7 Wege zur Low-Code-Innovation

25.04.2024 von Isaac Sacolick
Low-Code-Plattformen können deutlich mehr als nur Webformulare und simple Integrationen. So reizen Sie die Technologie aus.
Komplexität abstrahieren, um zu innovieren: Die Low-Code-Technologie macht's möglich.
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Spreadsheets substituieren und Dashboards erstellen - das sind die wesentlichen Anwendungsfälle, die viele Business-Führungskräfte und auch Entwickler mit der Low-Code-Technologie in Verbindung bringen.

Wir haben für diesen Artikel sieben Use Cases zusammengestellt, die weit mehr realisieren als bloß grundlegende Funktionalitäten - und signifikanten geschäftlichen Mehrwert versprechen. Von wegen Low-Code-Plattformen sind nicht skalierbar und ermöglichen keine Innovation.

1. LLMs mit Low-Code-RAG

Was auf den ersten Blick wie ein ungleiches Duett aussieht, geht im Grunde gut zusammen: Low-Code und Generative AI (GenAI; generative KI). Mal angenommen, sie erwägen, ein Large Language Model (LLM) zu entwickeln, das Retrieval Augmented Generation (RAG) nutzen soll: Dann haben Sie die Wahl, das von Grund auf selbst neu aufzubauen, eine Lösung zu kaufen oder eine Low-Code-Option ins Auge zu fassen. Letzteres dürfte insbesondere für mittlere und kleine Unternehmen interessant sein, da sie - im Vergleich zu Großunternehmen - oft nicht in gleichem Maße auf technisches Knowhow und geistiges Eigentum zurückgreifen können. Von den monetären Ressourcen ganz zu schweigen.

"Das Gros der KI-Player versucht den Unternehmen weiszumachen, dass sie ihre eigenen LLMs erstellen oder Open-Source-Modelle feinabstimmen müssen, um eine Reihe interner und externer Applikationen zu unterstützen", kritisiert Igor Jablokov, Gründer und CEO des KI-Spezialisten Pryon und fügt hinzu: "Die Genauigkeit solcher Systeme lässt sich jedoch durch den Einsatz von RAG übertreffen - einfach, indem man mit einigen Klicks Dokumenten-Repositories einbindet und automatisiert KI-Modelle erstellt, die auf diesen Inhalten fußen."

Auch Malcolm Ross, SVP of Product Strategy beim Low-Code-Anbieter Appian, hebt nicht ganz uneigennützig die Vorteile der Technologie hervor: "Um das Design KI-generierter Anwendungen zu verstehen, ist immer noch fortgeschrittenes Informatik-Knowhow notwendig. Aber die visuellen Designkonzepte von Low-Code sind ideal dafür geeignet, KI in End-to-End-Prozesse einzubetten. Parallel wird die Produktivität der Entwickler erhöht und sichergestellt, dass der Output kontrollierbar bleibt."

Ein konkreter, zunehmend attraktiver Use Case ist dabei, Low-Code-Plattformen und GenAI-Funktionalitäten dazu zu nutzen, die Entwicklung von Daten-Pipelines und generativen KI-Anwendungen zu konsolidieren. Das ermöglicht, Anwendungen in denjenigen Bereichen zügig zu entwickeln und bereitzustellen, für die Unternehmen keine Developer oder Data Scientists abstellen können oder wollen.

2. Integrierte Geschäftsprozesse

Geschäftsprozesse und Workflow-Optimierungen sind weitere Bereiche, in denen Low-Code unter Umständen bessere Resultate bringt als maßgeschneiderte SaaS-Lösungen. Letztere stehen zum Beispiel in den Bereichen Asset Management und Customer Relationship Management (CRM) in diversen Ausformungen zur Verfügung - aber was, wenn strategische Arbeitsabläufe beide Funktionsbereiche berühren? Der Einsatz von Low-Code kann hier Hilfestellung leisten und dabei unterstützen, integrierte Workflows zu entwickeln.

So hat etwa die Statistikbehörde des US-Handelsministerium einen komplexen papierbasierten Datenerfassungsprozess in einen automatisierten Workflow mit Fokus auf die Datenqualität transformiert, wie Don Schuerman, CTO beim Automatisierungsspezialisten Pega, illustriert: "Das US Census Bureau nutzt Low-Code, um die Daten aller US-Haushalte zu sammeln. Im Ergebnis konnte das zuständige, 600.000 Personen starke Team 152 Millionen Haushalte in der Hälfte der Zeit des Vorjahres erfassen - und das ohne jede Downtime."

Low-Code-Plattformen können die Entwicklung integrierter Experiences beschleunigen und diesbezüglich verschiedenste Unternehmensbereiche unterstützen. Weitere Real-World-Beispiele für integrierte Workflows auf Low-Code-Basis:

3. Moderne UX - ohne Reengineering

Komponenten im Rahmen eines Replatformings zu modernisieren, ist dem Lift-and-Shift-Verfahren bekanntermaßen vorzuziehen, wenn es um App-Modernisierung in der Cloud geht. Ein hilfreicher Ansatz in diesem Bereich kann dabei darin bestehen, Backend-Datenbanken und Services beizubehalten und parallel Low-Code-Plattformen einzusetzen um das Benutzererlebnis am Frontend neu zu gestalten.

Mit Hilfe dieser Strategie ist es auch möglich, mehrere User Experiences für unterschiedliche Geschäftszwecke zu generieren. Unter unabhängigen Software-Vendoren ist es zum Beispiel gängige Praxis, eine Funktion zu entwickeln und sie dann auf die Bedürfnisse verschiedener Kunden anzupassen, wie Deepak Anupalli, Mitbegründer und CTO des Softwareanbieters Wavemaker, weiß: "Diese Anbieter gestalten ihre Produkt-UX neu und behalten alle ihre bisherigen Investitionen in Infrastruktur, Back-End-Microservices und APIs bei. Sie nutzen Low-Code, um benutzerdefinierte Komponenten zu erstellen, die sich in bestehende Systeme einfügen und beschleunigen so Web- und Mobile-Implementierungen."

Konkrete Beispiele seien laut Anupalli etwa Self-Service-Portale für Versicherungsunternehmen oder die Modernisierung des Kunden-Onboardings im Bankenumfeld.

4. Maßgeschneiderte Abteilungs-Workflows

SaaS-Lösungen unterstützen viele Abteilungen bei skalierbaren und standardmäßigen Workflows. Wenn jedoch spezialisierte Geschäftsprozesse automatisiert werden sollen, tauchen viele Fragezeichen auf. Einen solchen Workflow mit Hilfe von Low-Code- oder No-Code-Plattformen zu entwickeln, die sich in die primären Systeme der betreffenden Abteilung einfügen, kann an dieser Stelle ein sinnvoller Ansatz sein.

Anurag Shah, VP und Head of Products beim Plattformanbieter Newgen Software, fasst mögliche Benefits am Beispiel von Marketing-Abteilungen zusammen: "Low-Code-Plattformen können auch für Rapid Prototyping genutzt werden und um KI - mit menschlichem Zutun - kanalübergreifend in Kundenkommunikationsprozesse einzubinden. Das unterstützt Anwender dabei, Marketing-Material, Reportings und weitere Dokumente automatisiert und in großem Umfang zu generieren und anzupassen. Im Ergebnis lassen sich die Effizienz steigern und die Kundenbindung optimieren."

Eoin Hinchy, CEO des Softwareanbieters Tines, kann ein konkretes Beispiel aus dem Bereich der IT-Sicherheit beisteuern: "Nachdem das Infosec-Team bei Elastic mit Warnmeldungen überschwemmt wurde, entwickelte das Unternehmen einen automatisierten Investigation-Workflow, der ganze 93 Arbeitstage an Zeitaufwand einsparen konnte. Mit Low-Code- oder No-Code-Lösungen zu automatisieren, kann den Unternehmensbetrieb deutlich effizienter gestalten und ermöglicht es Teams aus diversen Bereichen, sich auf die wirklich wichtigen Tasks zu konzentrieren."

Maßgeschneiderte Workflows auf Low-Code-Basis kommen darüber hinaus zum Beispiel auch in den Bereichen Mitarbeiter-Onboarding oder Schulung und Weiterbildung in Betracht.

5. Analytics als Gamechanger

Reportings und Dashboards sind - wie eingangs bereits erwähnt - die üblichen Use-Case-Verdächtigen im Low-Code-Bereich. Viele Unternehmen unterstützen Business User zudem mit Datenkatalogen und Data-Preparation-Tools.

Darüber hinaus kann die Low-Code-Technologie aber auch die Collaboration optimieren und Echtzeit-Analytics realisieren, wie Jay Henderson, SVP of Product Management beim Softwareanbieter Alteryx, konstatiert: "Mit Low-Code-freundlichen Analysetools können erfahrene Datenwissenschaftler mit technologischen Laien auf derselben Plattform auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Gleichzeitig kann das einen Beitrag zu User Experience und Prozessautomatisierung leisten und Kompetenzlücken beseitigen."

Julian LaNeve, CTO beim Datenspezialisten Astronomer, liefert ein konkretes Beispiel aus dem US-Profisport: "Die Major-League-Baseball-Mannschaft der Texas Rangers verwendet Pipelines, um Daten über Spieler und Spielstatistiken zu erfassen, die dem Trainerstab direkt nach Spielschluss zur Verfügung stehen. Das ermöglicht nicht nur, die Leistung einzelner Spieler zu tracken sondern auch, das Verletzungsrisiko zu antizipieren."

6. Public-Cloud-Workflows

Zur Innovation kann es außerdem führen, mit Low-Code Produkt- oder Service-Komponenten in der Cloud zu entwickeln: Die Developer beschäftigen sich dabei mit den Engineering- und Skalierungsanforderungen, während Low-Code-Tools für simple Interfaces, administrative Tools oder Reportings genutzt werden. Dieser Ansatz funktioniert für Public-Cloud-Plattformen sowie die Anbindung an Drittanbieter-Services.

Heather Sundheim, Managing Director of Solutions Engineering beim Cloud-Spezialisten SADA, gibt tiefere Einblicke: "Low-Code- und No-Code-Plattformen in der Google Cloud ermöglichen eine rationalisierte App-Entwicklung und revolutionieren die Datenverarbeitung und -analyse: Sie ermöglichen den Nutzern, intuitive Interfaces für die direkte Dateneingabe in Google Sheets oder BigQuery-Tabellen zu erstellen."

Die automatisierte Berichterstellung werde durch die Integration von Google Cloud Functions mit diesen Plattformen erleichtert, so die Managerin: "Datengesteuerte Reportings werden auf der Grundlage vordefinierter Kriterien automatisiert erstellt - die Teams können sich ganz auf die Entscheidungsfindung fokussieren. Darüber hinaus kann die Technologie auch der internen Kommunikation durch innovative Anwendungsfälle wie Chatbots und Bilderkennung dienlich sein und neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen."

7. Authentifizierungs-Upgrades

Ein weiterer Bereich, in dem sich mit Low-Code innovieren lässt, ist die Substituierung interner Commodity-Komponenten. Rudimentäre Registrierungs-, Login- und Password-Reset-Funktionalitäten zu entwickeln, ist relativ einfach - allerdings sollten die angesichts heutiger Security-Anforderungen und Nutzererwartungen auch zuverlässig implementiert werden. Wenn User dabei auf zusätzliche Invests in Form von Engineering-Aufwand möglichst verzichten möchten, ist Low-Code ein Weg.

Meir Wahnon, Mitbegründer des israelischen Identity-Management-Anbieters Descope, spezifiziert: "Identity geht alle Business Teams etwas an und die User Journey umfasst diverse Schritte - etwa Anmeldung, Login, Multi-Faktor-Authentifizierung oder die Synchronisierung mit CRM-Tools. Die Erweiterbarkeit von Low-Code- und No-Code-Tools vereinfacht es, sie mit anderen Tools zu integrieren und Teams aus nicht-technischen Bereichen in diesen Prozess einzubinden. Zudem können Lösungen dieser Art dazu beitragen, die Details komplexer Authentifizierungsprozesse zu abstrahieren. Das bedeutet für Entwickler, sich stärker auf ihr Kernprodukt konzentrieren zu können." (fm)

Experten diskutieren "No Code / Low Code"
Jens Stier, engomo
„C-Level-Entscheider sehen KI als Heilsbringer, doch die ‚Macher‘ in IT und Fachbereichen sind eher skeptisch. Die Plattformen müssen hier noch beweisen, dass sie den KI-Hype in echten Mehrwert umsetzen können.“
Dr. Juergen Erbeldinger, ESCRIBA AG
„Die No-Code-/Low-Code-Technologie ist mittlerweile auf Augenhöhe mit klassischer Entwicklung. Damit kann man ein großes Spektrum an Lösungen abbilden, die schnell und unkompliziert in bestehende Software-Umgebungen implementiert werden können. Dabei sind die Zeit- und Ressourceneinsparungen gegenüber der klassischen Softwareentwicklung enorm.“
Christoph Garms, Neptune Software
„In der heutigen Zeit, in der die Nachfrage nach maßgeschneiderten Lösungen und hybriden Systemen ständig wächst, sind No Code und Low Code die Werkzeuge, die IT-Abteilungen benötigen, um flexibel und effizient auf diese Anforderungen zu reagieren. Diese Technologien ermöglichen es Unternehmen, in einer sich ständig verändernden digitalen Landschaft wettbewerbsfähig zu bleiben und innovative Lösungen schnell umzusetzen.“
Cosima von Kries, Nintex
„Die letzten Jahre haben den Unternehmen eine hohe Flexibilität und Agilität in Bezug auf die Anpassung ihrer Applikationen und Prozesse an neue Marktgegebenheiten abverlangt, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Einsatz von No-Code-/Low-Code-Technologien gewährleistet dies und es ist daher nicht verwunderlich, dass aufgrund der Umsetzungsvorteile diese Technologien immer mehr an Beliebtheit gewinnen.“
Florian Rühl, Simplifier AG
„Am Ende des Tages geht es darum, innerhalb kürzester Zeit möglichst viele Anwendungen und Prozesse umzusetzen. Dem stehen Fachkräftemangel und fehlende IT-Kompetenz entgegen. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass Low Code den Werkzeugkasten der traditionellen Entwicklung erweitert.“
Stefan Ehrlich, TRANSCONNECT
„Die Integration von KI in Low-Code-Plattformen bietet immenses Beschleunigungspotenzial für die Entwicklung von Anwendungen. Sie steigert die Effizienz, gibt Vorhersagen und ermöglicht Einblicke in Strukturen und Daten. Komplexe Aufgaben werden einfacher gelöst, was die Produktivität steigern, das Kundenerlebnis verbessern und Wettbewerbsvorteile schaffen kann.“

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.