IaaS und PaaS

Alibaba Cloud - der schlafende Riese erwacht

26.06.2018 von Wolfgang Herrmann
Mit Alibaba Cloud hat der chinesische E-Commerce-Konzern ein milliardenschweres Cloud-Geschäft aufgebaut. Im Zuge der internationalen Expansion will sich der Provider auch in Deutschland als Alternative zu AWS, Microsoft und Google etablieren.

Die Großen im weltweiten Cloud-Geschäft werden immer mächtiger, kleinere Anbieter verlieren an Boden. Diese Entwicklung lässt sich schon seit einigen Jahren beobachten. Zumindest im internationalen Maßstab gehört auch der Cloud-Arm der chinesischen Alibaba Group zu den ganz Großen. Glaubt man einschlägigen Marktprognosen, wird der Branchenprimus Amazon Web Services im Bereich Cloud Infrastructure as a Service (IaaS) und Platform as a Service (PaaS) zwar weiter wachsen. Doch die Verfolger Microsoft, Google und Alibaba legen deutlich schneller zu.

Im chinesischen Heimatmarkt hat sich der Cloud-Arm der Alibaba Group eine dominierende Position erarbeitet. Jetzt treibt der Provider die internationale Expansion voran.
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Das Marktforschungs- und Beratungshaus Gartner verweist insbesondere auf die hohen Wachstumsraten von Alibaba Cloud sowie deren dominierende Position im chinesischen Heimatmarkt. Die Auguren können sich sogar vorstellen, dass in zehn Jahren nur noch zwei Schlüssel-Player den globalen Markt dominieren: AWS und Alibaba.

Das mag nach einer gewagten Prognose klingen, doch die bisher vorliegenden Zahlen von Alibaba Cloud sind durchaus beeindruckend. Im Fiskaljahr 2018 gelang es dem erst 2009 gegründeten Cloud-Provider, den Umsatz gegenüber dem Vorjahr auf umgerechnet 2,135 Milliarden Dollar zu verdoppeln. Mehr als eine Million zahlende Kunden nutzen laut Unternehmensangaben bereits Services aus der Alibaba Cloud.

Seine internationale Präsenz hat der Anbieter in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut. Die mittlerweile 44 Availability Zones erstrecken sich nicht nur über China, Hong Kong oder Singapur, sondern decken Regionen weltweit ab: Europa und die USA gehören ebenso dazu wie Indien, Japan, Australien oder der Nahe Osten. Im November 2016 eröffnete Alibaba Cloud gemeinsam mit dem Partner Vodafone am Standort Frankfurt am Main das erste Data Center in Europa. Eine zweite Availability Zone ging dort im Februar 2018 an den Start.

Alibaba Cloud setzt auf den Heimvorteil

Wie ernst Alibaba seine Ambitionen im auch deutschen Cloud-Markt meint, macht Yeming Wang gegenüber der COMPUTERWOCHE deutlich. Der Deputy General Manager Alibaba Cloud Global spricht von "Killer-Waffen", mit denen man nicht nur den deutschen, sondern gleich den weltweiten Markt erobern wolle. Da sei zum einen die globale Präsenz von Alibaba Cloud, die eben auch den chinesischen Markt einschließe.

Dort könnten andere Cloud-"Hyperscaler" wie AWS oder Google nur sehr eingeschränkt tätig werden. Mit Unterstützung der chinesischen Regierung könne Alibaba zudem international tätigen Unternehmen helfen, nach China zu expandieren - ein Privileg, das US-amerikanischen Konkurrenten wohl auf Dauer versagt bleiben wird.

In technischer Hinsicht will Wang insbesondere mit dem breiten Portfolio an KI-Services (künstliche Intelligenz) punkten. Damit sei man in der Lage, auch deutsche Unternehmen in der digitalen Transformation zu unterstützen. Alibaba setzt vor allem auf branchenspezifische Ausprägungen seines KI-Programms "ET Brain". Erste Lösungen sollen potenzielle Kunden aus der Fertigungsindustrie, dem Handel und der Finanzbranche ansprechen. Für die Vermarktung der Cloud-Services in Deutschland zeichnet bislang nur der Partner Vodafone verantwortlich. Künftig will das Management weitere Vertriebspartner gewinnen, darunter auch Managed Service Provider (MSP).

Welche Chancen hat Alibaba im deutschen Cloud-Markt?

René Büst, Research Director bei Gartner, beurteilt die Chancen des Newcomers zurückhaltend. Alibaba Cloud sei mit großem Abstand als letzter der vier großen Public-Cloud-Anbieter in den deutschen Markt eingestiegen. "Angesichts des zeitlichen Nachteils ist ein Großteil des Marktes bereits unter Amazon Web Services und Microsoft aufgeteilt". Mit Google Cloud komme ein weiterer Player hinzu, der den Druck langsam, aber stetig erhöhe.

Die Partnerschaft mit Vodafone reicht nicht, um im deutschen Cloud-Markt erfolgreich zu sein, kommentiert Gartner-Analyst René Büst die Chancen von Alibaba Cloud.
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"Alibaba muss große Anstrengungen unternehmen und hohe Investitionen tätigen, um im deutschen Markt eine Rolle zu spielen", so Büst. "Die Partnerschaft mit Vodafone ist ein guter Anfang, um Fragen rund um Compliance zu adressieren - aber nicht ausreichend, um erfolgreich zu sein." Für deutsche Unternehmen, die in den chinesischen Markt einsteigen möchten, könne Alibaba Cloud allerdings als ein strategischer Türöffner im Rahmen ihrer Multi-Cloud-Strategie dienen, um digitale Workloads bereitzustellen.

Alibaba Cloud - breites Portfolio für IaaS und PaaS

Das Portfolio der Alibaba Cloud besteht aus einer Vielzahl integrierter IaaS- und PaaS-Komponenten. Unter dem Namen "Elastic Compute Service" offerieren die Chinesen etwa Compute-Ressourcen aus einer Multitenant-Umgebung. Die Basis bilden Virtualisierungstechniken wie Xen und KVM. Hinzu kommen Block- und Object-Storage-Dienste, ein CDN-Service (Content Delivery Network) und ein Docker-basierter Container-Service (Alibaba Cloud Container Service).

Auch auf der PaaS-Ebene hat Alibaba ein breites Angebot aufgebaut. Dazu gehören unter anderem Datenbank-Services wie ApsaraDB. Allerdings sind längst nicht alle Cloud-Dienste, die der Provider im Heimatmarkt feilbietet, auch international verfügbar.

Vorerst nur in China offeriert Alibaba mit "Apsara Stack" auch eine On-Premise-Variante. Ähnlich wie Microsoft mit "Azure Stack" sollen sich damit hybride Umgebungen aus Public und Private Cloud-Diensten einrichten und steuern lassen.

Stärken der Alibaba Cloud

Im aktuellen "Magic Quadrant for Cloud Infrastructure as a Service, Worldwide" hat Gartner das international verfügbare Portfolio der Alibaba Cloud unter die Lupe genommen. Es sei durchaus vergleichbar mit dem der anderen Hyperscaler, urteilen die Analysten. Alibaba investiere viel Geld in Forschung und Entwicklung.

Über die finanzielle Mittel für eine weitere internationale Expansion verfüge der Konzern allemal, kommentieren die Marktforscher. Dazu gehörten neue Cloud-Regionen ebenso wie lokale Sales-, Support- und Marketing-Teams. In China hat der Anbieter bereits ein starkes Netz aus Managed Service Providern (MSP) und Softwarepartnern (ISVs) aufgebaut. An einem globalen Ökosystem für das internationale Angebot arbeitet der Konzern noch.

Das technische Know-how, das der Provider im chinesischen Markt entwickelt habe, lasse sich auch für das internationale Geschäft nutzen, so Gartner. Im Heimatmarkt China sei Alibaba Cloud als führender IaaS-Anbieter besonders stark bei Kunden mit einem Digital-Business-Hintergrund vertreten. Gleiches gelte für etliche Regierungsbehörden.

Schwächen der Alibaba Cloud

Geht es um die Anforderungen von klassischen Unternehmen mit eher traditionellen, nicht Cloud-nativen Workloads, hat Alibaba nach Einschätzung von Gartner noch Nachholbedarf. Das gelte sowohl in technischer Hinsicht als auch bezüglich der Vermarktung. Zwar habe Alibaba hart daran gearbeitet, ein mit den Branchenführern vergleichbares Angebot aufzubauen. Doch das sei nicht unbedingt ein Vorteil: Im Wettbewerb biete das Service-Portfolio der Chinesen derzeit kaum Differenzierungschancen.

Alibaba Cloud - international ein Newcomer

Mit seinem internationalen Cloud-Angebot ist Alibaba erst seit Mitte 2016 auf dem Markt. Entsprechend kurz fällt die Liste größerer Kunden außerhalb des Heimatmarkts aus. Das Service-Portfolio müsse vor allem in Sachen Usability besser werden, kommentiert Gartner. Nicht immer etwa sei klar erkennbar, welche Dienste in welchen Regionen verfügbar sind.

Ein weiterer Nachteil könnten Compliance- und Security-Bedenken sein, die internationale Konzerne womöglich gegenüber einem chinesischen Anbieter hegen. Zwar hat sich Alibaba Cloud durch diverse neutrale Organisationen prüfen lassen. So erhielt das Unternehmen als erster Cloud-Anbieter weltweit das C5-Testat mit höherwertigen Anforderungen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Doch ob das ausreicht, um auch sensible B2B-Kunden zu überzeugen, muss sich erst noch zeigen.