten Anteil an den gesamten IT-Kosten. Oft liegt er deutlich über 50 Prozent, trotzdem kommen oftmals weniger als 15 Prozent als Neuerungen beim Business an. Die Kosten- und Nutzen-Relationen liegen im Dunkeln. Obwohl diese Herausforderungen nicht wirklich neu sind und analytische wie auch organisatorische Methoden und Verfahren zumindest in aller Munde sind, stagniert die Entwicklung von ADM-Organisationen seit Jahren.

Das Ergebnis sind Ressourcenengpässe, mangelnde Flexibilität und eine zu geringe Geschäftsprozessunterstützung. Große Unternehmen betreiben oft 1.000 und mehr Applikationen mit komplexen Schnittstellen basierend auf einem bunten Mix aus Plattformen und Entwicklungswerkzeugen. Alleine dieser unterschiedliche Mix birgt Optimierungspotenziale von bis zu 15 Prozent.

Keine Standards, wenig Flexibilität

CIOs und Leiter von ADM-Organisationen kämpfen bei der Lösung der Problemstellungen mit verschiedenen Herausforderungen.

Fehlende Standardisierung: Tatsache ist, dass die Fachbereiche als Anforderungsteller, Sponsoren und prinzipielle Geldgeber am längeren Hebel sitzen. Sie diktieren oftmals unabhängig von anderen Abteilungen eines Unternehmens ihre Anforderungen. Eine zentrale inhaltliche Konsolidierung dieser Wünsche findet in der Regel nicht statt. Diese Fachbereiche dazu zu bewegen einige liebgewonnene individuelle Domänen zu Gunsten einer konsequenten Standardisierung sowie Vereinfachung aufzugeben und konsequenter als bisher die Kosten-Nutzen-Relation aufzuzeigen und nachzuhalten, fällt CIOs häufig schwer.

Althergebrachte Strukturen: Die meisten Unternehmen definieren die eigene Anwendungsentwicklung und -wartung immer noch - dem allgemeinen Stand des Ausbildung entsprechend - ganzheitlich. Sie erwarten von ihren meist hochqualifizierten Entwicklern, dass sie sämtliche Entwicklungsphasen und -aktivitäten abdecken können, von dem Anforderungs-Management und der Analyse, dem Design und der Konzeption über die eigentliche Implementierung und dem Testen bis hin zur Dokumentation und dem Projekt-Management.

Veränderungen an den Strukturen gestalten sich vor diesem Hintergrund und der hohen Personalabhängigkeit der Abläufe sehr langwierig und aufwändig. 75 bis 85 Prozent der Gesamtkosten in der Anwendungsentwicklung entfallen typischerweise auf die Mitarbeiter. Anpassungen sind dringend erforderlich: Weil die Firmen große Schwierigkeiten haben, jüngere, qualifizierte Mitarbeiter einzustellen, werden sie künftig vermehrt auf die Dienste ausländische Anbieter zugreifen müssen, etwa aus Indien oder China. Wer bis dahin seine Strukturen nicht entsprechend konsequent angepasst hat, wird auf der Strecke bleiben.

Was sich ändern muss

Heutiger Reifegrad sowie strategischer Wertbeitrag und Komplexität von Managed Application Services.
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CIOs, die die Reserven der ADM-Organisationen heben und sie für die Zukunft aufstellen wollen, sollten vor allem zwei Strategien verfolgen.

Anwendungsportfolio-Management: Zum einen helfen die Konsolidierung und Konzentration auf die wesentlichen Business-Applikationen. Hierzu müssen der CIO und die Leitung der ADM-Organisation das Gesamtportfolio an Applikationen in eine Struktur bringen, die eine Analyse der relevanten Dimensionen erlaubt. Dabei helfen systematische, modellgestützte Ansätze mit den Instrumenten eines professionellen Anwendungsportfolio-Managements.

Service-orientierte Strukturen: Zum anderen ist der systematische und konsequente Umbau von ADM-Organisationen erforderlich. Ziel muss die Abkehr von den Entwicklungs- und Wartungs-getriebenen Strukturen hin zu Organisationseinheiten, die systematische Services unterstützen.

Wege zum Portfolio-Management

Das Anwendungsportfolio-Management umfasst die komplette Historie einer Applikation und ihrer Komponenten, von der ersten Idee über dem begleitenden Anforderungs-Management bis zu ihrer Entfernung der Software aus einer Systemlandschaft. Es ist ein kontinuierlicher Prozess zum Steuern und Kontrollieren der Unternehmens-Anwendungen.

Wesentlich ist, dass alle relevanter Daten erfasst werden, dazu zählen neben den technischen Kerndaten, die Projektkennzahlen, die Support-Volumina, der Stand der Dokumentation, die Sicherheitsanforderungen und existierenden Maßnahmen für die Information Security sowie zugeordnete Mitarbeiter und Kosten. Eine solche Erhebung ist oft ein umfassendes, länger laufendes Projekt und wird auch häufig erst zu Beginn von Outsourcing-Vorhaben in Angriff genommen.

Um die passende Anwendungslandschaft zu finden und zu pflegen, sollten Unternehmen ihr Applikationsportfolio in einem fortwährenden Prozess immer wieder auf den Prüfstand stellen und bei Bedarf korrigieren. Das gilt auch für Sourcing-Entscheidungen.
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Das Anwendungsportfolio-Management ist im Vergleich zum herkömmlichen Anwendungs-Management umfassender. Letzteres konzentriert sich auf die Anwendungen selbst und deren Lebensphasen (Design, Build und Run). Das Portfolio-Management von Applikationen bettet diese Aufgaben in eine umfassende und fortlaufende Strategie und Planung ein. Es berücksichtigt alle relevanten Aspekte hinsichtlich Organisation, Prozesse und Rollen. Das schließt auch grundsätzliche Entscheidungen darüber ein, welche strategische Werkzeuge oder Methoden (Benchmarking, Dashboard und Wissensmanagement) zum Einsatz kommen sollen.

Orientierung für den fortlaufenden IT-Bezug bietet eine "Portfolio Roadmap". Sie stellt alle für das Portfolio getroffenen Entscheidungen und die daraus abgeleiteten Maßnahmen inklusive der Sourcing-Initiativen in einen zeitlichen Rahmen dar. Dabei ist dieser Fahrplan auf eine durchgehende Verantwortung für Anwendungen und den priorisierten Geschäftsprozessen ausgerichtet.

Von der Service-Orientierung zur Softwarefabrik

Befragungen von Top-Entscheidern zeigen eine regelmäßig wiederkehrende Unzufriedenheit mit ihrer IT, wenn es um Umsetzung von Geschäftsinnovationen. Eine weltweite Analyse reifer ADM-Organisationen gibt Hinweise darauf, an welchen Stellschrauben IT-Leiter drehen können, um Verbesserungen zu erzielen. So fällt beispielsweise auf, dass gut aufgestellte IT-Abteilungen in vielen Bereichen der Anwendungsentwicklung vermehrt auf externe Dienstleistungen (Managed Services) zurückgreifen und damit Mittel für Projekte freimachen. So kann etwa Managed Testing helfen, rund 10 Prozent der gesamten jährlichen Entwicklungskosten einzusparen.

Das systematische, modellgestützte Anwendungsportfoliomanagement bewertet jede Anwendung nach verschiedenen Dimensionen. Dabei fließen sowohl Hard Facts als auch subjektive Kriterien ein.
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Um jedoch Managed Services in die eigenen Abläufe integrieren zu können und eine bessere Service-Orientierung zu erreichen, bedarf es einer Differenzierung der Rollen und Spezialisierung der Mitarbeiter. In weit entwickelten ADM-Organisationen gibt es keine allumfassenden Entwickler mehr sondern etwa Business Analysts und Prozess-Berater, Software-Ingenieure, IT-Architekten, Projekt-Manager, Projektassistenten, Programmierer, Lektoren sowie Qualitäts- und Testspezialisten und Software-Sicherheitsexperte.

Mit einer solchen Aufstellung verändert sich die Organisation zu einer Softwarefabrik. Dass sich der Wandel lohnt, belegt der Blick auf weltweite ADM-Organisationen, die diese Transformation bereits hinter sich haben. Sie sind heute in der Lage, vordefinierte Ergebnisse zu berechenbaren Kosten in signifikant kürzerer Zeit bei geringeren Risiken zu liefern.

Zehn IT-Bereiche mit Handlungsbedarf
Zehn IT-Bereiche mit Handlungsbedarf
Client-Strategie, Virtualisierung, Cloud oder Business Intelligence - viele IT-Leiter sind in diesen Bereichen nicht auf der Höhe der Zeit. Experton-Analyst Luis Praxmarer hat 10 Technologiebereiche identifiziert, für die im Jahr 2012 unbedingt Handlungsbedarf besteht.
1. Traditionelle Clients
Für WINTEL Client-Installationen steht im Jahr 2012 eigentlich die Migration nach Windows 7 an. Für ein Hinausschieben und Verzögern dieser Migration spricht nicht viel. Die Auswahl der richtigen Lizenzierungs- und Wartungsstrategie ist sehr wichtig. Dieser Bereich ist zwar nicht von strategischer Bedeutung, hat aber starke Auswirkungen auf die Client- und Supportkosten. Windows 8 kommt in Einzelfällen bereits zum Einsatz; eine Bereinigung der Betriebssystemlandschaft ist sehr zu empfehlen.
2. Neue Client-Strategie
Parallel zur Migration und Bereinigung der Windows-Umgebung verzeichnen Smartphones und Tablets einen stark steigenden Nutzungsgrad. Deshalb stehen eine Evaluierung einer BYOD- (Bring Your Own Device) Strategie und Tests für eine ausgewählte Gruppe an. Wegen der schnellen Veränderungen im Markt, der vielen Betriebssysteme und der hohen Komplexität sollten nicht gar zu viele gerätespezifische Apps entwickelt werden.
3. Virtualisierung
Nachdem die meisten Unternehmen die Servervirtualisierung in Angriff genommen haben - auch wenn die Durchdringungsrate in vielen Fällen bei nicht einmal 30 Prozent liegt - stehen nun Client- und Storage-Virtualisierung an. Die Client-Virtualisierung soll die Kontrolle über und das Management von BYOD-Umgebungen ermöglichen und gleichzeitig auch in Zukunft die Sicherheit der Unternehmens-Apps gewährleisten. Mit der Applikationsvirtualisierung wurde bislang nur in wenigen Unternehmen begonnen.
4. Cloud Computing
Cloud Computing wird in allen IT-Bereichen vorangetrieben, von IaaS oder Storage as a Service im Unternehmensumfeld bis hin zu eher privaten Nutzungsszenarien und SaaS-Applikationen. Die IT-Abteilung muss Technologien für den gesamten Stack einer Untersuchung unterziehen, die bestehende Architektur sowie die Unternehmensanforderungen auf den Prüfstand stellen und eine entsprechend angepasste Strategie entwickeln. Anhand von Pilotprojekten können erste Erfahrungen gewonnen werden.
5. Enterprise 2.0
Web 2.0 hält in den Unternehmen Einzug und wird bereits von einigen genutzt; viele sind damit aber eher überfordert. Anstatt auf statischen Webseiten eine Fülle an Informationen anzubieten, hat sich das Spiel jetzt drastisch verändert. Die meisten Unternehmen haben Schwierigkeiten damit, die damit verbundenen Möglichkeiten zu verstehen und sie in ihre IT-Systeme mit einzubeziehen oder gar eine Integration ins Auge zu fassen.
6. BI/EPM/BPM, Big Data
Dieses Thema spielt aus einer anderen Perspektive auch bei den CIO-Prioritäten eine Rolle, muss aber auch aus technologischer Sicht analysiert werden. In den meisten Unternehmen finden sich isolierte BI-Lösungen, hinter denen keine klare Stammdatendefinition steht; damit ist es schwierig, den nächsten Schritt zu tun und diese Insellösungen in eine unternehmensweite Enterprise Performance Lösung zu integrieren. Im Bereich Big Data bzw. große Datenvolumen müssen eine ganze Reihe von technologischen Herausforderungen untersucht werden.
7. Identitätsmanagement
Das Thema Identitätsmanagement steht schon seit einer ganzen Weile auf den Prioritätenlisten ganz weit oben; jetzt gewinnt es auch im Zuge der Cloud-Implementierung eine fundamentale Bedeutung. Hier muss ein Framework entwickelt werden, um unter anderem Themen wie Single Sign-On, Provisioning, Rückverrechnung und Sicherheit zu adressieren. Identitätsmanagement ist ein Schwerpunktthema für das Computing der Zukunft, denn der Zugriff erfolgt von überall aus und über alle Arten von Endgeräten.
8. ERP, CRM, SCM Future
In den meisten IT-Organisationen existiert mittlerweile eine solide und stabile ERP-Umgebung. Sie funktioniert, aber agil ist sie nicht, und was noch schlimmer ist, sie kostet ein Vermögen. In manchen Unternehmen wird bis zu ein Prozent des Gesamtumsatzes in den ERP-Betrieb gesteckt. Das ist in Zukunft nicht mehr akzeptabel und muss im Laufe der nächsten Jahre signifikant verbessert werden. Die vorhandenen ERP-Lösungen sind zudem veraltet und müssen nach und nach modernisiert werden.
9. Software as a Service
Software as a Service ist Bestandteil des Cloud Computings, muss aber auch aus einer anderen Perspektive angegangen werden. Viele IT-Organisationen haben mit IaaS (Infrastructure as a Service) so ihr Probleme, doch die Nutzer profitieren von SaaS. Viele Lösungen, die oft nur für eine kleine Gruppe von Anwendern benötigt werden, können jetzt sehr schnell und kostengünstig genutzt werden und sorgen so für einen unmittelbaren Mehrwert und Nutzeneffekt. Hinzu kommt, dass die Generation der "Digital Natives" mit dieser Art des Computings voll und ganz vertraut ist.
10. Konsumerisierung
Mit der Einführung des iPods hat Apple das traditionelle Computer-Geschäft verlassen. Durch den Fokus auf die Verbraucher wurde Apple zur Computerfirma mit dem höchsten Unternehmenswert und hat mit dem iPhone und dem iPad den Weg zurück ins Unternehmen geschafft. ARM Chips, wie sie in Smartphones zum Einsatz kommen, verfügen über ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis im Serverumfeld und bieten Intel als Konkurrenz die Stirn. Google und Amazon sind weitere Beispiele für den zunehmenden Konsumerisierungstrend, der von der IT berücksichtigt werden muss.

Was das Portfolio-Management besser kann

In folgenden Kernprozessen geht das Anwendungsportfolio-Management über das herkömmliche Anwendungs-Management hinaus sind: