Der Markt für Integrationssoftware

AIM schlägt Kapriolen

11.10.2006
Der Markt für Application Integration und Middleware (AIM) gerät in Bewegung. Techniken wie Service-orientierte Architekturen (SOA) und der Enterprise Service Bus (ESB) bringen die Geschäfte auf Touren.

Es geht rund im Integrationsgeschäft, zumindest wenn man sich die Entwicklung der Lizenzumsätze in Deutschland ansieht. Während die AIM-Geschäfte laut den Marktforschern von Gartner hierzulande von 2003 auf 2004 noch bei einem Lizenzumsatz von knapp 352 Millionen Dollar stagnierten, rannten die Kunden den Anbietern im vergangenen Jahr offenbar die Türen ein. Insgesamt nahmen die Softwarehersteller mit neuen Lizenzen für ihre Integrationslösungen 2005 in Deutschland 443,2 Millionen Dollar ein. Das bedeutet ein Plus von fast 26 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Jahr.

Doch dieses Bild trügt ein wenig. Betrachtet man die kompletten Softwareumsätze im deutschen AIM-Geschäft, fällt das Wachstum Gartner zufolge deutlich geringer aus. Diesen Posten taxierten die Marktforscher im vergangenen Jahr auf gut 493 Millionen Dollar hierzulande, nur etwa 2,4 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die Schwierigkeit liegt offenbar darin, die verschiedenen Geschäftsfelder klar abzugrenzen und mit Zahlen zu erfassen.

Top 10

Integrationssoftware Marktanteile in Deutschland 2005 nach Umsatz

(Marktanteil in Prozent)

IBM 40,8

BEA Systems 12,1

Oracle 8,0

Fujitsu-Siemens 6,3

Microsoft 5,0

Seeburger 3,7

Tibco 3,2

Atos Origin 3,0

Sun Microsystems 3,0

SAP 2,4

Gegenüber 2004 hat IBM minimal Marktanteile verloren, BEA hingegen um fünf Prozent zugelegt. Quelle: Gartner

Wie es scheint, fällt dies sowohl den Analysten wie auch den Anbietern selbst nicht leicht. Problematisch ist beispielsweise wie Integrationslösungen, die in Applikationspaketen oder Betriebssystem-Umgebungen eingebunden sind, in die Rechnungen einfließen sollen.

Herausforderung AIM-Markt

Auch die Zuordnung einzelner Komponenten ist von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich. Ein Enterprise Service Bus kann beispielsweise Teil einer Integrationssuite, des Betriebssystems oder einer Applikation sein. Es sei eine Herausforderung, den AIM-Markt im Blick zu behalten, heißt es von Seiten Gartners. Der zunehmende Trend, verschiedene Lösungen zu unterschiedlichen Paketen zusammenzuschnüren, sowie die Überlappung mit anderen Märkten seien Gründe für die überraschenden Zahlen.

Die Analysten von Gartner fassen unter AIM Integrationsanwendungen wie beispielsweise Application Server und Werkzeuge für Enterprise Application Integration (EAI) sowie Middleware und Portale zusammen. 2005 ist das Geschäft mit ebendiesen Lösungen offenbar aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Während sich die Anbieter in den zurückliegenden Jahren mit Wehmut an die Boom-Phase mit Wachstumsraten jenseits der 20-Prozent-Marke um die Jahrtausendwende erinnerten, scheinen die goldenen Zeiten des Marktes, zumindest was das Lizenzgeschäft betrifft, nun wiedergekehrt zu sein.

Top 5

Application-Integration-Software Marktanteile weltweit 2005 nach Umsatz

(Marktanteil in Prozent)

  1. IBM 37,2

  2. BEA Systems 14,5

  3. Oracle 8,7

  4. Microsoft 4,7

  5. Tibco 3,7

Andere 31,3

Quelle: Gartner (Mai 2006)

Davon profitiert haben fast ausnahmslos die etablierten Anbieter. So sicherte sich auch 2005 IBM mit deutlichem Vorsprung die Spitzenposition im deutschen AIM-Markt. Der weltweit größte IT-Anbieter verdiente im hiesigen AIM-Geschäft 180,8 Millionen Dollar mit neuen Lizenzen. Das bedeutet ein Plus von 27,3 Prozent gegenüber Einnahmen in Höhe von 142 Millionen Dollar im vorangegangenen Jahr. Der Marktanteil des Konzerns verbesserte sich im Jahresvergleich leicht von 40,4 auf 40,8 Prozent.

Zu den weiteren Gewinnern zählen Microsoft, Oracle und Bea Systems. Letzteres Unternehmen steigerte seinen Lizenzumsatz mit Integrationsprodukten in Deutschland im Jahresvergleich 2004 auf 2005 von 25 auf 53,5 Millionen Dollar. Ein Marktanteil von 12,1 Prozent (Vorjahr: 7,1 Prozent) bedeutete Rang zwei. Oracle gelang es ebenfalls, seine Middleware-Lizenzeinnahmen auf 35,6 Millionen Dollar mehr als zu verdoppeln. Mit acht Prozent Marktanteil verdrängte der Datenbank-Spezialist Fujitsu-Siemens von Platz drei. Auch Microsoft schaffte im deutschen Integrationsgeschäft ein dreistelliges Wachstum seiner Lizenzeinnahmen. Der Umsatz verbesserte sich im Jahresvergleich von 10,2 auf 22 Millionen Dollar. Mit einem Marktanteil von fünf Prozent (Vorjahr: 2,9 Prozent) schob sich der weltgrößte Softwarehersteller im hiesigen AIM-Geschäft um zwei Plätze nach vorne auf Rang fünf.

Zu hohes Wachstumstempo

Nicht mithalten mit diesem Wachstumstempo konnten dagegen Anbieter wie SAP, Tibco, Seeburger und Fujitsu-Siemens. Das deutsch-japanische Joint Venture legte beim Umsatz um 23 Prozent auf 27,8 Millionen Dollar zu. Mit einem Marktanteil von 6,3 rutschte das Gemeinschaftsunternehmen vom Treppchen und besetzt den vierten Platz. SAP konnte seinen AIM-Umsatz zwar um 30 Prozent von acht auf 10,4 Millionen Dollar ausbauen, verlor aber mit einem Anteil von lediglich 2,4 Prozent (Vorjahr 2,3 Prozent) zwei Ränge und übernahm im Gartner-Ranking die rote Laterne.

Auch die Integrationsspezialisten konnten vom allgemeinen Boom nur wenig profitieren. Der deutsche Anbieter Seeburger verbesserte seine Einnahmen zwar von 11,3 auf 16,3 Millionen Dollar. Der daraus resultierende Marktanteil von 3,7 Prozent reichte indes wie im Vorjahr nur für Platz sechs. Tibco beklagte als einziges Unternehmen unter den Top Ten rückläufige AIM-Lizenzumsätze in Deutschland. Die Einnahmen reduzierten sich von 15,5 auf 14,1 Prozent. Auch der Marktanteil ging von 4,4 auf 3,2 Prozent zurück. Unter dem Strich blieb Tibco 2005 Rang sieben, zwei Plätze schlechter als ein Jahr zuvor. Neu in der Gartner-Rangliste für den deutschen AIM-Markt tauchten im vergangenen Jahr Sun Microsystems (Platz neun) und Atos Origin (Platz acht) auf. Dafür rutschten die Software AG und Borland, die die Marktforscher 2004 noch auf Rang neun und zehn geführt hatten, aus den Top Ten hinaus.

Die etablierten Anbieter bekommen das AIM-Geschäft immer stärker in den Griff. So sicherten sich die zehn größten Anbieter im vergangenen Jahr 87,5 Prozent des Gesamtumsatzes. Ein Jahr zuvor lag ihr Anteil noch bei 74,4 Prozent, und 2003 kamen sie auf gerade einmal 63,7 Prozent. Ein Grund dafür ist aus Sicht der Analysten die größer werdende strategische Bedeutung des Themas Integration für die Anwender. Gerade in Applikationsprojekten rücke die Frage nach der zugrunde liegenden Integrationsplattform immer mehr in den Vordergrund. Vor diesem Hintergrund spielten offenbar Name, Größe und Renommee des Softwareanbieters eine immer wichtigere Rolle.

Volatiler Markt

Allerdings macht dies die Entscheidung für die Kunden nicht unbedingt einfacher. Der Markt befindet sich in

einer volatilen Phase, interpretiert Gartner-Analystin

Joanne Correia die jüngsten Zahlen. Designmuster für Integrationslösungen und Techniken veränderten sich rasch. Zudem arbeiteten die Softwareanbieter kontinuierlich daran, ihre Produktarchitekturen umzubauen. „Für die IT-Verantwortlichen in den Unternehmen wird die Arbeit dadurch nicht leichter“, lautet das Fazit der Analystin. Sie müssten sich mit häufigen Wechseln der Technologie sowie Veränderungen der Anbieterlandschaft auseinander setzen.

Technische Umbrüche sowie die zunehmende Konsolidierung könnten nach Einschätzung von Gartner den AIM-Markt auch im kommenden Jahr noch behindern. Die daraus resultierende Verunsicherung sorge dafür, dass Kaufentscheidungen aufgeschoben würden und sich die Kunden verstärkt den etablierten Anbietern zuwenden. Diesen Trend hatte Gartner-Analyst Fabrizio Biscotti bereits vor zwei Jahren prognostiziert. Faktoren wie eine funktionierende Serviceorganisation sowie ein dichtmaschiges Partnernetz würden für die Anwender zunehmend wichtiger. Darüber hinaus achteten die Unternehmen bei der Auswahl ihrer Softwarepartner verstärkt auf deren finanzielle Situation und Stabilität. Weil die entsprechenden Infrastrukturprojekte immer stärker die grundlegende und geschäftskritische Applikationsbasis der Unternehmen beeinflussen, würden die Softwarelieferanten genau unter die Lupe genommen.

Zusätzlicher Schwung

Ab dem Jahr 2008 könnte das AIM-Geschäft zusätzlichen Schwung bekommen, prognostizieren die Marktforscher. Dann würden Anwenderunternehmen verstärkt dazu übergehen, Service-orientierte Architekturen zu implementieren. Vor allem die immer aufwändigere Pflege und Wartung der bestehenden älteren Anwendungslandschaften werde die Anwender dazu veranlassen, neue Infrastrukturkomponenten einzuführen. Bis dahin werde es allerdings im AIM-Geschäft vorrangig darum gehen, mehr aus den bestehenden Architekturen herauszuholen. Application Server, Portale, Integrationssuiten, BI-Tools sowie Management-Werkzeuge dienten in erster Linie als Ergänzungen zum bestehenden Applikationskern. Web-Services, die einen grundlegenden Umbau der Architektur einläuten, treten erst ab 2008 mehr in den Vordergrund, so die Vorhersage der Analysten.

In das kommende SOA-Zeitalter setzt eine ganze Reihe von Softwareherstellern unterschiedlichster Couleur seine Hoffnungen. SAP versucht, von der Anwendungsseite seinen Fuß in die Tür des Integrationsgeschäfts zu bekommen. Mit Netweaver als zentralem Bestandteil der Enterprise Services Architecture (ESA) propagieren die Walldorfer schon seit Jahren den anstehenden Architekturwechsel. Im kommenden Jahr soll die ESA-Roadmap abgeschlossen werden.

Oracle forciert vom Datenbankgeschäft kommend den Ausbau seines Middleware-Portfolios. Eigenen Angaben zufolge habe „Fusion“ im zurückliegenden Geschäftsjahr bereits über eine Milliarde Dollar zum Umsatz beigetragen. Angesichts der zahlreichen Zukäufe im Applikationsgeschäft und der Ambitionen, SAP stärker auf den Leib zu rücken, braucht der Anbieter einen funktionierenden Integrations-Layer, um Daten- und Anwendungsschicht zu verknüpfen. Ein durchgängiger SOA-Stack soll 2008 auf den Markt kommen.

Microsoft will seine bestehenden Produkte wie den „SQL Server“ beziehungsweise den „Biztalk Server“ SOA-fähig machen. Grundlage dafür bildet das .NET-Framework mit dem der weltgrößte Softwarekonzern vor allem Entwickler für seine Plattform gewinnen will.

Kontinuierlich ausgebaut

IBM als Branchenprimus im AIM-Markt hat in den zurückliegenden Jahren sein Softwaregeschäft kontinuierlich ausgebaut. Mit zahlreichen Übernahmen wurde das Middleware-Portfolio rund um die „Websphere“-Familie verstärkt. Insgesamt nahm Big Blue 2005 etwas mehr als 15,75 Milliarden Dollar mit Software ein. 12,55 Milliarden Dollar, mehr als drei Viertel, gingen auf das Konto der Middleware. Damit trägt Software zwar nur 17,3 Prozent zum IBM-Gesamtumsatz bei. Mit einer Bruttomarge von 87,5 Prozent steuert die Sparte mit 37 Prozent jedoch den größten Anteil zum Vorsteuergewinn des Konzerns bei.

AIM-Markt weltweit

Der weltweite Softwaremarkt für Application Integration und Middleware (AIM) ist immer für eine Überraschung gut. So haben die AIM-Geschäfte laut Gartner 2005 im Vergleich zum vorangegangenen Jahr um 7,1 Prozent auf 8,5 Milliarden Dollar zugelegt. Mit diesem Wachstum hatten die Analysten vor Jahresfrist längst nicht gerechnet. Da die Marktforscher aktuell die gesamten Softwareumsätze in ihre Analysen einbeziehen, in den Jahren zuvor jedoch nur die Lizenzeinnahmen aufnahmen, lassen sich die Zahlen zwar nicht vergleichen. Allerdings hieß es im Juli 2005, die weltweiten AIM-Geschäfte auf Lizenzbasis würden zwischen 2004 und 2009 um durchschnittlich 2,7 Prozent pro Jahr zulegen.

Der AIM-Markt wird in Bewegung bleiben. Das stellt auch die Marktforscher vor neue Herausforderungen. Gartner hat für das laufende Jahr eine differenzierte Betrachtung des AIM-Marktes angekündigt. So sollen beispielsweise verschiedene Segmente gesondert betrachtet werden. Dazu zählt der noch junge, sich schnell entwickelnde Markt für Enterprise-Service-Bus-Lösungen. Andere Bereiche wie Applikationsplattformen, Integrationssuiten und Portale bildeten dagegen bereits etablierte Märkte und könnten daher nicht so ohne weiteres in einen Topf mit neuen Segmenten geworfen werden.
von Martin Bayer (Redakteur bei der Computerwoche)