Der Umgang mit dem Internet und dem Social Web zählt zu den derzeit größten Herausforderungen für die Kommunikation von Unternehmen (vgl. Berger et al., 2013). Die klassische Trennung, in der die Unternehmen mit ihren verschiedenen Anspruchsgruppen entweder direkt individuell oder indirekt über Gatekeeper der öffentlichen Arena kommunizierten, löst sich dank neuer technischer Möglichkeiten auf. Inzwischen tauschen sich die Anspruchsgruppen zunehmend über Social Media untereinander aus, bilden mit ihren Communities neue Meinungsmärkte und vergrößern durch die Aggregation der zahlreichen Einzelmeinungen ihren Einfluss.
Im Bereich der Financial Community zeigt sich das beispielhaft am Tool Stockpulse, das auch auf den Plattformen OnVista oder Tweettrader eingesetzt wird: Ein Algorithmus wertet die Tweets zu einer Aktie aus und ermöglicht so Vorhersagen zur Kursentwicklung. Der Analysedienst Social Market Analytics, der mit der New Yorker Börse kooperiert, oder das Twitter Monitoring Tool, das inzwischen Bestandteil des Bloomberg-Terminals für Investment Professionals ist, folgen einer ähnlichen Logik.
Hinzu kommen die detaillierten Informationen, die Mitarbeiter in Foren, auf Bewertungsportalen oder sonstigen Plattformen über ihren Arbeitgeber mitteilen - und so die klassischen Versuche der Message Control torpedieren. Keine Kennzahlen, aber möglicherweise kritische Themen gelangen auf diese Weise an der Unternehmensleitung vorbei auf den Radarschirm der Financial Community.
Die Informationsquellen für Investitionsentscheidungen haben sich durch die neuen Medien erweitert, die Motive sind gleich geblieben: Kreditgeber suchen nach Informationen, um ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten. Investoren versuchen indes, sich einen Informationsvorsprung zu erarbeiten. Der Aufstieg von digitalen Financial Community-Plattformen wie Seeking Alpha, Stocktwits oder Sharewise zeigt: Dafür nutzen sie zunehmend die neuen Meinungsmärkte im Web 2.0. Das Social Web ist zu einem wichtigen Umschlagplatz für Meinungen und Nachrichten über Unternehmen und deren Wertpapiere geworden. Auch Investment Professionals können diese Kanäle nicht mehr ignorieren.
Für Investor Relations bringt diese Entwicklung Chancen, aber auch Risiken, denen aktiv begegnet werden sollte:
IR-Manager sollten die Themen kennen, die in Bezug auf ihr Unternehmen im Social Web diskutiert werden und für Investoren relevant sind.
IR-Manager sollten dort, wo über ihr Unternehmen verstärkt gesprochen wird, zu den Ersten zählen, die qualifiziert mitreden. Als relevanter Akteur bauen sie damit einen Reputationspuffer in den sozialen Medien auf, der ihnen auch in Krisensituationen einen Anteil an der Themen- und Deutungshoheit sichert
Die vernetzten und multimedialen Kanäle erlauben in Sachen Reichhaltigkeit (Media Richness) eine vollkommen neue Art der Investorenansprache und des Kapitalmarkt-Storytelling: Erzählen statt zählen lautet hier die Maxime. Nie zuvor war es so einfach, komplizierte Sachverhalte verständlich aufzubereiten, Kennzahlen zu kontextualisieren sowie Botschaften zielgruppen- und benutzerorientiert zu kommunizieren. So erzeugen IR-Manager Präferenz und machen die eigenen IR-Kanäle im Social Web zur bevorzugten Informationsquelle.
Um diese Herausforderungen zu meistern und die Chancen optimal zu nutzen, bedarf es spezieller Management Tools, die die IR-Kommunikation im Social Web steuern. Im Folgenden bietet ein Werkzeugkasten von 27 Management Tools eine praktische Übersicht zur Implementierung der IR-Aktivitäten im Social Web - von der Analyse über die Strategie, Medienentwicklung und Umsetzung bis hin zum Controlling.
Die Toolbox beschreibt schwerpunktmäßig nicht die Ergebnisse von guter Investor Relations im Social Web. Diese sind individuell und so vielfältig wie die Anwendungen des Social Media-Prismas - siehe untenstehende Grafik. Sie erklärt stattdessen, welche Methoden dabei helfen, eine gute Lösung zu finden.
Investor ID
Wer den Kontakt zu Kapitalgebern sucht, sollte sie zuvor kennen. Wer sind die Investoren? Und wie sieht ihr Investitionsverhalten aus? Die Investor Identification gibt Antworten auf diese Fragen. Sie ermittelt neben allgemeinen Kontaktinformationen Daten zum Umfang der Investition und zum Investitionsstil.
Zwei Formen der Investor ID sind zu unterscheiden:
Indirekte Erhebungen, etwa über Broker, Clearing-Häuser oder Banken, geben Auskunft über Name und Investment-Historie. Ist der Kontakt zu den Quellen gefestigt, lässt sich damit ein relativ objektives, wenn auch eingeschränktes Bild der Investoren ermitteln.
Direkte Erhebungen bei Investoren liefern ein tiefergehendes Bild über das aktuelle und künftige Investitionsverhalten. Die Befragung sollte auf Einfachheit, Standardisierbarkeit und Diskretion optimiert sein. Ein PDF-Formular mit Drop Down-Feldern und Checkboxen hat sich dabei als Best Practice erwiesen.
Die Investor ID ist ein in der Financial Community akzeptiertes Verfahren. Es lohnt sich deshalb, eine auf einer Befragung basierende ID zusätzlich um Fragen zur Evaluation der IR-Arbeit zu ergänzen.
Influencer ID
Es gilt nicht nur, seine Investoren zu kennen, sondern auch die relevanten Multiplikatoren. Wirtschaftsjournalisten, Analysten oder Rating-Agenturen erlangen vor allem durch ihre Reichweite Bedeutung. Im Social Web führen Vernetzung und Interaktivität dazu, dass Meinungsmacher nach anderen Kriterien identifiziert werden (vgl. Heltzsche, 2012), beispielsweise der erweiterten Reichweite (Verlinkung, Retweet und weitere), der Publikationsfrequenz (Artikel und Kommentare) oder dem Interaktionsverhalten (Reaktionszahl der Rezipienten und des Autors). Mittels Influencer ID können IR-Manager gewichten, welche Akteure in der öffentlichen Meinung sie intensiver betreuen sollten.
Ziel- und Mittlergruppen (Arena-Modell)
Über die neuen Meinungsmärkte im Social Web rücken neue Akteure in die Arena der Finanzöffentlichkeit. Unternehmen stehen damit vor der Aufgabe, die Konstellation ihrer Ziel- und Mittlergruppen zu prüfen. Während Unternehmen, institutionelle Investoren und Banken früher die wesentlichen Treiber auf dem Kapitalmarkt waren, ergänzen Privataktionäre, Aktionärsvereinigungen oder Mitarbeiter via Social Media die Finanzöffentlichkeit. Diese komplexe Struktur macht das Monitoring zunehmend schwieriger.
Deutlich wird das bei einer Modellierung der meinungsbildenden Öffentlichkeit: Mit dem Arena-Modell nach Renn (1992) lassen sich Anspruchsgruppen und ihre Interaktionen analysieren. Es ordnet sie als Akteure, als Schiedsrichter, als Zuschauer am Rand der Arena oder als Meinungsmittler ein. In der Arena der Financial Community wetteifern die Akteure - insbesondere Eigen- und Fremdkapitalgeber sowie Unternehmen - um die Meinungshoheit. Dabei stehen ihnen im Wesentlichen folgende Ressourcen zur Durchsetzung ihrer Interessen zur Verfügung:
Geld in Form von Kapitaltransfers zur Finanzierung von Maßnahmen
Macht in Form von Handlungsgewalt oder Autorität, um Entscheidungen durchzusetzen
Sozialer Einfluss in Form von Vertrauen und Prestige zur Stärkung des Commitment
Werte in Form von Überzeugungen und Deutungshoheiten zur Gewinnung von Unterstützern
Evidenz in Form unabhängiger Belege für wahrscheinliche Konsequenzen des Handelns
Diese Ressourcen nutzen die Akteure, um den Kommunikationsfluss zum relevanten Thema zu steuern und gegebenenfalls andere Anspruchsgruppen für ihre Zwecke sozial zu mobilisieren. Deshalb sind für die Analyse der Akteure deren Ziele, Ressourcen und ihr erwartetes (Kommunikations-)Verhalten zu ermitteln. Zudem ist es wichtig zu prognostizieren, inwieweit Zuschauer in die Arena eintreten, welche Handlungszwänge bei politischen Institutionen und Regelinstanzen ausgelöst werden und wie die Aktionsvermittler ihre Rollen spielen könnten.
Erst danach wird ersichtlich, welche Ressourcen das eigene Unternehmen für den Meinungskampf in der Arena benötigt, wie es die Ressourcenverteilung zu seinen Gunsten verbessert und durch welche Maßnahmen Bündnisse mit anderen Akteuren geschlossen werden können.
Online-Tracking
Im Gegensatz zur Influencer ID beobachtet das Online-Tracking nicht Akteure, sondern Inhalte. Es liefert zudem einen quantitativen Überblick über die Nutzung von eigenen Social Media-Kanälen: Welche Inhalte und Webseiten werden in den Kanälen häufig aufgerufen, welche interessieren weniger? Wie lange halten sich die User auf den einzelnen Sites auf? Über welche Quellseiten und Suchanfragen kommen sie auf die jeweiligen Kanäle? Typische Messgrößen des Webtrackings sind dabei Page Views beziehungsweise Page Impressions, Visits, Ad-Clicks, Referrals und weitere. Anbieter wie Google Analytics oder SAS Web Analytics bieten kostengünstige Tracking-Systeme.
Ergänzt wird das Monitoring der Eigenmedien durch das Scannen von Fremdbeiträgen, die im Kontext zum eigenen Unternehmen und den für die Finanzkommunikation relevanten Themen stehen. Social Media Monitoring Dashboard-Lösungen wie Radian 6 oder Sysomos liefern solche Daten zu Themen, Nutzungshäufigkeiten, Shares und Tweets. Daneben gibt es kostenlose Dienste für einzelne Kennzahlen und Kanäle, etwa Topsy oder Social Mention.
Issue Mapping
Das Online-Tracking liefert lediglich Stichworte zu möglichen Themenaspekten der Stakeholder am Kapitalmarkt. Durch ein systematisches Issue Mapping können IR-Manager erfassen, welche übergeordneten Themen hinter der Kommunikation der Financial Community im Social Web stehen. Dieser Kontext hilft ihnen dabei, übergreifende Kommunikationsstrategien zu entwickeln.
Nach Erfassung einzelner Issues werden die Themenkomplexe geclustert und inhaltliche Verbindungen zwischen ihnen eingezeichnet. Analyse-Tools wie Tweetlevel gruppieren auf quantitativer Ebene Schlagworte zu Taglisten oder Tagclouds. Damit unterstützen sie das Clustern.
Informationsbedürfnisse der Ziel- und Mittlergruppen
Die Identifizierung von Ziel- und Mittlergruppen und die Analyse ihrer Issues offenbaren, welche potenziellen Akteure in welcher Weise zu welchen Themen stehen. Die Erkenntnisse aus der Akteurs- und Themenanalyse werden somit gekreuzt.
Es empfiehlt sich, methodisch die kritischen Themen als Fragen an das Unternehmen in der Sprache der Ziel- und Mittlergruppen zu formulieren. Wenn möglich, werden diese Fragen im zweiten Schritt den Themenbereichen der Kapitalmarkt-Story zugeordnet. Sie fließen oftmals in die Formulierung der Kapitalmarkt-Story ein.
Medienportfolio (IST)
Investor Relations steht vor der Frage, mit welchem Medienportfolio sie ihre Ziele und Zielgruppen am besten erreicht. Das Media Richness-Theorem von Daft/Lengel (1996) besagt, dass vieldeutige, unzuverlässig zu übertragende und vielschichtig zu vermittelnde Sachverhalt "reiche" Medien benötigen.
Media Richness bezeichnet die Reichhaltigkeit eines Mediums in Bezug auf die Möglichkeit für unmittelbares Feedback, die Vielfalt verwendeter medialer Formen (beispielsweise Tonalität, Gestik oder Mimik), die Möglichkeit zur Personalisierung sowie die sprachliche Varietät. Schriftliche Dokumente etwa haben eine geringe Media Richness und eignen sich bestenfalls für die Vermittlung von Sachinformationen, beispielsweise Informationen zum Portfolio oder zu den Kennzahlen.
Grafiken, Videos, Web 2.0-Tools oder Events hingegen haben eine hohe Media Richness. Sie eignen sich für mehrdeutige Interpretationsaufgaben, bei denen sich die Beteiligten auf ein gemeinsames Verständnis der Situation einigen sollen, die also zur Bindung an oder zum Commitment für das Unternehmen führen können (vgl. Bolwin/Pfannenberg, 2011). Zu den Themen solcher Interpretationsaufgaben zählen der Einfluss von Marktverschiebungen auf die Geschäftsentwicklung des Unternehmens oder die Qualifikation neuer Vorstände für ihre bevorstehenden Aufgaben.
Umfragen zeigen, dass die von Investor Relations veröffentlichten Zahlen stark akzeptiert werden (vgl. u.a. AMO, 2014). Für mehrdeutige Interpretationsaufgaben wie die eben benannten benötigen Kapitalgeber allerdings eine Diversität an Stellungnahmen und Interpretationen. Genau diese liefern Social Media. Es zeigt sich, dass Investor Relations ohne eigene Social Media-Kanäle nur bedingt an die Stimmen in den neuen Meinungsmärkten im Social Web anknüpfen kann.
Benchmark-Analyse
Wie agieren andere Unternehmen am Kapitalmarkt in Social Media? Welchen Grad an Multimedialität und Streuung haben sie? Mit einer Benchmark-Analyse in Tabellenform identifizieren IR-Manager Web 2.0-Angebote von Vergleichsunternehmen.
Die Auswahl der Unternehmen orientiert sich an der dominierenden Investitionsstrategie der Kapitalgeber. Den Benchmark bilden Unternehmen aus der gleichen Branche, mit vergleichbarer Marktkapitalisierung und/oder gleicher Region.