Smartphone-Boom schafft neue Services

Anschub für das Internet der Dinge

04.01.2012 von Joachim Hackmann
Zum Katalysator für das Internet der Dinge könnten sich die allgegenwärtigen Smartphones mit ihren integrierten Sensoren entwickeln.
Foto: Lara Nachtigall/Fotolia

Die Sterne für das Internet der Dinge stehen in den kommenden Jahren gut. Forrester Research erwartet beispielsweise eine Verbesserung des weltweiten Umsatzes von derzeit knapp 4,2 Milliarden Dollar auf 17 Milliarden Dollar im Jahr 2016 und sorgt damit nicht zuletzt bei Netzausrüster Cisco für Feierlaune: "In den nächsten Jahren wird jedes Gerät ans Netz gehen - und zwar mit Ein- und Aus-schalter ", erwartet Dave Evans, Chief Futurist bei Cisco. "Der Trend wird jede Branche und jeden Lebensbereich erfassen." 2020, so seine Prognose, werden weltweit 50 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein. Die Grundlage für diese schnelle Entwicklung legen folgende Trends:

Mobility: Der Smartphone-Boom trägt das Internet der Dinge ins Endkundengeschäft und fördert dadurch neue Anwendungen in der Geschäftswelt. "Die Betriebssys-teme für mobile Endgeräte sind weitestgehend stabil, und die Anbieter suchen ständig nach Innovationen, um sich von der Konkurrenz abzuheben", beobachtet Gerrit Tamm, Professor für Wissenschaftsinformatik an der SRH Hochschule Berlin. "Sie setzen klar erkennbar darauf, den Funktionsumfang der Geräte um die Sensorik zu ergänzen, um neue Geschäftsmodelle zu unterstützen." Die Positionsortung mittels GPS liefert den Anwendern lokale Informationen, virtuelle Geldbörsen ersetzen Bargeld, und Lage- beziehungsweise Bewegungssensoren ergänzen Online-Spiele. Jüngstes Beispiel für die Integration neuer Sensortechnik in Smartphones ist die Spracherkennungssoftware "Siri" in Apples iPhone 4s. Die zugrunde liegende Technik wird sich nicht dauerhaft mit der Analyse gesprochener Benutzerbefehle begnügen. "In diesem Kontext werden Hersteller über Anwendungen nachdenken, die vielfältige Geräuschmuster erkennen und sinnvoll auswerten können. Wir stehen hier noch am Anfang der Entwicklung", sagt Tamm. Doch es gibt noch eine Reihe weitere Treiber, die das Internet der Dinge voranbringen werden. Hier einige Beispiele:

Smart Meter und IPv6 treiben das Geschäft

• Smart Metering und Smart Home: Die EU treibt den Einsatz von intelligenten Stromzählern voran. Bis 2020 müssen 80 Prozent aller Haushalte mit einem Smart Meter ausgestattet sein, zwei Jahren später soll die Komplettversorgung stehen. In gut zehn Jahren müssen die Energieversorger allein in Deutschland etwa 40 Millionen Geräte installiert haben. Damit sich diese Investitionen rechnen, arbeiten die Betreiber an Mehrwertdiensten, die etwa die Verbrauchsgeräte ansteuern. Dazu müssen sie die Stromzähler um eine intelligente Steuereinheit ergänzen. Mit ihr können sich beispielsweise Waschmaschinen oder Wärmpumpen zu günstigen Tarifzeiten selbsttätig starten, Haushaltsgeräte lassen sich via Smartphone und PC bedienen. In beiden Fällen sind Internet und drahtlose Netze die Transportmedien zur Übertragung der Informationen und Steuerbefehle.

Die Energiebranche zeigt großes Interesse an der M2M-Kommunikation, weil die EU künftig den Einsatz von Smart Meters in Haushalten vorschreibt.
Foto: Forrester Research

Fallende Telematikpreise: Die Marktforscher von Forrester Research sehen in der Logistikbranche erhebliches Potenzial für das Internet der Dinge beziehungsweise die Machine-to-Machine-(M2M-)Kommunikation. In diesem besonders aussichtsreichen Markt erwarten sie eine durchschnittliche Wachstumsrate von 33 Prozent auf ein Gesamtvolumen von zehn Milliarden Dollar im Jahr 2016. "Die Kosten für ein einfaches Flotten-Management-Gerät haben sich in den letzten Jahren auf durchschnittlich 100 Dollar halbiert", nennt Forrester-Analystin Michele Pelino in einem Report über den M2M-Markt den Grund für die schnelle Verbreitung. So bauen Autohersteller Telematiklösungen in ihre Neuwagen ein und ermöglichen dadurch die Echtzeitüberwachung von bestimmten Parametern wie beispielsweise Ölstand oder Unregelmäßigkeiten in der Leistung.

Breite Verfügbarkeit IP-basierender Netze: Die intelligenten Geräte und Objekte kommunizieren mit Hilfe unterschiedlicher Übertragungswege. Im Weitverkehr kann die Anbindung über Festnetz, Mobilfunk, frei verfügbare Radiofrequenzen und Satellitenstrecken erfolgen, im lokalen Umfeld stehen Wifi-Standards und Funknetze zur Verfügung. Viele einfache M2M-Applikatio-nen bescheiden sich mit der Übertragung weniger Steuerdaten und nutzen daher etwa schmalbandige GSM-Netze. Für anspruchsvollere Anwendungen stehen zunehmend 3G-Netze wie UMTS und LTE bereit. Fallende Verbindungspreise machen die Vernetzung der unzähligen Devices attraktiver. Hilfreich ist zudem, dass sie allesamt IP als gemeinsames Übertragungsprotokoll verwenden.

Das neue Internet Protocol: Mit der Version 6 des Internet Protocol (IP) steht dem Internet der Dinge ein annähernd unbegrenzter Datenraum zur Verfügung. Theoretisch ließe sich mit IPv6 jedem Atom der Erde eine individuelle Kennung zuweisen. "Voraussetzung für das Internet der Dinge ist, dass die Objekte über eine CPU und eine eigene IP-Adresse verfügen", betont Tamm. So ausgestattet, können die Geräte via IP-Netze Kontakt zur Außenwelt aufnehmen, die Daten angeschlossener Sensoren verarbeiten sowie Aktoren selbsttätig steuern.

Bislang gibt es wenige Beispiele

Die Basis für die Entwicklung von Anwendungen für das Internet der Dinge ist also da, doch in der Praxis werden die Möglichkeiten bis dato selten ausgeschöpft. Das gern zitierte Beispiel in der Logistik, wo IDs mittels RFID-Tag und elektromagnetischem Lesegerät eingelesen werden, mag gegenüber der klassischen Erfassung mit Laserpistole beziehungsweise Kamera und Barcode vorteilhaft sein, doch mit dem Internet der Dinge hat es wenig zu tun. "Das Erfassen und Dokumentieren von Zuständen ist M2M für Anfänger", winkt Tamm ab. Die hohe Kunst entfaltet die Technik in den Augen des Forschers erst dann, wenn die intelligenten Objekte mit Hilfe von Sensoren Veränderungen in ihrer Umgebung wahrnehmen, auswerten und darauf reagieren, indem sie selbsttätig die geeigneten Prozesse auslösen. "Die Analyse der Geräusche in S-Bahnen könnte vor Vandalismus schützen. Wenn Sensoren mit Hilfe von Geräuschmustern erkennen, dass Scheiben zerkratzt werden, könnten sie automatisch die Videoaufzeichnung starten und den Wachdienst alarmieren", skizziert der Forscher eine mögliche Anwendung.

Patienten lassen sich überwachen

Neben Logistik- und Sicherheitsunternehmen zeigt insbesondere die Gesundheitsbranche Interesse am Internet der Dinge. Die Vernetzung von Sensoren mit zentralen Datenbanken soll beispielsweise die Patientenüberwachung komplett neu gestalten. So gibt es Überlegungen, EKG-Sensoren am Körper mit den Smartphones der Patienten zu verbinden. Die Handys senden aktuelle Daten über den Gesundheitszustand des Besitzers. Auch könnten Diabetiker ihre aktuellen Blutwerte an einen zentralen Server übermitteln, der die Ergebnisse auswertet und bei Bedarf den Hausarzt benachrichtigt.

Allerdings gibt es auch Grenzen in der Umsetzung. Die Investitionen etwa zur Gebäudeüberwachung mit Hilfe von Sensoren, Kameras und Übertragungstechnik übersteigen die jährlichen Kosten für einen Wachdienst weit, so dass sich die Installation nicht lohnt. Zudem ist der Einsatz von intelligenten und vernetzten Objekten überall dort schwierig, wo es keine Festnetzverbindung und dauerhafte Stromversorgung gibt. Die Übertragung kleiner Datenmengen via Mobilfunk ist vergleichsweise teuer, und die Energieversorgung mit Batterien macht den Betrieb aufwendig, weil die IT-Elemente regelmäßig gewartet werden müssen.

Offene Fragen zum Datenschutz

Doch die größte Hürde hält nicht die Technik bereit. "Es gibt eine große gesellschaftliche Barriere für das Internet der Dinge. Nur wenn die Industrie aktiv den Schutz der Privatsphäre gewährleistet und transparent die Nutzung der vom Anwender freigegebenen Daten kommuniziert, können sich die nutzenstiftenden Dienste überall dort durchsetzen, wo sie in das Privat- und Berufsleben der Menschen vordringen", warnt Wissenschaftsinformatiker Tamm.

Wie das Internet der Dinge entstanden ist

Der Begriff "Internet der Dinge" beziehungsweise "Internet of Things" wurde 1999 von Kevin Ashton geprägt. Der britische Wissenschaftler gründete am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston den Forschungsverbund Auto-ID Center, dem neben dem MIT weitere sechs universitäre Einrichtungen angehören. Aus dem deutschsprachigen Raum ist es die Universität in St. Gallen in der Schweiz. Das Auto-ID Center hat mit seinen Veröffentlichungen und Forschungsprojekten die Verbreitung des Begriffs gefördert.

Die Basis für das Internet der Dinge bilden RFID-Tags, wenngleich zur Identifikation von Objekten auch Strichcodes und andere Kennzeichnungen möglich sind. Sensoren und Aktoren reichern die Funktionalität an. Die Kommunikation erfolgt über IP-basierende, drahtlose oder leitungsgebundene Netze. Synonym für den Begriff Internet der Dinge wird häufig der Ausdruck Machine-to-Machine-Kommunikation (M2M) verwendet. Das uns bekannte Internet wird zur Abgrenzung als "Internet der Dienste" bezeichnet.